Süddeutsche Zeitung - 12.09.2019

(Brent) #1

Cham/Regensburg – Der Biologe und
oberste Artenschützer beim Landesbund
für Vogelschutz (LBV), Andreas von Lindei-
ner, kämpft seit Langem dafür, dass die
Wilderei streng geschützter Wildtiere
scharf verfolgt und streng geahndet wird.
Lange Zeit vergebens. Zwar handelt es sich
dabei um Straftaten, auf die bis zu fünf Jah-
re Haft stehen. Aber die Ermittlungsbehör-
den hatten die meiste Zeit weder die Aus-
rüstung noch die Fachkenntnisse, um sie
zu verfolgen. Außerdem stand diese Art De-
likte nicht in ihrem Fokus. Deshalb ist die-
ser Donnerstag ein wichtiger Tag für Lind-
einer. Denn an diesem Donnerstag verhan-
delt das Amtsgericht Cham gegen einen
mutmaßlichen Wilderer aus dem Bayeri-
schen Wald. Der 53-jährige Jäger aus dem
Lamer Winkel soll mindestens einen Luchs
in einer Falle gefangen und später erschos-
sen haben. „In Bayern ist das der erste Pro-
zess dieser Art, von dem ich weiß“, sagt
Lindeiner. „Für mich ist es schon ein gro-
ßer Erfolg, dass es zu ihm kommt.“


Der Bayerische Wald ist die einzige Regi-
on in Bayern, in der Luchse leben. Die Popu-
lation geht zurück auf ein Ansiedlungspro-
jekt in den 1970er-Jahren. In den vergange-
nen Jahren verschwanden immer wieder
spurlos Luchse. Alsbald gab es die Vermu-
tung, dass Wilderer am Werk sind. Eine Rei-
he spektakuläre Wildereien erhärtete den
Verdacht. 2012 wurde bei Rinchnach die
Luchsin Tessa vergiftet, der für ein For-
schungsprojekt ein Sender umgeschnallt
worden war. Ein Jahr später wurde nahe
Bodenmais eine trächtige Luchsin abge-
schossen. 2015 wurde dass Luchspaar Le-
on und Leonie getötet. Der oder die Täter
trennten den Kadavern die Vorderläufe ab
und deponierten sie an einer Stelle, an der
sie rasch entdeckt werden mussten. Tier-
schützer stuften dies als makabres Signal
der Täter ein, dass sie keine Luchse haben
wollen im Bayerischen Wald. Luchse sind
vor allem bei Jägern unbeliebt – sie be-
fürchten, dass die Raubtiere ihnen die Re-
he wegfressen.

Der angeklagte Jäger, der sich bisher
nicht zu den Vorwürfen geäußert hat,
stand lange im Verdacht, auch diese drei
Straftaten begangen zu haben. Trotz akribi-
scher Ermittlungen konnten sie dem
Mann aber nicht nachgewiesen werden.
Anders bei dem Vorwurf, dass der 53-Jähri-
ge mindestens einen Luchs in einer Falle
gefangen und später erschossen hat. Zum
einen wurde die Falle sichergestellt. Sie ist
mit 2,5 Metern Länge, 85 Zentimeter Brei-
te und 85 Zentimeter Höhe ein außeror-
dentlich großes Gerät und soll mindestens
drei Jahre an derselben Stelle im Wald ge-
standen haben. Zum anderen wurden in
der Falle Haare von Rehen und einem
Luchs entdeckt. Aber nicht nur deshalb
sind die Ermittler überzeugt, dass in der
Falle ein Luchs gefangen wurde. Sondern
auch, weil sich der Angeklagte vor Zeugen
damit gebrüstet und diesen sogar erklärt
haben soll, welche Schusswaffen sich gut
für das Erschießen des in dieser Falle ge-
fangenen Luchses geeignet hätten.

Wilderer stellen aber nicht nur streng ge-
schützten Luchsen nach. Sondern vor al-
lem Greifvögeln. Allein im Landkreis
Cham summiert sich die Zahl der illegal ge-
töteten Vögel seit 2017 auf etwa 70 Tiere.
Die meisten starben an Ködern, die mit
dem Kontaktgift Carbofuran präpariert
worden waren. Das Insektizid ist seit 2007
EU-weit verboten. Auch in anderen Regio-
nen, etwa in der Rhön, kam es in der Ver-
gangenheit immer wieder zu Vergiftungen
von Greifvögeln. Anlässlich des Prozesses
in Cham hat sich eine neue Allianz aus dem
LBV, der Umweltorganisation WWF und
dem Bayerischen Jagdverband gegen Wil-
derei gebildet. Das Bündnis ist insofern un-
gewöhnlich, als sich nun auch der Jagdver-
band klar gegen Artenschutzstraftaten po-
sitioniert – was in der Vergangenheit nicht
immer eindeutig der Fall war.
Nun aber heißt es in der „Regensburger
Erklärung gegen Wilderei und Arten-
schutzkriminalität“, welche die drei Orga-
nisationen am Mittwoch in Regensburg

veröffentlicht haben: „Die illegale Tötung
streng geschützter Wildtiere ist kein Kava-
liersdelikt. Diese Straftaten müssen konse-
quent verfolgt werden.“ Dazu fordern LBV,
WWF und BJV standardisierte Verfahren
bei Polizei und Justiz für die Aufnahme
und Ermittlungen solcher Straftaten, eine
zentrale Wildereidatei beim Landeskrimi-
nalamt und eine stärkere Verankerung des
Komplexes in der Aus- und Weiterbildung
der Ermittlungsbehörden.
Denn in einem Punkt sind sich Experten
wie Lindeiner einig. „Der Wilderei streng
geschützter Tiere wird man nur Herr,
wenn Polizei und Justiz hart gegen sie vor-
gehen“, sagt der LBV-Mann. Dafür sei der
Prozess vor dem Amtsgericht Cham ein gu-
tes Beispiel. Seit die Polizei und die Staats-
anwaltschaft Regensburg gegen den Ange-
klagten ermitteln, ist im Bayerischen Wald
kein Luchs mehr unter unklaren Umstän-
den verschwunden. Im Gegenteil: Der klei-
nen Population dort geht es so gut wie seit
Jahren nicht mehr. christian sebald

von andreas glas

Perlesreut– AntjeLaux klopft mit dem
Messer gegen ihr Glas, ding, ding, kann los-
gehen. „Ich möchte die Sitzung eröffnen“,
sagt Laux. Dann setzt sie den Ton für die-
sen Abend im Wirtshaus Hafner in Perles-
reut, Bayerischer Wald. „Dass so viele ge-
kommen sind, das ist eine super Überra-
schung, supertoll, freut mich sehr“, sagt
Laux, die erste Rednerin des Abends. Es
folgt der zweite Redner, die dritte Redne-
rin – aber die Tonspur bleibt die gleiche: su-
per, toll, große Freude. Nur gute Laune.
Was ist hier los?
Nun, etwa 40 Menschen sind zum Haf-
ner gekommen, um dabei zu sein, wenn die
Grünen ihren ersten Ortsverband im Land-
kreis Freyung-Grafenau gründen, wo Ant-
je Laux die Kreischefin der Partei ist. Es ist
bereits der 86. Ortsverband, den die bayeri-
schen Grünen seit der Landtagswahl 2018
auf die Beine stellen. Das erklärt dann
auch das Gute-Laune-Syndrom. „Ein un-
glaublicher Boom“, sagt Eike Hallitzky,
Landeschef der Grünen, der an diesem
Abend ebenfalls nach Perlesreut gekom-
men ist. Wobei das fast untertrieben ist.
Was Bayerns Grüne gerade erleben, ist ei-
ne Explosion.
Erst vor ein paar Tagen hat die Partei ih-
re neuesten Zahlen für die gesamte Bun-
desrepublik präsentiert. Demnach ist die
Zahl der Grünen-Mitglieder seit Jahresbe-
ginn von gut 75 000 auf fast 90 000 gestie-
gen. Von den rund 15 000 Neumitgliedern
kommen etwa 2500 aus Bayern. Wie groß
der Bayern-Anteil am bundesweiten Zu-
lauf ist, zeigt vor allem der Blick auf die
neu gegründeten Orts- und Kreisverbän-
de. Von den jüngsten 62 Gründungen in
Deutschland fanden allein 51 im Freistaat
statt. Den größten Zuwachs hatte Oberbay-
ern: 34 neue Ortsverbände seit der Land-
tagswahl. Die wenigsten Gründungen gab
es in Niederbayern: zwei. In Eching bei
Landshut und nun eben in Perlesreut,
Kreis Freyung-Grafenau.
Den Volksparteien laufen zu Tausenden
die Mitglieder weg – und die Grünen?
Gründen sogar im Bayerischen Wald neue
Ortsverbände. In einem Landstrich, wo der
politische Boden tiefschwarz gepflastert
ist. Obwohl, sagt Hans-Jürgen Hödl, „wenn
du hier sitzt und diese wunderbare Land-
schaft siehst, dann sagen ganz viele: Hier
ist eh alles grün“.

Hödl, 37, hockt nach der Gründungssit-
zung auf der Wirtshausterrasse. Er ist Initi-
ator des Perlesreuter Ortsverbandes, hat
sich gerade eben zum Vorstandssprecher
wählen lassen. Auf der Terrasse hat man ei-
nen weiten Blick in die Bayerwald-Land-
schaft. Wunderschön, da hat Hödl schon
recht. Aber grün? Wer genau hinschaut,
der sieht den braunen Schleier, der sich
über einige Fichtenwälder gelegt hat. Wo
die Spitzen braun sind, stehen überall tote
Bäume, vom Borkenkäfer zerfressen. Die
Dürre hat die Fichten zu leichten Opfern
des Käfers gemacht. Langsam, sagt Hödl,
werde den Menschen hier bewusst, „dass
der Wald doch schützenswerter ist, als
man vielleicht gemeint hat“.

Im Bayerwald können die Leute die Kli-
makrise durchs Fenster beobachten. Das
dürfte ein Grund sein, warum die Grünen
auch hier plötzlich Zulauf haben. Hödl ist
der Partei nach der Bundestagswahl beige-
treten – als die AfD in Niederbayern starke

Ergebnisse erzielt hatte. In Freyung, wo
Hödl ein Kino betreibt, holten die Rechtspo-
pulisten fast 18 Prozent. Ein Schock, sagt
Hödl, „da hab ich mir gedacht: Jetzt musst
du was machen“.
Klimakrise. Rechtsruck. Wer die neuen
Grünen fragt, warum sie der Partei beitre-
ten, der hört vor allem diese zwei Argumen-
te. Das ist im Bayerischen Wald nicht an-
ders als in München. Die Zahl der Parteiein-
tritte steige „relativ ausgeglichen sowohl
in Städten als auch in ländlichen Regio-
nen“, teilt die Bundespartei auf Nachfrage
mit. Auch in Bayern klingen die Namen der
Orte, die neuerdings grüne Ortsverbände
haben, immer ländlicher: Eggstätt, Ahorn-
tal, Berolzheim.
Früher habe sich ein Grüner auf dem
Land „erklären müssen“, sagt Hans Madl-
Deinhart, „im Sportverein, im Schützenver-
ein, bei der Feuerwehr“. Im Jahr 1988 ist
Madl-Deinhart den Grünen beigetreten, er
gehörte zu den Gründern des Kreiver-
bands Freyung-Grafenau. Drei Jahrzehnte
musste er warten, bis nun ein Ortsverband
dazukommt. „Es dauert eben lang, bis sich
die Leute ändern“, sagt der 61-Jährige, der
im knallgrünen Hemd im Wirtshaus sitzt.
„Früher waren hier fast alle bei der Bundes-

wehr“, sagt Madl-Deinhart über den Mili-
tärstandort Freyung-Grafenau. Über die
Grünen, die ihre Wurzeln in der Friedens-
politik haben, seien „Horrorgeschichten er-
zählt“ worden. „Auch die Kirche hat ge-
sagt: Die Grünen kannst du nicht wählen!“
Und jetzt? Gibt es keine Wehrpflicht mehr,
die Kirche hat an Einfluss verloren, die Ab-
lehnung sei inzwischen „viel weniger“,
sagt Madl-Deinhart.

Das sagt auch Hans-Jürgen Hödl, der
nicht nur grün ist, sondern auch schwul –
zwei Attribute, die lange Zeit nicht sofort
im hintersten Eck Bayerns verortet wur-
den. Hödl ist in Passau geboren, hat bis vor
Kurzem dort gelebt. Sein Lebensgefährte
kommt aus Perlesreut, das Paar richtet
sich hier gerade eine Wohnung ein. Als Grü-
ner im Bayerwald wolle er auch „Ansprech-
partner sein“ für schwule, lesbische, bi-
und transsexuelle Menschen. Denn eine
Anlaufstelle gibt es bis heute in ganz Nie-
derbayern nicht. „Ich habe im Landkreis ei-
nige kennengelernt, die sind 30, schwul,
aber das weiß keiner, die trauen sich das
nicht zu sagen. Ein riesiges Problem“, sagt
Hödl, der vom Christopher Street Day im
Bayerwald träumt, „das wäre mal was ganz
anderes“.
Aber Hödl ist auch Realist. Er weiß, dass
die Grünen auf dem Land kein Rathaus er-
obern, wenn sie die Regenbogenrevolution
ausrufen. Es sei „klar, dass man auf dem
Land nicht sagen kann: Alle Autos müssen
jetzt weg!“ Die Distanzen sind hier groß,
die Menschen aufs Auto angewiesen. Aber
natürlich wolle er mithelfen, das „ultra-
schlechte öffentliche Verkehrsnetz“besser
zu machen. Und er möchte „mehr Aufklä-
rung beim Thema Müll“ leisten, sagt Hödl,
der neue Perlesreuter Grünen-Chef. Bis
Frühjahr 2020 wollen die vier Gründungs-
mitglieder eine Liste für die Kommunal-
wahl aufstellen. „Wir werden den komplet-
ten Gemeinderat übernehmen“, sagt Hödl.
Er sagt das mit Augenzwinkern. Bei der
Landtagswahl 2018 haben nur fünf Pro-
zent der Perlesreuter die Grünen gewählt,
keine 200 Menschen. Zumindest im Bayer-
wald hat die Boom-Partei noch eine Menge
Luft nach oben.

Hans-Jürgen Hödl ist Initiator des Perlesreuter Ortsverbandes und hat sich bei der
Gründungssitzung zumVorstandssprecher wählen lassen. FOTO: HERMANN SCHOYERER /OH

Große Allianz gegen die Wilderei


In Cham beginnt ein Prozess gegen den Mann, der einen Luchs getötet haben soll, es ist das erste Verfahren dieser Art. Tierschützer und Jäger fordern eine konsequentere Verfolgung


München– Die Landtags-SPD übt scharfe
Kritik an der Personalpolitik des Landwirt-
schaftsministeriums. „Frauen sind in den
Behördenleitungen der Land- und Forst-
wirtschaft Bayerns völlig unterrepräsen-
tiert“, sagt die SPD-Abgeordnete Ruth Mül-
ler unter Bezug auf eine Anfrage an die
Staatsregierung. „Nur drei der insgesamt
52 Behördenleitungen sind mit Frauen be-
setzt.“ Zwar hätten die Agrar- und Forstver-
waltungen in den vergangenen Jahren bei
der Einstellung von Frauen insgesamt
nachgebessert. Aber auf die Chefetagen
wirke sich das offenkundig nicht aus. „Die
gläserne Decke scheint in den Behörden
von Ministerin Michaela Kaniber beson-
ders dick zu sein“, sagt Müller. „Getreu
dem Motto: eine Frau demonstrativ ganz
oben an der Spitze, und damit ist es getan.“
Bei den Abteilungsleitungen sehe es nicht
besser aus als an den Behördenspitzen.
Nur 34 von 226 Abteilungsleiterstellen sei-
en mit Frauen besetzt. Ein Sprecher des
Agrarministeriums sagte, man wolle Füh-
rungspositionen möglichst optimal verge-
ben und zugleich den Anteil von Frauen
möglichst erhöhen. Die Behördenleiter sei-
en gehalten, geeignete Frauen gezielt auf
eine Übernahme von Führungspositionen
anzusprechen und vorzubereiten. cws


Amberg– Kommenden Freitag jährt sich
erstmals der Tag, an dem das Landesamt
für Pflege (LfP) im oberpfälzischen Am-
berg feierlich eingeweiht wurde. Gesund-
heits- und Pflegeministerin Melanie Huml
(CSU) besuchte am Mittwoch die junge Be-
hörde – im Gepäck viel Lob, aber auch
neue Arbeitsaufträge. „Die Aufgabenfülle
des LfP ist bereits jetzt enorm“, sagte
Huml. Dazu gehört insbesondere die Um-
setzung des Bayerischen Landespflege-
geld-Gesetzes. Pflegebedürftige Men-
schen in Bayern, die mindestens den Pfle-
gegrad 2 zuerkannt bekommen haben, wer-
den demnach jährlich mit 1000 Euro zu-
sätzlich unterstützt. „Um ihre Selbständig-
keit zu stärken“, wie Huml betonte. Zustän-
dig für die Auszahlung: das LfP. In mehr als
342 000 Fällen sei das Geld bislang ausge-
zahlt worden, sagte LfP-Präsident Markus
Schick. Auch wurden bereits 1,5 Millionen
Euro als Bonus an freiberufliche Hebam-
men herausgegeben. Vom kommenden
Jahr an, so Huml, soll das LfP überdies die
Förderung der Fortbildung im Bereich Al-
tenpflege übernehmen. Damit nicht ge-
nug: Auch die Investitionskostenförde-
rung für Pflegeplätze wird Sache der neu-
en Behörde, ebenso wie die Umsetzung des
Bayerischen Demenzfonds, für den mittler-
weile das Konzept steht. So zufrieden die
Ministerin ist, so unzufrieden gibt sich die
Opposition: Die stellt sich vor allem die Fra-
ge, was die Behörde denn besser machen
könne als das Ministerium selbst. dm


Finsterau– Dass Sauberkeit und Hygiene
das Wohlbefinden stärken, wird heutzuta-
ge niemand bezweifeln. Große Teile der Be-
völkerung duschen, waschen und besprü-
hen sich leidenschaftlich – was aber in Zei-
ten des Klimawandels säuerliche Ausdüns-
tungen nicht total unterbindet. Trotzdem
sind die Ansprüche so hoch wie noch nie.
Sauberkeit dient längst auch der Repräsen-
tation. Die Höhe einer Zivilisation wird
heutzutage am Stand der Hygiene gemes-
sen. Körper, Kleidung, Bett, Tisch und Bo-
den sollen möglichst klinisch rein sein, die
Nahrung soll keimfrei und unverdorben
sein. Das führt dazu, dass ein schrumpeli-
ger Apfel aus dem Naturgarten weniger An-
sehen genießt als eine gelackte Schönlings-
frucht aus dem Supermarkt.
Die ins Philosophische hineinlappen-
den Fragen des Sauberkeitskults und der
Hygiene sind zurzeit Thema einer Ausstel-
lung im Freilichtmuseum Finsterau. Die
Ausstellung betrachtet sowohl Dinge, die
der Sauberkeit bedürfen als auch Werkzeu-
ge und Geräte, die diesem Zweck dienen.

Manche Utensilien der Hygiene sind
zweckmäßig bis zur Gegenwart, etwa Bürs-
ten und Besen, Seife und Rasierapparat.
Manches findet sich nur noch im Museum,
etwa Teppichklopfer, Waschbrett und
Spucknapf. Apropos Teppichklopfer: Mit
seiner Hilfe wurde nicht nur der Staub be-
kämpft. Landete er auf Kindergesäßen,
diente er eher der sittlichen Reinlichkeit.
Im 19. Jahrhundert, dem Zeitalters des
rapiden Wachstums der Städte und der
Ökonomisierung der Landwirtschaft, wur-
de die Hygiene ein Topthema. Für jeden
Bürger sollten nun sauberes Trinkwasser,
Ärzte und Bildung verfügbar sein. Werk-
zeuge wie Besen und Bürste, Mittel wie Sei-
fe und Sand, Einrichtungen wie eine befes-
tigte Miststatt am Bauernhof und die Kana-
lisation in der Stadt mussten erfunden und
erprobt werden. Ein mühsamer Prozess,
waren doch bis weit nach dem Krieg auf vie-
len Bauernhöfen noch Federvieh, Wäsche
und Abtritt unter einem gemeinsamen
Dach vereint. Die Menschen teilten ihr Le-
ben oft noch mit Nutzvieh, Vögeln und Na-
gern und hatten große Mühe, ihre Vorräte
vor dem Verderben zu bewahren.
Der Handel förderte das Streben nach
Sauberkeit. Bürstenhändler und Hausierer
zogen mit ihrer Ware übers Land. Wie sich
das Wäschewaschen gewandelt hat, zeigen
Utensilien wie Waschbretter, eine handge-
triebene Bottichwaschmaschine und nicht
zuletzt die legendäre AEG Lavamat-Wasch-
maschine Nova Regina von 1965.
Dennoch: „Was sauber ist, wird sozial
vereinbart, ist geschichtlich wandelbar
und individuell geprägt“, sagt Martin Ort-
meier, der Leiter des Museums Finsterau.
Zigarettenrauch war einmal Teil der Wirts-
hauskultur, heute undenkbar. Sind die
schwarz verharzten Hände eines Holzhau-
ers schmutziger als die gefeilten und ge-
bürsteten Nägel des Aktienhändlers? Und
was ist mit der Rotznase eines geliebten
Kindes? Gewiss, sagt Ortmeier. „Sauber-
keit ist immer relativ.“ hans kratzer

Sauberkeit zu jeder Zeit. Hygiene auf dem Land,
Museum Finsterau, bis 31. Oktober, tägl. 9-17 Uhr.

Luchsesind selten und streng geschützt.
Im Freistaat leben sie nur im Bayeri-
schen Wald. FOTO: HOLGER HOLLEMANN/DPA

Bürsten, Besen, Kochlöffel: Händler in
der Rhön um das Jahr 1930.FOTO: BILDARCHIV
FREILANDMUSEUM FLADUNGEN/SAMMLUNG ADOLF BENKERT

Frauenmangel


im Agrarministerium


Grün-Land


Im Bayerwald können die Bewohner die Klimakrise durchs Fenster betrachten: braune Baumspitzen, tote Fichten,
Borkenkäfer. Gut für die Grünen. In Perlesreut haben sie nun den 86. Ortsverband seit der Landtagswahl gegründet

Ministerin zufrieden mit


Landesamt für Pflege


Es sei „klar, dass man
auf dem Land nicht sagen kann:
Alle Autos müssen jetzt weg!“

Sauberkeit


ist relativ


Ausstellung in Finsterau widmet
sich der Hygiene auf dem Land

Partei im Aufwind: Der Boom der Grünen in Bayern ist spätestens seit der bayerischen Landtagswahl im vergangenen Jahr nicht mehr zu übersehen. Im Maximiliane-
um sitzen sie nun mit 38 Abgeordneten. Dieser Erfolg lässt sich auch an den steigenden Mitgliederzahlen ablesen. FOTO: TOBIAS HASE/DPA

Der Teppichklopfer bekräftigte
auchdie sittliche Reinheit

„Es dauert eben lang,
bis sich die Leute ändern,“
sagt Hans Madl-Deinhart

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DEFGH Nr. 211, Donnerstag, 12. September 2019 (^) BAYERN – R17
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Vorträge, die Sie inspirieren werden.
D
ie Weltwirtschaft erlebt einen Aufschwung
wie selten zuvor. Dennoch hat sich in un-
seren Köpfen die Wahrnehmung einer Art Dauer-
krise festgesetzt. Schwellenländer ge raten in
wirtschaftliche Nöte, politische Entwicklungen,
wie die Wahl Trumps zum Präsidenten, zuneh-
mender Protektionismus oder der Brexit ver-
unsichern uns. Zeitgleich erreichen die Finanz-
märkte Rekordwerte. Doch Kurse schwanken,
Währungen wanken, Zinsen werden erhöht.
Alles Zufall? Kritisch analysiert Anja Kohl die
Lage und gibt einen Ausblick auf das, was uns in
Zukunft erwartet.



  1. September 2019, 19.15 Uhr
    Anja Kohl
    Fernsehjournalistin,
    Börsenkorrespondentin
    Aufschwung in unruhigen
    Zeiten – wohin steuert
    unsere Wirtschaft?


© R. Jürgensen
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