Frankfurter Allgemeine Zeitung - 12.09.2019

(Michael S) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019·NR. 212·SEITE 15


Wirtschaft

273 Seiten mit Schüler-Texten sind


unter diesem Titel erschienen.


Die besten dieses Jahres aufSeite 16


Im All wird es voller. Wie man


damitumgeht, hat die Esa mit


Abgeordneten besprochen.Seite 18


Für Plastikmüll muss man Gründe


finden. Hotelketten in Amerika


haben keine Lust mehr.Seite 22


Jugend und Wirtschaft Mut für die Raumfahrt Schluss mit den Mini-Shampoos


T

im Cook hat nichts von seinem de-


monstrativen Überschwang verlo-


ren. Als der Vorstandsvorsitzende des


Elektronikkonzerns Apple jetzt neue


iPhone-Modelle ankündigte, jubelte


er, dies seien die leistungsstärksten


und fortschrittlichsten Smartphones,


die das Unternehmen je gebaut habe.


Ganz ähnliche Worte hat er auch bei


der Enthüllung früherer Generationen


von Apples Vorzeigeprodukt gewählt.


Freilich war die Ausgangslage diesmal


etwas anders, denn der Konzern erlebt


ein turbulentes Jahr. Es begann mit ei-


nem Schock, als er im Januar erstmals


seit langem zugeben musste, seine Ge-


schäftsprognosen weit verfehlt zu ha-


ben. Es nahm einen enttäuschenden


Verlauf mit mehreren Quartalen in Fol-


ge, in denen die iPhone-Umsätze um


einen zweistelligen Prozentsatz fielen.


Ein weiterer Hieb könnte zum Jahres-


ende kommen, falls am 15. Dezember


wie angedroht in den Vereinigten Staa-


ten neue Strafzölle für Importe aus Chi-


na in Kraft treten, die auch das iPhone


treffen.


Apples Produktschau war gewiss


kein Befreiungsschlag. Mit den neuen


iPhones wiederholt sich, was in vergan-


genen Jahren öfters zu beobachten


war. Sie bringen willkommene Neue-


rungen wie eine bessere Kamera und


eine längere Akku-Laufzeit, aber we-


nig Revolutionäres, das die Konkur-


renz nicht schon hätte. Ob das reicht,


um dem lahmenden iPhone-Geschäft


einen ganz neuen Wachstumsschub zu


geben, ist zweifelhaft. Allerdings hat


der Konzern auf der Veranstaltung


auch unterstrichen, dass sich seine


Prioritäten verschieben. Natürlich


möchte er noch immer so viele


iPhones wie möglich verkaufen. Aber


wenn seine Kunden sich nicht mehr je-


des Jahr das neueste Modell zulegen,


schmerzt ihn das nicht mehr so sehr


wie früher. Für ihn gewinnt an Ge-


wicht, dass die Menschen überhaupt


Apple-Geräte benutzen, gerne auch


ältere. Denn er findet immer mehr


Wege, um daraus Kapital zu schlagen.


Traditionell ist Apple für Hardware


bekannt. Der legendäre Mitgründer


Steve Jobs machte das Unternehmen


einst mit Computern erfolgreich, spä-


ter kamen unter ihm Verkaufsschlager


wie iPod, iPhone und iPad heraus. Mit


Tim Cook an der Spitze hat der Kon-


zern zwar einige populäre Produkte


wie die Computeruhr Apple Watch ent-


wickelt, aber keine großen Würfe wie


in der Jobs-Ära. Lange wuchs Apple


trotzdem rasant. Neue iPhone-Model-


le kurbelten das Geschäft an, und


Cook hat den Aktionsradius ausgewei-


tet, vor allem in China, wo sich der Um-


satz seit seinem Antritt mehr als ver-


vierfacht hat. Das Geschäft mit Smart-


phones hat sich nun aber allgemein ab-


geschwächt, und das lässt Apple nicht


unberührt. Viele Menschen behalten


ihre iPhones länger als früher, auch


weil sie finden, dass neue Modelle oft


keinen Innovationssprung bringen.


Weil Apple bis heute so abhängig vom


iPhone ist, bremst das den ganzen Kon-


zern, und das ist Cook anzukreiden.


Auf der anderen Seite hat es der


Apple-Chef aber geschickt verstanden,


Kundentreue zu kultivieren. Zum Bei-


spiel, indem er sein Unternehmen


zum Maß aller Dinge in punkto Sicher-


heit und Privatsphäre erklärt und da-


mit die implizite Drohung verbindet,


dass das Verlassen von Apples Ökosys-


tem die Gefahr mit sich bringt, zum


Freiwild für Hacker und datenhungri-


ge Internetgiganten zu werden. Auch


wenn Apple selbst keineswegs immun


gegen Sicherheitslücken ist, kommt


die Botschaft an, zumal es vielen Kun-


den ein gutes Gefühl gibt, dass das Un-


ternehmen Hardware und Software


aus einer Hand liefert. Also bleiben sie


gerne im Apple-Universum. Und dort


gibt ihnen der Konzern eine ständig


wachsende Auswahl von Diensten,


von Apple Music über Apple Pay bis zu


Apple TV+, der neuen Videoplatt-


form, die mit Netflix vergleichbar ist.


Diese Angebote sind hinter dem


iPhone heute die zweitgrößte Umsatz-


säule von Apple.


Es bleibt noch immer eine berechtig-


te Frage, ob Apple unter Tim Cook an


Innovationskraft eingebüßt hat, und er


wird sie wohl so schnell nicht abschüt-


teln können. Auch ob jede der neuen


Dienstleistungsoffensiven Erfolg hat


und Apple es etwa tatsächlich mit Net-


flix aufnehmen kann, muss sich zei-


gen. Aber Cook macht Hoffnung, das


Geschäft auf eine breitere Basis stel-


len zu können.


Der Handelskonflikt zwischen Ame-


rika und China ist freilich eine unwill-


kommene Ablenkung. Für kaum einen


anderen amerikanischen Technologie-


konzern ist China so wichtig wie für


Apple, nicht zuletzt wegen Cook. Er


hat das Land zu einem wichtigeren Ab-


satzmarkt gemacht. Schon bevor er


Vorstandschef wurde, war er auch maß-


geblich für den Aufbau der dortigen


Produktionskapazitäten mit Auftrags-


herstellern wie Foxconn verantwort-


lich, was Apple jetzt anfällig für Zölle


macht. Im Handelsstreit hat Cook sich


bislang, wenn auch vielleicht gegen sei-


ne eigenen Prinzipien, als guter Diplo-


mat erwiesen. Er trifft sich regelmäßig


mit Präsident Donald Trump, der auf


diesen Kontakt Wert zu legen scheint.


Dieses persönliche Verhältnis dürfte


damit zu tun haben, dass wichtige Ap-


ple-Produkte wie das iPhone von den


im September in Kraft getretenen Zöl-


len vorerst ausgenommen wurden.


Freilich steht noch immer im Raum,


dass die Zölle Mitte Dezember greifen.


Aber zumindest im diesjährigen Weih-


nachtsgeschäft könnte dieses Risiko


Apple sogar helfen, wenn es dazu ani-


miert, sich noch vorher ein iPhone zu


kaufen.


E


s ist zweifelsohne Phantasie ge-


fragt. Denn eine zentrale Finanz-


infrastruktur wie die Börse an einem


der wichtigsten Finanzplätze der Welt


wie London in chinesischem Eigen-


tum ist schwer vorstellbar. Es trotzdem


einmal zu versuchen, wie es nun die


Hongkonger Börse tut, ist ein Coup


der chinesischen Führung und der ihr


ergebenen Stadtregierung in Hong-


kong. Sie bieten viel Geld für die Lon-


doner Börse – ein Lockmittel, dem so


mancher Aktionär verfallen dürfte.


Es wäre aber ein Wunder, würde


das Vorhaben in London, Brüssel und


Washington schulterzuckend hinge-


nommen. Zu bedeutsam ist die Börse


in ihrer volkswirtschaftlichen Funkti-


on, kapitalhungrige Unternehmen


mit dem nötigen Geld für Wachstum


zu versorgen. Und zu krude die Vor-


stellung, ein vom chinesischen Staat


gelenkter Eigentümer hätte Einblick


in die unzähligen Transaktionen an


der Londoner Börse.


Börsen sind keine normalen Unter-


nehmen. Sie haben strategische Be-


deutung für die Staaten. Die Regulato-


ren in Brüssel und London müssen


sich daher nun eine Begründung ein-


fallen lassen, warum sie die Transakti-


on untersagen könnten. Einfach wird


das nicht, denn aus Wettbewerbssicht


würden die beiden in sehr unterschied-


lichen Märkten aktiven Börsen kaum


zu neuen Monopolen führen. Viel-


leicht ist es für die Vereinigten Staa-


ten und Großbritannien einfacher, auf


die überwiegend aus ihren Ländern


kommenden Aktionäre der Londoner


Börse Druck auszuüben und so die


Transaktion zu verhindern.


Es wäre nun aber auch leichter für


eine der amerikanischen Börsen CME


oder ICE nach der Londoner Börse zu


greifen und ihrerseits ein Angebot ab-


zugeben. Sie sind zwar bei bisherigen


Versuchen abgeblockt worden. Vor


die Alternative China gestellt, sieht


die Lage aber nun anders aus.


Alle bisherigen Großfusionen unter


Börsen sind bisher gescheitert. Es ist


daher auch jetzt wieder gut möglich,


dass es zu gar keiner Transaktion


kommt. Schlimm wäre das nicht. Bör-


sen machen ohnehin schon monopol-


artige Gewinne. Weitere Größenvor-


teile zu nutzen ist zwar effizient, hilft


aber dem Kunden am Ende nicht, son-


dern nur dem Aktionär.


Europa ist mit seiner eher kleinteili-


gen Börsenlandschaft bisher nicht


schlecht gefahren. Ein Wettbewerb un-


ter mehreren Börsen sorgt für Innova-


tionen. Die Euronext in Paris spielt


zwar auf globaler Ebene keine Rolle


mehr, zeigt aber mit Initiativen rund


um Börsengänge durchaus ihre Leben-


digkeit. Die Kapitalversorgung der Un-


ternehmen hat darunter nicht gelitten.


dmoh./hena./ppl. FRANKFURT/


SCHANGHAI/LONDON, 11. September.


Es wäre die größte Börsenfusion der Ge-


schichte. Und sie wäre politisch so heikel


wie kein Börsenfusionsversuch bisher:


Die Hong Kong Exchanges and Clearing


bietet den Eigentümern der London


Stock Exchange insgesamt knapp 30 Milli-


arden Pfund in Geld und in Aktien der


Hongkonger Börse, umgerechnet 33 Milli-


arden Euro. Wie aus der Mitteilung aus


Hongkong vom Mittwoch hervorgeht, wol-


len sie damit die führende Börsenorgani-


sation der Welt schaffen. Bisher ist die


amerikanische Börse CME Weltmarktfüh-


rer, vor der amerikanische ICE, und dann


erst folgen die Börse Hongkong und der-


zeit ungefähr gleichauf die Deutsche Bör-


se und die LSE in London.


Das Übernahmeangebot aus Hong-


kong fällt in eine Zeit, in der die chinesi-


sche Sonderverwaltungszone mit Massen-


protesten zu kämpfen hat. Erst am Sonn-


tag hat eine in Brand gesetzte U-Bahn-


Station neue Ängste geschürt, die einst so


glitzernde Finanzmetropole könne bald


völlig darniedergehen. Um 40 Prozent


sackte das Tourismusgeschäft im August


ab. Dass sich genau in dieser Zeit nun


Hongkong anschickt, 22 Jahre nach Ab-


zug der britischen Kolonialisten als neue


Macht aus Fernost in die Londoner City


einzuziehen, ist wohl nur schwerlich ein


Zufall, heißt es in Schanghais Finanzkrei-


sen, in denen sich freilich niemand na-


mentlich zitieren lassen will.


Zwar teilte Börsenchef Charles Li mit,


die Übernahme sei seit Monaten geplant


gewesen. Und tatsächlich ist es seit länge-


rem sein Ziel, die Hongkonger Börse glo-


bal aufzustellen. Doch die Hongkonger


Börse gehört einer Muttergesellschaft, an


der die Hongkonger Regierung den größ-


ten Anteil hat und 6 von 13 Posten im Auf-


sichtsrat besetzt. Die Frage ist, ob neben


der Lokalregierung, die positive Nachrich-


ten produzieren will, auch die zentrale


Führung in Peking in ein Ränkespiel hin-


ter den Kulissen involviert ist. Angesichts


der Intransparenz des politischen Sys-


tems von China ist das zum jetzigen Zeit-


punkt nur schwer zu sagen.


Gegen Spekulationen, Peking wolle


mit der Aktion die ehemalige Kolonial-


macht Großbritannien dazu drängen,


sich aus dem Hongkong-Konflikt heraus-


zuhalten, spricht die Tatsache, dass Lon-


don nicht erst seit der Regierungsüber-


nahme Boris Johnsons auf Schmusekurs


mit China ist. Dieser hatte vor seiner


Amtsübernahme Ende Juli gesagt, seine


Regierung werde sehr „pro China“ sein,


und lud die chinesischen Unternehmen


ein, in die „offenste Wirtschaft Europas“


zu investieren.


Peking stellt im Hongkong-Konflikt


vielmehr die „schwarze Hand“ Amerikas


als Bedrohung dar. Dass von Washington


entsandte Agenten hinter den Kulissen


die Proteste lenken und finanzieren wür-


den, ist eine täglich wiederholte Anschul-


digung in den Parteimedien Pekings.


Dass die Vereinigten Staaten eine Über-


nahme der Londoner Börse durch Hong-


kong alles andere als erfreut aufnehmen


dürften, könnte die chinesische Führung


einkalkuliert haben in ihrem Versuch,


sich im Handelskrieg mit Donald Trump


als wehrhaft und wirtschaftlich stark zu


präsentieren.


Der Erfolg des Übernahmevorhabens


ist allein deshalb höchst fraglich. Mit Wi-


derstand aus Europa und den Vereinigten


Staaten ist zu rechnen. Die britische Wirt-


schaftsministerin Andrea Leadsom sagte


am Mittwoch, die Regierung werde jeden


Zusammenschluss zwischen den Börsen


genau untersuchen. Vor allem werde sie


prüfen, ob sich eine Fusion auf Sicher-


heitsfragen auswirken könnte. Die Füh-


rung der Londoner Börse reagierte eben-


falls zurückhaltend auf das Übernahmean-


gebot aus Hongkong und sprach von ei-


nem „nicht bestellten, vorläufigen und


hochgradig bedingten“ Vorschlag. Man


werde diesen prüfen und sich zu gegebe-


ner Zeit weiter äußern.


Finanziell ist das Angebot für die Aktio-


näre attraktiv. Es bietet einen Aufschlag


zum vorherigen Kurs von 22 Prozent.


Dass die Märkte am Zustandekommen


zweifeln, lässt sich am Kursverlauf der


LSE-Aktie vom Mittwoch ablesen. Nach


einem zwischenzeitlichen Plus von 16 Pro-


zent schloss die Aktie 6 Prozent höher als


am Vorabend und damit weit unter dem


Übernahmeangebot.


Ob es strategisch die bessere Wahl für


die LSE ist, darf ohnehin bezweifelt wer-


den. Die traditionsreiche Börse am wich-


tigsten Finanzplatz der Welt hat sich


schon zahlreicher Übernahmeversuche er-


wehrt. Gerade versucht sie selbst den Da-


tenanbieter Refinitiv für 27 Milliarden


Euro zu übernehmen und will als eigen-


ständige starke europäische Börse reüssie-


ren. Die Refinitiv-Übernahme soll aus


Sicht Hongkongs abgeblasen werden. Das


eröffnete der Deutschen Börse neue Über-


nahmeoptionen, da sie am Währungsge-


schäft von Refinitiv interessiert ist. Eine


fusionierte Börse Hongkong-London wür-


de gleichwohl einen unbestrittenen


Marktführer in Europa schaffen, der der


Deutschen Börse im Derivategeschäft er-


hebliche Konkurrenz machen könnte.


Die LSE ist derzeit jedoch durch den


Brexit unter Druck. Sie ist Mehrheitsaktio-


när an LCH Clearnet, dem größten Clea-


ringhaus in Europa. Hier gibt es Bestre-


bungen in Europa, das Euro-Clearing


nach einem Brexit in die EU zu holen.


Die Europäische Zentralbank will vermei-


den, dass systemrelevante Clearinghäu-


ser für Euro-Papiere außerhalb der EU


und damit jenseits ihrer Aufsicht sitzen.


Um Marktverwerfungen zu vermeiden,


darf LCH Clearnet auch nach dem Brexit


selbst bei einem EU-Austritt ohne Ver-


trag für eine Übergangszeit weitere Euro-


Derivate abwickeln. Doch diese Regelung


läuft Ende März 2020 aus. Wie es danach


weitergeht, ist derzeit offen.


Für die Hong Kong Stock Exchange


wäre eine Übernahme der Londoner Bör-


se der zweite große Auslandseinkauf.


Schon 2012 hatten die Hongkonger in der


britischen Hauptstadt die Londoner Me-


tallbörse Metal Exchange übernommen,


ohne dass es zu größeren Verwerfungen


kam.


Im Apple-Universum


Von Roland Lindner, New York


Die Geschäftsprognosen


hatder Konzern zuletzt


verfehlt. Doch Tim Cook


weckt Hoffnungen.


Tönt laut:Der große Gong an der Hongkonger Börse Foto dpa


jch.FRANKFURT, 11. September.Der


Plan für das Haus hört sich gut an: Alters-


gerechtes Wohnen mit Sozialstation und


Kindergarten. Für die neue Nutzung muss


das bestehende Gebäude allerdings sa-


niert werden, gleichzeitig soll es klimaneu-


tral werden. Der Bauantrag dauert und


dauert. Erst nach vier Jahren folgt die Ge-


nehmigung, und der Umbau kann losge-


hen. Viele Bauherren ärgern sich über die


Wartezeit. Auch wenn es nicht immer so


lange dauert wie die vier Jahre im Beispiel


aus Baden-Württemberg, das aus der Bau-


industrie zu hören ist, brauchen die Geneh-


migungen oft mehrere Monate und mitun-


ter Jahre. So lange muss der Bau warten.


Das liegt auch daran, dass den kommu-


nalen Bauämtern die Mitarbeiter für teil-


weise aufwendige Prüfungen fehlen. „Die


Genehmigung zu bekommen dauert deut-


lich länger als vor Beginn des Baubooms


und deutlich länger als gewünscht“, sagt


der Ökonom Claus Michelsen, Abteilungs-


leiter für Konjunkturpolitik am Deutschen


Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in


Berlin. Die Bauverwaltung hat seit Mitte


der neunziger Jahre erheblich an Kapazi-


tät verloren. Rund 40 Prozent weniger Per-


sonal ist nach seinen Berechnungen in den


entsprechenden Fachbereichen der Kom-


munen beschäftigt. Wie lange Vorhaben


aufgehalten werden, ist schwer zu bemes-


sen. „Die Meldungen aus den Städten und


Gemeinden deuten alle in die Richtung,


dass die Dauer sich verdreifacht bis ver-


fünffacht hat“, sagt er.


Dass viele Projekte erst später starten,


stört die Bauindustrie. „Seit etwa zwei Jah-


ren merken wir, dass Baugenehmigungen


ins Stocken geraten, obwohl die Baukon-


junktur so hoch ist“, sagt Inga Stein-Bar-


thelmes, Bereichsleiterin Politik und Kom-


munikation des Hauptverbands der Deut-


schen Bauindustrie. Nach den Rückmel-


dungen, die den Verband mit 2000 mittel-


ständischen und großen Bauunternehmen


erreichen, verzögert sich der Bauprozess


durch das Warten auf die Baugenehmi-


gung manchmal um bis zu zwei Jahre.


„Wir sehen, dass die Kommunen gerade


bei den Bauaufträgen viel zu wenig Perso-


nal haben“, sagt sie. „Die Anträge können


nicht schnell genug bearbeitet werden.“


Die Personalnot in den Bauämtern trifft


laut Städte- und Gemeindebund alle Grö-


ßenklassen. Über alle Gemeinden hinweg


ist das Baupersonal laut dem Verband in


30 Jahren um ein Drittel verringert gewor-


den. Besonders stark haben häufig die


Kommunen Stellen abgebaut, die stärker


verschuldet sind. Zudem muss im Geneh-


migungsprozess durch bürokratische Vor-


schriften mehr beachtet werden.


Kommunen fällt es auch schwer, Förder-


mittel für Straßen, Schulen oder den Inter-


netausbau von der EU oder der Bundesre-


gierung abzurufen. „Die Anträge brau-


chen viel Kapazität, da fehlt es in den Ge-


meinden aber an Personal“, sagt Oliver


Rottmann, Geschäftsführender Vorstand


des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirt-


schaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge


an der Universität Leipzig. „Auch für den


Ausbau des schnelles Internets herrscht


Personalnot.“ In Berlin soll die Verwal-


tung künftig mehr machen und nach Se-


natsplänen die Wohnungsmiete senken,


wenn das Haushaltseinkommen nicht zu


hoch ist. „Woher die Kapazitäten für die


schon personell überlasteten öffentlichen


Einrichtungen zur Prüfung und Durchset-


zung kommen sollen, ist völlig unklar.“


Über die Prüf- und Genehmigungsvor-


behalte im geplanten Mietendeckel in Ber-


lin wundert sich auch Michelsen: „Die Ber-


liner Verwaltung hat deutlich an Personal


verloren und ist dafür bekannt, dass sie


nicht gut ausgestattet ist.“ Schon jetzt sieht


er in der Verwaltung Schwierigkeiten, Re-


gulierungen wie das Verbot der Zweckent-


fremdung durch Airbnb-Vermietungen


durchzusetzen. „Ich sehe große Probleme


auf die Verwaltung zurollen, wenn das


Wahrheit wird, was in dem Berliner Mie-


tengesetz drinsteht.“


Bundesweit sank die Zahl der mit Bau-


fragen befassten Angestellten in den Kom-


munalverwaltungen zwischen 1991 und


2010 um etwa 35 Prozent. Bis 2015 ging


sie nochmals um fast zehn Prozent zurück,


wie Michelsen berechnet hat: „In den


neunziger Jahren gab es nicht mehr so vie-


le Baugenehmigungen, da brauchte man


auch nicht mehr so viel Personal.“ Seither


ist die Personallage in diesem Bereich auf


einem ähnlichen Niveau. Am ehesten leis-


ten sich Bayern und Baden-Württemberg


gut ausgestattete Behörden. Viel Personal


wurde in Nordrhein-Westfalen, Nieder-


sachsen und Schleswig-Holstein sowie in


Ostdeutschland abgebaut.


In Zukunft wird die Personallage in den


kommunalen Verwaltungen kaum besser.


In den nächsten zwei bis vier Jahren gehen


viele Mitarbeiter in den Ruhestand. „Für


die Kommunen wird es immer schwerer,


qualifiziertes Personal zu finden“, sagt Mi-


chelsen. „Der öffentliche Dienst zahlt


nicht so viel, dass sich das für gut ausgebil-


dete Mitarbeiter lohnt.“ Die Bewerberzah-


len für den öffentlichen Dienst gehen nach


Umfragen unter Kommunen schon jetzt zu-


rück. Die Personalnot in den Verwaltung


nimmt dann zu. Für den Genehmigungs-


prozess der Behörden sind das schlechte


Aussichten – wie auch für Wohnungssu-


chende in den Großstädten.


Es geht auch ohne


Von Daniel Mohr


Hongkong greift nach Londoner Börse


Viele Neubauten werden vom Amt gebremst


Städte haben weniger Personal für Baugenehmigungen / Bauprojekte verzögern sich um bis zu zwei Jahre


China zeigt seine Macht


undlegt 30 Milliarden


Pfund auf den Tisch.


Warum kommt das


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Bis es dazu kommt, muss schon einiges passiert sein. Foto Picture Alliance

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