Frankfurter Allgemeine Zeitung - 12.09.2019

(Michael S) #1

SEITE 16·DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019·NR. 212 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Schüler schreiben: Ein Projekt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des Bundesverbandes deutscher Banken


Jugend und Wirtschaft


D


erHunger auf der Welt nach Fisch


ist groß – die Fischpopulation


schrumpft. Helfen könnte Fisch


aus Aquakultur. Für die kontrollierte Auf-


zucht in einer Aquakultur ist der African


Catfish, auch Afrikanischer Raubwels ge-


nannt, besonders geeignet. Seinen Ver-


zehr empfehlen WWF und Greenpeace.


Die Topfarmers GmbH aus Berlin züchtet


unter dem Namen Stadtfarm den Afrikani-


schen Raubwels in einem Ökokreislauf zu-


sammen mit Salat und Gemüse. Bei die-


sem als Aqua-Terra-Ponik bezeichneten


System wird das durch die Hinterlassen-


schaften der Fische verunreinigte Wasser


für die Düngung der Pflanzen eingesetzt


und fließt dann zurück ins Aquarium.


Nach einem ähnlichen Konzept arbeitet


in Berlin die ECF Farm. Dort werden vor


allem Buntbarsch und Basilikum gezüch-


tet und in Supermarktketten in Berlin ver-


kauft. „In unserem Aquaponik-System ha-


ben wir zwei Kreisläufe, einen für die Fi-


sche und einen für die Pflanzen. Diese


sind aneinander gekoppelt“, sagt Christi-


an Echternacht, einer der Gründer der


ECF Farmsystems GmbH. Das Wasser aus


der Aquakultur mit den flüssigen Aus-


scheidungen der Fische wird mit Dünger


angereichert, fließt in den Kreislauf der


Pflanzen und wird so ein zweites Mal ge-


nutzt. Ein Rückfluss in das Aquarium ist


aufgrund des Hinzudüngens nicht mög-


lich. Die Pflanzen gedeihen als Hydrokul-


turen. „Was wir uns aus Überzeugung


auch komplett sparen, sind Gentechnik


und Antibiotika“, heißt es von ECF Farm.


Im Unterschied dazu handelt es sich bei


der Aqua-Terra-Ponik von Stadtfarm um


einen einzigen, geschlossenen Kreislauf,


dem nur Fischfutter und Wasser zugege-


ben werden. Das 28 Grad warme Wasser


mit den Ausscheidungen der Fische wird


zunächst zum Entfernen der Schwebstoffe


über mechanische Filter geleitet. Bakte-


rien wandeln das im Wasser gelöste Am-


monium in natürlichen Dünger um. Das


Wasser gelangt nun in die Pflanzenerde,


in der sich die Nährstoffe absetzen und


von Gemüse, Salat und Kräutern aufge-


nommen werden. Anschließend fließt das


gereinigte Wasser zurück zu den Fischen.


Auf Hormone, Antibiotika, Pestizide und


Herbizide kann verzichtet werden. Laut


Stadtfarm werden im Aqua-Terra-Ponik-


System, verglichen mit der konventionel-


len landwirtschaftlichen Erzeugung,


80 Prozent des Wasserbedarfs, 80 Prozent


des Flächenverbrauchs und 85 Prozent des


CO 2 (-Äquivalent)-Ausstoßes gespart.


In Deutschland befassen sich nach An-


gaben des Bundesverbands Aquaponik


gut dreißig Einrichtungen mit Aquaponik.


Stadtfarm geht davon aus, dass sie als ein-


zige auf der Welt in kommerziellem Maß-


stab das Wasser im geschlossenen Kreis-


lauf führen. Man produziere jährlich rund


50 Tonnen Fisch und 30 Tonnen Salat,


Kräuter, Tomaten und Gurken, aber auch


exotisches Obst und Gemüse. Die Produk-


te werden zu Räuchercreme, Fischbäll-


chen, Pesto oder Ketchup verarbeitet. Ab-


nehmer sind Privatkunden, Einzelhandel


und Gastronomie. So steht das Räucherfi-


let von Stadtfarm auf der Karte des Novo-


tel Berlin auf der Fischerinsel. Mittagssala-


te werden mit dem Rad zu Privatkunden


und Büros gebracht. Nicht verkaufte Ware


wird weiterverarbeitet. „Salate können als


Smoothies eingefroren werden, Kräuter


und Gemüse werden zu Soßen und Pes-


tos“, sagt Anne-Kathrin Kuhlemann, Ge-


schäftsführerin von Topfarmers. Im On-


line-Shop kosten 200 Gramm Filet des


African Catfishs 4,40 Euro und 200


Gramm Räucherfisch 5,99 Euro.


Die Stadtfarm im Landschaftspark


Herzberge in Berlin hat 2017 eröffnet. Auf


der Fläche ist ein Umsatz von gut 500 000


Euro jährlich möglich, sagt die Geschäfts-


führerin. Im Aufbaujahr 2018 wurde dies


noch nicht ganz erreicht. Man hat sich das


Ziel gesetzt, mit Partnern in den nächsten


zehn Jahren 100 Stadtfarmen an den Start


zu bringen. Auch ECF-Farmsystems ist op-


timistisch. Zu den schon bestehenden An-


lagen in Brüssel und Bad Ragaz in der


Schweiz sei eine weitere in Deutschland in


Planung, sagt Echternacht.


Max Ufer


Katholische Schule Liebfrauen, Berlin


M


anchmal bestimmen


Zufälle über ein neues


Unternehmen. So er-


zählt Rudolf Loder aus


Albstadt, einem Städt-


chen auf der Schwäbi-


schen Alb, vom Jahr 2011, das ihn und Pe-


ter Plotnicki aus Berlin zusammenführte.


Loder, ehemals Metzger von Beruf, ist In-


haber von Gota-Wäsche. Weil sein Herz


für uralte Strick- und Wirkmaschinen und


hochwertige Stoffe aus Lagerräumungen


von Textilunternehmen schlägt, wurde er


2010 von dem ursprünglichen Unterneh-


men Balthasar Merz b. Schwanen ange-


fragt, ob er Strickmaschinen kaufen wolle.


Das 1911 von der Familie Merz gegrün-


dete Unternehmen musste, wie viele ande-


re Strickereien in seiner Region, 2008 man-


gels Aufträgen die Produktion aufgeben


und schließen. Dort entdeckt Loder nicht


nur die vielen historischen Rundwirkma-


schinen, sondern auch 40 Tonnen alte Ar-


beiterhemden mit stoffüberzogenen Wä-


scheknöpfen. Von diesen erzählt er einem


Freund, der in Berlin ein Reisebüro leitet,


hobbymäßig jedoch Kleidungsstücke auf


dem Mauerparkflohmarkt verkauft. Der


ist begeistert und transportiert die Altklei-


dung in vielen Lkw-Fuhren nach Berlin.


Rudolf Loder selbst konnte mit diesen


Hemden nichts anfangen, da sie in seiner


Region aus der Mode gekommen waren


und ihr Anblick nichts Besonderes war.


Ganz anderer Meinung war jedoch Plot-


nicki, Schneider und Modedesigner von


Beruf, der mit Begeisterung über Floh-


märkte geht, um sich inspirieren zu las-


sen. Beim Stöbern wurde er auf die alten,


verwaschenen, naturfarbenen Knopfleis-


tenhemden ohne Seitennähte aus Baum-


wolle aufmerksam und machte damit, wie


er schwärmt, „die Entdeckung seines Le-


bens“. Vor allem fiel ihm das feingewebte


Etikett mit der Abbildung des Schwans


auf. Auch seine Frau Gitta Plotnicki war


von dem textilen Fundstück überwältigt,


und beide waren der Meinung, dass man


genau mit solchen Hemden im Stil der


1920er Jahre in Berlin und anderen Metro-


polen auf große Resonanz stoßen würde.


Unbedingt wollten die bis dahin freibe-


ruflichen Designer die Herkunft der Hem-


den ergründen. Der hilfsbereite Floh-


markthändler, Loders Freund, stellte die


Verbindung zwischen Berlin und der


Schwäbischen Alb her. Die Idee des Ehe-


paares, Hemden im traditionellen Stil auf


althergebrachte Weise zu produzieren und


damit seine mechanischen Rundwirkma-


schinen wiederaufleben zu lassen, war Lo-


ders großer Traum. Auch die ursprüngli-


chen Unternehmensinhaber waren von


der Idee so berührt, dass sie den Berlinern


ihren Markennamen Merz b. Schwanen


zur Verfügung stellten.


Zunächst mussten jedoch viele Hürden


genommen werden. Man musste jeman-


den finden, der die museumsreifen Maschi-


nen bedienen und warten konnte – und


fand Bernhard Bosch, der für die Tüftelar-


beit aus dem Ruhestand geholt wurde.


Schwierig war auch, die für die damalige


Zeit typischen Decknähte zu rekonstruie-


ren, denn moderne Nähmaschinen sind


darauf nicht programmiert. Auch die Art


zu nähen erforderte viel Können und ei-


nen langen Atem. „Das, was meine Mus-


ternäherinnen leisten, ist Nähkunst und


nicht nur Nähen“, sagt Loder.


2011, 100 Jahre nach der Gründung von


Merz b. Schwanen, wurde die erste Kollek-


tion mit Erfolg auf der internationalen


Textilmesse „Bread & Butter“ in Berlin


vorgestellt. Der Schnitt wurde so ange-


passt, dass er der heutigen Zeit entspricht.


„War Kleidung vor 100 Jahren noch prag-


matisch und zweckmäßig, stehen heute Äs-


thetik und Komfort mehr im Vorder-


grund“, erklären Gitta und Peter Plotni-


cki. „Gitta ist die kreative Direktorin und


bringt die Kollektion zu Papier und organi-


siert das Gesamtkonzept der Kollektion,


während ich mich viel um die Bemuste-


rung und die Produktionsentwicklung


kümmere“, sagt Peter Plotnicki.


Vom Biobaumwollgarn bis zum schi-


cken Knopfleistenhemd bedarf es mehre-


rer Arbeitsgänge. Nach der Produktion


des Textilschlauchs bei Gota wird das Ge-


wirke zum Unternehmen Conta in Tailfin-


gen transportiert, um dort gewaschen, ge-


bleicht, gefärbt und getafelt zu werden.


Von dort geht der Stoff zur Lohnschneide-


rei Mazzarella, einem Familienbetrieb in


Burladingen, wo fünf Näherinnen und das


Ehepaar Mazzarella die Modelle nähen.


Ohne diese Aufträge von Merz b. Schwa-


nen hätte vermutlich auch dieser Betrieb


nicht weiterexistieren können. Die Feinar-


beit, das Anbringen der Knopfleiste, das


Annähen der Knöpfe, die Ziernähte und


das Einnähen des Labels, leisten schließ-


lich die vier Näherinnen in Loders Unter-


nehmen Gota. Seine Frau übernimmt die


Qualitätskontrolle. Dabei wird Stück für


Stück, das sind ungefähr 4000 Exemplare


im Monat, auf Mängel überprüft.


Mit den dreißig komplizierten, alten


Rundwirkmaschinen, die Strickschläuche


in verschiedenen Durchmessern für die un-


terschiedlichen Konfektionsgrößen ferti-


gen, haben sich außer Rudolf Loder zwei


Stricker vertraut gemacht. Hinzu kommt


ein Rentner, der bei Engpässen aushilft.


Wie fasziniert Loder von den Maschinen


ist, zeigt eine Sammlung von weiteren


sechzig bis siebzig Strickmaschinen, die


derzeit nicht in Betrieb sind. „Jede von ih-


nen tickt ein bisschen anders“, sagt Loder.


Der Unternehmenssitz ist in Berlin, wo


Gitta und Peter Plotnicki die Marke aufbau-


en und die Kollektionen entwerfen. Sie


sind die Geschäftsführer; man beschäftigt


sieben Angestellte. Von Berlin aus wird


das Sortiment aus Arbeiterhemden,


T-Shirts und Sweatshirts, aber auch Ho-


sen, Unterwäsche, Socken und Strickware


der neueren „Good Basics“-Linie in alle


Welt verkauft. Inzwischen gibt es die Hem-


den in Geschäften in dreißig Ländern – in


Deutschland unter anderem bei Manu-


factum – und im Online-Shop. In den Ver-


einigten Staaten ist New York der Haupt-


markt, wo der „Made in Germany“-Vin-


tage-Stil beliebt ist. „Hollywood-Filmpro-


duktionen, vor allem solche, die in den


zwanziger bis fünfziger Jahren spielen,


schätzen die authentische Optik der ,Good


Originals‘“, sagt Mona Weber, Marketing-


leiterin von Merz b. Schwanen. Verkauft


wird auch nach Frankreich, Großbritan-


nien, in die Schweiz, nach China, Italien,


Kanada, Schweden, Südkorea und Japan.


Dass man gut in China verkaufe, sei ver-


wunderlich, sagt Loder. Denn dort wür-


den Textilien billig produziert. Als die Tex-


tilindustrie Mitte der neunziger Jahre we-


gen der Globalisierung auf der Schwäbi-


schen Alb einzuschlafen drohte, versuchte


er sein Glück drei Jahre lang in Bangla-


desch, wo er für Aldi und Lidl Wäsche pro-


duzierte. Das gefiel ihm nicht, so dass er


sich entschied, unter schwierigeren Bedin-


gungen in Albstadt weiterzuproduzieren.


Vielerorts finde ein Umdenken statt, es


werde wieder mehr Wert auf Qualität und


Langlebigkeit gelegt, sagt Loder. Das


macht die Ware nicht billig. Für den Stoff


eines T-Shirts benötigt eine alte Rundwirk-


maschine etwa 45 Minuten. Während eine


moderne Strickmaschine am Tag 600 Kilo-


gramm Gewirke erzeugt, produziert eine


alte Maschine ein Hundertstel davon. So


kommt es, dass das Endprodukt zwischen


70 und 200 Euro kostet. Die im Design et-


was modernere „Good Basics“-Linie wird


auch in Portugal produziert, aus Biobaum-


wolle mit gleichem Qualitätsanspruch un-


ter guten Arbeitsbedingungen.


Merz b. Schwanen erzielt nach eigenen


Angaben einen Umsatz im mittleren ein-


stelligen Millionenbereich, mit Tendenz


nach oben. Die Produkte sind in Großstäd-


ten beliebt, aber auch im Herrenmodenge-


schäft „Stammhalter“ in Lörrach. Auf-


merksam auf die Knopfleisten- und Kurz-


armshirts wurde der Inhaber Tobias Bollig


2015 durch einen Artikel in „The Heritage


Post“, einem Magazin für Herrenkultur.


Die Mode entspricht genau seinen Ansprü-


chen. „Sie hat eine tolle Qualität, wird in


Deutschland produziert und hat ein zeitlo-


ses Design; sie ist außerdem gut zu kombi-


nieren“, sagt er. Die Hauptkundengruppe


sind Herren zwischen 30 und 60 Jahren.


Elisabeth Habeck


Lise-Meitner-Gymnasium, Grenzach-Wyhlen


Opas


letztes


Hemd


Den Fischen steht das Wasser bis zum Hals


Tiere und Pflanzen gedeihen in einem Kreislauf – ist das die Fischzucht der Zukunft?


ZEITUNG IN DER SCHULE


Mehr zu den Projektpartnern im Internet unter


http://www.jugendundwirtschaft.de


Verantwortliche Redakteurin:


LisaBecker


Verantwortlich
imBankenverband:

Julia Topar


Pädagogische Betreuung:


IZOP-Institut zur Objektivierung von Lern- und


Prüfungsverfahren, Aachen


Ansprechpartner:


Dr. Titus Maria Horstschäfer


An dem Projekt


„Jugend und Wirtschaft“ nehmen teil:


Aachen, Inda-Gymnasium
O

Bad Zwischenahn,


GymnasiumBad Zwischenahn-Edewecht
O

Berlin,


Kath. Schule Liebfrauen, Ocean College, Schadow-


Gymnasium
O

Bonn, Hardtberg-Gymnasium
O

Bra-


ckenheim, Zabergäu-Gymnasium
O

Braunschweig,


GymnasiumMartino-Katharineum
O

Changzhou,


Technische Universität Jiangsu Provinz
O

Dort-


mund, Mallinckrodt-Gymnasium O Dresden,


Romain-Rolland-GymnasiumOEisenach, Martin-


Luther-GymnasiumOElsterwerda, Elsterschloss-


GymnasiumOEssen, Alfred-Krupp-SchuleOFlens-


burg, Eckener-Schule
O

Frankenthal, Albert-Ein-


stein-Gymnasium
O

Frankfurt/Main, Begemann-


schule O Freiburg, Wentzinger-Gymnasium O


Fulda, Winfriedschule O Geisenheim, Internat


Schloss HansenbergOGießen, Gesamtschule Gie-


ßen-Ost, Landgraf-Ludwigs-GymnasiumOGren-


zach-Wyhlen, Lise-Meitner-GymnasiumOHam-


burg, Gymnasium Marienthal, Gymnasium Oh-


moor, Wilhelm-Gymnasium
O

Heide, Gymnasium


Heide-OstOHeidenheim, Max-Planck-Gymnasium


OHermeskeil, Integrierte GesamtschuleOIngol-


stadt, Katharinen-GymnasiumOKassel, Friedrichs-


gymnasiumOKiel, Max-Planck-SchuleOLahr, Max-


Planck-Gymnasium
O

Langenfeld, Konrad-Ade-


nauer-Gymnasium
O

Lehrte, Gymnasium
O

Leut-


kirch, Hans-Multscher-GymnasiumOLudwigsburg,


Goethe-GymnasiumOLübeck, Friedrich-List-Schu-


le,JohanneumOMannheim, Geschwister-Scholl-


GymnasiumOMenden, WalburgisgymnasiumO


Münster, Hans-Böckler-Berufskolleg
O

Ostfildern,


Otto-Hahn-Gymnasium
O

Porto, Deutsche Schule


ORöthenbach a. d. Pegnitz, Geschwister-Scholl-


GymnasiumOSchwäbisch Gmünd, Parler Gym-


nasiumOSchweinfurt, BayernkollegOSiegburg,


BerufskollegOSindelfingen, StiftsgymnasiumO


Stuttgart, Evangelisches Heidehof-GymnasiumO


Wörth, Europa-Gymnasium


Merz b. Schwanen fertigt mit


alten Strick- und Wirkmaschinen


angesagte Arbeiterhemden


für Großstädter.


W


irsind, wie unsere Kunden, we-


nig sichtbar, da wir keine be-


kannten Markenartikel produ-


zieren und eher im Verborgenen arbei-


ten. Wir sind in der Nische einer Nische“,


sagt Ralph-Uwe Johann. Der sympathi-


sche Mann mit Dreitagebart im blau-


weiß gestreiften Hemd ist alleiniger Ge-


schäftsführer der Deffner & Johann


GmbH, eines Fachgroßhandels für Mate-


rialien, Werkzeuge und Geräte für Verar-


beiter wie Maler und Restauratoren.


Das Familienunternehmen wurde


1880 gegründet. Im 19. Jahrhundert sei


Schweinfurt ein Zentrum für Pigmente,


die Rohstoffe der Farbherstellung, gewe-


sen, erzählt Johann. „In Bechhofen bei


Ansbach, wo es heute noch eine Bürsten-


und Pinselmachermeisterschule gibt, war


schon damals die Dichte an Pinselma-


chern sehr hoch“, sagt er weiter. „Um


Nürnberg–Schwabach gab es alles rund


ums Blattgold. Da beide Orte nur gut 100


Kilometer entfernt liegen, hatte Deffner


alles im Angebot, was ein Kirchen- oder


Fassmaler, Vergolder oder Stuckateur


brauchte.“ Den historischen Bezug zu Pig-


menten belegt auch der eigene Farbton


„Schweinfurter Grün“. Die damals arsen-


haltige Modefarbe war in vielen Aristo-


kratenhäusern zu finden.


Deffner befindet sich heute keine zehn


Kilometer von Schweinfurt entfernt, in


Röthlein. In den siebziger Jahren wandel-


te sich die Kundschaft. „Baumärkte schos-


sen aus dem Boden“, sagt Johann. Man


spezialisierte sich auf Denkmalschutz,


wo weiterhin qualitativ hochwertige Pro-


dukte benötigt werden.


Johann hat in Deutschland und Wales


Betriebswirtschaft studiert. Anschlie-


ßend arbeitete er in einem Unterneh-


men, das Computernetzwerke verkauf-


te. Es wurde vom amerikanischen Kon-


zern General Electric gekauft; ein Jahr


lang arbeitete der gebürtige Schweinfur-


ter in der Zentrale in den Vereinigten


Staaten. Er kam rasch in eine Führungs-


position. „Darauf folgten drei Jahre in


der deutschen Geschäftsleitung von Cis-


co Systems, einem Silicon-Valley-Unter-


nehmen, bevor ich 2009 meinen Vater


hier in Röthlein bei Lager- und IT-Pro-


zessen unterstützte und den Betrieb im


Jahr darauf übernahm.“


Es herrsche ein idealisiertes Bild des


Silicon Valleys vor, meint Johann. „Es


gibt dort einerseits eine enorme Dyna-


mik und Kreativität, andererseits aber


auch Verschleiß und Ungenauigkeit. Es


wird ein Wachstumsdiktat vorgegeben,


das mit Nachhaltigkeit nichts zu tun hat.“


Würden Restauratoren so arbeiten, blie-


ben viele Kunstobjekte nicht erhalten.


„Man muss sich immer fragen: Ist der Ein-


griff, den ich vorhabe, reversibel?“


Deffner habe alle für Restauratoren re-


levanten Produkte im Angebot. „Die Zahl


unserer Items beträgt etwa 200 000; da-


für arbeiten wir mit rund 500 Lieferanten


zusammen“, sagt Johann. Ein Lieferant


sei die schwedische Ottosson Färgmake-


ri, ein Hersteller reiner, traditioneller


Leinölfarben. Man biete Staffeleien mit


extrabreiten Auflagen an, da Gemälde


bei der Restaurierung meist gerahmt sei-


en. „Für dieses Produkt arbeiten wir mit


einer fränkischen Schreinerei zusam-


men.“ Eine Neuheit sei der Glue Looper,


ein stiftähnliches Werkzeug mit einer fla-


chen Metallschlaufe am Ende. „Damit


kann man Klebstoffe unterschiedlicher


Viskositäten sehr fein aufbringen und


feinste Risse gut verkleben.“ Entwickelt


wurde das Werkzeug von einem amerika-


nischen Ehepaar; er ist Modellbauer, und


sie betreut eine Insektensammlung.


„Wir haben deutschlandweit das größ-


te Sortiment an hochwertigen Künstler-


pinseln. Jedoch gibt es keinen Bereich,


der über 10 Prozent ausmacht, und das ist


gut so“, sagt Johann. Man sei dadurch we-


niger angreifbar. Groß ist auch die Preis-


spanne, von unter einem Euro für einen


kleinen Pinsel bis zu rund 27 000 Euro


für einen Niederdruckheiztisch. Deffner


beschäftigt zwölf Mitarbeiter, einschließ-


lich eines Diplom-Restaurators. „Mit ei-


nem mittleren siebenstelligen Umsatz


sind wir für unsere Größe angemessen er-


folgreich“, sagt Johann. „Ich habe eine


Selbständigkeit erreicht, wie ich sie ha-


ben möchte.“ Wegen der Breite und Spe-


zialisierung des Sortiments gebe es keine


direkten Konkurrenten, sagt Johann.


Zum regionalen Kundenstamm zäh-


len die Schweinfurter, Würzburger und


Frankfurter Museen sowie die Dome in


Bamberg, Würzburg und Fulda und das


Germanische Nationalmuseum in Nürn-


berg. Die Waren gehen auch in die weite


Welt; die Exportquote beträgt rund


50 Prozent. Auf einem Rollwagen liegen


Pakete für die Pinakothek in München


und die Berliner Museumsinsel – und


welche mit dem Ziel Amsterdam oder


Wien. „Darüber hinaus haben wir Kun-


den in Dresden und Kopenhagen, Mos-


kau und St. Petersburg, Peking und Neu-


seeland. Im vergangenen Jahr haben wir


eine Restaurierungswerkstatt im Liba-


non ausgestattet und mit dem Goethe-In-


stitut eine in der Mongolei.“ In Amerika


beliefere man große Häuser wie das Get-


ty Museum, das Metropolitan Museum


und das Guggenheim Museum. China,


Asien und die arabischen Länder seien


für einen Ausbau der Beziehungen aber


interessanter, da es dort Investitionsbe-


reitschaft und eine Affinität für deutsche


Produkte gebe.


Insgesamt würden die Reinigung von


Kunstobjekten und die präventive Restau-


rierung, also die Vorbeugung oder Verhin-


derung von Schäden, wichtiger, sagt Jo-


hann. Als Beispiel nennt er eine Silber-


fisch- und Papierfischfalle. Sie ist mit ei-


nem Klebstoff bestrichen, in dem die


Tierchen hängenbleiben. „Silberfische


haben Kauwerkzeuge, mit denen sie Pa-


pier regelrecht abhobeln.“


Joshua Zettelmeier


Bayernkolleg, Schweinfurt


Sie retten mehr als nur die nackte Haut


Leinöl und Silberfischfallen: Restauratoren arbeiten mit Produkten von Deffner


Genug Stoff für mehr als eine Firmengeschichte Foto Merz b. Schwanen

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