Frankfurter Allgemeine Zeitung - 12.09.2019

(Michael S) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019·NR. 212·SEITE 17


S


elbständige sind ein wesentlicher


Motor unserer sozialen Marktwirt-


schaft. Sie sind Einzelunternehmer oder


Arbeitgeber, sie haben große oder klei-


ne Unternehmen. Alle eint, dass sie ein


unternehmerisches Risiko tragen. Man-


che sind sehr erfolgreich, andere ge-


plagt von Existenzsorgen. Ihre Tätigkeit


muss im Regelfall ihre eigene wirtschaft-


liche Existenz sichern, und zwar vom


ersten Tag an bis ins Alter und dann un-


ter Umständen auch noch ausreichen,


um Ehepartner und Kinder mit zu ver-


sorgen. Anders als bei sozialversiche-


rungspflichtigen Arbeitnehmern fehlt


bei Selbständigen aber der Arbeitgeber,


der sich an den Kosten beteiligt und die


Beiträge an die Sozialkassen abführt.


Wie Selbständige für das Alter und


den Fall einer Erwerbsminderung vor-


sorgen, ist aus historischen Gründen


sehr unterschiedlich geregelt. Es gibt vie-


le Selbständige, die sich in keinem Sys-


tem wiederfinden. Andere sind schon


heute pflichtversichert in der gesetzli-


chen Rente, wie etwa Handwerker und


Lehrkräfte. Auch in dieser Gruppe gibt


es Unterschiede. Wieder andere sind


pflichtversichert in eigenen Systemen,


wie Landwirte in der landwirtschaftli-


chen Sozialversicherung oder Künstler


und Publizisten in der Künstlersozialkas-


se. Auch für viele andere freie Berufe


wie Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker


oder Ingenieure gibt es berufsständische


Versorgungswerke.


Während Pflichtversicherte ver-


gleichsweise selten von Altersarmut be-


troffen sind, müssen ungesicherte Selb-


ständige prozentual gesehen sehr viel


häufiger die Grundsicherung bei Er-


werbsminderung und im Alter in An-


spruch nehmen. Darauf muss die Politik


eine Antwort finden. Im Koalitionsver-


trag haben wir uns auf die „Einbezie-


hung von Selbständigen in die gesetzli-


che Rentenversicherung mit Opt-out-Lö-


sung und Altersvorsorgepflicht“ geei-


nigt. Das bedeutet, dass es neben einer


Mitgliedschaft in der gesetzlichen Ren-


tenversicherung für Selbständige noch


weitere Möglichkeiten der Altersvorsor-


ge geben muss – und zwar nicht nur die


Rürup-Rente.


Wir brauchen als Basis für eine Alters-


vorsorgepflicht ein ganzheitliches und


gründerfreundliches Konzept, das den


Selbständigen die notwendige soziale Si-


cherheit gibt, aber auch genug Flexibili-


tät für die unterschiedlichen Modelle


von Selbständigkeit aufweist. Dazu ge-


hört auch eine dafür zuständige Organi-


sation. So könnte die landwirtschaftli-


che Sozialversicherung zu einem Kom-


petenz-Zentrum für die Altersvorsorge


und die sonstige soziale Absicherung


von Selbständigen weiterentwickelt wer-


den. Sie hat bei den Landwirten schon


über Jahrzehnte hinweg Erfahrungen


mit den Besonderheiten selbständiger


Erwerbsformen gesammelt und vereint


Berufsgenossenschaft, Altersvorsorge,


Krankenkasse und Pflegekasse in einer


Hand.


Inhaltlich ist eine Verzahnung der


Rechtskreise das Ziel. Das Sonderrecht


der Landwirte sollte in das normale Ren-


tenrecht integriert werden. Die Ausge-


staltung als ergänzende Vorsorge wird


auch bei Landwirten häufig nicht der


Realität gerecht. So werden bei wech-


selnden Erwerbsverläufen die Zeiten


aus gesetzlicher Rente und landwirt-


schaftlicher Altersversorgung bei der


Rente für besonders langjährig Versi-


cherte nicht immer zusammengerech-


net. Das soll sich ändern. Auch für die er-


gänzende und die rentenersetzende Vor-


sorge brauchen alle Selbständigen –


auch die Handwerker – deutlich mehr


Orientierung als bisher. Sie haben auch


besondere Bedürfnisse, wenn es um Er-


werbsminderung und Rehabilitation


geht. Auch hier gibt es erhebliche Ar-


mutsrisiken. Jetzt ist der Zeitpunkt ge-


kommen, um auf Grundlage des Koaliti-


onsvertrags die Sozialversicherung für


Selbständige neu, gerecht und effizient


zu organisieren.


Peter Weiß ist arbeitsmarkt- und sozial-


politischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im


Bundestag.


Schüler schreiben Artikel über ökonomi-


sche Themen, die im Wirtschaftsteil der


Zeitung veröffentlicht werden: Das ist


möglich und geschieht regelmäßig – im


Projekt „Jugend und Wirtschaft“, das die


F.A.Z. seit nunmehr 19 Jahren gemein-


sam mit dem Bundesverband deutscher


Banken veranstaltet. Rund 1100 Oberstu-


fenschüler aus gut fünfzig Schulen aus


ganz Deutschland nehmen jedes Jahr


daran teil. Die Schüler, die im vergange-


nen Schuljahr die besten Leistungen ge-


zeigt haben, sind am Mittwoch im Bun-


desfinanzministerium in Berlin ausge-


zeichnet worden.


Die Preise für die besten Einzelleis-


tungen erhielten Elisabeth Habeck vom


Lise-Meitner-Gymnasium in Grenzach-


Wyhlen, Max Ufer von der Katholi-


schen Schule Liebfrauen in Berlin und


Joshua Zettelmeier vom Bayernkolleg


in Schweinfurt. Das Lise-Meitner-Gym-


nasium und die Katholische Schule Lieb-


frauen wurden auch für eine herausra-


gende Leistung des gesamten Kurses


ausgezeichnet, außerdem das Max-


Planck-Gymnasium aus Lahr. Den Preis-


trägern gratulierten der Staatssekretär


im Finanzministerium, Wolfgang


Schmidt, der Präsident des Bankenver-


bands, Hans-Walter Peters, der Vorsit-


zende des Kuratoriums der FAZIT-Stif-


tung, Karl Dietrich Seikel, und der


F.A.Z.-Herausgeber Gerald Braunber-


ger. Im Projekt „Jugend und Wirtschaft“


lesen Schüler ein Jahr lang intensiv den


Wirtschaftsteil der F.A.Z. und arbeiten


damit im Unterricht. Außerdem verfas-


sen sie eigene Artikel. Bisher sind im


Wirtschaftsteil der Zeitung 273 „Jugend


und Wirtschaft“-Seiten mit 1080 beson-


ders gelungenen Artikeln veröffentlicht


worden. Seit dem Jahr 2000 haben rund


23 000 Schüler an „Jugend und Wirt-


schaft“ teilgenommen. Auf der Sonder-


seite links (Seite 16) drucken wir drei


der besten Preisträgertexte dieses


Jahres ab. lib.


Gute Recherche zahlt sich aus


Preisverleihung im Projekt „Jugend und Wirtschaft“: Preisträgerin Elisabeth Habeck mit den Herren Schmidt, Peters, Seikel und Braunberger (von links) Foto Matthias Lüdecke


mas. BERLIN,11. September. Die Steu-


erquote ist so hoch wie nie zuvor in ge-


samtdeutschen Zeiten. Doch anders als


in den zwanziger Jahren stürmen keine


verzweifelten Bürger das Finanzamt.


Kein anderer als die Bundeskanzlerin


selbst erinnert an den frühen Protest.


Anlass ist das Jubiläum des Bunds der


Steuerzahler, der mit einem Festakt sein


siebzigjähriges Bestehen feiert – passen-


derweise in der Haushaltswoche, wie


Angela Merkel anmerkt. So wird in die-


sen Tagen über Steuereinnahmen und


ihre Verwendung diskutiert. Weitere Po-


litiker gratulieren in einer Einspielung


zum Geburtstag. Das alles lässt erah-


nen, dass das Verhältnis zwischen den


Mächtigen und der Vertretung der Steu-


erzahler recht entspannt-konstruktiv


ist. Es gab auch andere Zeiten.


Die CDU-Politikerin geht ausführlich


auf den ersten, wenn auch eher sponta-


nen Zusammenschluss von gebeutelten


Steuerzahlern ein: den Sturm der Mosel-


winzer auf Finanzamt, Finanzkasse und


Zollamt in Bernkastel-Kues im Jahr



  1. Auslöser sei bittere wirtschaftli-


che Not gewesen, nicht zuletzt infolge


ausländischer Konkurrenz. „Hinzu kam


eine ungewöhnlich hohe Weinsteuer“,


berichtet sie. Die Aktion führte zu ei-


nem deutschlandweit beachteten Pro-


zess – und zu einem politischen Erfolg:


dem Wegfall der Weinsteuer.


Beim Solidaritätszuschlag ist man


noch nicht so weit, auch wenn die Bun-


deskanzlerin die geplante Entlastung


für die allermeisten Zahler erwartungs-


gemäß rühmt. Ein erster Schritt sei wich-


tig. Das heiße ja nicht, damit stehenzu-


bleiben. „Es bleibt das Ziel, den Soli


ganz abzuschaffen“, hebt sie hervor.


Doch einen Termin, bis wann dies ge-


schehen soll, nennt sie nicht. Auch lässt


sie keine Bereitschaft erkennen, in das


Soli-Teilabschaffungsgesetz einen Zeit-


punkt dafür zu schreiben. Auch zentrale


verfassungsrechtliche Fragen blendet


sie aus: Ist es zulässig, nur einen kleinen


Teil der Steuerzahler weiterhin zur Fi-


nanzierung einer speziellen Aufgabe


heranzuziehen? Müsste man die zur Er-


klärung genannte Umverteilung nicht


über die progressiv ausgestaltete Ein-


kommensteuer vornehmen?


Lieber redet die Bundeskanzlerin


über zurückliegende Entlastungen. Sie


verweist auf die nach dem Zweiten Welt-


krieg sehr hohen Belastungen mit ei-


nem Spitzensatz bei der Einkommen-


steuer von 95 Prozent, einem Körper-


schaftsteuersatz von 60 Prozent und ho-


hen Vermögensteuern. Später sei nicht


nur die steuerliche Bemessungsgrundla-


ge gekürzt, sondern auch der Tarif ge-


senkt, der Splittingtarif eingeführt und


die Unternehmensbesteuerung mehr-


fach reformiert worden. Zudem habe


sich der Bund der Steuerzahler mit sei-


ner Forderung durchgesetzt, regelmäßig


die kalte Progression auszugleichen.


Diesem reicht das – ebenso erwar-


tungsgemäß – alles nicht. Er hat somit


keinen Grund, sich wegen Wegfall des


Vereinszwecks selbst aufzulösen.


STANDPUNKT


dc. BERLIN, 11. September. Als die Regie-


rung 2018 ihre Kommission zur Zukunft


der Altersversorgung berief, sorgte schon


deren Zusammensetzung für Diskussio-


nen: Der Altersdurchschnitt der zehn Mit-


glieder lag bei 56 Jahren; die beiden Vorsit-


zenden hatten schon das Ruhestandsalter


erreicht. Nach Ansicht kritischer Beobach-


ter war das keine gute Voraussetzung für


ein Konzept, das alle Generationen ausge-


wogen berücksichtigt. Der Verband Die


Jungen Unternehmer berief daher sogar


gleich eine eigene Rentenkommission,


mit einem Altersdurchschnitt von 32 Jah-


ren. Diese hat nun als erste ihr Konzept


fertiggestellt – mit einer weiteren Verlän-


gerung der Lebensarbeitszeit und einer


verpflichtenden kapitalgedeckten Zusatz-


vorsorge als zentralen Bausteinen.


Ziel müsse sein, die finanziellen Lasten


der gesetzlichen Rente „nicht ausufern“ zu


lassen, heißt es dazu in einem Fünf-Punk-


te-Plan, der die Ergebnisse der „Jungen


Rentenkommission“ zusammenfasst.


Dazu gehört für sie nicht nur eine weitere


Anhebung des Renteneintrittsalters:


„Kurzfristig muss die eingeführte ab-


schlagsfreie Rente mit 63 abgeschafft und


die Rente mit 67 konsequent umgesetzt


werden“, heißt es in dem Papier. Zudem


solle die sogenannte Flexirente von der


Deutschen Rentenversicherung wirksa-


mer beworben werden. Mit ihr hatte die


Regierungskoalition 2015 Regeln einge-


führt, die Arbeitnehmern eine Fortset-


zung ihrer Berufstätigkeit jenseits der all-


gemeinen Altersgrenze erleichtern.


Wenn die Altersgrenze 2029 auf 67 Jah-


re angehoben ist, sollte sie nach Ansicht


der Kommission aber „perspektivisch“ an


die Entwicklung der Lebenserwartung ge-


koppelt werden: „Drei Jahre mehr Lebens-


erwartung sollen in zwei Jahre mehr Le-


bensarbeitszeit und ein Jahr mehr Ruhe-


stand aufgeteilt werden“, so der Vor-


schlag.Auch wenn Bundessozialminister


Hubertus Heil (SPD) solche Ideen bisher


ablehnt, zeigt sein Ministerium zumin-


dest ansatzweise Interesse: Auf dem „Gip-


fel der Jungen Unternehmer“ an diesem


Donnerstag ist auch Renten-Staatssekre-


tär Rolf Schmachtenberg zu Gast, um sich


das Konzept anzuhören. „Das Rentensys-


tem muss reformiert werden, wenn es


nicht von der demographischen Entwick-


lung erdrückt werden soll“, betonte die


Vorsitzende der Jungen Unternehmer,


Sarna Rösner. Es bringe „mutige und über-


fällige Neuerungen“, die als Blaupause


für die Rentenpolitik dienen könnten.


Dazu gehört für sie auch eine deutliche


Stärkung betrieblicher und privater Vor-


sorge, um die umlagefinanzierte Rente zu


ergänzen. „Es sollte ein verpflichtendes


Instrument kapitalgedeckten Sparens als


Standardprodukt eingeführt werden: Alle


Bürger investieren einen mit dem Riester-


Sparen vergleichbaren Prozentsatz ihres


Einkommens in einen weltweit gestreu-


ten Wertpapierfonds“, so der Plan. „Nied-


rige Einkommen werden staatlich durch


einen Steuerzuschuss unterstützt.“


Scharfe Kritik äußert das Konzept dar-


an, wie stark die politische Debatte auf die


Rechengröße „Rentenniveau“ fixiert sei,


die Durchschnittsverdienste und daraus re-


sultierende Ansprüche auf gesetzliche


Rente ins Verhältnis setzt – und die gerade


kein sinnvoller Indikator für Altersarmut


sei. Umso wichtiger sei dagegen, für mehr


Transparenz ein sogenanntes elektroni-


sches Rentenkonto einzuführen, das für


die Versicherten alle erworbenen Ansprü-


che aus gesetzlicher Rente und ergänzen-


der Vorsorge transparent zusammenfasst.


Außerdem, so die fünfte Forderung, müs-


se das Prinzip der Generationengerechtig-


keit im Grundgesetz verankert werden.


Der Jungen Rentenkommission gehö-


ren Wissenschaftler an sowie Vertreter


der Konrad-Adenauer-Stiftung und der


Jungen Liberalen. Die Kommission der


Regierung hat den Auftrag, ihr Konzept


im März 2020 vorzulegen.


sju.FRANKFURT, 11. September. Die


Schwäche der deutschen Konjunktur


setzt sich fort. Für das Gesamtjahr 2019


erwarten die Ökonomen des Kieler Insti-


tuts für Weltwirtschaft (IfW) und des


Essener RWI-Leibniz-Instituts für Wirt-


schaftsforschung nur noch ein Wachstum


des Bruttoinlandsprodukts um 0,4 Pro-


zent, wie am Mittwoch bekannt wurde.


Das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor-


schung (DIW) erwartet immerhin noch


ein Plus von 0,5 Prozent. Zum Vergleich:


2018 war die deutsche Wirtschaft um 1,


Prozent gewachsen. Die Konjunkturfor-


scher gehen davon aus, dass die deutsche


Wirtschaft im laufenden Quartal im Ver-


gleich zum Vorquartal leicht schrumpfen


wird. Damit zeichnet sich eine technische


Rezession ab, von der Ökonomen spre-


chen, wenn das BIP zwei Quartale in Fol-


ge zurückgeht. Denn schon im zweiten


Quartal war die deutsche Wirtschaftsleis-


tung um 0,1 Prozent im Vergleich zum


Vorquartal gesunken.


„Gesamtwirtschaftlich ist eine Rezessi-


on aber nicht gegeben“, sagte Stefan


Kooths, Konjunkturchef des IfW. Noch lie-


ge die durchschnittliche Kapazitätsauslas-


tung der Unternehmen nicht unter dem


Normalniveau. Es sei jedoch nicht auszu-


schließen, dass dieser Fall noch eintrete.


Die exportorientierte deutsche Wirtschaft


leidet vor allem unter den Unsicherheiten


aufgrund des Brexits und der internationa-


len Handelskonflikte. Mit einer Erholung


ist aus Kooths’ Sicht erst im nächsten Jahr


zu rechnen. Für 2020 rechnet das IfW mit


einem Wachstum von 0,9 Prozent, das


RWI geht von 1 Prozent aus. Während das


DIW abermals mehr staatliche Investitio-


nen forderte, lehnt das IfW langfristige In-


vestitionprogramm ab. Diese würden vor


allem in Bereiche fließen, die nicht vom


Abschwung betroffen seien.


Absicherung für Selbständige


Die landwirtschaftliche Sozialkasse als Kompetenz-Zentrum / Von Peter Weiß


wvp. WASHINGTON, 11. September.


Präsident Donald Trump hat eine neue


scharfe Attacke gegen die Federal Re-


serve und deren Chef Jerome Powell mit


der Forderung einer Refinanzierung der


Staatsschulden verbunden. Über Twitter


verlangte er, die amerikanische Noten-


bank solle die Leitzinsen auf null oder


sogar niedriger setzen. „Wir sollten


dann beginnen, unsere Schulden zu refi-


nanzieren.“ Die Zinskosten der Regie-


rung könnten deutlich gesenkt und die


Laufzeiten der Kredite verlängert wer-


den. Die Vereinigten Staaten sollten


stets die niedrigsten Zinsen bezahlen.


Allein die Naivität von Jerome Powell


und der Federal Reserve verböten Ame-


rika, das zu tun, was andere Länder


längst praktizierten. Amerika verpasse


eine einmalige Gelegenheit wegen der


„Boneheads“. Übersetzungsdienste bie-


ten dafür die deutschen Begriffe Arm-


leuchter, Holzkopf oder Trottel an.


Trumps neuerlicher Twitter-Aus-


bruch folgt wachsenden Sorgen im Wei-


ßen Haus über die Abschwächung der


Konjunktur, die steigende öffentliche


Schuldenlast und das wachsende Defi-


zit. Wie häufig folgt die Attacke einem


sorgfältigen Timing: Am Donnerstag


veröffentlicht das Finanzministerium


die offizielle Haushaltsbilanz und -pro-


gnose, die nicht positiv ausfallen dürfte.


Nach Berechnung der Rechnungsprüfer


des Kongresses wird das Defizit im bald


endenden Haushaltsjahr 960 Milliarden


Dollar betragen.


Trump hat eine Entwicklung im


Auge: Die Zinslast der Bundesregierung


ist in diesem Jahr besonders stark gestie-


gen. Für die ersten elf Monate des Haus-


haltsjahres ermittelten die Rechnungs-


prüfer des Parlaments um 14 Prozent


oder um 48 Milliarden Dollar gestiegene


Ausgaben für Zinsen. Diese begründen


die Entwicklung damit, dass die kurzfris-


tigen Zinsen in diesem Haushaltsjahr


deutlich höher lagen als im vergange-


nen. Im Juni bezahlte die Bundesregie-


rung durchschnittlich 2,576 Prozent Zin-


sen für ihre Ausleihungen nach 2,492 im


Jahr 2018. Entspannung ist nicht in


Sicht: Vom kommenden Jahr an erwar-


ten die Rechnungsprüfer eine jährliches


Defizit von 1,2 Billionen Dollar im


Durchschnitt der Jahre 2020 bis 2029.


mas.BERLIN, 11. September. In der An-


hörung von Sachverständigen zur geplan-


ten Grundsteuer durch den Finanzaus-


schuss fehlt die Steuergewerkschaft. Ihr


Vorsitzender Thomas Eigenthaler gehört


eigentlich in diesen Runden, die jeder Ge-


setzgebung vorgeschaltet sind, zum festen


Inventar. An diesem Mittwoch aber ist der


Vertreter der Finanzbeamten, die für die


Bewertung von 36 Millionen Immobilien


zuständig sind, nicht da. Eigenthaler


kennt die Praxis sogar aus seinem eigenen


Berufsleben. So hat er von 1974 und 1979


selbst Grundstücksbewertungen durchge-


führt. Das ist zwar einige Jahrzehnte her –


aber seit mehr als einem halben Jahrhun-


dert hat sich nichts wesentlich bei der


Grundsteuer verändert – anders als die


wahren wirtschaftlichen Verhältnisse. Ge-


nau deshalb hat das Bundesverfassungsge-


richt den Gesetzgeber bis Ende dieses Jah-


res zu einer Neuregelung verdonnert,


wenn die Kommunen diese Einnahme-


quelle nicht verlieren sollen.


Warum fehlt also ausgerechnet in die-


sem Fall die Steuergewerkschaft? Fürch-


tet die große Koalition ihr Wissen? Auch


die übliche Einbindung der betroffenen In-


teressenvertretungen vor dem Kabinetts-


beschluss fiel bei diesem Projekt aus. Der


Kompromiss, den Finanzminister Olaf


Scholz (SPD) mit der Union und den Län-


dern ausgehandelt hat, wurde direkt von


den Fraktionen in den Bundestag einge-


bracht. Für Eigenthaler ist damit klar,


dass man keine kritischen Stimmen hören


möchte. Erst habe man sich ein ganzes


Jahr Zeit gelassen, um dann ohne Anhö-


rung der Verbände das Vorhaben mit aller


Macht durchzuboxen, bemängelt er. Süffi-


sant schiebt er hinterher: Nicht einmal in


der Sitzung des Finanzausschusses sei zur


Überraschung vieler die Fachkompetenz


der Verwaltungspraxis gefragt.


Tatsächlich hat die Steuergewerkschaft


jede Menge Kritikpunkte. „Das ganze Vor-


haben baut auf der großen Wunschvorstel-


lung auf, dass die Bewertung weitgehend


automatisch stattfindet“, sagt ihr Vorsit-


zender. Hierfür fehlen nach seiner Ein-


schätzung derzeit alle Voraussetzungen.


Grundeigentümer, Kommunen, Gutach-


terausschüsse, Katasterämter und Finanz-


ämter sollten künftig elektronisch mitein-


ander kommunizieren. „Das klappt inner-


halb der vom Verfassungsgericht gesetz-


ten Frist nicht“, sagt Eigenthaler voraus.


Völlig unklar ist nach den Worten von Ei-


genthaler, wo das zusätzlich benötigte Per-


sonal herkommen soll, das vom Bundesfi-


nanzministerium auf rund 3500 Beschäf-


tigte in ganz Deutschland geschätzt wird.


Diese Zahl hält er angesichts der veralte-


ten Daten und vieler bislang unbewerteter


Grundstücke im Osten Deutschlands für


viel zu niedrig.


Der Bundestag berät insgesamt drei Ge-


setzentwürfe zur Reform der Grundsteu-


er. Erstens geht es um ein neues Bewer-


tungsrecht. Nach dem geplanten Bundes-


recht soll der Wert der Grundstücke und


Gebäude weiterhin eine Rolle spielen, al-


lerdings soll hier viel mit Pauschalen gear-


beitet werden. Zweitens ist eine Öffnungs-


klausel vorgesehen, die es einzelnen Bun-


desländern erlauben würde, die Grund-


steuer nach eigenen Vorstellungen zu re-


geln. Dazu ist eine Änderung des Grund-


gesetzes geplant. Bayern will von der neu-


en Freiheit Gebrauch machen und die


Grundsteuer künftig nur nach den Flä-


chen erheben. Drittens ist eine neue


Grundsteuer C für baureife, aber unbebau-


te Grundstücke geplant. Dies würde Kom-


munen erlauben, die Eigentümer finan-


ziell stärker unter Druck zu setzen, um


Engpässe auf dem Wohnungsmarkt zu be-


seitigen.


Dass jedes Land sein eigenes Bewer-


tungssystem schaffen dürfen soll, hält Ei-


genthaler für einen Fehler. „Die Länder-


öffnung wird uns noch auf die Füße fal-


len“, warnt er. Der Chef der Steuergewerk-


schaft spricht vom erkennbaren Bemü-


hen, den Wert teurer Grundstücke in der


Grundsteuer nach unten zu drücken. Dies


kennzeichne das bayerische Flächenmo-


dell, aber auch das Modell von Scholz mit


dem „vereinfachten Ertragswertverfah-


ren“. „Beide Systeme unterscheiden sich


vom Aufwand her gar nicht so groß“, sagt


er. Im Scholz-Modell gebe es zusätzliche


Rechenschritte, die jedoch pauschal und


von der Maschine erledigt würden.


Eigenthaler erwartet, dass das Bundes-


verfassungsgericht abermals einhaken


werde. „Karlsruhe fordert eine relations-


und realitätsgerechte Immobilienbewer-


tung“, betont er. „Beide Modelle werden


dem nicht ausreichend gerecht.“ Insbeson-


dere das von manchen Ländern präferier-


te Flächenmodell habe mit Relationsge-


rechtigkeit nichts zu tun. Seine Erwar-


tung: „In zehn Jahren dürften sich alle Be-


teiligten wieder in Karlsruhe treffen.“


Anfangs ging es um Weinsteuern


Bund der Steuerzahler feiert Geburtstag mit der Kanzlerin


Junge Rentenkommission für längeres Arbeiten


Privatvorsorge soll verpflichtend werden / Unternehmerverband präsentiert Reformkonzept


Finanzbeamte dürfen über Grundsteuer nicht mitreden


Deutsche Wirtschaft an


der Rezessionsschwelle


Donald Trump regt sich über


„Holzköpfe“ in der Fed auf


Präsident kritisiert wachsende Zinsbelastungen


Sarna Röser Foto Patrick Junker


Abgeordnete befragen viele


Experten – aber nicht die


Steuergewerkschaft. Die hat


vieles zu bemängeln.

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