Mobilitätswende
VW sieht Branche an
Belastbarkeitsgrenze
Konzernchef Herbert Diess
warnt vor zu großen
Anforderungen aus der
Kohlendioxid-Reduktion.
Stefan Menzel Frankfurt
V
olkswagen freut sich zwar da-
rüber, dass der Konzern recht-
zeitig fertig geworden ist und
mit dem ID.3 sein erstes echtes Elek-
troauto auf der IAA präsentieren
kann. Doch für Vorstandschef Herbert
Diess ist das noch kein Grund, um
Entwarnung zu geben. Die größte un-
ternehmerische Herausforderung aus
seiner Sicht: die weiter verschärfte
Umweltgesetzgebung.
„Die Kohlendioxid-Minimierung
geht an die Grenzen der Belastbarkeit
unserer Branche“, sagte VW-Chef
Diess auf der IAA im Gespräch mit
Journalisten. Der Wolfsburger Kon-
zern werde die von der EU in Brüssel
vorgegebenen Grenzen zwar voraus-
sichtlich erreichen können. Doch das
sei nur möglich, wenn die neu vorge-
stellten Elektrofahrzeuge auch tat-
sächlich von den Kunden angenom-
men und gekauft würden.
Die nächste Verschärfung der Koh-
lendioxid-Werte innerhalb Europas
tritt 2020 in Kraft. Dann dürfen die
von den europäischen Herstellern ver-
kauften Fahrzeuge im Durchschnitt
nur noch 95 Gramm Kohlendioxid je
Kilometer an die Umwelt abgeben. Ak-
tuell liegen die Werte bei den meisten
Autokonzernen noch bei 120 bis 130
Gramm. 2025 und 2030 stehen weite-
re Verschärfungen an. Bis zum Ende
des nächsten Jahrzehnts müssen die
Autohersteller einen Durchschnitts-
wert von etwa 60 Gramm erreichen,
andernfalls drohen Milliardenstrafen.
Der VW-Konzern wird 2020 voraus-
sichtlich weltweit insgesamt 200 000
E-Autos verkaufen. „Diese Anlaufziele
sind erreichbar“, betonte Diess auf
der Automesse. In dieser Zahl seien
sowohl rein batteriegetriebene Pkw
als auch Plug-in-Hybride enthalten. Ei-
ne Schlüsselrolle spielt dabei die Fa-
brik im sächsischen Zwickau, wo VW
im November mit der Serienfertigung
des neuen, rein batteriegetriebenen
ID.3 beginnen will, so etwas wie das
elektrische Gegenstück zum VW-Klas-
siker Golf. Behält Konzernchef Diess
recht und die Produktionsanläufe
funktionieren, wird Zwickau 2020
rund 100 000 Pkw produzieren.
Die frühere Golf- und Passat-Fabrik
in Zwickau ist das erste VW-Werk, das
komplett auf die Fertigung von Elek-
troautos umgerüstet wird, Emden
und Hannover sollen folgen. Insge-
samt investiert allein die Marke Volks-
wagen im Zeitraum 2019 bis 2023 et-
wa elf Milliarden Euro in den Aufbau
des Elektrogeschäfts. Auf Konzernebe-
ne werden weitere Elektrofabriken in
den USA und vor allem in China ent-
stehen.
In dem Gespräch auf der IAA ließ
VW-Chef Diess durchblicken, dass er
die Branche bei der Kohlendioxid-Re-
duktion ungerecht behandelt sieht.
Auch andere Wirtschaftszweige müss-
ten ihren Anteil dazu leisten, dass die
Kohlendioxid-Belastung entscheidend
zurückgehe.
Diess nannte an erster Stelle die
Energiewirtschaft. Es sei viel einfa-
cher, beispielsweise einige wenige
Kraftwerke von Kohle auf Erdgas um-
zurüsten, um große Fortschritte bei
der Klimaverbesserung zu machen.
Deshalb stelle VW auch sein eigenes
Kraftwerk in Wolfsburg von Kohle auf
Gas um.
Beim Auto koste es etwa 1000
Euro, um die Umweltbelastung um ei-
ne Tonne Kohlendioxid zu reduzie-
ren. In einem Kraftwerk müssten da-
für gerade einmal 14 Euro aufgebracht
werden.
IAA Congress
„Wir müssen mehr
aufeinander hören“
Auf dem prominent besetzten
Kongress geben Experten der
Autoindustrie Tipps, wie sie
den gewaltigen Umbruch
bewältigen kann.
Jens Koenen Frankfurt
W
enige Meter entfernt glän-
zen die Karossen um die
Wette. Hier drinnen, im
Großen Auditorium auf dem Frank-
furter Messegelände, geht es um die
harte Realität: den Umbruch, vor
dem die Automobilbranche steht.
IBM-Chefin Ginni Rometty packte zur
Eröffnung der IAA Conference ihren
Berater-Werkzeugkasten aus. Sie ha-
be einige der Erfahrungen aus der ei-
genen Transformation dabei, „und
ich hoffe, dass diese auch für die Au-
tomobilindustrie hilfreich sind“.
Die IAA Conference ist der Versuch
des Veranstalters VDA, aus der in die
Jahre gekommenen Automesse eine
führende Mobilitätskonferenz zu ma-
chen. Entsprechend begrüßte VDA-
Präsident Bernhard Mattes die Gäste
zu Beginn. „Willkommen zur neuen
IAA.“ Die Hoffnung des Verbands:
Die Vorträge sollen der Branche und
Besuchern Mehrwert geben.
Das versuchte IBM-Chefin Rometty
von Beginn an. Tipp Nummer eins
der Topmanagerin aus den USA:
Beim Umbruch offen sein. „Man
braucht eine offene Plattform“, so
Rometty, nicht ohne in einem Neben-
satz auf die eigene offene Plattform
Red Hat hinzuweisen. Die Fähigkeit
zum Wandel und zur Schnelligkeit sei
nur durch offene Systeme möglich,
so Rometty.
Der zweite Tipp der Managerin:
Die Art und Weise, wie gearbeitet
wird, muss sich radikal ändern. Mit
Folgen für die Belegschaft. Die müsse
neu sortiert werden, um die richtigen
Erfahrungen und das richtige Wissen
für den Umbruch aufzubauen. „Das
ist eine klare Führungsaufgabe“, sag-
te Rometty.
Ein Hinweis, den Ola Källenius, der
CEO von Daimler, bestätigte, aller-
dings mit einer Ergänzung. „Wir ma-
chen diese Erneuerung vor allem mit
internen Kräften und ergänzen das
mit externem Personal.“ Ein solcher
personeller Umbau müsse keines-
wegs mit dem Aussortieren älterer
Arbeitnehmer einhergehen: „Wir ha-
ben zum Beispiel festgestellt, dass die
meisten der Programmierer, die wir
brauchen, über 50 Jahre alt sind.“
Der dritte Tipp der IBM-Chefin lau-
tet – wenig überraschend: Nutzt
Künstliche Intelligenz für die Bewälti-
gung des Umbruchs. Daimler nutzt
diese Technologie laut Källenius mitt-
lerweile, um die Fertigung schneller
und einfacher zu machen, ebenso
beim autonomen Fahren. „Wenn
man die dafür notwendigen Daten
ohne Künstliche Intelligenz verarbei-
ten würde, dauert das wahrschein-
lich Hunderte Jahre“, so Källenius,
warnte allerdings gleichzeitig: „Nutze
Künstliche Intelligenz nicht, weil du
sie nutzen willst, sondern nutze sie
im Sinne des Kunden.“ Der müsse
letztlich entscheiden können, welche
Angebote er wolle.
Carlos Tavares, Chef der PSA-Grup-
pe, zu der etwa Opel gehört, hatte
mit Blick auf den Umbruch in der
Mobilität einen ganz besonderen
Hinweis parat. „Wir müssen das akti-
ve Zuhören verbessern“, mahnte er.
Viel zu häufig seien neue und innova-
tive Mobilitätsangebote nicht nach-
haltig genug, müssten nach kurzer
Zeit Insolvenz anmelden. Urbane Mo-
bilität sei keine Sache der Technolo-
gie. Die gebe es längst. „Es ist eine
Sache der Koordination und der Be-
geisterung. Wir müssen mehr aufei-
INTERTOPICS/STAR-MEDIA [M] nander hören.“
Die
Kohlendioxid-
Minimierung
geht an die
Grenzen der
Belastbarkeit
unserer
Branche.
Herbert Diess
VW-CEO
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DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176^19
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