Handelsblatt - 12.09.2019

(lily) #1

Schaeffler


Ruhe und


Konsequenz


B


ei den Schaefflers in Herzo-
genaurach sind sie zweifels-
ohne krisenerprobt. Als sich
das Unternehmen in der Finanz -
krise mit der Übernahme des grö-
ßeren Konkurrenten Continental
fast verhob, war die Existenz des
familiengeführten Konzerns zeit-
weise ernsthaft in Gefahr.
Die Schaefflers behielten die Ner-
ven. Sie restrukturierten die Finan-
zen und profitierten von der Erho-
lung der Conti-Aktien. Auch wenn
die Autokrise das Vermögen in den
vergangenen Quartalen wieder zu-
sammenschmelzen ließ, gehören
die Schaefflers heute wieder zu den
reichsten Familien Deutschlands.
Nun steht die Familie vor der
nächsten großen Herausforderung:
Die Schaeffler AG und Continental,
an dem die Franken noch immer
maßgeblich beteiligt sind, leiden
unter der weltweiten Branchen -
krise. Und gleichzeitig müssen sie
den schwierigen Wandel ins Zeital-
ter der Elektromobilität schaffen.
Das ist insbesondere für den Präzi-
sionsmechanik-Spezialisten Schaeff-
ler eine enorme Herausforderung.
Die Schaefflers lassen sich wieder
nicht aus der Ruhe bringen. Das
Management um Firmenboss Klaus
Rosenfeld und die Führung bei
Continental sitzen trotz mehrerer
Gewinnwarnungen fest im Sattel,
die Familie ist überzeugt, dass die
Transformation gelingt.
Das ist nicht verkehrt. Schaeffler
und Conti gehören noch immer zu
den profitableren Autozulieferern.
Grund zur Panik besteht nicht.
Doch dürfen sich beide Unterneh-
men in dieser kritischen Phase kei-
ne Fehler erlauben. Kosten müssen
im Abschwung weiter gedrückt wer-
den, zugleich dürfen entscheidende
Zukunftsinvestitionen nicht aufge-
schoben werden. Die Prognose -
fähigkeit muss verbessert, der Um-
bau in Richtung Elektromobilität
konsequent umgesetzt werden. Und
es sollte auch geprüft werden, ob
die Zusammenarbeit von Continen-
tal und Schaeffler auf einzelnen Fel-
dern doch noch vertieft werden
kann. Denn klar ist: Die doppelte
Herausforderung werden in der Zu-
liefererindustrie nur starke Unter-
nehmen bestehen.


Der Autozulieferer sollte in der
aktuell kritischen Phase eine
engere Kooperation mit Conti
prüfen, rät Axel Höpner.

„Wir müssen lernen, in einem sich konsoli -
dierenden oder vielleicht schrumpfenden
Markt Geschäfte zu machen.“
Rolf Breidenbach, Chef des Autozulieferers Hella

Worte des Tages


Der Autor ist Büroleiter in
München.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


M

it großer Begeisterung fieberten
Jahr für Jahr Apple-Fans und große
Teile der Digitalwirtschaft dem Ter-
min entgegen, an dem Apple seine
neuen iPhones vorstellte. Und sie
wurden selten enttäuscht. Mit dem berührungsemp-
findlichen Display, dem App-Store, dem Fingerab-
druck-Sensor, der Gesichtserkennung und anderen
Innovationen setzte Apple Standards für die Branche
und machte immer wieder auch neue Geschäfts -
modelle möglich. Am Dienstagabend deutscher Zeit
war es wieder so weit. Apple hatte zur Produkt -
präsentation geladen. Und was gab es zu bestaunen?
Ein Weitwinkelobjektiv, einen besseren Akku und ei-
nen schnelleren Prozessor. Aufregend geht anders.
Manche sehen in den flauen Produkt-News ein Inno-
vationsproblem bei Apple.
Doch das greift zu kurz. Das Smartphone, wie wir
es kennen, ist als Technologie weitgehend fertig ent-
wickelt und damit in einer ähnlichen Situation wie
der Verbrennungsmotor. Kleine Verbesserungen und
Effizienzgewinne wird es noch viele Jahre geben,
vielleicht wird sich auch noch ein faltbares
Smartphone durchsetzen. Aber das war es dann.
Das Smartphonezeitalter neigt sich dem Ende zu.
Das zeigen auch die weltweiten Verkaufszahlen, die
schon seit Monaten sinken. Zum ersten Mal seit sie-
ben Jahren macht Apple mit dem iPhone weniger als
50 Prozent seines Umsatzes. Andere Geschäfte wer-
den wichtiger: Software, Musik, Filme und die Apple
Watch. Auch bei Unternehmen wie Samsung, dem
größten Smartphonehersteller, ist längst vom Ende
dieser Ära die Rede. Dort glaubt man, dass viele Auf-
gaben, die Nutzer heute mit dem Smartphone erledi-
gen, künftig von anderen vernetzten Geräten über-
nommen werden: von Autos, smarten Lautspre-
chern oder intelligenten Uhren.
Diese Einschätzung ist richtig, das zeigen auch die
schnell wachsenden Verkaufszahlen solcher Devices.
Es beginnt die Ära des Internets der Dinge. Das ist
das Zeitalter, in dem Nutzer seltener Displays brau-
chen, um mit digitalen Diensten zu interagieren.
Denn viele Geräte lassen sich mehr oder weniger
einfach mit Sprache steuern. Ins Zentrum rücken
virtuelle Assistenten. Sie sprechen mal über einen
vernetzten Lautsprecher mit den Nutzern, mal über
smarte Uhren und ein anderes Mal über den Bord-
computer im Auto.
Es ist auch die Zeit, in der Tech-Konzerne so viele
Daten über ihre Nutzer sammeln werden wie nie zu-
vor. Am Wandel von Apple zum Serviceanbieter
zeigt sich dies. Wer eine intelligente Uhr trägt, lässt
Unternehmen rund um die Uhr Vitalzeichen wie den

Puls aufzeichnen. Wer eine vernetzte Box mit Mikro-
fonen und Kameras im Schlafzimmer stehen hat ...
Sie ahnen es. Und da haben wir noch nicht einmal
über vernetzte Matratzen gesprochen.
All diese sensiblen Informationen schlummern auf
den Servern von Google, Amazon, Facebook und
Apple. Die Daten verschwinden in für Nutzer schwer
durchschaubaren Silos, und damit wird der Kunde
zum Gefangenen: Zwischen iPhone und Android-
Smartphones zu wechseln war schon schwer genug.
Aber es ist nahezu unmöglich, mit den gesamten Da-
ten eines Haushalts etwa von Google Home zu Ama-
zons Alexa umzuziehen.
Ganz zu schweigen davon, dass längst kein Nutzer
mehr nachvollziehen kann, was die Tech-Konzerne
mit den Daten anstellen. Das ist nicht nur ein Thema
für Datenschützer, sondern für Regulierer und die
Politik. Die Tech-Konzerne müssen – mindestens –
dazu gezwungen werden, es Nutzern wesentlich
leichter zu machen, bei einem Anbieterwechsel ihre
Daten mitzunehmen. Die Technologien dafür müss-
ten sie gemeinsam entwickeln. Bislang gibt es bei
den Silicon-Valley-Konzernen allerdings wenig Inte-
resse an einer solchen Zusammenarbeit. Jedes Un-
ternehmen versucht für sich, so viele Daten zu sam-
meln wie nur irgend möglich.
Besser noch wäre es, wenn die Daten in Zukunft
auf unabhängigen Plattformen liegen würden, von
denen aus Nutzer den Datenkonzernen individuell
Zugriff geben können. Sie könnten ihnen damit für
bestimmte Zeit und über spezielle Funktionen erlau-
ben, ihre Einkaufshistorie oder ihren Aufenthaltsort
freizugeben. Brauchen die Konzerne mehr Daten,
müssten sie bei den Nutzern gezielt fragen.
Die Initiative für solche Lösungen müsste aller-
dings von Wettbewerbsbehörden, der Bundesregie-
rung oder noch besser von der EU-Kommission kom-
men. Die Tech-Konzerne selbst sind nicht geneigt,
den Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu geben.
Spätestens dann würde ja jeder verstehen, was die
Unternehmen alles mit ihren Daten anstellen.
Es wird höchste Zeit, dass die Tech-Konzerne zu
einem anderen Umgang mit den Daten der Nutzer
gezwungen werden. Wenn das nicht gelingt, droht
die völlige Datenohnmacht. Denn schon in wenigen
Jahren wird sonst ein großer Teil unserer sensibels-
ten Informationen in den verschlossenen Silos der
Tech-Konzerne verschwunden sein. Und damit die
Datensouveränität der Nutzer.

Leitartikel


Es droht die


Datenohnmacht


Der Fall Apple
zeigt: Die Ära des
Smartphones
endet, das
Datengeschäft
dominiert. Für
Nutzer und Politik
ist dies eine
riesige
Herausforderung,
warnt Sebastian
Matthes.

Daten sollten
auf unab hän -
gigen Platt -
formen liegen.
Nutzer könnten
dann über den
Zugriff der
Tech-Konzerne
entscheiden.

Der Autor ist Stellvertreter des Chefredakteurs.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


(^26) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176

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