Handelsblatt - 12.09.2019

(lily) #1
„ Jeder weitere Personalabbau
wäre eine Operation am
offenen Herzen.“
Stefan Wittmann, Verdi-Vertreter und
Commerzbank-Aufsichtsrat, warnt das Institut
vor weiteren Stellenstreichungen.

„Eine weitere Pipeline neben
Nord Stream 1 zu bauen
ergibt keinen Sinn.“
Margrethe Vestager, designierte Vizepräsidentin
der EU-Kommission, sieht keine Notwendigkeit für die
geplante Gaspipeline Nord Stream 2.

A


ls Pro Sieben Sat 1 vor neun Jahren den Nach-
richtenkanal N 24 verkaufte, war der Schmerz in
den eigenen Reihen groß. Denn Deutschlands
größten Fernsehkonzern konnte sich kaum jemand oh-
ne einen eigenen Informations- und Dokumentationska-
nal vorstellen. Doch der damalige CEO Thomas Ebeling
wollte unrentable Geschäfte loswerden und verschleu-
derte den Nachrichtensender. Ebeling ist heute Ge-
schichte bei Pro Sieben Sat 1. Sein Nachfolger Max Con-
ze, zuvor CEO des britischen Haushaltsgeräteherstellers
Dyson, denkt anders. Er prüft intensiv die Gründung ei-
nes neuen, konzerneigenen Informationssenders auch
in Deutschland.
Das mag überraschen, aber es wäre ein kluger
Schritt. Denn dadurch gewänne der Fernsehkonzern
wieder an Relevanz. Wie der Bedeutungszuwachs aus-
sehen kann, zeigt die österreichische TV-Tochter von
Pro Sieben Sat 1. Anfang dieses Monats ist dort der
Nachrichtenkanal Puls 24 quasi als Laborversuch für
den deutschen Markt an den Start gegangen. Seitdem
geben sich dort die Spitzenpolitiker die Klinke in die


Hand. Schließlich wird in Österreich nach der Ibiza-Af-
färe am 29. September eine neue Regierung gewählt. In
Österreich führt Pro Sieben Sat 1 bereits vor, wie ein fri-
sches Informationsprogramm mit Rededuellen, Talks
und Liveschaltungen vor Ort aussehen kann. Den Zu-
schauern gefällt es, wie die überraschend guten Quoten
seit dem Sendestart dokumentieren.
Ein privater Nachrichtenkanal besitzt medienpoliti-
schen Einfluss. Noch trägt das öffentlich-rechtliche
Fernsehen die Informationskompetenz wie eine Mons-
tranz bei der Prozession zur nächsten Gebührenerhö-
hung vor sich her. Doch durch neue qualitative Angebo-
te der Privaten wie einen Nachrichtenkanal von Pro Sie-
ben Sat 1 als mögliche Ergänzung zu N-TV, der Tochter
der RTL Group, verliert dieses Argument von ARD und
ZDF zunehmend an Bedeutung. Dazu kommt: Gerade
in Zeiten von Fake News im Netz kann ein neuer, priva-
ter TV-Sender, der auf Qualitätsjournalismus setzt, ei-
nen wichtigen Beitrag zur demokratischen Meinungsbil-
dung leisten.
Das wirtschaftliche Risiko für Pro Sieben Sat 1 wäre
unterdessen überschaubar. Denn Studios, Technik und
Journalisten für einen Nachrichtenkanal sind bereits
vorhanden. Die Kapazitäten müssen nur erweitert wer-
den. Dank der digitalen Technik sind die Kosten für ei-
nen laufenden Sendebetrieb ohnehin auf ein niedriges
Niveau gesunken. Der österreichische Nachrichtenkanal
Puls 24 kostet jährlich nur einen höheren einstelligen
Millionenbetrag, wie Insider berichten. Noch nie zuvor
in der Geschichte des Fernsehens konnte mit so wenig
Geld mehr Medienvielfalt ermöglicht werden.

Pro Sieben Sat 1


Und nun die Nachrichten ...


Mit der geplanten Gründung eines
Informationssenders will der
TV-Konzern an frühere Zeiten
anknüpfen. Ein kluger Schritt,
meint Hans-Peter Siebenhaar.

Der Autor ist Korrespondent in Wien.
Sie erreichen ihn unter
[email protected]

Ein
privater
News-
Sender
bringt
medien -
politischen
Einfluss.

Hella, Commerzbank, dpa


Börsenfusion


Gewaltige


Hürden


D


eutsche Börse und Euro-
next, die US-Technologie-
börse Nasdaq und die Lon-
doner LSE, Deutsche Börse und
LSE – die Liste der geplatzten Bör-
senhochzeiten ist lang. Und sie wird
vermutlich bald noch länger. Denn
die Wahrscheinlichkeit, dass die
Hongkonger Börse (HKEX) mit ihrer
33 Milliarden Euro schweren Offer-
te für die LSE Erfolg hat, ist äußerst
gering.
Das liegt nicht an einer mangeln-
den betriebswirtschaftlichen Logik.
Größe ist im Börsengeschäft grund-
sätzlich von Vorteil. Darüber hinaus
würden sich LSE und HKEX mit ih-
ren unterschiedlichen geografi-
schen Schwerpunkten gut ergän-
zen. Doch gerade angesichts des
Brexits ist es schwer vorstellbar,
dass Politik und Aufsichtsbehörden
in Großbritannien grünes Licht da-
für geben, dass ein Herzstück des
Londoner Finanzplatzes unter chi-
nesischen Einfluss gerät. Auch die
USA, deren Finanzkonzerne viele
Geschäfte über die LSE abwickeln,
wären über einen solchen Schritt si-
cherlich „not amused“. Die politi-
sche Lage in Hongkong erschwert
einen solchen Megadeal zusätzlich.
Für LSE-Chef David Schwimmer
ist die Situation unangenehm. Denn
er muss nicht nur die Befindlichkei-
ten der Politik im Auge haben, son-
dern auch die seiner Aktionäre. Die-
sen muss Schwimmer gute Argu-
mente vorlegen, wenn er das
finanziell attraktive Angebot aus
dem Fernen Osten ausschlägt.
Die Europäische Union sollte die
Offerte aus Hongkong in jedem Fall
aufschrecken. Falls der Deal wider
Erwarten gelingt, würde das Bör-
sengeschäft künftig von einem chi-
nesisch-britischen und zwei ameri-
kanischen Konzernen dominiert.
Der Rückstand der Deutschen Bör-
se, des größten Anbieters innerhalb
der EU, wäre gewaltig. Nach den
Banken würden dann auch die An-
bieter von Finanzmarktinfrastruk-
tur endgültig den Anschluss an ihre
Konkurrenten aus den USA und
Asien verlieren. Für die vielfach
propagierte, aber bisher kaum vor-
handene europäische Kapitalmarkt-
union wären das denkbar schlechte
Voraussetzungen.

Die geplante Übernahme der
Londoner durch die Hongkonger
Börse ist zum Scheitern verurteilt,
prophezeit Andreas Kröner.

Der Autor ist
Finanzkorrespondent in Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176^27

Free download pdf