PIM hat diese Vorwürfe stets bestritten. Die Fir-
ma sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne
- auch weil der angebliche Whistleblower zeitwei-
se im Umfeld eines Konkurrenten tätig war. Me-
sut P. bezeichnete die Vorwürfe als „falsch und
verleumderisch“. Die Angaben des Ex-Mitarbei-
ters beruhten auf falschen oder manipulierten
Zahlen.
Vor zwei Monaten war der Goldhändler noch op-
timistisch: „Wir sind sehr sicher, dass dieses Ver-
fahren bald eingestellt wird und sämtliche Anwürfe
gegen uns im Sande verlaufen werden.“ Zu aktuel-
len Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und den
schweren Vorwürfen hat sich die Firma trotz Anfra-
gen nicht geäußert.
Die Staatsanwaltschaft wirft der PIM vor, über
Jahre wie ein Schneeballsystem funktioniert zu ha-
ben. Neu eingeworbene Kundengelder seien in gro-
ßem Umfang dazu eingesetzt worden, um Altanle-
ger auszuzahlen und die Provisionen der Vermitt-
ler zu bedienen. Das legale Geschäft von PIM soll
hingegen klein gewesen sein, wie Fahnder offenbar
herausfanden. Lediglich zwanzig Prozent des Um-
satzes im Jahr 2016 seien auf den klassischen Ver-
kauf von Gold und Schmuck sowie den Altgoldhan-
del zurückzuführen.
Noch etwas ist den Ermittlern aufgestoßen. PIM
könnte Kunden über den Goldpreis getäuscht ha-
ben. Der Goldhändler soll in Vertragsunterlagen
suggeriert haben, das Gold werde zum Börsenpreis
verkauft. Stattdessen habe PIM Aufschläge von
mindestens 30 Prozent erhoben.
Der Kreis der möglichen Opfer dürfte groß sein,
vermutet Stephan Greger, Fachanwalt für Bank-
und Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Dr. Greger
und Collegen in München. „Bei uns melden sich
betroffene Anleger im Halbstundentakt“, berichtet
er. Die Kanzlei habe einen Kollegen abgestellt, der
sich nur um die Beantwortung von Erstanfragen im
Fall PIM Gold kümmere. Auch Marvin Kewe von
den Tilp Rechtsanwälten registriert zunehmendes
Interesse. „Bei uns haben sich PIM-Kunden gemel-
det, die Gold im Wert von 1000 bis 60 000 Euro
bei PIM gelagert haben.“
Eventuell mehr als 1000 Geschädigte
Wie viele Goldkäufer genau betroffen sind, weiß
derzeit nicht einmal die Staatsanwaltschaft. Die
Kundenakten lagen den Ermittlern bis zur Razzia
letzte Woche nicht vor. Einzelne Geschädigte sind
deshalb unbekannt. Es könnten mehr als 1000
sein, glaubt die Behörde. Grundlage dafür ist die
digitale Kundenliste.
Wie aus dem Umfeld des Unternehmens zu er-
fahren ist, prüfe man noch, ob die erhobenen Da-
ten zutreffend sind. Kunden und Ansprüche könn-
ten veraltet sein. Julius L. teilte auf Anfrage mit, der
Vertrieb sei vom Vorgehen der Staatsanwaltschaft
erschüttert. „Uns sind nie Fälle zu Ohren gekom-
men, in denen ein Kunde von der PIM in den elf
Jahren ihres Bestehens sein Gold oder Geld nicht
erhalten hätte.“
Dazu passt, dass der PGD-Chef und einige Anwäl-
te im Hintergrund versuchen, die Zwei-Tonnen-Lü-
cke rechnerisch zu schließen. In der Mail an die
Generaldirektoren heißt es: „Wir brauchen vom
Vertrieb jeden einzelnen Beleg von Euren Kunden,
dass wir im Laufe der Jahre das Kundengold ausge-
liefert haben bzw. das Kundengeld ausgezahlt ha-
ben.“ Eine Mitarbeiterin nimmt die Papiere unter
ihrer privaten E-Mail-Adresse entgegen.
Die Staatsanwaltschaft hingegen ist sich ihrer Sa-
che sicher. Immer wieder ließ sie Soll- und Ist-Be-
stände für die Jahre 2017 bis 2019 in den Goldla-
gern überprüfen. Demnach soll die Lücke im Laufe
der Zeit größer geworden sein.
Auch die Analyse der Buchhaltung unterstütze
dieses Ermittlungsergebnis. So habe PIM ab Januar
2018 Gesamteinnahmen von 73,1 Millionen Euro
verzeichnet, 55,2 Millionen Euro davon aus fri-
schem Geld neuer Kunden. Vertragsgemäße Ver-
wendung der Gelder ließ sich nur für 41,2 Millio-
nen Euro dokumentieren. Ein großer Teil des Rests
sei möglicherweise in Provisionen gelandet, ver-
mutet die Behörde.
Neben der Staatsanwaltschaft Darmstadt ermit-
telt die Staatsanwaltschaft in Frankfurt gegen den
PIM-Chef. Sie geht dem Verdacht der Geldwäsche
nach. Eine Bande von Internetbetrügern hatte für
drei Millionen Euro bei PIM Goldbarren gekauft.
Mesut P. hat im Juli den Vorwurf der Geldwäsche
bestritten. „Das ist so nie passiert“, sagte er da-
mals dem Handelsblatt. Die Frankfurter Fahnder
durchsuchten die Tresore von PIM bereits im De-
zember 2017 und stellten Vermögenswerte von
drei Millionen Euro sicher. Schon damals sollen
Kunden- und Firmengold nicht sauber getrennt
gewesen sein, worauf sich nun die Darmstädter
Kollegen berufen.
Bei den bis zu 2000 Vertrieblern, die PIM zu sei-
ner Struktur zählt, liegen unterdessen die Nerven
blank. Für viele von ihnen ist seit dem Zugriff der
Behörde die Hauptverdienstquelle versiegt. Top-
vermittler sollen internen Unterlagen zufolge in
zweieinhalb Jahren hohe sechsstellige Summen
kassiert haben. Die Online-Petition eines Vermitt-
lers „Freiheit für Mesut P.!!!“ unterschrieben inner-
halb weniger Stunden mehr als 300 Personen.
Dann nahm der Initiator sie wieder offline.
Nicht nur die Existenz vieler Vermittler steht
auf der Kippe. Die Staatsanwaltschaft ist sich der
möglichen Folgen ihres Zugriffs bewusst. Als sie
die Arrestbeschlüsse beim Gericht begründete,
ging die Behörde auch auf die Möglichkeit einer
Insolvenz ein. Das Risiko müsse eingegangen wer-
den, weil der Goldhändler kaum legales Geschäft
betreibe.
Auch Anlegeranwalt Greger hält es für nicht aus-
geschlossen, dass eine Pleite bevorsteht. Für Anle-
ger wäre das eine schlechte Nachricht, sagt er. „Sie
könnten ihre Forderung anmelden und müssten
dann darauf hoffen, einen gleichmäßigen Anteil
aus der Insolvenzmasse zu erhalten.“ Die Goldkäu-
fer könnten zudem prüfen lassen, ob sie Schadens-
ersatz von Verantwortlichen fordern können, de-
nen Unregelmäßigkeiten bekannt waren.
Am Mittwoch veröffentlichte PIM einen Hinweis
auf der Website, die zuvor zeitweise unerreichbar
war. Es sind wenige Zeilen mit dem Bedauern des
Goldhändlers und ein wichtiger Hinweis. Die Poli-
zei habe ein spezielles Postfach eingerichtet (gold-
[email protected]). Auf diesem Kanal
können sich die Kunden an die Behörden wenden.
Sie sollen nur Namen, Adresse und Vertragsnum-
mer mitteilen. Die Polizei werde sich melden.
Bulle & Bär
Ein bisschen
Futter für
Optimisten
W
ieder so ein Börsenspruch:
„Der Markt will nach oben.“
Wenn man weiß, was gemeint
ist, bekommt die eigentlich schräge Fünf-
Wort-Kombi auch einen Sinn. Und ge-
meint ist: Es gibt Gründe für einen Kurs-
anstieg, auch wenn Zweifel bremsen.
Der Donnerstag ist wieder so ein Zweif-
lertag. Die Analysten fiebern der Entschei-
dung der Europäischen Zentralbank ent-
gegen. Mario Draghi könnte den Fuß viel-
leicht zu schwach aufs geldpolitische
Gaspedal drücken. Das würde Anleger
enttäuschen, fürchten die Ängstlichen.
Purzelnde Aktienkurse wären die Folge.
Die Skeptiker haben übersehen: Der
Markt will nach oben. Selbst wenn Draghi
„nicht liefert“, wie es im Finanzjargon
heißt. Die Börse hätte ihre Enttäuschung
kurz danach wieder vergessen. Das Ge-
dächtnis des Marktes ist ungefähr so lang-
lebig wie die Zeitspanne zwischen zwei
Tweets aus dem Weißen Haus. Entschei-
dend ist, dass Draghi Konjunktur und Fi-
nanzmärkte nicht stürzen lassen wird. Das
ist viel wichtiger als das tägliche Auf und
Ab der Kurse. Außerdem wird immer kla-
rer: Draghi sitzt vielleicht nicht mehr lan-
ge allein im Auto. Neben ihm könnte ein
zweiter Fahrer mit eigenem Gaspedal
Platz nehmen: der Staat. Er würde im
Ernstfall mit Schulden und Ausgaben den
Fuß voll durchdrücken.
Aus der Vogelperspektive heißt das: Der
Markt will nach oben. Der Abstand schärft
den Blick für das Wesentliche jenseits der
„Tagessuppe“, so der Börsianerslang. Das
Auge bleibt beispielsweise bei einem Dax-
Stand von 3 500 Punkten hängen. Das ist
keine Prognose von Untergangspropheten
- es ist der Indexstand vor zehneinhalb
Jahren. Kurz nach der Finanzkrise mochte
niemand auch nur einen Pfifferling auf Ak-
tien setzen. Wer damals den erwähnten
Spruch zitieren wollte, wäre wohl in den
Händen besorgter Pfleger gelandet, die
den offensichtlich Verwirrten mit einer
Zwangsjacke vor finanziellem Selbstmord
zu schützen versucht hätten.
Doch zu diesem Zeitpunkt war die beste
Prognose auch schon: Der Markt will nach
oben. Und heute? Wenn jetzt schon Ende
Dezember wäre, könnte der Dax mit
17 Prozent Gewinn das beste Jahr seit 2013
abschließen. Für das kommende Jahr ist
der genannte Finanzkrisenstand realis-
tisch, aber mit einer vorangestellten „1“.
Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Ingo Narat
Razzia: Letzte
Woche durch-
suchte die
Polizei die Firma.
Jakob Blume
Private Geldanlage
DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176^33