EZB-Sitzung
Zinssenkung und
Anleihekäufe
D
ie Erwartungen der Märkte vor der Sit-
zung der Europäischen Zentralbank (EZB)
am Donnerstag sind groß. In den vergan-
genen Monaten haben führende Notenbanker
deutliche Signale gesendet, dass die Notenbank
ein größeres Paket zur Lockerung der Geldpolitik
anstrebt. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der nie-
derländischen ING Bank in Deutschland, erwartet
ein „geldpolitisches Feuerwerk“. Viele Ökonomen
gehen davon aus, dass der Rat auf der vorletzten
geldpolitischen Sitzung in Mario Draghis Amtszeit
weitreichende Entscheidungen trifft.
Als wichtigste Maßnahmen stehen eine Zinssen-
kung und eine Neuauflage der Anleihekäufe zur
Debatte. Außerdem könnte die EZB durch ein Tie-
ring, also eine Staffelung des Zinssatzes, die Ban-
ken entlasten. Die meisten Experten gehen von ei-
ner Senkung des Einlagenzinses um zehn bis 20
Basispunkte aus. Diesen Satz müssen Banken für
überschüssige Liquidität zahlen, die sie bei der
EZB halten. Aktuell liegt er bei minus 0,4 Prozent
- die Banken zahlen also jetzt schon drauf, wenn
sie Geld bei der EZB parken.
Je höher die Zinssenkung ausfällt, desto stärker
dürfte sie den Wechselkurs des Euros belasten.
Denn wenn die Zinsen im Euro-Raum sinken,
wird es für internationale Investoren attraktiver,
Kapital aus dem gemeinsamen Währungsraum ab-
zuziehen und dorthin zu verlagern, wo es höhere
Zinsen gibt. Vor allem Bankenvertreter warnen
vor noch niedrigeren Zinsen.
Die Institute könnten aber durch einen Staffelzins
entlastet werden. Eine Staffelung würde heißen, ei-
ne Art Freibetrag einzuführen, bis zu dem dann
wahrscheinlich ein Zins von null gelten würde. Erst
für höhere Anlagebeträge wären die Minuszinsen
fällig. Dieses Instrument wird bereits in der Schweiz,
Dänemark und Japan eingesetzt. Dort haben die No-
tenbanken die Zinsen schon vor längerer Zeit noch
weiter in den negativen Bereich gesenkt als die EZB.
Welche Banken von einem Staffelzins profitieren,
hängt von der genauen Ausgestaltung ab.
Umstrittene Anleihekäufe
Interessant für Investoren wird zudem, ob die EZB
ihre Anleihekäufe wieder startet. Anfang des Jah-
res noch hat sie diese beendet und ersetzt seither
nur noch auslaufende Papiere aus ihrem Bestand.
Eine Neuauflage der Käufe dürfte im EZB-Rat be-
sonders umstritten sein. Verfechter einer straffe-
ren Geldpolitik haben vor einem solchen Schritt
gewarnt. Dazu gehören Bundesbankpräsident Jens
Weidmann, der niederländische Notenbankchef
Klaas Knot und EZB-Direktoriumsmitglied Sabine
Lautenschläger. Dennoch gehen die meisten Öko-
nomen von einer Neuauflage der Anleihekäufe
aus. ING-Ökonom Brzeski erwartet ein Volumen
von monatlich 30 Milliarden Euro.
Denkbar wäre allerdings auch, dass die Noten-
bank das Volumen bis zur Entscheidung über den
Brexit noch offenlässt und lediglich ein starkes
Signal gibt, dass sie zu weiteren Käufen bereit ist.
Ein solches Signal könnte beispielsweise darin be-
stehen, dass sie ihre selbst gesetzten Grenzen für
Anleihekäufe ausweitet. Aktuell besagt die soge-
nannte emittentenbezogene Obergrenze (Issuer
Limit), dass die EZB nicht mehr als ein Drittel der
ausstehenden Anleihen eines Landes kaufen soll.
Eine Änderung des Limits dürfte gerade in
Deutschland umstritten sein.
Neben einer Zinssenkung, Anleihekäufen und
einem Tiering sind auch noch weitere technische
Maßnahmen möglich, zum Beispiel eine weitere
Anpassung des Zinsausblicks. Interessant wird
nach Draghis Pressekonferenz die Reaktion der
Märkte, die sich kaum vorhersehen lässt. Da füh-
rende EZB-Mitglieder im Vorfeld der Sitzung be-
reits hohe Erwartungen geschürt haben, wird es
für den EZB-Rat nicht einfach, diese zu erfüllen
oder gar zu übertreffen. Jan Mallien
forschung (DIW). „Deutschland spielt als größte
Volkswirtschaft eine besondere Rolle für die Fi-
nanz- und Geldpolitik in Europa“, sagt Grünen-
Haushälter Sven-Christian Kindler. „Merkel und
Scholz müssen jetzt runter von der schwarzen Null
und die Investitionsbremse lösen.“
Doch auch wenn viele Ökonomen der EZB in die-
sem Punkt beipflichten: Die Kritik an Draghi
wächst auch in den eigenen Reihen. So haben Bun-
desbank-Präsident Weidmann, EZB-Direktorin Sa-
bine Lautenschläger sowie Klaas Knot und Robert
Holzmann, die Notenbankchefs der Niederlande
und Österreichs, Skepsis gegenüber einer expansi-
veren Geldpolitik geäußert. Sie alle glauben ähnlich
wie Summers: Weitere Lockerungen werden nicht
mehr viel bringen. Auch viele Experten sehen das
inzwischen so. „Es ist nicht zu sehen, dass Unter-
nehmen wegen der negativen Zinsen mehr inves-
tieren oder sich anders finanzieren“, sagt Hans Re-
deker, Devisenstratege der US-Bank Morgan Stan-
ley. „Wenn ich davon nichts sehe und die Politik
dennoch fortführe, ist es ganz klar, dass ich auf die
Währung schiele.“
Bis sich niedrigere Zinsen auf die Investitionen
auswirken, dauert es lange. Der Wechselkurs rea-
giert dagegen sofort. Als Draghi im August 2014 in
einer Rede Anleihekäufe der EZB in Aussicht stell-
te, wertete der Euro gegenüber dem Dollar um et-
wa 20 Prozent ab, bevor die EZB auch nur eine An-
leihe gekauft hatte. Auch nach Draghis Ankündi-
gung im Juni gab der Euro sofort nach. Für
europäische Exportfirmen ist das gut, denn es ver-
billigt ihre Waren im Ausland. Gleichzeitig macht es
Ausfuhren für US-Unternehmen teurer. Und das ge-
fällt einem gar nicht: Donald Trump.
Nach Draghis Ankündigung im Juni machte der
US-Präsident per Twitter seinem Ärger Luft. Der
schwächere Euro mache es der Währungsunion zu
Unrecht leichter, gegen die USA im Wettbewerb an-
zutreten. „Damit kommen sie seit Jahren durch, zu-
sammen mit China und anderen.“ Als auch noch
der Dax anzog, legte Trump nach: „Sehr unfair ge-
genüber den Vereinigten Staaten!“
„Draghi unterschätzt die größeren Folgen seiner
Politik völlig“, heißt es in Berliner Regierungskrei-
sen: „Was haben wir von einer Geldpolitik, die –
wenn überhaupt – nur ein bisschen hilft, wenn
gleichzeitig Trump uns mit Zöllen überzieht?“ Dass
er dazu geneigt sein könnte, zeigt ein neuer Tweet
Trumps vom Mittwoch: „Die USA sollten immer
diejenigen mit den niedrigsten Zinsen sein!“
Draghi wird darauf so wenig Rücksicht nehmen
wie zuletzt Fed-Chef Jerome Powell. Der wurde von
Trump deshalb als „Dummkopf “ beschimpft.
EZB-Zentrale in
Frankfurt: Gewagte
Niedrigzinspolitik.
Hans Christian Plambeck/laif
Nicht die
EZB ist für
die negativen
Effekte
der niedrigen
Zinsen für
Sparer und
Banken
verantwortlich,
sondern die
Politik.
Marcel Fratzscher
DIW-Chef
Rekordmarken auf niedrigem Niveau
Leitzins EZB in Prozent Leitzins Japan in Prozent Leitzins USA in Prozent
HANDELSBLATT Quelle: Bloomberg
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EZB in der Zinsfalle
DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176^5