Handelsblatt - 12.09.2019

(lily) #1
S

eine Herkunft aus dem Rheinland kann
Norbert Rollinger nicht verleugnen. Bis
heute hält sich in der Stimme des Vor-
standschefs der genossenschaftlichen
R+V Versicherung ein leichter rheinischer
Singsang, vor allem, wenn der Topmanager leiden-
schaftlich argumentiert – und das tut er gerne. Denn
insbesondere die weitere geldpolitische Lockerung
der Europäischen Zentralbank (EZB) bringt den
Topmanager in Wallung. Im Interview spricht der
Manager über Geldanlage in Zeiten von Niedrigzin-
sen, die schwierige Lage der Versicherer und sagt,
was er über ein Verbot von Minuszinsen denkt.

Herr Rollinger, am 12. September steht ein histori-
sches Datum an: Die EZB wird wohl erneut den
Einlagenzins senken und damit eine weitere Zins-
senkungsrunde einläuten. Was kostet dieser
Schritt Sparer und Lebensversicherte?
Das ist keine gute Nachricht für jeden Sparer und
jeden, der für das Alter vorsorgt. Für uns als Bran-
che sind das extrem schwierige Rahmenbedingun-
gen. Wir hatten eigentlich gedacht, dass wir durch
die Entlastungen bei der Zinszusatzreserve das
Thema Lebensversicherung stabilisiert haben.
Doch in der Branche merken wir nun, dass alle
Entlastungen durch die neue Zinssituation wieder
aufgezehrt werden.

Kommt die Branche wieder mehr unter Druck?
Ja, leider. Ebenso wie die Banken trifft die Asseku-
ranzen eine weitere Zinssenkung schwer. Den Ban-
ken schnürt es die Luft zum Atmen ab und den Le-
bensversicherungskunden beschert das auf lange
Sicht niedrigere Renditen – und das ist kein gutes
Signal.

Die Zahl der Versicherer, die von der Finanzauf-
sicht Bafin verschärft beobachtet werden, weil
dort auf lange Sicht Finanzprobleme drohen
könnten, ist zuletzt von 34 auf 20 gesunken. Wird
diese Zahl wieder steigen?
Das kann ich nicht sagen, weil ich diese 20 Unter-
nehmen nicht kenne. Aber der dramatische Zins-
verfall, der sich darin niederschlägt, dass inzwi-
schen für 30-jährige Bundesanleihen keine Zinsen
mehr gezahlt werden, lässt die Probleme in der
Branche natürlich wachsen. Ich würde es allge-
mein mal so formulieren: Mich würde es wundern,
wenn die Zahl der Versicherer, die unter verstärk-
ter Beobachtung stehen, kleiner wird. Wie drama-
tisch die Situation ist, sehen Sie ja daran, dass die
Banken nun schon laut über Minuszinsen für Klein-
sparer nachdenken.

Wie ernst wird es denn für die Finanzbranche?
Wenn noch längere Zeit die Marktmechanismen
bei den Zinsen nicht greifen, wird es sehr unange-
nehm. Sparern und Banken schadet das extrem. Es
droht eine Zerstörung des Bankensystems in seiner
bisherigen Form. Das bedeutet auch für die Le-
bensversicherung eine ziemliche Herausforderung.

In der Politik wird über ein Verbot von Minuszin-
sen für Kleinsparer nachgedacht. Muss die Politik
jetzt einspringen, um das Ersparte noch zu retten?
Ich halte generell von solchen politischen Eingrif-
fen in die Wirtschaft nichts. Ehrlich gesagt, finde
ich das schon etwas zynisch. Die Bundesregierung
selbst gibt doch Anleihen heraus, für die der Spa-
rer weniger Geld bekommt, als er zuvor eingezahlt
hat. Aber wenn die deutschen Banken – getrieben
von einem negativen Einlagenzins – selbst über sol-
che Schritte nachdenken, ist das ein Skandal. Da
wird doch mit zweierlei Maß gemessen. Es gibt Be-
fürchtungen, dass die Schere zwischen Arm und
Reich wegen der Zinspolitik weiter auseinander-
geht. Und jetzt beklagt die Politik, dass sie das alles
nicht gewollt hat und eingreifen muss? Ich würde
sagen, die beste Regulierung wäre es, endlich wie-
der vernünftige, marktgerechte Zinsen zu haben.

Auch im Neugeschäft der Lebensversicherungen
geht die Schere zwischen den Anbietern weiter
auseinander. Inzwischen teilen sich R+V und
Allianz mehr als ein Viertel des Neugeschäfts auf.
Spricht daraus auch die Angst der Kunden, dass

Norbert Rollinger


„Es wird schwer,


den Garantiezins noch


zu halten“


Der Vorstandschef der R+V Versicherung über die
anstehenden geldpolitischen Lockerungspläne der
Notenbanken, den Zustand der Lebensversicherer und die
Frage, ob die Renditen der Policen weiter sinken werden.

R+V-Chef Norbert
Rollinger: „Eine weitere
Zinssenkung trifft die
Assekuranzen schwer.“

EZB in der Zinsfalle


(^6) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176

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