nur noch die kapitalstarken Firmen durch das
Zinstief kommen?
Natürlich fragt sich der Kunde: „Wo ist mein Geld
sicher?“ Die Niedrigzinsphase und die Verschär-
fung, die wir jetzt sehen, setzt die Unternehmen
unter Druck. Und natürlich steigt der Druck auf die
Firmen noch einmal mehr, die nicht so gut kapita-
lisiert sind oder in der Vergangenheit Fehler bei
der Kapitalanlage gemacht haben. Diese Firmen
müssen dann irgendwann ihr Geschäft einschrän-
ken oder sogar einstellen – was bei ersten Adressen
ja bereits passiert ist.
Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten wirft
den Assekuranzen vor, sich auf ein Geschäftsmo-
dell verlassen zu haben, dass sie jetzt nicht mehr
im Griff haben. Haben Sie sich mit Garantiezinsen
von bis zu vier Prozent, wie sie in den 1990er-Jah-
ren üblich waren, nicht einfach verkalkuliert?
Es gilt der Spruch: Im Nachhinein ist man immer
schlauer. Der Vorwurf ist unfair. Die Lebensversi-
cherung ist zu allen Zeiten kritisiert worden. In
den 1990er-Jahren hat der Vorgänger von Herrn
Kleinlein die Branche dafür kritisiert, dass wir nur
vier Prozent bieten, während es damals für Bun-
desanleihen sieben oder acht Prozent Zinsen gab.
Diese Stimmen sind heute alle verstummt. Wer
heute eine Lebensversicherung mit vier Prozent
hat, ist ein König – denn er hat sie für 30 bis 40
Jahre sicher. Jetzt bietet der Staat 30-jährige Anlei-
hen zu einem Nullkupon an, und bei der Lebens-
versicherung erhält der Kunde immer noch einen
Garantiezins von 0,9 Prozent. Und die Gesamtver-
zinsung mit Überschussbeteiligung liegt bei der
R+V bei rund 2,9 Prozent. Ich wüsste schon, wo
ich da anlegen würde.
Unter dem Strich bleibt angesichts der Inflation in
den letzten Jahren dennoch eine Negativrendi-
te. Wie lange können die Versicherungen diese
Minuszinsen noch aushalten?
Wir sind ein sehr langfristig orientierter Investor.
Es ist sicher richtig, dass es zunehmend schwierig
wird, die Garantie von 0,9 Prozent noch zu halten.
Die Deutsche Aktuarvereinigung wird in den kom-
menden Monaten darüber reden müssen, ob der
Garantiezins noch einmal gesenkt werden muss.
Wir als Versicherer können uns von der allgemei-
nen Renditeentwicklung nicht einfach abkoppeln.
Das heißt auch, wir werden in der Gesamtverzin-
sung – und zwar als R+V und als Branche – weiter
heruntergehen müssen. Das schränkt die Attrakti-
vität des Produkts aus meiner Sicht aber nicht ein,
denn diesen Effekt stellen Sie im ganzen Anlageuni-
versum fest.
Deutsche-Bank-Boss Christian Sewing sagte, die
Niedrigzinsen hätten die Bank in den letzten Jah-
ren mehr als zwei Milliarden Euro gekostet. Lässt
sich beziffern, was es die Versicherer gekostet hat?
Nun, exakte Zahlen gibt es dazu nicht. Aber es gibt
Untersuchungen unserer Muttergesellschaft, der DZ
Bank, dass die Niedrigzinsen in den vergangenen
Jahren die deutschen Sparer rund 650 Milliarden
Euro gekostet haben an entgangenen Erträgen. Wir
haben für unser Haus nicht quantifiziert, was das
für uns finanziell bedeutet. Aber natürlich erhöht
die neue Zinswelt den Kostendruck und macht das
Thema Altersversorgung schwieriger.
Dennoch stemmen Sie sich vehement gegen ei-
nen Provisionsdeckel. Warum dürfen die Vermitt-
ler nicht weniger bekommen, obwohl die Rendi-
ten der Lebensversicherten immer niedriger
ausfallen?
Wir sind als Branche gegen einen solchen Eingriff
in die Autonomie der Branche. Letztlich muss mir
erst einmal jemand erklären, warum die Boni in
der Lebensversicherung streng reguliert werden
sollen, aber die Kosten von Fonds nicht. Dort sind
Aufschläge und laufende Kosten kein Thema – und
es gibt keine Höchstgrenzen für sie. Wir sind der
Meinung, dass eine gute Beratung auch honoriert
werden muss. Gerade in Zeiten, in denen der Kun-
de händeringend überlegt, was er machen soll, ist
so eine Beratung doch umso wichtiger. Sie muss
die Menschen zum Beispiel dafür sensibilisieren,
wie dringend notwendig der Aufbau einer privaten
Altersvorsorge ist. Hier spielt die Lebensversiche-
rung eine wichtige Rolle.
Aber warum zahlt die Rechnung dafür der Versi-
cherte, der trotz sinkender Renditen die gleich-
bleibende Provision aus seinen Beiträgen finan-
ziert?
Letztlich ist dieser Effekt doch auch durch die Nied-
rigzinsen verursacht. Ich kann doch nicht das Pro-
blem der Niedrigzinsen auf dem Rücken der seriö-
sen Vermittler abladen und sagen, dann dürfen die
halt weniger verdienen, weil es jetzt weniger Zinsen
gibt. Ihnen sagt ja auch niemand: „Das Handelsblatt
muss sparen, und darum kürzen wir Ihr Gehalt um
20 Prozent.“ Das ist doch eine unfaire Sache. Klar
muss sich die Lebensversicherung auch weiter für
den Kunden rechnen. Aber für das makroökonomi-
sche Thema Niedrigzinsen sollten nicht die Vermitt-
ler als Buhmann hingestellt werden.
Herr Rollinger, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Carsten Herz.
Der Manager Der pro-
movierte Jurist und
Betriebswirt gehört
seit 2009 dem Vor-
stand der genossen-
schaftlichen R+V Ver-
sicherung an. Nach
dem Ausscheiden von
Friedrich Caspers
2017 wurde der Mana-
ger mit Luxemburger
Staatsangehörigkeit
neuer Vorstandschef.
Das Unternehmen Die
R+V Versicherung ist
eine der größten
deutschen Assekuran-
zen und gehört zur
Gruppe der genos-
senschaftlichen Volks-
und Raiffeisenbanken.
2018 lagen die Bei-
tragseinnahmen der
Wiesbadener auf der
Rekordhöhe von 16,
Milliarden Euro. Zum
100-jährigen Jubiläum
im Jahr 2022 sollen
20 Milliarden Euro
erreicht sein.
Vita Norbert
Rollinger
Bernd Roselieb
Zinszusagen schrumpfen
Garantiezins deutscher
Lebensversicherer auf den
Sparanteil für abgeschlossene
Neuverträge
HANDELSBLATT Quellen: Procontra, GDV, BMF
2000 Sept. 2019
0,9 %
3,
3,
2,
2,
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0,
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DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176 EZB in der Zinsfalle^7