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ls der Kinderarzt Felix Distelmaier
das erste Mal bei einem seiner
Patienten Morbus Basedow dia -
gnostizierte, glaubte er noch an einen Zu-
fall. Denn die Autoimmunkrankheit, die
zu einer Schilddrüsenüberfunktion führt,
kommt bei Kindern nur
sehr selten vor.
Doch dann trat das Lei-
den nacheinander bei fünf
weiteren seiner Patienten
auf. »Ich dachte, ich spin-
ne«, sagt der Stoffwechsel-
experte am Zentrum für
Kinder- und Jugendmedi-
zin am Universitätsklini-
kum Düsseldorf. Bei ei-
nem Betroffenen sollte so-
gar schon die Schilddrüse
entnommen werden.
Distelmaier untersuch-
te die Fälle genauer – sei-
ne erschreckende Entde-
ckung: In Wahrheit wa-
ren die Schilddrüsen der
Kinder gesund. Nur ihre
Laborwerte stimmten
nicht. Schuld daran war
das Vitamin Biotin, das
sie wegen angeborener
Stoffwechselleiden ein-
nehmen mussten.
»Solche falschen La-
borwerte können häufi-
ger auftreten, als wir glauben«, warnt Dis-
telmaier. Denn Biotin wird breit eingesetzt.
Man hofft nicht nur, Patienten mit Multi-
pler Sklerose (MS) damit helfen zu kön-
nen; es ist auch ein frei verkäufliches Nah-
rungsergänzungsmittel, das Haare, Haut
und Fingernägel pflegen und stärken soll.
Ob diese Pillen wirklich wirken, ist un-
klar. Doch in Apotheken, Drogerien und
Supermärkten finden sich Hunderte Prä-
parate, die Biotin enthalten. In den USA
nehmen schätzungsweise 15 bis 20 Pro-
zent der Menschen Biotinpillen ein.
Im Mai warnte das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte in ei-
nem Rote-Hand-Brief eindringlich, dass
hohe Blut-Biotinspiegel die Ergebnisse
von Labortests teilweise dramatisch ver-
fälschen können, darunter PSA-Tests zur
Erkennung von Prostatakrebs und Schnell-
tests zur Diagnose eines Herzinfarkts.
Alle gestörten Messverfahren funktio-
nieren nach dem gleichen Prinzip: Der
Stoff, dessen Konzentration gemessen wer-
den soll, wird von einer Trägersubstanz
wie von einem Klebestreifen eingefangen.
Doch Biotin macht diesen molekularen
Klebestreifen unbrauchbar: »Man kann
sich das so vorstellen, als würde man Tesa -
film in Sand halten«, sagt Fritz Boege, Di-
rektor des Zentralinstituts für Klinische
Chemie und Laboratoriumsdiagnostik am
Universitätsklinikum Düsseldorf.
Schon zehn Milligramm Biotin, wie sie
nicht selten in frei verkäuflichen Vitaminprä -
paraten enthalten sind, können Störungen
ver ursachen. Wie viele Menschen betroffen
sind, ist unbekannt. Häufig erzählen die Pa-
tienten ihrem Arzt nichts von den Nah-
rungsergänzungsmitteln,
die sie schlucken – die fal-
schen Messwerte fallen
deshalb oft gar nicht auf.
Tragisch ist ein Fall,
von dem die amerikani-
sche Arzneimittelbehörde
FDA berichtet: Ein MS-
Patient kam mit Brust-
schmerzen ins Kranken-
haus. Die Ärzte vermute-
ten einen Herzinfarkt,
doch der Schnelltest fiel
negativ aus. Der Patient
landete zwar auf der In-
tensivstation, eine Notfall-
behandlung aber unter-
blieb. Nach fünf Tagen
wurde der Test wieder-
holt. Da der Patient im
Krankenhaus kein Biotin
mehr erhielt, fiel der Test
jetzt positiv aus – er hatte
also doch einen Infarkt.
Doch da war es bereits zu
spät, der Patient verstarb.
»Wir hinterfragen La-
borwerte viel zu selten«,
sagt Distelmaier. Wie wichtig es ist, dass
Ärzte und Patienten das Risiko verfälsch-
ter Laborwerte ernst nehmen, zeigt auch
der Fall einer 48-jährigen Frau, deren
Hormonwerte wegen der Biotineinnahme
scheinbar so durcheinandergeraten waren,
dass die Ärzte einen Tumor vermuteten.
Eine OP, bei der ihr Gebärmutter und Eier -
stöcke entfernt werden sollten, war bereits
terminiert.
Kurz vor dem Eingriff ergab ein Hor-
montest mit einem anderen Verfahren nor-
male Werte. Der Frau blieb nicht nur die
OP erspart. Zudem fanden die Ärzte he-
raus, dass auch ihre über Jahre immer wie-
der behandelte Schilddrüsenüberfunktion
nicht existierte. Veronika Hackenbroch
DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019 107
fahren und ich auch noch malen könnte«,
wünschte sich die Landschaftsmalerin
Fridel Edelmann von ihrem Verlobten,
dem Handelsvertreter Arist Dethleffs. Der
schuf 1931 den ersten deutschen Wohn -
wagen und damit eine bald bekannte
Marke, die heute in der Hymer-Gruppe
fortlebt.
Aus dem Freizeitnomadentum ist seit-
her ein veritabler Wirtschaftsfaktor ge -
worden. 34 Millionen Campingplatzüber-
nachtungen pro Jahr in Deutschland zählt
Verbandsmann Onggowinarso und beob-
achtet auch, dass vielen Campingfreunden
die Einfriedungen der Massenbetriebe zu
eng werden. Natur und Freiheit wollen sie
wirklich draußen erleben, ganz für sich
allein, ohne Gemeinschaftswaschraum,
Platzordnung und Animateur. Doch wo
darf man das?
Wildes Campen ist in den meisten Län-
dern Europas untersagt. Das Schlafen im
Auto hingegen kann niemand verbieten.
Sonst wäre der Beruf des Fernfahrers ein
dauernder Gesetzesverstoß. Nur, wo ver-
läuft die Grenze?
Wer lediglich ein Dachzelt hochklappt,
um auf einem Parkplatz zu nächtigen, ist
wohl im grünen Bereich; wer Tisch und
Stühle vor dem Auto aufstellt, kriegt vie-
lerorts schnell Ärger. Auch Hymer-Chef
Bauer bleibt nicht verborgen, dass die
Kundschaft in Bereiche strebt, wo Kon -
flikte mit Landschaftsschützern und Ord-
nungsämtern absehbar sind – und in die
auch keine festen Straßen mehr führen:
»Der Allradantrieb wird verstärkt nachge-
fragt, den Trend spüren wir deutlich.«
Und er bedient ihn auch.
Hymers zentrales Schaustück auf dem
Caravan Salon ist die Studie »VisionVen-
ture«: ein klettertauglicher Wagen, aus
dem sich Heckterrasse, Bordgrill und an-
dere Utensilien ausklappen lassen wie die
Elemente eines Schweizer Offiziersmes-
sers. Bauer schwärmt von Batteriesyste-
men, die die Bordtechnik über Tage ohne
Netzanschluss funktionsfähig halten, und
von Küchenherden, die sich nahezu endlos
lang mit Diesel aus dem Tank betreiben
lassen.
Am schnellsten wird dem autarken
Camper zumeist der Wasservorrat knapp.
»Egal wie viel Sie bunkern, es ist immer
zu wenig«, sagt Stephan Wirths, Chef des
Sonderausstatters Action Mobil im öster-
reichischen Saalfelden. Er bietet Expedi -
tionsfahrzeuge auf der Basis allradgetrie-
bener Lastwagen.
Zu den Ausstattungen zählt die Dusch-
technik Showerloop. Sie bereitet das
Wasser mit mehreren Filteranlagen und
einer UV-Entkeimungsanlage immer wie-
der auf. »Damit können Sie duschen«, sagt
Wirths, »bis Ihnen die Haut runzlig wird.«
Christian Wüst
Doktor
Ahnungslos
MedizinBeliebte Vitaminpillen,
die Haut und Haare stärken sollen,
können Bluttests verfälschen –
mit lebensgefährlichen Folgen
für die Patienten.
Schild-
drüsen-
werte
Geschlechts-
hormone und
Tumormarker
Troponin-T-Test
zur Herzinfarkt-
diagnose
Einnahme von Biotin kann
Labortestwerte verfälschen (Beispiele)