Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1

lang, den großen Preußen in London zu
treffen – Humboldt monologisierte stun-
denlang.
Die Humboldts waren ein Produkt der
Zeit, in der sie lebten, und des Raums, von
dem aus sie dachten: Europas. Und sie
prägten selbst den Blick ihrer Zeit auf die
Menschen, auf die Welt, auf die Wissen-
schaft.
Alexander von Humboldt etwa glaubte
fest daran, man könnte hinausgehen und
in der Fremde unbekannte Pflanzen, dazu
Proben von Goldsand oder Gebeine ein-
sammeln, auch aztekische Steinfiguren
und einen mexikanischen Ohrpflock, das
nach Mitteleuropa bringen – und sich dort
dann einbilden, man wüsste, wie Welt
funktioniere, wie sie wohl sei.
Alles war erlaubt, wenn es um das
Schaffen von Wissen, um die Wissenschaft
ging. So raubte Alexander von Humboldt
in der Knochenhöhle von Ataruipe (eben-
falls in Venezuela) menschliche Überreste.
»Wir sammelten Schädel, ein Kinderskelett
und zwei Skelette erwachsener Personen«,
er schilderte selbst den »großen Unwillen«,
der ihm von der indigenen Bevölkerung
entgegengebracht wurde, weil er die Grab-
stätte »entheiligt« hätte, und er hielt sich
dennoch nicht zurück.
Auch da war er womöglich kein gutes
Vorbild. Jahrzehnte nach dem Tod der
Humboldts wurden in den deutschen Ko-
lonien massenweise Gebeine eingesam-
melt und nach Berlin geschickt, auch das
im Namen einer nun fast schon als heilig
geltenden Wissenschaft.
Die Brüder waren an der Transformation
Berlins von der Residenzstadt zum Ort der
Wissenschaft beteiligt. Selten aber wurden
die Schattenseiten, die weniger ruhmreichen
Folgen ihrer Gelehrsamkeit thematisiert.
Wie geeignet ist insbesondere Alexan-
der von Humboldt heute als Pate einer
deutschen Identität?
Das Projekt Stadtschloss war von An-
fang an auf historische Größe angelegt,
die Fallhöhe war somit hoch. 2002 ent-
schied der Bundestag nicht nur über den
Bau des Schlosses, sondern letztlich auch
über die Nutzung durch ein Humboldt
Forum. Es solle, hieß es damals, ein »Be-
gegnungszentrum der Kulturen dieser
Welt« sein.
Nun begegnet einem hier bald der
unberechenbare Geist der Humboldts. Zu
unberechenbar, zu widersprüchlich, um
darauf ein Nationalbewusstsein zu grün-
den. Für ein Schloss mag es reichen.
Ulrike Knöfel, Nils Minkmar, Tobias Rapp


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Multimediastory
Auf Humboldts Spuren

spiegel.de/sp372019humboldt
oder in der App DER SPIEGEL

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14 (11)Dörte Hansen
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18 (14)Joy Fielding
Blind Date Goldmann; 20 Euro

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20 (18)Saša Stanišić
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1 (1)Peter Wohlleben
Das geheime Band zwischen
Mensch und Natur Ludwig; 22 Euro

2 (2)Bas Kast Der Ernährungskompass
C. Bertelsmann; 20 Euro

3 (3)Stephen Hawking Kurze Antworten
auf große Fragen Klett-Cotta; 20 Euro

4 (–)Biyon Kattilathu
Der Rikscha-Fahrer, der das Glück
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6 (4)Thomas Pletzinger
The Great Nowitzki
Kiepenheuer & Witsch; 26 Euro

7 (6)Michael WinterhoffDeutschland
verdummt Gütersloher Verlagshaus; 20 Euro

8 (11)Peter WohllebenDas geheime Leben
der Bäume Ludwig; 19,99 Euro

9 (7)Schwesta Ewa
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10 (8)Meike Winnemuth
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12 (14)Joachim Gauck
Toleranz: einfach schwer Herder; 22 Euro

13 (10)Harald Jähner
Wolfszeit Rowohlt Berlin; 26 Euro

14 (18)Hauke Friederichs
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15 (9)Sophie von Bechtolsheim
Stauffenberg – Mein Großvater
war kein Attentäter Herder; 16 Euro

16 (13)Greta Thunberg / Svante Thunberg /
Malena Ernman / Beata Ernman
Szenen aus dem Herzen S. Fischer; 18 Euro

17 (20)Andrea Wulf Die Abenteuer
des Alexander von Humboldt
C. Bertelsmann; 28 Euro

18 (12)Jean Ziegler Was ist so schlimm
am Kapitalismus? C. Bertelsmann; 15 Euro

19 (–)Jolina Mennen
Storytime Community Editions; 16 Euro

20 (–)Thomas Middelhoff
Schuldig Adeo; 22 Euro

Weil alternde Männer noch
immer leiden und weil
das erste Buch ein Komet
war, legt das Autorenduo
nach. Tiger statt Hase.
Noch lustiger dieses Mal.

Die Geschichte eines
Rikschafahrers, der während
der Fahrt die Probleme
seiner Fahrgäste löst und sei-
ne Weisheiten preisgibt.

Im Auftrag des SPIEGELwöchentlich ermittelt vom Fachmagazin »buchreport« (Daten: media control);
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