Foer, 42, ist einer der profiliertesten ameri-
kanischen Romanautoren. Weltweit be-
kannt wurde er aber durch sein Sachbuch
»Tiere essen« von 2009, das die Facetten
der industriellen Tierhaltung beleuchtete
und zu einem der einflussreichsten Bücher
des Vegetarismus wurde. Foer selbst liebt
Fleisch und hat es nur zeitweise geschafft,
Vegetarier zu sein. Von einer ähnlichen see-
lischen Zwangslange handelt nun Foers
zweites Sachbuch »Wir sind das Klima«.
Es ist ein heißer Morgen in New York,
Foer ist verschwitzt, und im Wohnzimmer
seiner Agentin rauscht die Klimaanlage.
SPIEGEL:Mr Foer, wir sitzen hier, werden
nun über den Klimawandel reden, uns
wahrscheinlich in allem ziemlich einig sein
und am Ende doch wieder nicht tun, was
nötig wäre, um sicherzustellen, dass Ihre
Söhne oder meine Tochter die nächsten
60 oder 70 Jahre auf der Erde gut über -
leben können.
Foer:Das Komplizierte ist, dass unsere
Kinder wahrscheinlich doch in der Lage
sein werden, ein Leben zu führen, das dem
unsrigen heute ähnelt. Eine der Tragödien
des Klimawandels ist ja, dass er zunächst
auf dramatische Weise Menschen in an -
deren Weltregionen betreffen wird und
schon betrifft, bevor er zu den Menschen
kommt, die zu einem sehr großen Teil für
ihn verantwortlich sind. Es handelt sich,
wenn Sie so wollen, um einen Selbstmord
auf Distanz.
SPIEGEL:Wie lange hält uns diese Distanz
noch am Leben?
Foer:Es wird der Moment kommen, an
dem keiner mehr der Katastrophe entkom-
men kann. Egal welche finanziellen Mittel
man hat oder wo man lebt. Im Moment
können sich Leute wie wir noch bis zu
einem gewissen Grad anpassen. Grund-
sätzlich stimme ich völlig überein mit dem
Tenor Ihrer Eingangsfrage. Der einzige
Grund, warum ich sie ein bisschen einge-
schränkt habe, ist: Wir alle reden über den
Klimawandel vor allem in seiner extremen
Ausformung. Das Problem ist, dass wir
über die apokalyptischen Auswirkungen
weniger genaue Vorher sagen machen kön-
Jonathan Safran Foer: »Wir sind das Klima«. Kiepen-
heuer & Witsch; 336 Seiten; 18,99 Euro.
nen als über die Probleme, die der Klima-
wandel innerhalb der nächsten zehn Jahre
verursacht.
SPIEGEL:Brauchen wir gleich die Apoka-
lypse, um unser Denken zu beeinflussen?
Foer:Ich glaube, dass sich das ständige
Beschwören der Extreme sogar demoti -
vierend auf unser Verhalten auswirken
kann. Noch können wir den Horrorfilm
stoppen, noch sind viele Ausgänge denk-
bar. Das Einzige, was nicht möglich sein
wird, ist, dass wir so weiter leben und uns
in 50 Jahren immer noch auf einem Pla-
neten befinden, der dann so aussieht, wie
er jetzt aussieht.
SPIEGEL:Was wird passieren?
Foer:Die Temperaturen könnten um ein
halbes Grad steigen, um ein ganzes oder
um zwei Grad. Obwohl diese Werte
sehr unwahrscheinlich sind. Eher reden
wir von vier, sechs oder acht Grad mehr.
Die Hälfte der Arten könnte aussterben,
vielleicht auch zwei Drittel. Es könnte
sein, dass es keine Fische mehr in den
Meeren gibt. Dafür Insektenplagen. Wir
werden mit Klimaflüchtlingen zu tun
haben, vielleicht mit Hunderttausenden
so wie heute, aber eher mit vielen Millio-
nen oder vielen Hundert Millionen. Infol-
ge der Völkerwanderungen wird es Kriege
geben, und weil der steigende Meeresspie-
gel das Trinkwasser verunreinigt, wird
ein Kampf um Wasser entbrennen. Und
natürlich werden Superstürme und Dür-
ren kommen. Innerhalb dieses Spektrums
kommt es für mich darauf an, dass wir
so viele Arten, so viele Städte und so viele
Klimaflüchtlinge wie möglich retten.
SPIEGEL:Wie wollen Sie das machen?
Foer:Ungeachtet der verschiedenen Mo-
delle und Szenarien wissen wir doch
längst, welche Schritte wir einleiten müs-
sen. Es gibt keinen Wissenschaftler, der
diesen Schritten widersprechen würde.
Vier Dinge, die jeder tun kann: Erstens
sich auf Pflanzen basis ernähren, zweitens
weniger fliegen, drittens aufs Auto verzich-
ten, so weit es geht, und viertens weniger
Kinder kriegen.
SPIEGEL:Gehen wir die vier Punkte in
ihrer Umsetzbarkeit durch.
Foer:Okay, von hinten: Nur ein geringer
Teil der Menschheit, nämlich jener im zeu-
gungsfähigen Alter, kann darüber entschei-
den, ob er Kinder bekommen möchte.
Schwierig also. 85 Prozent der Autofahr-
ten in den USA dienen dazu, jemanden
zur Arbeit zu bringen. Auch schwierig. Die
Hälfte der Flüge ist beruflich oder aus an-
deren Gründen, also nicht zum Spaß.
Ebenfalls nicht einfach. Was sich schnell
ändern lässt, ist unser Essen: Es gibt Stu-
dien, die sagen, dass die Tierhaltung für
mehr Emissionen verantwortlich sei als je-
der andere Faktor. Manche behaupten so-
gar, Tierhaltung treibe den Klimawandel
stärker voran als alle anderen Faktoren zu-
sammen.
SPIEGEL:Drei der vier Maßnahmen haben
wir jetzt schon als zu unbequem, zu
schwierig identifiziert, und wahrscheinlich
würden wir auch noch Gründe gegen den
Fleischverzicht finden.
Foer:Ich auf jeden Fall.
SPIEGEL:Tatsächlich? Als echter Vege -
tarier haben Sie ja nicht lange durchge -
halten.
Foer:Stimmt, ich bin da nicht ganz konse-
quent.
SPIEGEL:Okay, wie genau retten wir jetzt
unsere Kinder ins Jahr 2100? Wenn ein
Kind hier auf die Straße vor ein Auto rennt,
schauen wir ja auch nicht teilnahmslos zu.
Foer:Ich habe das Buch geschrieben, weil
mir diese Klimasache Sorgen macht. Ich
habe ein Jahr damit verbracht, alles darü-
ber zu recherchieren, es zu ordnen und
aufzuschreiben. Doch nach wie vor fällt
es mir schwer, mich wirklich dafür zu inte-
ressieren.
SPIEGEL: Sie machen Witze.
Foer: Ich weiß, es klingt verrückt.
SPIEGEL:Ist der Klimawandel für uns vor
allem ein kognitives Problem?
Foer:Er ist die perfekte Krise. Eine, mit
der das menschliche Bewusstsein nicht
klarkommt. Damit ehrlich umzugehen
114 DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019
Kultur
»Die perfekte Krise«
SPIEGEL-GesprächWie gehen wir mit einer Katastrophe um, die das Überleben der Menschheit
bedroht, nur nicht sofort? Das neue Klimabuch des US-Erfolgsautors
Jonathan Safran Foer stellt große Fragen – und gibt sehr persönliche Antworten.
»Wir müssen so viele
Arten, so viele Städte und
so viele Klimaflüchtlinge
wie möglich retten.«