Kultur
wäre ein guter erster Schritt. Stattdessen
kämpfen wir an den falschen Fronten. Wir
denken ja immer, die Klimawandelleugner
wären das Problem. In Wirklichkeit gibt
es gar niemanden mehr, der die Fakten ab-
streiten würde ...
SPIEGEL:Außer dem Präsidenten der Ver-
einigten Staaten.
Foer:Er ist einer der Letzten. Aber das ist
egal. Viel schlimmer sind Leute wie Sie
und ich. Wie oft habe ich mir vorgenom-
men: Ich versuche es noch mal. Wenigs-
tens keine tierischen Produkte zum Früh-
stück und zum Mittag essen. Zwei Lang-
streckenflüge weniger im Jahr.
SPIEGEL:Das würde jetzt noch reichen?
Foer:Wenn jeder es machen würde, ja.
SPIEGEL:Genau das ist unser Problem.
Wir entschuldigen uns ständig damit, dass
wir auf die anderen zeigen, die nicht kon-
sequent genug sind.
Foer:Der durchschnittliche CO
²
-Fußab-
druck eines Menschen beträgt 4,5 Tonnen
pro Jahr. Um die Vorgaben des Pariser Kli-
maabkommens zu erreichen – die inzwi-
schen so anspruchsvoll sind, dass keiner
daran glaubt –, müssen wir runter auf
durchschnittlich 2,1 Tonnen pro Mensch.
Wer sich nur zu zwei Dritteln vegan er-
nährt, spart 1,3 Tonnen pro Jahr. Das wäre
immerhin schon die Hälfte des Weges, um
die Pariser Vorgaben zu erfüllen.
SPIEGEL:Nicht für einen Amerikaner.
Foer:Das ist leider der Punkt. Der Durch-
schnittsamerikaner produziert nicht 4,5
Tonnen Kohlendioxid, sondern eher
20 Tonnen. Ein Deutscher liegt in etwa bei
10 Tonnen, ein Bangladescher bei 0,5.
SPIEGEL:Das bedeutet?
Foer:Ein Bangladescher könnte sogar ein
bisschen mehr Fleisch und Milchprodukte
essen, während Amerikaner, Deutsche
und Engländer 90 Prozent weniger rotes
Fleisch und 60 Prozent weniger Milchpro-
dukte essen müssten. Das klingt nach viel,
aber es klingt nicht übergeschnappt. Es ist
nicht wie: Wir müssen in einem unterirdi-
schen Bunker ohne Licht leben. Und ver-
glichen mit den Konsequenzen, die das
Weiter-so haben wird, ist es gar nichts.
Man nennt das einen No-Brainer.
SPIEGEL:Mag sein, aber solch fundamen-
tale Veränderungen der Lebensweise über-
fordern den Einzelnen möglicherweise.
Müsste nicht der Staat den Verzicht orga-
nisieren?
Foer:Wenn Sie nicht mal darauf vertrauen,
dass Menschen freiwillig auf gewisse Din-
ge verzichten, wie können Sie dann glau-
ben, dass die freiwillig jemanden wählen,
der ihnen die Hamburger wegnimmt? Das
wird niemals passieren.
SPIEGEL:Die Klimakatastrophe sei so
ab strakt und langsam, schreiben Sie in
Ihrem Buch, dass sie sich nicht dazu eigne,
wahrheitsgemäß und zugleich spannend
vermittelt zu werden.
Foer: Das Klima ist wahrscheinlich
die langweiligste Erzählung, die die Wis-
senschaft uns je präsentiert hat. Zumal
es an ikonischen Figuren und Momenten
fehlt.
SPIEGEL:Wie macht man die Klimakata-
strophe zu einer guten Story?
Foer:Dazu ist es zu spät. Wir können nun
nur noch Dinge tun, die ein bisschen we-
niger sexy sind.
SPIEGEL:Zum Beispiel?
Foer:Momente des Innehaltens, kleine
Debatten mit uns selbst über die nächste
Autofahrt, das nächste Stück Fleisch, den
anstehenden Urlaubsflug.
SPIEGEL:Klingt verdammt müde.
Foer:Ja, aber realistisch. Der Mensch
strebt danach, das Richtige zu tun. Wissen
Sie, was der am stärksten wachsende Sek-
tor in der Lebensmittelbranche ist?
SPIEGEL:Sagen Sie es mir.
Foer:Eier von freilaufenden Hühnern. Vor
zehn Jahren fand man die noch nicht mal
im Reformhaus. Heute gibt es sie an vielen
Tankstellen. Warum kaufen die Leute das?
Eier von freilaufenden Hühnern schme-
cken nicht besser, sie sind nicht unmittel-
bar gesünder. Aber sie sind teuer. Es ist
komisch: Menschen, und nicht nur gut ver-
dienende Linksliberale, scheinen bestrebt,
das Richtige zu tun.
SPIEGEL:In Ihrem Buch suchen Sie nach
vergleichbaren Szenarien in der Historie,
um zu ergründen, wie Menschen ange-
sichts einer drohenden Gefahr reagieren.
Während des Zweiten Weltkriegs etwa wa-
ren die Bewohner der Ostküste der USA
bereit, abends kein Licht anzuschalten, ob-
wohl sie sich nicht in unmittelbarer Gefahr
befanden.
Foer: Ja, Sinn der Verdunklung war ledig-
lich, deutsche U-Boote daran zu hindern,
mithilfe der Stadtlichter amerikanische
Schiffe zu identifizieren, die die Häfen ver-
ließen. Später wurden sogar die Bewohner
im Landesinneren aufgerufen, abends auf
Licht zu verzichten. Da hatte die Verdunk-
lung überhaupt keinen praktischen Wert
mehr, es war reine Psychologie. Eine Ka-
tastrophe, deren Horror weit weg war, soll-
te dadurch für jeden greif- und spürbar
werden. Denn um den Krieg zu gewinnen,
würde man den Einsatz aller brauchen, un-
ter anderem in der Industrie. Die Illumi-
nation einer fernen Katastrophe. Das
brauchten wir heute wieder.
SPIEGEL:Sie berichten von Ihrer Groß-
mutter, die 1941 als Einzige der Familie
aus ihrem polnischen Heimatdorf flüchte-
te, weil sie im Gegensatz zu allen anderen
Familienmitgliedern erkannt hatte, dass
man handeln musste, um sich zu retten.
Foer:Ist das nicht unglaublich? Sie war 20.
Sie hat ihre Mutter zurückgelassen, zwei
Geschwister, vier Großeltern, die ganze
Familie, ihre Freunde. Wie heute beim Kli-
ma lag das Problem nicht an einer schlech-
ten Informationslage. Alle wussten, die
Nazis würden kommen.
SPIEGEL:Was hatte Ihre Großmutter den
anderen voraus?
Foer:Sie ahnte, dass sie etwas tun musste.
Ihre Mutter, die später am Rande eines
Massengrabs mit ihrer Stieftochter in den
Armen erschossen wurde, schwieg. Sie hat-
te nicht das Gefühl, handeln zu müssen.
Das ist für mich eine fundamentale Ge-
schichte darüber, wie aus Wissen Handeln
wird – oder eben nicht. So wie meiner
Großmutter klar war, dass die Nazis kom-
men, wissen wir heute, dass die Klima -
katastrophe kommt.
SPIEGEL:Nur eben nicht wie damals bin-
nen wenigen Tagen, sondern erst in Jahr-
zehnten.
Foer:Auch bei unmittelbarer Gefahr gibt
es in der menschlichen Psyche offenbar
einen Mechanismus, der bestimmte Infor-
mationen nicht zulässt. Ich erzähle im
Buch die Geschichte von Jan Karski,
einem 28-jährigen Katholiken im Wider-
stand, der 1942 aus dem besetzten Polen
über London bis nach Amerika reist, um
dort den Behörden von den Gräueltaten
der Nazis zu berichten. In Washington ge-
lingt es ihm, ein Treffen mit Felix Frank-
furter zu vereinbaren, einem Richter am
Obersten Gerichtshof. Frankfurter war
selbst Jude und galt als einer der klügsten
Köpfe der USA. Nachdem er den Schilde-
rungen über die Räumung des Warschauer
Gettos und den Abtransport in die Kon-
zentrationslager zugehört und detaillierte
* Mit Redakteur Philipp Oehmke in New York.
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DEVIN YALKIN / DER SPIEGEL
Foer beim SPIEGEL-Gespräch*
»Zum Lunch keine Tierprodukte, okay?«
»Es dürfte kaum jeman-
den geben, der ein so
großes Verlangen nach
Fleisch hat wie ich.«