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Mehr Konfrontation
LeitartikelDas Land braucht einen neuen Umgang mit der AfD und ihren Wählern.
I
n autoritären Staaten liegt die Verantwortung allein
bei den Herrschern, die Bürger sind Objekte der Poli-
tik, oft auch deren Opfer. Die Demokratie dagegen
teilt die Verantwortung: Die Bürger können über ihre
Stimmen die Politik beeinflussen. Damit werden sie poli-
tisch mündig und sind mitverantwortlich für die Zustände
eines Landes.
Rund ein Viertel der Bürger, die am Sonntag der vergan-
genen Woche in Brandenburg und Sachsen gewählt haben,
entschieden sich für die AfD. Und diese AfD war nicht
mehr, wie noch vor einigen Jahren, eine etwas diffuse rechte
Partei, die sich in die eine oder
andere Richtung bewegen konnte.
Vor den Wahlen am Sonntag gab es
ein klares Bild.
Andreas Kalbitz, Spitzenkandi-
dat in Brandenburg, hat sein halbes
Leben in rechtsextremen Kreisen
zugebracht. Jörg Urban, Spitzen-
kandidat in Sachsen, hat sich mit
der fremdenfeindlichen Pegida-
Bewegung gemeingemacht. Björn
Höcke, demnächst Spitzenkandidat
bei der Wahl in Thüringen, zeigte
sich mit beiden in Chemnitz bei
einem Aufmarsch, an dem viele
Neonazis teilnahmen.
Die Spitzenpolitiker der AfD, die
sich selbst als gemäßigt darstellen,
wie Alexander Gauland oder Jörg
Meuthen, haben sich nicht von
ihren Parteikollegen distanziert.
Die AfD ist damit als Partei kennt-
lich, die am äußersten rechten Rand
steht und ständig Tabus und die
Staats räson der Bundesrepublik ver-
letzt. Alles, was rechtsextrem ist, was den Nationalsozialis-
mus verharmlost oder gar mit ihm flirtet, steht außerhalb
des akzeptablen Spektrums.
Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten, mit der AfD
und ihren Wählern umzugehen: Konfrontation oder Ver-
such der Integration. Oft ist es eine Mischform, mit dem
einen oder anderen Schwerpunkt. Früher war es richtig,
vor allem auf die Integration zu setzen, zu versuchen,
die Wähler ins Lager der liberalen Demokratie zurückzu -
holen, oder darauf zu hoffen, dass sich die AfD zu einer
konservativen Partei innerhalb des akzeptablen Spektrums
entwickelt.
Diese Hoffnung ist fürs Erste dahin. Damit sollte sich
auch der Umgang mit der AfD und ihren Wählern ändern.
Der neue Schwerpunkt heißt Konfrontation.
Dazu gehört, die Bürger an ihre Verantwortung zu erin-
nern. Natürlich denkt nicht jeder Wähler dieser Partei
rechtsextrem oder hegt Sympathien für den Nationalsozia-
lismus. In den Stimmen für die AfD steckt Protest gegen
alles Mögliche, gegen Vernachlässigung, gegen Arroganz
von etablierten Politikern. Manches ist verständlich.
Aber es ist nicht verständlich, dass Wähler diesen Pro-
test über Stimmen für Leute wie Kalbitz oder Urban aus-
drücken und sich damit in den Bereich des Unanständigen
begeben. Ein ausgedünnter Busfahrplan kann ein großes
Problem sein, weil er den Alltag so beschwerlich macht,
das darf aber nicht als Grund dienen, eine solche Partei
mitzuwählen. Zumal die auch keine Lösungen hat.
Wer glaubt, rechte Parteien seien
besonders fürsorglich gegenüber
»dem Volk«, sollte sich intensiver
mit europäischer Geschichte befas-
sen. In den Diktaturen in Portugal
und Spanien litt das Volk an Unter-
drückung und wirtschaftlicher
Rückständigkeit, für Deutsche und
Italiener kamen Kriege mit Millio-
nen Opfern hinzu; halb Europa
wurde dabei verwüstet.
Zur Strategie der verstärkten
Konfrontation gehört neben der
Aufklärung die Investigation. Es
muss alles ans Licht, was sich in
den Biografien der AfD-Funktionä-
re noch verstecken mag. Und
Investigation ist nicht nur eine Auf-
gabe für die Medien. Der Verfas-
sungsschutz hat da bislang zu nach-
lässig gearbeitet.
Bei den Politikern trägt der
rechte Rand der Union besondere
Verantwortung, da er die Wähler
der AfD am ehesten zurückholen
kann. Doch sein Angebot beschränkt sich auf ein er -
bärmliches Nacheifern. Wo sind die Alternativen? Warum
stellt man dem aggressiven Nationalismus nicht das
Konzept einer freundlichen Nation gegenüber, um bürger -
liche Patrioten abzuholen? Kluge Konfrontation kann
Integration schaffen.
Leider werden auch die etablierten Spitzenpolitiker
ihrer Verantwortung nicht gerecht. In dieser kritischen Si -
tuation gibt es in Deutschland ein eklatantes Führungs -
vakuum. In den ersten Tagen nach der Wahl hat sich Bun-
deskanzlerin Angela Merkel weder um Konfrontation
noch um Integration bemüht. Sie hat einfach geschwiegen.
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ringt
um ihre Autorität, die SPD ist mit sich selbst beschäftigt,
die Grünen kümmern sich vor allem ums Klima. Im Moment
fehlt der AfD der starke Gegner, und das ist ein Skandal.
So leicht darf man es denen nicht machen. Dirk Kurbjuweit
Das deutsche Nachrichten-Magazin
DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019