Die Weltwoche - 05.09.2019

(ff) #1
10 Weltwoche Nr. 36.
Bild: Michael Müller (Alamy Stock Photo)

S


eit letzte Woche ein Nordmazedonier seine
getrennt von ihm lebende Ehefrau im zür­
cherischen Dietikon getötet hat, wird intensiv
über die Frage diskutiert, was gegen häusliche
Gewalt unternommen werden kann. Nicht
gerade hoffnungsfroh stimmt einen da eine
kürzlich publizierte Studie der Zürcher
Hochschule für angewandte Wissenschaften
(ZHAW), die diese Woche von der Aargauer Zei-
tung aufgegriffen wurde. Für die Studie waren
knapp 600 Schulklassen – von Gymnasien über
Fachmittelschulen bis zu Berufsschulen – in
zehn Kantonen befragt worden. Die Schüler
konnten sagen, was sie von Aussagen halten wie
«Der Mann ist das Oberhaupt der Familie und
darf sich notfalls auch mit Gewalt durch­
setzen» oder «Wenn eine Frau ihren Mann be­
trügt, darf der Mann sie schlagen».

Rückständiges Frauenbild
Die Forscher der ZHAW – einer politisch «un­
verdächtigen» Hochschule – kommen zu Er­
gebnissen, die in sozialromantischen Kreisen
wenig Gefallen finden dürften. Denn die Ant­
worten zeigen frappierende Unterschiede zwi­
schen den Nationalitäten und Religionen, die
man nicht einfach schönreden kann. So befür­
wortet von den befragten Schweizern jeder
zwanzigste junge Mann Gewalt in der Familie,
bei Schweizern mit Migrationshintergrund ist
es bereits jeder Zehnte, und von den Jugendli­
chen aus Sri Lanka, Mazedonien und Kosovo
hält es jeder Fünfte für gerechtfertigt, wenn
sich ein Mann bei seiner Frau hin und wieder
mit Schlägen Respekt verschafft. Ein ähnliches
Bild zeigt sich bei der Religionszugehörigkeit:
Noch am friedlichsten sind die protestan­
tischen Jugendlichen und die Religionslosen,
bei denen rund 4,5 Prozent den Mann als
Familienoberhaupt mit Gewaltanspruch
sehen. Die Katholiken zeigen mit rund 7 Pro­
zent bereits ein grösseres Machogehabe. Den
unrühmlichen Spitzenplatz nehmen die mus­
limischen Schüler ein: Fast 20 Prozent stimm­
ten der Aussage zu, dass der Mann sich zu
Hause notfalls mit Gewalt durchsetzen und
die Frau körperlich bestrafen dürfe.
Dass selbst heute noch eine beachtliche Zahl
an jungen Männern derart antiquierten Vor­
stellungen anhängt und sich selber als natür­
liches Haupt der Familie betrachtet, das auch
mal zuschlagen darf, irritiert gewaltig. Und
man fragt sich unwillkürlich, wie und wo all die
Machos, die sich hierzulande in den nächsten
Jahren auf Partnerschaftssuche und auf den

Heiratsmarkt begeben werden, eine Frau
finden wollen, die sich ihnen unterzuordnen
bereit ist. Die Studie zeigt zudem, was jeder
weiss, der mit offenen Augen durchs Leben
geht: Das rückständige Frauenbild, das viele
Männer mit patriarchalisch geprägter Her­
kunft haben, führt vermehrt zu Konflikten.
Die Einzigen, die nicht oder nur höchst
ungern darüber reden wollen, sind paradoxer­
weise feministische Kreise. Von ihnen ist so gut
wie nie eine klare Ansage zu hören, dass man
das Machogehabe der jungen Männer auslän­
discher Abstammung nicht toleriert. Lieber
kapriziert man sich auf Geschlechterquoten für
Chefetagen oder auf Gendersternchen in der
Schriftsprache. Oder drischt auf die alten weis­
sen Männer ein, die seit jMeToo zum Lieb­
lingsfeindbild in der Gender­Debatte und zum
Inbegriff der männlichen Schlechtigkeit ge­
worden sind – zu all dem, was heute angeblich
nicht mehr geht und endlich überwunden
werden muss.
In diesem Punkt sollte die hiesige Frauen­
bewegung endlich umdenken und ihre Ge­
schosse neu ausrichten. Die alten weissen Män­
ner mit ihren (nicht mehr so zahlreichen)
Privilegien mögen für Feministinnen zwar eine
Provokation sein. Doch die echten Tragödien
für Frauen spielen sich anderswo ab.

Gesellschaft


Falsches Feindbild


Von Katharina Fontana _ Ein Fünftel der jungen Muslime in der Schweiz
sieht im Mann das Familienoberhaupt, das seine Frau schlagen darf.
Der Feminismus arbeitet sich derweil am alten weissen Mann ab.

Zeitgeist


«Lehrperson»


Von Rico Bandle _ Eine
Berufsgruppe hat die
Selbstachtung verloren.

D


ass unterbeschäftigte Beamte sich stän­
dig neue Sprachregelungen ausdenken,
daran hat man sich gewöhnt. Der «Leitfaden
für geschlechtergerechte Sprache» des Bundes
umfasst – man halte sich fest – 191 Seiten. Im
Alltag bleibt dies weitgehend folgenlos. Die
meisten Leute lassen sich nicht vorschreiben,
wie sie zu reden haben. Ausser die Lehrer.
Irgendwann dachte sich wohl ein findiger
Bildungsbeamter, die Begriffe «Lehrerin» und
«Lehrer» seien nicht gendergerecht, man müs­
se sie ersetzen. So entstand die «Lehrperson».
Anstatt darüber zu lachen und den Vorschlag
zu ignorieren, machten ihn sich die Lehrer kri­
tiklos zu eigen. Selbst in privaten Gesprächen
reden sie seither nur noch von «Lehrpersonen».
In ihrem unterwürfigen Eifer haben die
Pädagogen übersehen, wie unsinnig diese
Wortkonstruktion ist. «Lehrperson», das tönt
so, als müsse man klarstellen, dass es sich bei
Lehrern tatsächlich um Menschen handelt
und nicht um Maschinen. Oder um Tiere.
Entsprechend müssten sich Journalisten
«Schreibpersonen» nennen, Lastwagenfahrer
«Steuerpersonen».
Auch gendertechnisch ist der Begriff ein
Missgriff: Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie
verzwickt es ist, wenn man das sprachliche
Geschlecht mit dem biologischen gleichsetzt.

Wer sagt, man dürfe den männlichen Begriff
«Lehrer» nicht gebrauchen, weil dieser die
Frauen ausschliesse, darf auch nicht von einer
«Lehrperson» sprechen, schliesslich ist dieser
Begriff weiblich. Männer könnten sich diskri­
miniert fühlen. Dasselbe gilt für die ebenfalls
verbreitete «Lehrkraft». Auch «Lehrmensch»
ginge nicht, da «Mensch» zum Ärger mancher
Feministin männlich ist. Immerhin ist
«Mensch» und «Mann» im Deutschen nicht
dasselbe Wort wie im Englischen. Als passable
Alternative bliebe «Lehrsubjekt». Dieser Be­
griff ist ein Neutrum und damit genauso gen­
dergerecht wie eine geschlechtsneutrale Toi­
lette. Leider auch ähnlich attraktiv.
Die Lösung für das Problem liegt auf der
Hand. Hätten die Lehrer noch etwas Selbstach­
tung, wären sie längst selber darauf gekom­
men: Man könnte einfach wieder «Lehrerin­
nen» und «Lehrer» sagen. Die echten Tragödien spielen sich anderswo ab.

Das tönt, als müsse man klarstellen,
dass es sich bei Lehrern tatsächlich
um Menschen handelt.
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