Die Weltwoche - 05.09.2019

(ff) #1

Weltwoche Nr. 36.19 11
Bild: Robert Michael (DPA, Keystone)


I


m August war ich auf Wahlkampf für
lokale CDU-Kandidaten und reiste in klei-
nere und grössere Orte Sachsens und Bran-
denburgs. Orte, die mit ihren Namen die
deutsche Provinz schön beschreiben: Riesa,
Radebeul, Lampertswalde, Werder, Hoppe-
garten, Plauen. Orte, die jeweils auf ihre Art
reizvoll sind, die aber andere Probleme
haben als Berlin, München oder Hamburg –
zum Beispiel fehlende Zugverbindungen
oder ein lückenhaftes Mobilfunknetz.
Vermutlich waren die Wahlkampfveran-
staltungen für mich interessanter als für die
Bürger. Ich erfuhr von ihren Problemen und
ihren Erwartungen an die Politik. Es ging
um ein fache, aber für die lokale Bevölke-
rung wichtige Angelegenheiten, wie die
Schliessung des einzigen Supermarkts vor
Ort oder die Ausdünnung des Busfahrplans.
Die zentralen Themen in den Diskussionen
waren aber andere: Asylpolitik, Gewaltkri-
minalität, marode Infrastruktur und immer
wieder Meinungsfreiheit und Massenmedi-
en. Der Klimawandel spielte hingegen keine
Rolle.

Historischer Tiefstand
Ich spürte Zorn auf «die da oben». Und ich
spürte Unverständnis über eine Politik, die
Probleme nicht löst. Wiederholt sagten mir
Bürger: «Wenn die Werteunion die CDU
wäre, dann wäre die CDU für mich wieder
wählbar.» Mir war klar, dass die CDU bei den
Landtagswahlen schlecht abschneiden wür-
de. Vermutlich sogar sehr schlecht.
Dann kam der Wahltag. Ich reiste nach
Dresden. Die Werteunion hatte zu einer

Wahlparty in ein Hotel geladen, um sich bei den
Wahl helfern zu bedanken. Regungslos nahmen
wir die Hochrechnungen hin: erhebliche Ver-
luste für die CDU in beiden Bundesländern.
In Sachsen verlor die Partei 7,3 Prozentpunkte
und landete bei 32,1 Prozent – ihr schlechtestes
Ergebnis überhaupt. Bis zur Landtagswahl
2004 verfügte die CDU über eine satte Mehrheit
von 56 Prozent oder mehr und konnte allein
regieren. Jetzt braucht sie zwei Koalitionspart-
ner, will sie nicht eine Minderheitsregierung
bilden. In Brandenburg resultierte ein Verlust
von 7,4 Prozentpunkten und ein historischer
Tiefstand mit 15,6 Prozent.
Mit den Wahlen in Brandenburg und Sachsen
muss die Union zum zehnten und elften Mal
seit 2016 grosse Verluste einstecken. Verluste,
die zum gewaltigen Anwachsen der AfD führ-
ten. Elf Wahlen mit solchen Verlusten sollten

ein Grund für die Parteiführung sein, am
Wahlabend den Wählern das Signal zu geben:
Wir haben verstanden, ein Weiter-so mit diesem
Spitzenpersonal und dieser Politik wird es nicht
mehr geben.
Wir verfolgten auf unserer Wahlparty auf-
merksam die Kommentare der Spitzenpoli tiker.
Vielleicht kennen Sie die Spezies der Schön-
redner? Menschen, die unbequeme Realitäten
weg reden, verzwergen oder verniedlichen. Oft-
mals absichtlich, um die Wahrheit zu vernebeln,
manchmal aber auch reinen Herzens und guten
Gewissens in einer Art Autosuggestion, weil sie
in einer alternativen «Realität» leben.
Die Politik ist für einen Schön redner das idea-
le Biotop. Ich möchte sogar behaupten, es sind
fast Laborbedingungen für Schönredner, in de-

nen es die besten zu einer bewundernswerten
Meisterschaft bringen. Einem Fernseh-
beitrag zufolge soll es einem deutschen
Bundesminister durch sein meisterhaftes
Schönreden über die Flüchtlingskrise sogar
gelungen sein, verwelkte Blumen wieder er-
blühen zu lassen.
Die Talk-Runden der Parteifunktionäre
am Wahlabend waren ein Wettbewerb im
Schön reden. Dort hiess es: Die CDU habe die
Sachsen-Wahl gewonnen, weil sie die stärks-
te Kraft sei. Die Verluste würde man «mit
Demut sehen», der Landtag bestünde wei-
terhin aus «einer übergrossen Mehrheit von
positiven Kräften, und das macht mich
froh». Mit Blick auf frühere schlechte Um-
fragewerte sei eine «unglaubliche Aufhol-
jagd» gelungen.

Kein Unrechtsbewusstsein
Es herrschte bei uns ungläubiges Staunen
über diese Frivolität des Schönredens. Kein
Ein geständnis der Funktionäre, dass sie
über Jahre schwere Fehler gemacht hatten,
keine Ankün digung einer Kurskorrektur,
keine Aussage, dass aus diesen Wahlschlap-
pen gelernt werde, kein Rücktritt. Nicht ein-
mal ein Funken von Scham, Schuld oder Un-
rechtsbewusstsein.
Meinten die Schönredner das, was sie sag-
ten, oder meinten sie etwas anderes? Sie
meinten etwas anderes. Sie meinten: Das
Wahlergebnis ist für uns belanglos. Wir ma-
chen einfach weiter so wie bisher. Solange
wir in einer Regierung sitzen, verlieren wir
nicht. Ob 50, 40 oder 30 Prozent, wir regie-
ren und suchen uns ausser der AfD den Rest
im Parlament als Mehrheitsbeschaffer. Das
war es, was die Parteifunktio näre eigentlich
sagten.
Die Talfahrt der CDU ist noch nicht been-
det. Es gibt Spielraum nach unten. Wir wer-
den es vielleicht schon in einem Monat bei
der Landtagswahl in Thüringen sehen. Wei-
tere Verluste sind offensichtlich politisch
schon einkalkuliert. Solange die CDU mit
den Restparteien gegen die AfD eine Koaliti-
on bilden kann, wird es beim Weiter-so blei-
ben.
Was wir brauchen, ist etwas anderes: eine
klare Politikwende im Sinne der Menschen
in Radebeul, Lampertswalde und anderswo.
Wenn die Parteifunktionäre es nicht an-
packen, müssen es vielleicht andere tun.

Hans-Georg Maassen war Präsident
des Bundesamtes für Verfassungsschutz.Er gehört
zu den promintesten Kritikern von Kanzlerin
Merkel. Maassen ist Mitglied der konservativen
Werteunion, einer Gruppe innerhalb der CDU.

Mehr zum Thema: Seite 38

Brief aus...


Dresden


Von Hans-Georg Maassen _
An meiner Party nach der Wahl
in Sachsen und Brandenburg
waren die Schönredner das
grosse Thema. Merkt die CDU
eigentlich, dass die Talfahrt
noch nicht beendet ist?

Signal aus Lampertswalde: Autor Maassen.
Free download pdf