Die Weltwoche - 05.09.2019

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24 Weltwoche Nr. 36.19
Karikatur: Tomicek


Es war ein Abend unter Freunden: Nationalrat
Alois Gmür (CVP), Bierbrauer aus dem Kanton
Schwyz, hatte alt Bundesrätin Doris Leuthard
nach Lachen eingeladen, für ein Referat über
die Klimapolitik. Gmür schwärmte noch Tage
später vom Auftritt der früheren Bundesrätin.
«Sie hat das super gemacht», lobt er. Mit viel
Charme und Witz habe sie das schwierige
Thema rübergebracht. Der Titel des Referates
lautete: «Das Klimaabkommen von Paris –
Was macht die Politik?» Spätestens seit einer
Woche weiss Leuthard definitiv, was die Politik
macht: Sie änderte die von ihr vorgespurte
Klimapolitik. Und wie.
In fast atemraubendem Tempo treibt ihre
Nachfolgerin im Departement für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek),
SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, einen
Kurswechsel voran und revidiert laufend Ent-
scheidungen ihrer Vorgängerin – auch bei der


Klimapolitik. Vergangene Woche kündigte sie
eine Verschärfung der seit dem Klimagipfel
von Paris vom Bundesrat beschlossenen
CO 2 -Reduktionsziele an. Bis 2050 sollen die
CO 2 -Emissionen in der Schweiz auf netto null
sinken. Leuthard hatte die Schweiz mit der

Unterschrift unter das Klimaabkommen von
Paris 2015 verpflichtet, den CO 2 -Ausstoss um
70 bis 85 Prozent zu reduzieren.
Gleichentags räumte die SP-Bundesrätin
mit einem anderen Projekt aus der Ära Leut-
hard auf – mit dem Gesetz über elektronische
Medien. Der Staat sollte, so hatten sich das
Leuthard und ihre Einflüsterer ausgedacht,

publizistische Online-Angebote subventio-
nieren – insbesondere die Angebote jener An-
bieter, die wenig traditionellen Text und dafür
viel Video- und Audiomaterial auf ihre Web-
site laden. Sommaruga versenkte nun elegant
auch diese Vorlage und will stattdessen über
das bestehende Radio- und Fernsehgesetz
(RTVG) eine sozialistische Medienförderung
aufgleisen. Mit 127 Millionen Franken pro
Jahr will sie Online- und Printmedien im gro-
ssen Stil subventionieren.

Eigene Akzente setzen
So unsinnig die Verschärfung der Klimaziele
und die Geldspritzen für Medienhäuser auch
sind, sie zeigen das Dilemma der neuen
Uvek-Chefin auf. Sommarugas grösstes Prob-
lem ist ihre Vorgängerin im Amt. Leuthard hat
während ihrer Amtszeit alle Felder der Infra-
strukturpolitik besetzt: Sie hat sprudelnde

D wie Desaster


Als Doris Leuthard noch Bundesrätin war, feierten die Medien sie als «Strahlefrau», als «Helvetia».


Ein Jahr später ist vom Glanz kaum mehr etwas übrig. Leuthards politisches Erbe zerfällt zu Staub, jetzt


muss Nachfolgerin Simonetta Sommaruga die letzten Bruchstücke zusammenwischen. Von Hubert Mooser


Herbst einer Ikone.


CVP-Chef Pfister wundert sich, wie
einfach Sommaruga ihre Anliegen
im Bundesrat durchbringt.
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