Die Weltwoche - 05.09.2019

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Weltwoche Nr. 36.19


Geldquellen für den Ausbau von Strasse und
Schiene erschlossen, die Energiewende mit
grosszügigen Fördergeldern vollzogen, die
Raumplanung in ein bundesbernisch-dirigis-
tisches Korsett gezwängt und ein neues Radio-
und Fernsehgesetz durchgebracht, das die
Radio- und Fernsehnutzer teils doppelt zur
Kasse bittet. Für Nachfolgerin Sommaruga
bleibt nicht mehr viel. Kleinzeug, Umsetzung,
Weiterentwicklung: Das ist nicht das, was
Sommaruga bisher gewohnt war. Sie will als
Uvek-Chefin eigene Akzente setzen.
Überraschend ist, wie einfach ihr das jetzt
gelingt. Sie sagt: «Die Medien sind das Funda-
ment unserer Demokratie» – und hat Sofort-
massnahmen aufgegleist, um die Rahmenbe-
dingungen der Medien zu verbessern. Sie sagt:
«Seit dem Klimaabkommen von Paris ist die
Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen ge-
langt. Der Weltklimarat hat 2018 aufgezeigt,
welche gravierenden Folgen eine globale Er-
wärmung von zwei Grad Celsius haben kann.
Wir müssen die Treibhausgase noch schneller
eindämmen als bisher.»
Was die Säulenheilige der CVP, alt Bundes-
rätin Doris Leuthard, auch anfasste, scheint un-
ter dem Druck Sommarugas jetzt zu zerfallen.


Spott im trauten Kreis


Das sieht CVP-Nationalrat Martin Candinas
(GR) anders und spricht von einer Überinter-
pretation. «Es ist nicht davon auszugehen,
dass Bundesrätin Leuthard das Gesetz über die
elektronischen Medien weiterverfolgt hätte.
Die CVP war ja auch nicht begeistert und hat
die Frage aufgeworfen, ob es das Gesetz wirk-
lich braucht.» Auch beim Klimaschutz habe
sie mit der Energiestrategie 2050 entscheiden-
de Arbeit geleistet. Parteichef Gerhard Pfister
wundert sich, wie einfach Bundesrätin Som-
maruga ihre Anliegen im Bundesrat durch-
bringt.
Leuthard selber hält sich mit Kritik an ihrer
Nachfolgerin in der Öffentlichkeit zurück.
Aber Vertrauten gegenüber lässt sie durch-
blicken, dass ihr die jüngsten Entscheide des
Bundesrates gegen den Strich gehen. «Dieser
Bundesrat», spöttelte sie im trauten Kreis und
erwähnte, dass das Seco schon 2007 das soge-
nannte Netto-null-Ziel beim CO 2 -Ausstoss er-
folglos zur Debatte gestellt habe. Es ist für die
erfolgsverwöhnte Alt-Bundesrätin nicht ein-
fach, tatenlos zuschauen zu müssen, wie ihre
Nachfolgerin sie vom Sockel stösst.
Der Sturz ist tief. Zur «Strahlefrau, Super-
frau, Helvetia» überhöhte sie die Aargauer Zei-
tung, als sie im September 2018 ihren lang er-
warteten Rücktritt bekanntgab. «Ja, Sie waren
toll, Frau Leuthard!», titelte der Blick. Die NZZ
schrieb von «einem grossen politischen Ta-
lent», das die Bühne verlasse.
Ohne Zweifel wusste Leuthard, wie man
Mehrheiten für die eigenen Vorlagen gewinnt.
16 von 18 Abstimmungen entschied sie für sich.


Selbst SVP-Verkehrspolitiker Ulrich Giezen-
danner, der mit ihr im Parlament nicht gerade
zimperlich umging, ist überzeugt, dass die
Abstimmung über die zweite Strassenröhre
am Gotthard ohne sie nicht zu gewinnen ge-
wesen wäre.
Leuthard wusste sich stets in Szene zu set-
zen, alles war immer auf den perfekten Auf-
tritt getrimmt. Zur Eröffnung des Gotthard-
Basistunnels trug sie einen Mantel mit
Löchern, geschneidert von Akris. Doch vieles
war eben auch nur Schein, wie der superteure
Tesla, den sie als Umweltministerin demons-
trativ vorführte. Sie spare Tonnen an CO 2 ,
pflegte Bundesrätin Leuthard sich zu rühmen,
wenn Kritiker sie auf ihr Dienstfahrzeug an-
sprachen. Sie schwieg sich aber stets darüber
aus, dass die Produktion des Tesla und vor
allem seiner Batterie sehr wohl zu Treibhaus-
gasen und Umweltbelastungen führt.
Das Denkmal Leuthard bröckelte schon in
ihrem letzten Amtsjahr. Im Frühjahr 2018
wurde aktenkundig, dass Postauto Schweiz
205 Millionen Franken Subventionen ertro-
gen hatte. Die Post gehört wie die SBB und die
Swisscom zum Einfluss- und Macht bereich

des Uvek. Den Skandal deckte zwar Leuthards
Bundesamt für Verkehr (BAV) auf. Das Amt
musste sich jedoch in einem Audit vorwerfen
lassen, jahrelang nichts bemerkt zu haben.
Bei den SBB macht es den Eindruck, als hät-
ten sich während der Ära Leuthard Probleme
angestaut, die sich jetzt unter neuer Führung
des Uvek Bahn brechen. Jahrelang schaute
Leuthard zu, wie sich das Verhältnis zwischen
SBB-Chef Andreas Meyer und ihrem Direktor
des BAV, Peter Füglistaler, verschlechterte. Sie
hielt sich aus dem Streit heraus. Aus der Presse
will sie erfahren haben, dass ihr BAV der BLS
Konzessionen für zwei Fernverkehrslinien
übertragen wollte, was die SBB bis vor Gericht
bekämpften. Dann kam Sommaruga, gab den
Tarif durch, und plötzlich kam ein Kompro-
miss zustande. Die Konzessionen bleiben zwar
bei den SBB, die BLS darf aber neu drei Regi o-
Express-Linien betreiben.

Ihr eigentliches Vermächtnis
Bei der Verlagerungspolitik fand Sommaruga
sogar unbeackertes Terrain vor. Bei ihrem
spektakulären Auftritt am Gotthard liess Leut-
hard sich zwar ausgiebig feiern, aber für die
Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schie-
ne – deswegen hat man den neuen Eisenbahn-
tunnel eigentlich gebaut – tat sie wenig. «Leut-
hard hat sich für die Verlagerung nicht sehr
interessiert», sagt jedenfalls Jon Pult, der Prä-
sident der Alpeninitiative.

Sommaruga war dagegen keine fünf Monate
im Amt, als sie bekanntgab, dass sie die Verla-
gerung mit einem Massnahmenpaket stärken
will. Dazu gehört, die Trassenpreise für Züge
zu senken und langen Güterzügen einen
Sonderrabatt zu gewähren. Der Aargauer
Fuhrhalter Ulrich Giezendanner ist froh, dass
endlich wieder etwas Bewegung ins Thema
kommt.
Sogar Leuthards eigentliches Vermächtnis,
der schrittweise Atomausstieg, wird zwei Jah-
re nach der Abstimmung im Parlament bereits
wieder hinterfragt. Anders als es die teils wol-
kigen Worte der früheren Energieministerin
während der Abstimmungskampagne zur
Energiestrategie 2050 vermuten liessen, könn-
te die Schweiz beim Strom schon bald mit
Versorgungsengpässen konfrontiert sein.

«Ernsthafte Probleme»
Eine von den Ständeräten beschlossene
Motion, der auch der Bundesrat und die neue
Uvek-Chefin zustimmten, stellt das Gelingen
der Energiewende in Frage. «Wir stehen vor
ernsthaften Problemen», sagt CVP-Ständerat
Beat Rieder, der diesen Vorstoss in der Energie-
kommission des Ständerates anregte. Das Pro-
blem: Wegen des Atomausstiegs ist die Schweiz
in Zukunft verstärkt auf Stromimporte ange-
wiesen. Die Exportfähigkeit der Nachbarlän-
der ist jedoch nicht mehr jederzeit gewährleis-
tet, da in diesen Ländern ein massiver Abbau
von gesicherter Kapazität aus Kohle- und
Kernenergie absehbar ist. Auf der anderen Sei-
te kommt der Ausbau von einheimischen er-
neuerbaren Energieträgern wie Sonne, Wind
oder Geothermie nicht vom Fleck.
Das sind keine guten Perspektiven. Kein
Wunder, macht bereits das Bonmot die Runde,
das D stehe für Doris und Desaster. g

Das Denkmal Leuthard
bröckelte schon in ihrem
letzten Amtsjahr.
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