Die Weltwoche - 05.09.2019

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26 Weltwoche Nr. 36.19
Illustration: Thilo Rothacker


Manchmal macht das Politikerleben richtig
Freude. Dann nämlich, wenn man Geld ver­
teilen und sich in der Öffentlichkeit als guter
Mensch inszenieren kann. Nächste Woche
wird das wieder der Fall sein, wenn der Natio­
nalrat über die Einführung eines bezahlten
Vaterschaftsurlaubs diskutiert. Vor wenigen
Jahren noch als unnötiger Luxus angesehen,
ist die Familienzeit für Väter mittlerweile zur
sozialpolitischen Priorität avanciert. Auf der
Wunschliste stehen vier Wochen bezahlter Ur­
laub, den die Gewerkschaften mit einer Volks­
initiative fordern, und zwei Wochen, wie sie
der Ständerat beschlossen hat. Anderen geht
das viel zu wenig weit: Sie verlangen eine
eigentliche Elternzeit, wobei die besonders
Grosszügigen den Jungfamilien ein ganzes
Jahr bezahlte Auszeit gönnen wollen. Zwar
hält eine kleine bürgerliche Minderheit das
Fähnchen des Widerstands hoch und will gar
nicht erst auf die Urlaubs­Vorlage eintreten.
Doch es würde an ein Wunder grenzen, wenn
die Ratsmitglieder am Ende nicht mindestens
der zweiwöchigen Papi­Zeit zustimmen wür­


den – so viel zur «rechten Mehrheit» im Parla­
ment, die es laut linken Wahlslogans bei den
nächsten Wahlen zu brechen gelte.
Finanziert werden soll die neue soziale
Wohltat – die sich jeder frischgebackene Vater
auch selber leisten kann, indem er seine Ferien
bezieht – über die Erwerbsersatzordnung
(EO). Die Billigvariante mit zwei Wochen
schlägt mit rund 230 Millionen Franken jähr­
lich zu Buche, was bedeutet, dass jeder Berufs­
tätige ein bisschen weniger verdienen wird:
Laut Bundesrat muss der EO­Satz wegen des
Vaterschafts urlaubs von heute 0,45 auf 0,5
Lohnprozent erhöht werden. Das wird indes
nicht reichen, da erstens bereits weitere Aus­
bauschritte auf gegleist sind, für welche die EO
angezapft werden soll, und da es zweitens naiv
wäre, zu glauben, dass die zwei Wochen Vater­
schaftsurlaub für Ruhe sorgen würden. Ein
mehrmonatiger, von der Allgemeinheit be­
zahlter Urlaub scheint das Mindeste zu sein,
was moderne Jungeltern heute erwarten;
Pläne für eine entsprechende Volks initiative
werden denn auch schon gewälzt.

Wäre der Vaterschaftsurlaub nur eine zeitgeis­
tige Einzelerscheinung, könnte man darüber
hinwegsehen. Das ist er aber nicht, sondern er
ist vielmehr Sinnbild der Frivolität, die in der
Sozialpolitik mittlerweile herrscht. Würde

man die berühmte schwäbische Hausfrau zum
Schweizer Sozialsystem befragen, bekäme man
zu hören, dass man nicht über seine Verhältnis­
se leben kann. Und vor nicht allzu langer Zeit
hätte die Schweizer Hausfrau noch dasselbe
gesagt. Doch die politische Stimmung geht in
die andere Richtung: Im Sozialbereich stellt die
Schweiz immer mehr Rechnungen aus, die
irgendwer irgendwann bezahlen muss.

Kein Volk von Schwerarbeitern
Das zeigt sich drastisch bei der Altersvorsorge.
Ohne zu dramatisieren: Die Finanzperspektiven

Spätestens in zwanzig Jahren ist
die Rentenkasse leer, so die neusten
Projek tionen des Bundes.

Sozialpolitische Frivolitäten


In der Sozialpolitik geht es heute in erster Linie darum, Geld zu verteilen.


Und das Falsche zu tun: Statt die Renten zu sichern, schickt man Jungväter in den Urlaub.


Von Katharina Fontana


Schmelzende Eisschollen.

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