Weltwoche Nr. 36.19
der AHV sind schlicht zum Davonlaufen. Weil
die Leute immer älter werden, aber nicht länger
arbeiten, steigen die Ausgaben kontinuierlich
an. Die Pensionierungswelle der Babyboomer
in den nächsten Jahren wird die Lage noch
verschärfen. Das Rezept der Politiker, um dem
Totalabsturz der AHV entgegenzuwirken, ist
simpel: mehr Lohnbeiträge, mehr Bundessub
ventionen, höhere Mehrwertsteuer – schlicht:
mehr Einnahmen. Die Einsparungen nehmen
sich demgegenüber bescheiden aus. Zwar will
der Bundesrat das Rentenalter der Frauen von
64 auf 65 Jahre erhöhen, was bei der Linken für
rituelle Empörung sorgt, er will die dadurch er
zielten Entlastungen aber zu einem Gutteil
gleich wieder für soziale Abfederungen aus
geben – als wäre es irgendwie unanständig, bei
der AHV Geld einzusparen. Die vor wenigen
Tagen präsentierte AHVReform ändert zudem
nichts daran, dass dem AHVFonds das Geld
ausgehen wird: Spätestens in zwanzig Jahren
ist die Rentenkasse leer, so die neusten Projek
tionen des Bundes.
Nun kann man darauf hoffen, dass sich
irgendwo auf wundersame Weise eine un
erschöpfliche Geldquelle auftut, mit der alle
Probleme gelöst wären. Oder man kann realis
tisch sein und endlich das Rentenalter erhö
hen, was zwar nicht angenehm, aber auch
nicht unmenschlich wäre: Die Schweizer sind
kein Volk von Schwerarbeitern, die mit 65 Jah
ren am Ende ihrer Kräfte angelangt sind und
erschöpft in den Liegestuhl sinken; ein biss
chen Mehrarbeit liegt drin. Doch vor einer ge
nerellen Anhebung des Rentenalters schre
cken die Politiker von links bis rechts zurück,
selbst wenn etliche europäische Länder, an de
nen man sich sonst gerne orientiert, diesen
Schritt bereits voll zogen haben. Nicht einmal
der Bundesrat bringt den Mut auf, die Be
völkerung auf die notwendige Anpassung ein
zustimmen, im Gegenteil: Die Landesregie
rung sorgt mit ihrer Idee einer neuen, vom
Bund finanzierten «Überbrückungsrente» für
ältere Arbeitslose dafür, dass Sechzigjährige
auf dem Arbeitsmarkt nun sozusagen offiziell
als hoffnungs lose Fälle gelten.
Parallel zur AHV sieht es auch bei der beruf
lichen Vorsorge düster aus. Wer jeweils seinen
Pensionskassenausweis Anfang Jahr anschaut,
dem wird es blümerant: Trotz höherem Spar
kapital wird die prognostizierte Rente aus der
zweiten Säule immer geringer. Die Umwand
lungssätze sinken stetig, und ein erheblicher
Teil der Kapitalrendite muss für die Pensio
nierten aufgewendet werden; schätzungswei
se sieben Milliarden Franken jährlich fliessen
von den Jungen zu den Alten. Echte struktu
relle Reformen sind nicht in Sicht, vielmehr
will man den Berufstätigen auch hier noch
mehr finanzielle Solidarität abverlangen: Sie
sollen einen Zusatzbeitrag von 0,5 Prozent
ihres Lohnes abliefern, der den Pensionierten
zugutekommt, so der Vorschlag der Sozial
partner. Das ist schön für jene Jahrgänge, die
bald in den Ruhestand treten, doch ob ein
Zwanzigjähriger dereinst selber noch auf eine
Rente zählen kann, die diesen Namen ver
dient, ist eine andere Frage.
Nicht ganz so schlimm sieht es heute bei der
Invalidenversicherung aus, die lange das Sor
genkind unter den Sozialwerken war. Dies,
weil man den Zugang zu einer Rente deutlich
erschwert und zudem mehrere Milliarden
Franken in die marode IV gesteckt hat. Doch
bereits 2018 hat die IV – entgegen früheren
Projektionen des Bundesamtes für Sozialversi
cherungen – wieder ein Defizit geschrieben,
der Schuldenabbau geht lange nicht so schnell
voran wie angekündigt, zudem hat das Bun
desgericht die Schleusen bei der IVPraxis in
letzter Zeit wieder etwas geöffnet. Das nach
wie vor hochverschuldete Sozialwerk ist also
noch lange nicht aus dem Schneider. Im Ge
sundheitsbereich liegt ebenfalls vieles im Ar
gen. Die Ausgaben kennen nur eine Richtung:
nach oben. Mehr als ein Viertel der Bevölke
rung erhält heute Prämienverbilligung, was
Milliarden kostet. Und für das viele Geld, das
man als Versicherter zahlt, will man dann auch
wenigstens etwas bekommen – im Minimum
ein paar Stunden Physiotherapie pro Jahr
müssen es schon sein. Ein paar einsame Rufer
fordern eine Abkehr vom Bisherigen, etwa
eine obligatorische Ver sicherung allein für
Hochrisiken. Doch die Politik traut sich nicht
und schraubt lieber an den zahlreichen Räd
chen herum, die im Gesundheitssystem dre
hen. An der Kostenspirale wird das kaum et
was ändern.
Es fehlen die Eisbärenbabys
Das unseriöse Politisieren im Sozialbereich
wird dadurch erleichtert, dass die Probleme
nicht wirklich sichtbar sind – noch nicht. Beim
Stichwort Sozialversicherungen hört die jün
gere Generation gerne weg, der Begriff löst
keine intensiven Gefühle aus, das Alter ist
noch in weiter Ferne, und anders als beim
Klimastreik, wo die Jungen ebenfalls «ein
Recht auf Zukunft» verlangen und für sie die
Zeit «auf fünf vor zwölf» steht, kann man das
Thema nicht mit Eisbärenbabys auf schmel
zenden Eisschollen bebildern. Obschon die
jüngere Generation immer mehr Lasten,
immer mehr zusätzliche Steuern und Lohn
beiträge zahlen muss – und in Zeiten von
Negativzinsen auch nicht Vermögen ansparen
kann –, gibt es von ihr keinen wahrnehmbaren
Protest. Anders als die Klimaschüler neigen
junge Berufstätige nicht dazu, die Arbeit
niederzulegen und für ihre Anliegen auf die
Strasse zu gehen. Dabei hätten sie allen Grund.
Denn läuft es weiter wie bisher, riskieren sie,
im Alter in prekären Verhältnissen zu leben.
Da wird es für sie dann auch nur ein sehr
schwacher Trost sein, dass sie in jungen Jahren
eine bezahlte PapiZeit hatten. g
Eröffnung
28.11.201928.11.201928.11.201928.11.201928.11.2019
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