Die Weltwoche - 05.09.2019

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Thomas Kessler ist Agronom
und forscht seit 1977 über Hanf.
Er war Drogendelegierter des Kantons
Basel-Stadt sowie Mitglied der
Eidgenössischen Kommission
für Drogenfragen. Kessler kandidiert
als Freisinniger für den Nationalrat.

Weltwoche Nr. 36.19
Bilder: Urs Jaudas (Tamedia), Gaetan Bally (Keystone); Bild Psychologie: Salvatore Di Nolfi (Keystone)

H


ier stand kürzlich ein Artikel von
Altmeister Ambros Uchtenhagen zur
Suche nach einer stimmigen Hanfpolitik
(Weltwoche Nr. 32/19). Im Fazit empfiehlt Uch­
tenhagen das «seit Jahren entwickelte Regu­
lierungsmodell» und schliesst mit dem Satz:
«Eine formelle Legalisierung ist hingegen
nicht zu befürworten.» Da das von uns in der
Eidgenössischen Kommission für Drogen ­
fragen erarbeitete Regulierungsmodell juris­
tisch gesehen eine Form der Legalisierung
ist, bedarf es einiger Präzisierungen.
Mit 200 000 regelmässigen und noch
mehr Gelegenheitskonsumenten sind wir
ein Hochkonsumland. Das Marktvolumen
wird vom Bundesamt für Polizei auf 500
Millionen Franken geschätzt. Der 2017 ver­
storbene Chef der Neuenburger Kriminal­
polizei und Drogenmarktexperte Olivier
Guéniat berechnete es hingegen auf 1200
Millionen. 24 Stunden pro Tag liefert der
Schwarzmarkt alles – ohne Jugendschutz.
Etwa die Hälfte wird im Inland in Indoor­
Anlagen mit viel Stromeinsatz produziert,
die andere Hälfte wird importiert, etwa aus
niederländischen Treibhäusern. Das einst
bei den Hippies beliebte Haschisch (Hanf­
harz) ist weitgehend durch hochpotentes
europäisches Marihuana (weibliche Blüten­
stände) verdrängt worden. Bis in die 1970er
Jahre konnte man in Landapotheken noch
Haschisch als Hühneraugenmittel finden
und in Graubünden Hanffelder für die Her­
stellung von Fasern. Die vollständige
Prohibi tion kennen wir seit 1975.

Es fehlt das Schuldbewusstsein
Seither füllen jährlich Zehntausende von
«Betäubungsmitteldelikten» die Statistik,
meistens wegen Konsum
und Besitz von Hanf. Der
unterschiedliche Vollzug in
den Kantonen, die diversen
Bundesgerichtsurteile
dazu und die Schwan­

kungen der Politik zwischen liberalen und re­
pressiven Phasen machen die Hanfpolitik seit­
her zur Tragödie. Alleine die Repressionskosten
betragen 200 Millionen Franken Steuergelder
jährlich. Da Selbstschädigung in unserer
Rechtsordnung ansonsten nicht bestraft wird
und Hanf sowohl aus Sicht der Konsumenten
wie auch der Medizin in seiner Gefährlichkeit
wie Alkohol und Tabak eingestuft wird, fehlt
allen Akteuren das Schuldbewusstsein.
Durch die Launen der Politik und Vollzugs­
änderungen in den letzten Jahrzehnten verfü­
gen wir über einen enormen Erfahrungsschatz
zur Frage, was funktionieren könnte und was
nichts bringt. Zu Letzterem gehört primär die
repressive Politik. Sowohl in Europa wie in der
Schweiz ist die harte Gangart nicht mit weniger,
sondern stets mit mehr Konsum gekoppelt.
Positive Effekte der Repression sind nicht be­
kannt, hingegen boomt der Schwarzmarkt. Im
lange Zeit als Vorbild gelobten repressiven
Schweden hat die Polizei inzwischen die Kont­
rolle über die brutalen Drogenbanden verloren.
Die vollständige Freigabe ohne formelle Re­
gulierung funktioniert auch nicht. Nach einem
Bundesgerichtsentscheid zur relativen Gefähr­
lichkeit des Hanfs wurde die Repres sion gegen
den Handel ab 2000 zwei Jahre lang ausgesetzt.
Quasi über Nacht hatten die angeblich am «amo­
tivationalen Syndrom» leidenden Hanffreunde
die Schweiz in einen Hanfbauernhof verwan­
delt, das Importland wurde zum Exporteur,
Basel hatte mehr Hanf äden als Bäckereien. Die
fehlende Marktkontrolle und der fehlende
Jugendschutz liessen das Experiment scheitern.
Global gibt es inzwischen viele Formen der
Tolerierung oder Legalisierung. Oft wird Colo­
rado zitiert, wo eine eigentliche Hanfindustrie
alle erdenklichen Produkte anbietet, inklu­
sive berauschender Kekse. Diese exzessive
Kommerzialisierung kann für die Schweiz
ebenso wenig die Lösung sein wie die
dumpfe Repression.
Wie sieht nun eine helvetische Lösung
aus? Die Basler Freisinnigen fordern

seit den 1980er Jahren eine differenzierte
Legalisierung in Anlehnung an die Regu­
lierung von Tabak und Spirituosen. Tabak,
weil Hanf hauptsächlich geraucht wird,
Spirituosen, weil die Potenz des Hanfs ähn­
lich gesundheitsgefährdend ist. Dank klu­
ger Steuerung liegt der durchschnittliche
Alkoholkonsum in der Schweiz heute auf
dem tiefsten Level seit 1945. Es ist ein Hanf­
gesetz zu schaffen, das Produktion, Handel
und Verkauf von ausschliesslich Hanfkraut
an Lizenzen bindet; der Bundesrat kann
dabei auch Landwirtschafts­ und regional­
politische Aspekte zugunsten der Berg­
regionen berücksichtigen. Die Produkte
werden der üblichen Qualitätskontrolle
unterliegen und dürfen nur in speziellen
Shops verkauft werden – mit Alterskont­
rolle, Aufklärungspflicht, Mengenbe­
schränkung und Verkauf nur an Personen
mit Wohnsitz in der Schweiz. Werbung ist
verboten. Analog zu Tabak und Alkohol
wird an Mehrwertsteuer und Abgaben an
die AHV und Suchtprävention bis zur Hälf­
te des Umsatzes anfallen, jährlich 250 bis
600 Millionen. Wie bei Alkoholika wird der
Steuersatz an die Potenz gebunden, also an
den Gehalt von THC. Gekoppelt wird diese
Regulierung mit hohen Strafen für die
Weitergabe von Hanf an Minderjährige.

Mehr Rationalität ist gefragt
Der Nationalrat hat dies im Herbst 2018 mit
55 zu 45 Prozent der Stimmen abgelehnt.
Nationalrätin Maya Graf (Grüne, BL) hatte
in einer parlamentarischen Initiative dieses
Modell vorgeschlagen. Absurderweise argu­
mentierte die vorberatende Kommission,
eine differenzierte Regulierung mit einem
Hanfgesetz gehe nicht, weil «Hanf nicht
harmlos sei». Dass die wirk same Steuerung
gerade deshalb nötig ist, hat die Mehrheit
des Parlaments noch nicht verstanden.
Höchste Zeit, dass wieder mehr Rationalität
möglich wird und die leidige Prohibition ins
Geschichtsbuch entsorgt werden kann.

Einspruch


Schluss mit der Prohibition


Die Repressionspolitik ist gescheitert.
Ein stimmiges Modell zur Legalisierung von Hanf liegt vor.
Es orientiert sich an der Regulierung von Tabak und Alkohol
und stärkt den Jugendschutz. Von Thomas Kessler
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