Die Weltwoche - 05.09.2019

(ff) #1
Im Gesundheitswesen ist mit der vom Bundes­
rat vorgeschlagenen Revision der Spielregeln
für Psychotherapie eine gewaltige Änderung in
Nachfrage und Angebot zu erwarten, aber in
der Öffentlichkeit ist das Thema unter dem Ra­
dar geblieben. Dabei sind enorme Wirkungen
auf Qualität und Quantität möglich. Am 26. Ju­
ni hat Bundesrat Alain Berset den Vernehmlas­
sungsentwurf präsentiert, der einen System­
wechsel vorsieht vom Delegationsmodell zum
Anordnungsmodell. Begründet wird dies unter
anderem mit Versorgungslücken.
Bisher galt die Vorgabe, dass Psychologen nur
dann Psychotherapie durchführen und der ob­
ligatorischen Krankenversicherung belasten
dürfen, wenn sie dies in Delegation unter Auf­
sicht und in den Räumen eines Arztes oder Psy­
chiaters tun. Hintergrund der Regelung ist der
Umstand, dass Psychiater eine medizinische
und Psychologen eine geisteswissenschaftliche
Ausbildung haben. Der Systemwechsel soll den
Psychologen die Tür öffnen zur Krankenversi­
cherung. Das Anordnungsmodell sieht vor,
dass psychologische Psychotherapeuten ihre
Leistungen selbständig abrechnen können,
wenn diese durch Ärzte angeordnet werden.
Es ist eine Ausweitung des Angebots zu er­
warten, wenn die bisherigen Kontrollen weg­
fallen. Über 5000 Therapeuten mit nichtärztli­
cher Ausbildung erhielten neu Zugang zur
Versicherung. Erstaunlich ist deshalb, dass sich
wenig Widerstand dagegen regt, zumal stei­
gende Gesundheitsausgaben zu gewärtigen

sind. Der Bundesrat rechnet mit 100 Millionen
Franken pro Jahr. Spezialisten der Branche
kommen etwa auf den doppelten oder drei­
fachen Betrag. Die Psychologinnen und Psycho­
logen begrüssen den Vernehmlassungsvor­
schlag, da er ihren jahrelangen Bemühungen
um einen Zugang zum Versicherungssystem
entgegenkommt. Sie zählen zu den Gewinnern
der geplanten Regeländerung.
Im Lager der Psychiater ist die Lage kompli­
zierter und angespannter. Diese würden mit
dem Systemwechsel erheblich an Kontrollmög­
lichkeiten verlieren und müssten mit Tarif­
einbussen rechnen. In der Schweizerischen Ge­
sellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie

(SGPP) gibt es Meinungsdifferenzen zwischen
Mitgliedern, die Widerstand gegen den System­
wechsel fordern, und dem Vorstand, der aus
ihrer Sicht zu nachgiebig sei gegenüber dem
bundesrätlichen Kurs. Kritisiert wurde in die­
sem Sinn auch SGPP­Tarifchef Alexander Zim­
mer, der in Partnerschaft mit Yvik Adler, Co­
Präsidentin der Psychologie­Föderation, lebt.
Pierre Vallon, SGPP­Präsident, hat kürzlich
in einer Publikation der Krankenkasse Swica
ablehnend Stellung bezogen zum Vorschlag,
dabei aber lediglich gewarnt vor dem bundes­
rätlichen Ansatz und Änderungen gefordert.
Auf Anfrage bestätigte nun Vallon, man sei im
Vorstand der Meinung, dass sich das Delegati­
onsmodell nicht mehr halten lasse und man zu
einem Anordnungsmodell übergehen müsse.
Seit mehreren Jahren arbeite man deshalb an ei­
ner entsprechenden Lösung, aber der Bundes­
ratsvorschlag sei nicht annehmbar. Am Diens­
tag hat die SGPP zudem eine Mitte August
abgeschlossene Umfrage unter den Mitglie­
dern veröffentlicht. Demnach fanden fast zwei
Drittel der Antwortenden, dass das vorgeschla­
gene Anordnungsmodell schlecht sei. 75 Pro­
zent verträten die Position, dass nur Fachärzte
für Psychiatrie und Psychotherapie, Kinderpsy­
chiatrie und ­psychotherapie sowie Ärzte mit
Fähigkeitsausweis Psychosomatische und
Psychosoziale Medizin eine Psychotherapie an­
ordnen können. Auf dieser Grundlage will die
Organisation nun die Vernehmlassungsforde­
rungen formulieren. g

Unter dem Radar


In der Psychotherapie sollen die Psychologen neu Zugang zu den Krankenkassen erhalten.
Der Widerstand gegen die Kostenausweitung ist gering.
Von Beat Gygi

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