Die Weltwoche - 05.09.2019

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38 Weltwoche Nr. 36.19
Bilder: Thomas Koehler (Photothek, Getty Images), Carsten Koall (Getty Images)


Vielleicht ist es ganz gut, dass sich die deut-
schen Mainstream-Medien kaum für die
Schweiz interessieren. Denn wenn sie etwas
genauer hinsehen würden, kämen sie viel-
leicht zu dem Trugschluss, dass irgendwo im
Südwesten ihres Landes ein Schurkenstaat
mit rechtsextremen Tendenzen liege.
Die Eidgenossenschaft bekennt sich schliess-
lich zu denselben Prinzipien wie die Alter na-
tive für Deutschland (AfD) – direkte Demokra-
tie, Souveränität, Föderalismus, Subsidiarität.
Und die AfD wird von Politik und Medien re-
flexhaft als rechtsextrem diskreditiert. Warum
also nicht auch die Schweiz?
Doch dieses Parteiprogramm kennt die poli-
tische und mediale Öffentlichkeit in Deutsch-
land genauso wenig, wie sie die Schweiz kennt.
Es ist viel einfacher, die AfD pauschal zu dif-
famieren. Dass sie ein Hort von unverbesser-
lichen alten und radikalen neuen Nazis ist,
dass sie nicht auf dem Boden der freiheitlich
demokratischen Grundordnung steht, dass sie
menschenverachtend, rassistisch und frem-
denfeindlich ist, gilt bei Politikern und Mei-
nungsmachern in Deutschland mittlerweile
als so selbstverständlich, dass jeder, der dieses
Narrativ anzweifelt, selber in einen braunen
Ruch gerät.


«Schämen die sich gar nicht?»


«Spiel nicht mit den Schmuddelkindern»,
sang einst der linke Liedermacher Franz Josef


Degenhardt, denn ihre Gedanken, ihre Manie-
ren, selbst ihr Gestank würden abfärben. Doch
bei den jüngsten Wahlen in den Bundes-
ländern Sachsen und Brandenburg gab jeder
vierte Wähler den Schmuddelkindern seine
Stimme. Die Diffamierung stösst an ihre
Grenzen. Und die Empörung richtet sich nun
gegen die Wähler: «Schämen die sich gar
nicht?»
Nein, das tun sie nicht. Denn diese Wähler
sind ebenso wenig rechts radikal, wie es die AfD
ist. Sicher sehen sie in ihr eine Möglichkeit, den
eta blierten Parteien den Stinkefinger zu zeigen.
Aber sie erkennen in der «Alterna-
tive» eben auch eine bürgerliche
Partei, wie es die Unionsparteien ein-
mal waren, bevor sie unter Angela
Merkels Führung immer mehr in
linkes Fahrwasser abdrifteten.
Die AfD ist Fleisch vom Fleische
der CDU. Niemand verkörpert das
besser als Parteichef Alexander
Gauland, bekennender Konserva-
tiver und überzeugter Christdemo-
krat sein Leben lang – bis er sich von der eige-
nen Partei verlassen, ja verraten fühlte. Wie
ihm erging und ergeht es vielen in Deutsch-
land. Für sie ist die AfD die neue bürgerliche
Mitte, die neue CDU/CSU. Und sie erfüllt auch
deren frühere Aufgabe: Rechts von der AfD
darf es keine rechte Partei geben. Sie bindet
und neutralisiert den rechten Rand.

Natürlich zieht die AfD auch rechte Spinner
an, so wie die meisten anderen Parteien auch.
Auch die Grünen haben – in Übereinstim-
mung mit allem, was in der Natur grünt und
blüht – braune Wurzeln. Die AfD und die
frühen Grünen verbindet freilich auch ande-
res: das Basisdemokratische, das sich in chaoti-
schen Parteitagen niederschlägt. Die erbitter-
ten Flügelkämpfe zwischen Fundamentalisten
und Realos. Nicht von ungefähr bezeichnete
Gauland seine Partei einst als «gärigen Hau-
fen». Der Prozess der Gärung ist oft widerlich
anzusehen, aber an seinem Ende steht ein prä-
sentables Ergebnis.
Es stimmt schon, dass die AfD
rechts von der Mitte steht. Aber was
ist daran verwerflich? Das war die
Union, das war die FDP auch. Nicht
die «Alternative» ist nach rechts ge-
rückt, vielmehr sind die Polit-
parameter nach links verschoben
worden. Wer wissen will, wo und
wofür die AfD steht, darf nicht
vereinzelte Wahlkampfreden ver-
sprengter Mitglieder analysieren, sondern
sollte ihr Parteiprogramm konsultieren. Und
das ist vernünftig, modern und pragmatisch


  • fast schweizerisch.
    Tatsächlich nimmt sich die AfD die Eid-
    genossenschaft in vielen Punkten zum Vor-
    bild. Allein die Präambel des Programms mu-
    tet leicht rütlihaft an: «Wir sind freie Bürger
    unseres Landes.» Die AfD will Volksabstim-
    mungen, sie will die Rechte von Gemeinden
    und Bundesländern stärken, sie ist für staat-
    liche Souveränität, für Föderalismus und für
    einen schlanken Staat, der dem Bürger dient.
    Die Partei bekennt sich zur Weltoffenheit, be-
    kräftigt aber zugleich, dass wir «Deutsche sein
    und bleiben» wollten.
    Viele Forderungen sind eigentlich Selbst-
    verständlichkeiten in einer Demokratie: etwa
    die Trennung von Amt und Mandat. Kanzler,
    Minister und parlamentarische Staatssekre-
    täre müssen ihre Abgeordnetenmandate auf-
    geben, wenn man die Trennung von Exekutive
    und Legislative ernst nimmt.


Politisches Kartell
Andere Vorschläge zielen darauf ab, das
Machtmonopol zu brechen, das sich die etab-
lierten Parteien gezimmert haben – von ihrer
Alimentierung durch den Steuerzahler bis hin
zur parteiisch gefärbten Besetzung von Posten
in der Justiz und in den öffentlich-rechtlichen

Wie rechts ist die AfD?


Die Alternative für Deutschland ist, was einst die CDU/CSU war: bürgerlich und rechts der Mitte.


Die Diffamierungskampagne zeugt von der Panik des alten Parteienkartells.


Von Wolfgang Koydl


Abgedriftet: Merkel.

Zwischentöne und Zungenschläge: Spitzenkandidat Kalbitz (l.), Parteichef Gauland.

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