Die Weltwoche - 05.09.2019

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Weltwoche Nr. 36.19 41


kunft haben, wenn sie nicht jeden einzel­
nen Zweig entfernen, haben wir schon
fast gewonnen.
Technisch gesehen, wie zieht man den un­
terirdischen Wald an die Oberfläche?
Es ist alles sehr einfach. Es geht um das
Zurückschneiden und Ausdünnen von
überschüssigen Stämmen und Zweigen.

Wenn der Baumstumpf nachwächst, kön­
nen 30 bis 50 Triebe miteinander konkur­
rieren. Wir reduzieren diesen Wettbewerb
um Licht, Raum, Wasser und Nährstoffe,
indem wir die stärksten und höchsten aus­
wählen und den Überschuss entfernen.
Wir nennen diese Technik «Farmer Mana­
ged Natural Regeneration», kurz FMNR.
Setzen wir die Technik gezielt ein, wach­
sen selbst in trockenen Gebieten die
Bäume sehr schnell in die Höhe.
Dafür brauchen Sie nicht mehr als ein
Messer?
Richtig. Als mein Vater starb, vererbte er
mir einen Werkzeugkasten. Darin gab es
ein altes Teppichmesser, damit reise ich
seither um die Welt. Ich führe bewusst kei­
ne Gartenschere und ähnliche, teure Werk­
zeuge mit mir. Sie könnten abschreckend
wirken. Ich sage den Bauern: «Du hast be­
reits alles, was du für eine blühende Zu­
kunft brauchst.» Das einfache Vorgehen
ist ein wesentlicher Teil des Erfolgsge­
heimnisses der FMNR.
Sie retten also Leben mit einem Messer.
Haben Sie eine Ahnung, wie viel Fläche
Sie so bereits begrünt haben?
Aufgrund von Satellitenaufnahmen wissen
wir, dass sich der Waldbestand im Niger al­
lein auf 5 Millionen Hektar ausgebreitet
hat. In acht Ländern Westafrikas wachsen
etwa 15 Millionen Hektar neuer Wald. Die
genaue Fläche ist schwer zu eruieren. Durch
World Vision International [eine der welt­
weit grössten Entwicklungshilfeorgani­
sationen und die grösste christliche NGO,
die Red.] konnte ich diese Technik in 25
Ländern der Welt einsetzen. Ich vermute,
dass seit Beginn meiner Initia tive rund eine
Million Hektar neuer Wald gewachsen ist.
Ich möchte festhalten, dass es sich bei dieser
Methode nicht um meine Erfindung
handelt. Es ist eine alte Praxis. Ich habe sie
bloss wiederbelebt und popularisiert.
Selbst im Niger gab es Gemeinschaften, mit
welchen ich nie Kontakt hatte, die selbst
diese Art der Aufforstung entdeckt hatten
und praktizierten.
Als Sie im Niger zum ersten Mal für diese
Methode warben, nannten Sie einige Bau­

ern «Crazy Tony». Wie sieht es heute aus, ist
die Skepsis gewichen?
Ich denke, die «Crazy Tony»­Reaktion ist
grösstenteils vorbei. Aber wenn du darüber
nachdenkst, so muss mein Vorschlag wie eine
wirklich dumme Idee rübergekommen sein.
Von Menschen, die Hunger litten und über­
zeugt waren, dass sie jeden Fleck Land für den
Anbau von Nahrungsmitteln brauchten,
kann man nicht erwarten, dass sie auf die letz­
ten vorhandenen Zweiglein verzichten.
Glücklicherweise konnte ich im Kleinen ein
Beispiel geben. In kurzer Zeit erkannten die
Bauern, dass sich ihre Ernteerträge aufgrund
des verbesserten Mikroklimas und der Boden­
fruchtbarkeit verdoppelten. Sie hatten jetzt
Brenn material, und ihre Frauen mussten
nicht mehr viele Kilometer zu Fuss auf Holz­
suche gehen. Vögel verteilten die Baumsamen
durch die Luft, das Vieh tat es durch seinen
Mist. Bauern begannen Früchte und Nüsse zu
produzieren. Andere konnten Bienen züch­
ten und sorgten so für zusätzliches Einkom­
men. Entscheidend war, dass wir die Wende in
einem der trockensten Länder schafften.
Wenn es im Niger gelang, Wälder aufzu­
forsten – würde das überall möglich sein?
Fast, ja. Wenn du dein Verhalten änderst,
wird sich die Natur selbst heilen.
Zurzeit wüten Brände im Amazonas. Überall
hört man Warnungen, Waldrodungen rund
um den Globus würden irreversible Schäden
verursachen. Wenn ich Sie richtig verstehe,
kann jedoch der zerstörte Wald durch Ihre
Technik wiederaufgeforstet werden?
Auf jeden Fall. Meine Faustregel lautet: Wo
es einmal einen Wald gab, kann ein Wald zu­
rückkehren.
Also ist kein Wald für immer verloren?
Das ist meine Erfahrung. Zu erreichen, dass
Menschen akzeptieren, ihr Verhalten zu än­
dern, kann an manchen Orten aufgrund der
sehr rauen Umgebung mehr Zeit in An­
spruch nehmen. Aber wenn es dort vorher
einen Wald gab, kann er wieder wachsen.
Afrikaner wandern in Massen nach Europa.
Experten warnen, aufgrund von Hunger
und Elend seien Millionen auf dem Sprung
in Richtung Norden. Wenn Ihre Methode
extensiv umgesetzt wird, könnte die Migra­
tion in Zukunft gebremst werden?
Definitiv, das ist meine Erfahrung. Warum
sollten Menschen ihr Leben mit einer langen
Flucht riskieren, wenn sie in ihrem eigenen
Land ein würdiges Leben führen können?

«Ich führe keine Gartenschere
mit mir. Sie könnte
abschreckend wirken.»

Inside Washington


Star Force!


US-Präsident Reagan forderte
einst Waffen für den Weltraum


  • nun sollen sie kommen.


L


iberale Peiniger verspotteten vor etwas
mehr als 35 Jahren den damaligen
US­Präsidenten Ronald Reagan. Er träumte
von einem hochentwickelten, amerikani­
schen Waffensystem im Weltraum. Dieses
könnte eine gegnerische Atomrakete im
Flug verdampfen, mit einem zerstöreri­
schen Partikelstrahl oder einem Plasma ­
Beam, der explodiert.
Senator Ted Kennedy zog den Ehrgeiz des
Hollywood­Schauspielers ins Lächerliche –
«eine undurchdachte ‹Star Wars›­Show».
Reagan war der Ben Kenobi seiner Zeit.
Und jetzt spulen wir schnell bis ins Jahr
2019 vor. Die US Defense Intelligence Agen­
cy warnt nun vor Russland und China:
«Beide Staaten verfügen über eine robus­
te... weltraumgestützte Überwachung und
Aufklärung. Sie entwickeln Störprogram­
me und Cyberspace­Fähigkeiten, zielsiche­
re Energiewaffen und bodengestützte Anti­
satellitenraketen.»
Unnötig zu sagen, dass Präsident Trump
jetzt mehr rote Fahnen leuchten sieht als ein
Mao­Zedong­Festival. Letzte Woche akti­
vierte er das US Space Command wieder.
Denn das US­Militär hinkt bereits gefähr­
lich weit den Chinesen hinterher, die 2015
ihre eigene Strategic Support Force für den
Kosmos gegründet haben. Das Weisse Haus
drängt den Kongress nun, schnell zu han­
deln. Vizepräsident Mike Pence meldet dem
Pentagon, dass der Präsident die neue US
Space Force in vier Monaten einsatzbereit
haben will. Die Begründung laut Pence:
«Was einst friedlich und unumstritten war,
ist heute feindselig und gefährlich.»
In der Tat. Über 1800 Satelliten von fünf­
zig Ländern und Unternehmen flitzen um
den angriffsanfälligen Planeten Erde. Die
Folgen könnten für alle katastrophal sein.
«Es reicht nicht, nur amerikanische Prä­
senz im Weltraum zu markieren», betont
Trump, «wir müssen amerikanische Domi­
nanz demonstrieren». Amy Holmes

Tony Rinaudo erhielt 2018 den Alternativen Nobelpreis
«für den praktischen Beweis, wie Trockengebiete in
grossem Umfang und mit minimalen Kosten begrünt
werden können, zur Verbesserung der Lebensgrundlage
von Millionen von Menschen». Rinaudo hat sich zum
Ziel gesetzt, bis 2030 weltweit eine Milliarde Hektar
Wald neu aufzuforsten. Er weilte diese Woche anlässlich
des Swiss Green Symposium in der Schweiz.
Das Interview im englischen Original:
http://www.weltwoche.ch/international
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