Die Weltwoche - 05.09.2019

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44 Weltwoche Nr. 36.19
Bild: Twitter


Es war einmal... Über Emmanuel Macrons
märchenhaften Aufstieg an die Macht gibt es
viele Bücher, die Hagiografien einer «Roman­
figur» und eines «Philosophen­ Präsidenten».
Historiker verklärten seinen Sieg zum Ende der
Revolution nach 200 Jahren. Eine «neue Welt»
hatte Macron den Franzosen verheissen.
Jetzt legt der Statistiker Eric Stemmelen, der
Programmchef des öffentlich­rechtlichen TV­
Senders France 2 war, eine Chronik von Macrons
Wahl vor und stellt fest: So viele Zufälle und
Wunder kann es nicht geben. Stemmelens The­
se: Die Medien haben das Drehbuch von Emma­
nuel Macrons Machtübernahme geschrieben –
im Auftrag ihrer Besitzer, der französischen
Mil liardäre. Er nennt sie eine Oligarchie.
Zehn branchenfremde Milliardäre beherr­
schen die französischen Medien. Ihnen ge hören
90 Prozent der landesweit vertriebenen Tages­
zeitungen. Ihre TV­ und Radiosender erreichen
Marktanteile von über 50 Prozent. Die schon
lange im Medienbereich aktiven Unternehmer
haben ihre Vermögen mit Staatsaufträgen er­
wirtschaftet: Die Bouygues­Gruppe, Eigen­
tümer von Europas grösstem Privatsender TF1,
baut Autobahnen. Der Groupe­Dassault­Besit­


zer des Figaro produziert Militärflugzeuge und
Waffen. Die Luxusgüterindustriellen und Tele­
kom­Unternehmer sind in der Pressekrise auf
Schnäppchenjagd gegangen. Xavier Niel – in
der Schweiz gehört ihm Salt – ist Miteigen­
tümer von Le Monde und L’Obs. Bernard Arnault
(LVMH) besitzt die Wirtschafts zeitung Les Echos


  • das Boulevardblatt Le Parisien hatte er gekauft,
    um Nicolas Sarkozy zu unterstützen.


Ein Studienfreund wird lanciert
Macron unterstützten alle. Er hatte die Elite­
schule ENA absolviert und bei Rothschild als
Banker gearbeitet. 2012 weibelte er für François
Hollande, der sagte: «Mein Feind ist die Hoch­
finanz.» Als Präsident machte dieser Macron
zum stellvertretenden Generalsekretär.


  1. Juli 2014: Macron verlässt das Elysée. Er
    will ein Start­up­Unternehmen gründen und
    im Herbst bei der London School of Economics
    als Professor anheuern. Er macht Ferien in
    Kalifornien.

  2. August: Alain Juppé gibt bekannt, dass er
    für die Präsidentschaftswahl von 2017 kan­
    didieren wird. In der Presse wird Edouard


Philippe als sein Premierminister gehandelt. In
Los Angeles sitzt an diesem gleichen Tag
Macron mit Xavier Niel und dessen Lebens­
gefährtin Delphine Arnault, der Tochter des
LVMH­Besitzers, zu Tisch. Es sei um die
Firmen gründung gegangen, werden später die
Zeitungen berichten.


  1. August: Le Point veröffentlicht ein Interview
    mit einem Unbekannten namens Emmanuel
    Macron, der seine wirtschaftspolitischen Vor­
    stellungen für Frankreich erläutert. Der Chef­
    redaktor ist ein Studienfreund.

  2. August: Zu seiner «eigenen Überraschung»
    wird Macron zum Wirtschafts­ und Finanz­
    minister ernannt. Er habe beim Velofahren
    einen Anruf bekommen. Ein Wunderkind,
    Schüler und Assistent des Philosophen Paul
    Ricœur wird gefeiert. Die Medien der Milliar­
    däre haben ihren Messias.

  3. August: Niels Le Monde veröffentlicht ein
    paar «ergänzende Informationen»: «Emmanu­
    el Macron ist mit der zwanzig Jahre älteren Bri­
    gitte Trogneux, die seine Französischlehrerin
    am Lycée Henri IV war, verheiratet.»
    Der Satz mit mehreren Fehlern wird zur
    Grundlage der Berichterstattung über das un­


Messias der Milliardäre


Schrieben die Medien der Milliardäre das Drehbuch von Macrons märchenhafter Wahl?


Wie einen Messias haben sie ihn hochgespielt. Die Chronik einer Kampagne aus Titelgeschichten,


Enthüllungen und Meinungsumfragen. Von Jürg Altwegg


Wundersame Zufälle: Tausendsassa Macron.


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