Die Weltwoche - 05.09.2019

(ff) #1
60 Weltwoche Nr. 36.19
Illustration: Jonathan Németh

K


atherine Newbury ist eine Fiktion, eine
doppelte, wenn man will. Einmal ist sie
die erfundene Late-Night-Show-Moderato-
rin im amerikanischen Film «Late Night»,
verkörpert von Emma Thompson, zum ande-
ren gibt es unter den vielen Late-Night-Talk-
mastern in der Realität keine Frau. Newbury
wurde vor diesem Hintergrund gewisser-
massen «quer», als Frau mit Manieren, die
man Männern zuordnet, angelegt: arrogant,
kaltschnäuzig, selbstbezogen. Wie ein er-
folgsverwöhnter Weltenrichter herrscht sie
über ihren Stab von Gag-Schreibern, deren
Namen sie nicht kennt und nicht kennen will.
Nummern sind sie für sie, und als Nummern
kann sie sie, frei von Kumpel- und anderen
Duseleien, hemmungsloser abkanzeln. New-
bury, straff, schlank, messerscharfer Kurz-
haarschnitt – ein Zuchtexemplar aus einem
Network-Haifischbecken.
Jahrelang war ihr Format «Tonight with
Katherine Newbury» von Erfolg gekrönt,
doch die Zeiten ändern sich, der Geschmack
auch, und die Quote sinkt. Auf einmal wirft
man ihr Frauenfeindlichkeit vor, weshalb sie
aus Imagegründen eine Frau in ihr Team ho-
len soll. Katherine ist empört, erteilt aber den
Befehl, ein weibliches Wesen in den Pool zu
holen. Zufällig ist es eines, das sich gerade
beworben hat: die unbedarfte Molly Patel

(Mindy Kaling). In einem Chemiewerk hat sie
mit Stand-ups die Kollegenschaft erfreut,
hält sich deshalb für geeignet und landet bei
der stahlharten wie marmorglatten Newbury.
Die hört ihr weder zu, noch will sie irgendwas
von ihr wissen. Sie dient nur dem Gruppen-
bild mit Dame. In den Büros der Gag-Sklaven
wird sie als Nummer 7 auf dem Papierkorb
platziert, hält sich aber nicht an die servilen
Umgangsregeln ihrer Chefin, widerspricht
zum Entsetzen der Runde, wird gedemütigt,
gefeuert und wieder eingestellt.
Nicht ohne Ironie ist die Konstellation zwi-
schen Emma Thompson als Katherine New-
bury und Mindy Kaling als Molly Patel: Ist
Newbury die fiktive Prinzipalin, ist Mindy
Kaling als Molly real. Kaling gehört zu den
Sitcom-Entdeckungen («The Office»), und hat
sich mit ihrem Drehbuch zu «Late Night» ihre
TV-Erfahrungen von der Seele geschrieben. Sie
ist nicht nur Quotenfrau, sondern auch Min-
derheitenalibi (Kaling hat indische Wurzeln)
in einer männlich dominierten Schlangengru-
be. Mit ihrem Einfall, eine Frau zum Late-
Night-Zampano zu machen, ist sie auf der
Höhe der Zeit. Denn Newburys Erfolge sind
ihren männlichen Umgangsformen geschul-
det, und auf einmal will man sie unverstellt,
als authentische Frau. Als sie entlassen und ge-
gen einen Mann (!) eingetauscht werden soll,

Kino


TV-Dampfkessel Emma Thompson


In «Late Night» spielt die britische Schauspielerin eine Talkmasterin
mit rabiat männlichem Furor. Eine Glanznummer.
Von Wolfram Knorr

nimmt sie mit Frauenpower den Kampf auf
und steckt gar einen «Skandal» weg.
Kraftnatur Newbury in einem ausgebufften
Medium und der weibliche Simplicissimus
Molly, die mehr Sponta neität und Ehrlichkeit
vor der Kamera fordert, geraten in einen Macht-
und-Habenichts-Clinch. «Late Night» schnurrt
als konventionelle Komödie ab, man weiss, wie
der Fight ausgeht. Aber der Weg dorthin ist ein
herrliches Minenfeld scharfzüngiger Dialoge
einer genüsslich aufspielenden Emma Thomp-
son, der man in jeder Szene ansieht – vor allem
wenn sie mit ihren Galeeren sklaven disputiert
–, dass sie es geniesst, wie eine hungrige Krähe
die Vorschläge ihrer Kerle zu zerpflücken.
«Late Night», inszeniert von Nisha Ganatra,
die mit TV-Serien reüssierte («Future Man»),
ist ein Dampfkesselfilm über die Neurosen
von TV-Stars. HHHH✩

Weitere Premieren
It Chapter Two _ Na? Vergessen? Der Kil-
lerclown Pennywise, der die Kleinstadt Derry
und besonders den Losers-Club terrorisierte?
27 Jahre später erwartet er die Ex-Loser zurück
zum grossen bengalischen Monster-Hor-
ror-Blendwerk. Inzwischen sind sie natürlich
alle erfolgreich im Beruf, lassen aber sofort al-
les stehen und liegen, wenn Pennywise ruft.
Leider übertreibt es der Clown masslos (wie
der Film mit der Länge), verwandelt sich in
alles, was der Monsterkatalog so hergibt – und
das stumpft mit der Zeit ab. Abgesehen von ein
paar gelungenen visuellen Einfällen, kann Teil
zwei mit dem ersten nicht mithalten. Aber es
gibt hübsche Cameo-Auftritte von Stephen
King und Peter Bogdanovich. HHH✩✩

Diego Maradona _ Er kam aus den Tiefen
des argentinischen Raums, den untersten von
Buenos Aires, und wurde zum Superstar der
Fussballwelt. Für die damalige (1984) Rekord-
summe von 24 Millionen Dollar wechselte der
kleine Wirbelwind (1,65 m) von Barcelona zum
SSC Neapel und führte den Underdog-Verein
zur italienischen Meisterschaft (1987). Argen-
tinien wurde dank ihm 1986 Weltmeister. Wer
so hoch fliegt, stürzt tief. Der Liebling der Mas-
sen suchte ein Ventil im Kokain und wurde
von der Camorra benutzt. Der Brit-Dokumen-

Liebling der Massen: Diego Maradona.

Schlangengrube: Katherine Newbury (Emma Thompson, r.) in «Late Night».
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