Die Weltwoche - 05.09.2019

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66 Weltwoche Nr. 36.19
Bild: Gabriel Hill

U


m mehr Frauen für das Ingenieurstu dium
zu begeistern, macht die University of
Technology in Sydney (UTS) den Damen ein
Präsent, sie setzt die Einstiegshürden für sie tie-
fer an. Wie die Zeitung Sydney Morning Herald be-
richtet, werden die erforderlichen ATAR-
Punkte für weibliche Interessenten im nächsten
Jahr um 10 Punkte gesenkt. Die Direktorin der
UTS begründet den Entscheid damit, dass eine
bessere Geschlechterdurchmischung schuli-
sche Leistungen steigern und zu «bes seren Ge-
bäuden» und zu «besserem Design» auf der
Welt führen würde. Australien ist zwar weit
weg. Aber auch bei uns sind Gerechtigkeitsver-
fechter davon überzeugt, dass das Frausein ein
Hindernis für den Erfolg bedeutet und wir dar-
um eine bevorzugte Behandlung brauchen.
Frauen vermehrt für technische Studiengän-
ge und Berufe zu motivieren, ergibt Sinn. Die
Branche ist vielseitig, die Gehälter sind hoch.
Und wenn ich an Dinge wie Umkleidekabinen
denke, wo die offensichtlich männlichen
Konstrukteure das Problem mit absackenden
Fleischschichten und Orangenhaut nicht ken-
nen und mit Design- und Beleuchtungskon-
zepten regelmässige Traumata auslösen, frage
ich mich tatsächlich, ob eine Frau diese nicht
anders, mitfühlender entwerfen würde. Dass
Regale im Supermarkt zu weit oben hängen
oder Werkzeug «konsequent auf Männerhän-
de ausgerichtet sind», stört mich hingegen
nicht. Für die Bearbeitung von Gegenständen
durch einen Hammer gibt’s in meinem Haus-
halt eine Männerquote. Und diskriminierend
fände ich es nur, wenn die Wimperntusche
unerreichbar hoch gelagert würde.
Vielleicht konstruieren Frauen gewisse Din-
ge besser. Vielleicht auch nicht, denn ob man
etwas gut macht, hängt grundsätzlich nicht
von dem Teil in der Hose ab.

Für Frauen zwecks Interesse-boosting die An-
forderungen zu senken, ist aber auf mehreren
Ebenen falsch. Jene Frauen, die sich ein Inge-
nieurstudium in den Kopf gesetzt haben, sind
in der Regel intellektuell gefestigt, bewältigen
schulische Hindernisse ohne Almosen – zumal
es ja innerhalb ihrer Kontrolle liegt, sich ent-
sprechend vorzubereiten. Man weiss längst,
dass Mädchen oft fleissiger und disziplinierter
als Buben sind und bessere Noten haben. An
Schweizer Hochschulen ist die Mehrheit weib-
lich. Wenn sich also weniger Frauen für techni-
sche Studiengänge entscheiden, liegt es nicht
daran, dass sie den Ansprüchen nicht gewach-
sen wären. Es sind das (männerlastige) Umfeld
und die Themenfelder, die ihnen nicht zusa-
gen. Viele Frauen interessiert es schlicht nicht,
wie man Teile zusammenbaut oder Integral-
rechnungen anstellt.

I


ndem man die Einstiegshürde für Frauen he-
runterschraubt, untergräbt man ihren Intel-
lekt. Man erweckt den Anschein, dass Frauen
dümmer seien als Männer und es ohne bevor-
zugte Behandlung nicht schaffen würden. Aus-
serdem verleitet es zur falschen Annahme, dass
ein Ingenieurstudium ohne grösstmögliche
Anstrengung zu bewältigen ist. Böse Frage:
Wollen wir jene Frauen, die die üblichen Start-
anforderungen, rein hypothetisch, bei einer
ETH Zürich nicht erfüllen können, später wirk-
lich als Ingenieurinnen für unsere Häuser, Brü-
cken und Flugzeuge haben? Ich finde, es geht
völlig in Ordnung, wenn ein Ingenieurstudium
schwerer zu meistern ist als ein Soziologiestu-
dium und man fleissiger oder klüger oder bei-
des sein muss. Es muss nicht für jedermann
machbar sein. Denn: Arbeitet der Gleichstel-
lungsbeauftragte unsauber, ist das halt dumm
gelaufen. Arbeitet der Ingenieur ungenau, tja.

Tamaras Welt


Beklopptes Geschenk


Frauen haben weniger Interesse an technischen Studiengängen.
Wenn man die Anforderungen für die Damen senkt, motiviert man
sie aber nicht. Man stellt sie eher als dumm dar. Von Tamara Wernli

Einfachere Bedingungen schaden langfristig
auch der gesamten Branche.

B


ei solchen Begünstigungen zugunsten
einer Gruppe spricht man bei den Befür-
wortern von «positiver Diskriminierung», auf
Englisch affirmative action: Man trifft gezielte,
vorteilgewährende Massnahmen, um der Dis-
kriminierung einer Gruppe entgegenzuwir-
ken. Die Praxis ist umstritten, weil – um einer
benachteiligten Gruppe zu helfen – eine ande-
re Gruppe benachteiligt wird. Die renommier-
te Harvard-Universität zum Beispiel wendet
affirmative action an und bevorzugt Afroameri-
kaner bei der Studienplatzvergabe. Benachtei-
ligt werden dadurch aber alle anderen, ins-
besondere asiatischstämmige Bewerber, die
deswegen eine Klage gegen Harvard einge-
reicht haben. «Positive Diskriminierung» –
der Begriff an sich ist schon ein Witz. Diskri-
minierung mit etwas Positivem zu verbinden,
ist etwa so, wie der Gewalt etwas Gutes abge-
winnen zu wollen. Und als Nächstes gibt’s den
positiven Rassismus?
Im Fall der australischen Uni hat die «positi-
ve Diskriminierung» keine so problematischen
Auswirkungen wie bei Harvard. Dennoch wür-
de ich mir als Mann ziemlich veräppelt vorkom-
men und sähe es als Ungerechtigkeit, wenn ich
bei der Platzvergabe mehr leisten müsste als
andere; auch als Frau, die schon dort studiert,
empfände ich es als Affront.
Statt geschlechtsbasierte Begünstigungen
einzuführen, wäre es sinnvoller, durch ent-
sprechende Projekte Interesse zu wecken
oder, noch besser, schon in Kindheit und Ju-
gend durch Erziehung und Bildung. Eltern,
Schulen und die Spielzeugindustrie sind hier
gefordert, das Bild zu vermitteln, dass Tech-
nik, Bauen und Algebra Spass machen. Mit
dem Senken von Anforderungen tut man nie-
mandem einen Gefallen. Im Gegenteil, am
Ende herrschen dann noch Zustände wie in
dieser europäischen Hauptstadt, wo man 25
Jahre braucht, um einen Flughafen zu bauen.

Tamara Wernli, Video-Bloggerin, lebt bei Basel.
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