Die Welt - 07.09.2019

(Axel Boer) #1

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07.09.19 Samstag, 7. September 2019DWBE-HP


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10 WIRTSCHAFT DIE WELT SAMSTAG,7.SEPTEMBER


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ürden Sie Facebook
Ihr Liebesleben an-
vertrauen? Der Kon-
zern jedenfalls hofft
auf ein „Ja, ich will!“
seiner Nutzer und startet eine eigene
Dating-Plattform. Für etablierte Part-
nervermittlungen könnte eine ernst zu
nehmende Konkurrenz entstehen.

VON BENEDIKT FUEST
UND MARLEN DANNORITZER

Am Donnerstag gab das Unterneh-
men Details zur Funktionsweise des
Portals bekannt. Demnach setzt der
Konzern einen Algorithmus dafür ein,
potenzielle Partner anhand gemeinsa-
mer Interessen oder Gemeinsamkeiten
in der Biografie zu finden. Gleichzeitig
aber soll „Facebook Dating“ so weit wie
möglich die Privatsphäre der Nutzer
wahren. Das Profil im Dating-Netzwerk
soll nach außen vom Facebook-Konto
getrennt bleiben. Freunde und Familie
sollen es also nicht sehen können. Face-
book Dating wird Teil der klassischen
Facebook-App fürs Smartphone, jeder
Nutzer kann die Funktion selbst akti-
vieren, ausgeschaltet lassen oder auch
pausieren. Am Computer ist das Ange-
bot nicht nutzbar.
Für Facebook ist der Einstieg in die
Partnervermittlung ein Versuch, wieder
jüngere Nutzer zu gewinnen. Denn wer
ein Profil anlegt, kann Daten aus dem
Facebook-Account übernehmen und es
sogar mit seinem Instagram-Account
verknüpfen und von dort möglichst at-
traktive Fotos übernehmen. Daneben
kann genau eingestellt werden, wer das
Dating-Profil ansehen darf – Freunde
und Familie bleiben automatisch ausge-
schlossen, bei Bedarf kann der Nutzer
zudem weitere Nutzerkreise wie etwa
„Freunde von Freunden“ blockieren,
um peinliche Situationen im Alltag zu
vermeiden.
Gleichzeitig aber will Facebook den
heimlich verliebten schüchternen
Nerds eine Chance geben, ihre Gefühle
endlich vorsichtig zu zeigen, und baut
deswegen die Funktion „Secret Crus-
hes“ ein: Nutzer sollen bis zu neun Fa-
cebook-Freunde auf ihre Liste der „ge-
heimen Schwärmereien“ einfügen –
sollten diese reziprok ebenfalls geheime
Gefühle hegen, legt Facebook dies ge-
genüber beiden offen, um der Liebe ei-
ne Chance zu geben.
Bereits seit vergangenem Jahr kön-
nen Facebook-Nutzer in diversen la-
teinamerikanischen und südostameri-
kanischen Ländern das Feature nutzen.
Seit Donnerstag ist das Angebot auch in
den USA verfügbar. Nach Deutschland
und in andere europäische Länder soll
die Liebesfunktion erst 2020 kommen.
Fraglich ist nun, inwieweit die Daten-
schutzskandale der vergangenen Mona-
te und Jahre potenzielle Dating-Nutzer
abschrecken. Julian Jaursch von der
Stiftung Neues Vertrauen sieht Anlässe
für Zweifel gegeben: „Immerhin hat Fa-
cebook schon mehrfach von starker Pri-
vatsphäre gesprochen, nur um dann das
nächste große Datenleck zugeben zu
müssen.“
Gerade erst musste der Konzern zu-
geben, dass die Telefonnummern von
über 400 Millionen Nutzern von unbe-
kannten Tätern in einer externen Da-
tenbank abgelegt und öffentlich ge-
macht wurden. Die Nummern wurden

augenscheinlich unter Ausnutzung ei-
ner Suchfunktion abgesaugt, die der
Konzern bereits seit einigen Monaten
abgeschaltet hat.
Datenlecks wie dieses zeigen, dass
Facebook immer wieder Fehler macht,
die Nutzer bloßstellen. Niemand kann
angesichts solcher Erfahrungen garan-
tieren, dass nicht auch die Dating-Funk-
tion versteckte Datenfallen birgt. Bei ei-
ner relativ anonymen Plattform wie
Tinder ist diese Gefahr für die Nutzer

nicht sonderlich alltagsrelevant. Wenn
jedoch zukünftig durch irgendeinen
Fehler Facebooks das Datingprofil doch
zusammen mit dem echten Facebook-
Profil offengelegt wird, wäre das für vie-
le Nutzer höchst peinlich und vielleicht
sogar potenziell gefährlich – sei es, dass
der Ehemann über die Seitensprungbe-
reitschaft seiner Ehefrau erfährt, sei es,
dass gegenüber Arbeitskollegen unfrei-
willig sexuelle Präferenzen offengelegt
werden.

„Dass alle verschiedenen Dienste in
der Hand eines Anbieters sind, mag auf
den ersten Blick für die Nutzer verlo-
ckend sein“, erklärt der Hamburger Da-
tenschutzbeauftragte Johannes Caspar.
Er findet jedoch: „Aus Datenschutzsicht
ist dies sehr problematisch.“ Dem
stimmt Marit Hansen, Landesbeauf-
tragte für Datenschutz Schleswig-Hol-
stein zu. Sie warnt: „Finger weg vom Fa-
cebook-Dating.“ Nutzer müssten auf-
passen, wem sie ihre Daten anvertrau-

en. Und wer auf Onlinedating nicht ver-
zichten möchte, dem rät sie: „lieber se-
riöse Dating-Angebote nutzen“. Jaursch
fürchtet, dass Dating-Daten über kurz
oder lang doch genutzt werden könn-
ten, um das Profil der Menschen noch
mit weiteren, intimen Details auszu-
schmücken. „Da bleibt dann künftig we-
nig übrig, was Facebook-Profile über
Personen nicht enthalten“, gibt Caspar
zu bedenken.
Facebook ist vielleicht besser als je-
der andere Internetkonzern dafür ge-
rüstet, eine Datingplattform zu bauen,
die tatsächlich Beziehungen über One-
Night-Stands hinaus stiften kann. Denn
der Konzern weiß mehr über seine Nut-
zer, ihren Lebenslauf und ihre Interes-
sen als jeder andere. Gleichzeitig be-
herrscht die Firma den Umgang mit
Empfehlungsalgorithmen, die diese Da-
ten auswerten und in Partnerempfeh-
lungen umsetzen können.
Vor allem aber ist die Nutzerbasis
von Facebook mit rund 2,4 Milliarden
Menschen derart riesig, dass der Kon-
zern mit dem Start des Dienstes das
größte Experiment zum Thema
menschliche Beziehungen beginnt, das
es je gab. Denn wie überall sonst beim
maschinellen Lernen werden die Lie-
bes-Algorithmen Trainingsdaten benö-
tigen, um zu lernen, wie sie bessere
Empfehlungen machen. Diese Daten ge-
neriert Facebook ab sofort in großem
Stil, denn der Konzern sieht genau, wer
wen attraktiv findet und auf das lila
Herz in der App gedrückt hat, mit dem
ein gemeinsamer Chat gestartet wird.
Mehr noch, wenn Nutzer dann wenig
später ihr Facebook-Profil von Single
auf Vergeben stellen oder sogar ihre
neue Liebe als Partner auf der Plattform
angeben, sieht der Algorithmus genau,
welche Vermittlungsversuche funktio-
niert haben und welche nicht.
Dazu kommt, dass klassische Dating-
Plattformen oftmals auf arg geschönten
Profilen basieren: Da geben Menschen
an, Ausdauersportler mit Oxford-Ab-
schluss zu sein, Berge zu erklettern und
Meere zu ersegeln, die in der Realität
kaum über einen Ententeich paddeln
oder einen Hügel laufen können.
Facebook dagegen sieht, welche Akti-
vitäten tatsächlich in der Timeline der
Nutzer auftauchen, welche Fotos mit
welchen Ortskoordinaten auf Instag-
ram veröffentlicht werden, welche Uni-
versitäten besucht worden sind. Der Al-
gorithmus kann also seine Empfehlun-
gen auf realen Biografien basieren, an-
statt Märchenangaben zu verwenden.
All das könnte Facebook einen echten
Vorsprung gegenüber all den Anbietern
geben, die aktuell mit teuren Abos die
Vermittlung der ewigen Liebe anbieten.
Während Konkurrent Tinder den Ruf
der One-Night-Stand-Schmiede für die
Generation bis 30 wohl nie wieder los-
wird – und das auch gar nicht versucht –
könnte Facebook Dating die Plattform
für längere Beziehungen werden und
damit Parship und Co vom Markt fegen


  • nicht zuletzt, da Facebooks Plattform
    für die Nutzer bisher kostenlos ist.
    Für Facebook bleibt nur ein Problem:
    Vertrauen die Nutzer angesichts der
    Skandale der vergangenen Jahre dem
    Konzern ihr Liebesleben an? Angesichts
    dessen, dass Facebooks Nutzungsstatis-
    tiken bislang durch die Skandale kaum
    beeinflusst wurden, heißt die Antwort
    vermutlich „ja“.


G
ETTY IMAGES

/JA_INTER/ MONTAGE: WELT

Facebook will mehr Liebe


Das soziale Netzwerk startet eine Dating-Funktion. Tatsächlich dürfte


der Konzern gut wissen, wer zu wem passt. Datenschützer sind alarmiert


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ie 68. Internationale Auto-
mobilausstellung (IAA), die
am Donnerstag in Frankfurt
eröffnet wird, könnte die letzte ihrer
Art sein. Der Automobilbranche, die
vom Coverboy zum Prügelknaben
der Nation abgestiegen ist, geht die
Luft aus; die VW-Affärehat nicht nur
den Wolfsburger Konzern Ansehen
und Milliarden gekostet, sie hat das
ganze Gewerbe beschädigt.
Die Folgen sind, freundlich formu-
liert, katastrophal. In einem Vorbe-
richt der dpa heißt es: „Vor allem in-
ternationale Hersteller machen in
diesem Jahr einen weiten Bogen um
die Veranstaltung des deutschen
Verbandes der Automobilindustrie,
VDA.
Unter anderem haben alle Japaner
bis auf Honda, die US-Hersteller mit
Tesla sowie die führenden Unterneh-
men aus Frankreich und Italien ab-
gesagt.“ So kommt es, dass die deut-
schen Konzerne heute „fast unter
sich“ bleiben.
Korrekterweise müsste „die Ver-
anstaltung“ umbenannt werden. „In-
ternationale Automobilausstellung“
haut nicht mehr hin, es ist nur noch
eine „Nationale Automobilausstel-
lung“ mit ein paar Gästen aus dem
Ausland. Die Veranstalter machen
das, was PR-Profis in solchen Fällen
immer machen: Sie suchen nach dem
Positiven im Negativen („Klasse
statt Masse“) und reden sich das
Ganze schön.
Man habe ein „neues Konzept“
entwickelt, biete „noch mehr Dis-
kussionen“ an, wolle mit Digitalfir-
men „enger zusammenarbeiten“
und mit „neuen Attraktionen“
punkten, zum Beispiel einer „gro-
ßen Oldtimer-Show“. Wie peinlich
ist das denn!
Eine Automobilausstellung ist
weder ein Elternabend noch eine
Betriebsfeier. Man will nicht alte
Bekannte treffen und mit ihnen dis-
kutieren, man will etwas Neues se-
hen und erleben. Das Lenkrad eines
Ferrari in den Händen halten, den
man sich nie im Leben wird leisten
können.
Einem Aston Martin beispielswei-
se einmal unter die Motorhaube gu-
cken oder schauen, wo sich in einem
Bentley der Zigarettenanzünder ver-
steckt. Kein Mensch will auf einer
Novitäten-Show Oldtimersehen!
Das ist so daneben, als würde Arma-
ni bei der Vorstellung einer neuen
Kollektion Artefakte aus den frühen
Tagen der Firma zeigen.
Jeder weiß es, die Automobilin-
dustrie steckt in einer Krise. Positiv
betrachtet, könnte man sagen, sie er-
findet sich gerade neu, mit Elektro-
mobilität, selbstfahrenden Autos
und allerlei Schnickschnack von be-
grenztem Gebrauchswert. Das ist
normal.
Ein Flachbildfernseher von heute
hat wenig mit einer „Fernsehtruhe“
aus den 60er-Jahren des vorigen
Jahrhunderts gemein. Das Problem
ist nicht die Technik, es sind die Bos-
se, die sich immerzu dafür entschul-
digen, dass sie nicht Waschmaschi-
nen auf Rädern oder Hollywood-
schaukeln mit einem Automatikge-
triebe produzieren, sondern Autos,
die CO 2 emittieren.
Der frühere Vorstandsvorsitzende
des Automobilkonzerns Daimler war
sich nicht zu schade, auf einem Par-
teitag der Grünen zu sprechen, der
jetzige Präsident des Verbandes der
Automobilindustrie hat militanten
Gruppen, die zum Boykott der Auto-
ausstellung aufrufen, „Gespräche“
angeboten. Die wollen aber nicht re-
den, sie wollen die Automobil-Aus-
stellung kippen. Und andere animie-
ren, ihnen zu folgen.
Im Herbst findet, ebenfalls in
Frankfurt am Main, die traditionsrei-
che Buchmesse statt. Bücher sind,
im Gegensatz zu Automobilen, Kul-
turgüter. Um sie herzustellen,
braucht man Papier; für die Produk-
tion von Papier wiederum braucht
man unter anderem Rohstoffe wie
beispielsweise Holz und Wasser. Das
bedeutet: Wer Bücher liest, schadet
der Umwelt. Daraus kann es eigent-
lich nur eine Konsequenz geben:
Weg mit der Buchmesse!

DIE ACHSE DES GUTEN

WWWeg mit dereg mit der


Buchmesse!


HENRYK M. BRODER

V


or der Tür hat jeder Klimade-
monstrant seinen eigenen Poli-
zisten zur Seite. Gut ein Dut-
zend Menschen haben sich am Straßen-
rand vor der Landesvertretung Baden-
Württembergs in Berlin versammelt,
um vor dem ersten Gipfeltreffen von
Autolobby und Klimaschützern die
Stimmung anzuheizen. Ins Gebäude
kommt nur, wer Sicherheitskontrollen
und Absperrbänder überwindet, ange-
meldet ist und seine Taschen leert.

VON FLORIAN GEHM

Hinter den Türen wartet die Automo-
bilindustrie auf ihren Endgegner: die
Klimalobby. Etliche der 200 angemelde-
ten Gäste tragen Strickpullover und
Baumwollhosen – und sie wollen reden.
Mit der Branche und ihrer mächtigen
Lobbyorganisation, dem Verband der
Automobilindustrie (VDA). Geladen hat
Verbandschef Bernhard Mattes, der
künftig mehr mit den lautstarken Kriti-
kern seiner Branche reden will. Der Dia-
log solle dafür sorgen, sagt er, „die eige-
ne Transformation voranzutreiben und
für neue Formen von Begegnungen zu
öffnen“.
Während sich die Vertreter vom Bund
für Umwelt und Naturschutz (BUND),

dem Ökologischen Verkehrsclub (VCD)
und der Bürgerbewegung Campact
mächtig ins Zeug legen, die Autoindus-
trie zu provozieren, wiegelt die Branche
etliche Vorwürfe einfach ab. Zwei Stun-
den später ist klar: Echte Fragen durfte
niemand stellen, und plötzlich ist der
Kunde schuld am Klimadrama.
Dabei wisse ausgerechnet der Kunde
gar nicht, wie er sich verhalten solle,
sagt Britta Seeger, Daimler-Vorstands-
mitglied und zuständig für den Vertrieb
bei Mercedes-Benz. Fest steht: Bis 2030
müssen zwischen 7,5 und zehn Millio-
nen Elektroautos auf die deutschen
Straßen, um die verbindlichen Klima-
ziele der Europäischen Union zu errei-
chen. Von diesem Szenario geht die
„Nationale Plattform Zukunft der Mo-
bilität“ aus. Doch die Käufer hätten
„Reichweitenängste“, auf welche die In-
dustrie mit langfristigen Innovationen
antworten müsse. Bis 2022 wolle Mer-
cedes deshalb seine gesamte Produkt-
palette elektrifizieren. Trotzdem werde
man dabei bleiben, einen „Dreiklang“
zu verkaufen – aus „attraktiven Ver-
brennern, Plug-in-Hybriden und suk-
zessive rein elektrischen Fahrzeugen“.
Ob der Kunde anbeißt? Fraglich. „Er
muss Lust haben, den Klimawandel mit-
zugestalten“, erklärt Seeger. Das Ange-

bot müsse schließlich zu seinem indivi-
duellen „Fahrprofil“ passen. Da wird
Campact-Teamleiterin Luise Neumann-
Cosel auf der anderen Seite des Podi-
ums nervös, die sich ohnehin ständig in
der Gefahr sieht, zu wenig zu Wort zu
kommen. Für ihr Fahrprofil gingen der-
zeit schließlich keine Menschen auf die
Straße, entgegnet sie: „Bei ‚Fridays for
Future‘ geht es um richtig reale Zu-
kunftsängste.“
Denn die Welt stecke knietief in einer
Klimakrise – unter Beibehaltung des jet-
zigen Kurses könnte sich die globale
Temperatur um bis zu fünf Grad erhö-
hen. Der Grund: „Es gibt zu viele große,
schwere, dreckige Autos.“ Problema-
tisch seien dabei vor allem stark motori-
sierte SUVs, die für Autokonzerne be-
sonders hohe Gewinne abwürfen. Dass
viele der neuen SUVs inzwischen eine
Nummer kleiner und damit Mittelklas-
seautos sind, bleibt unerwähnt.
Die einzig mögliche Antwort seien
„drastischere Maßnahmen“. Die Ten-
denz zu einer Verbotsdiskussion hängt
in der Luft, es gibt Applaus. „Wir sind
bestrebt, Fahrzeuge anzubieten, die den
Kundenbedürfnissen entsprechen.
Wenn wir die nicht verkaufen, dann
macht es ein anderer“, befürchtet hin-
gegen die Daimler-Managerin. Man

würde sich schließlich nicht den Wün-
schen der Kunden verschließen.
Im Kern sind sich damit beide einig:
Der Kunde ist schuld – er kauft ausge-
rechnet die großen SUVs, die ihm die
Industrie anbietet. Und außerdem, sagt
Seeger, müsse man auch die gewinn-
bringenden großen Fahrzeuge verkau-
fen, um neue Ausgaben stemmen zu
können. Doch auch das passt den Klima-
schützern überhaupt nicht. „Wir wer-
den die Probleme nicht lösen, indem
wir einfach nur auf E-Mobilität umstei-
gen. Wir brauchen weniger Autos“, for-
dert Neumann-Cosel. Doch woher soll
das Geld für neue Antriebstechniken
und mehr Ladensäulen ohne massive
Investitionen sonst kommen? Ausge-
rechnet diese Antwort bleiben die Auto-
gegner schuldig.
„Die Frage gebe ich an die Branche
zurück. Generationen von Politikern
haben die Klimakrise ignoriert, weil Ge-
nerationen von Automobilverbandsprä-
sidenten sie massiv unter Druck gesetzt
haben“, sagt Neumann-Cosel. Die An-
spannung auf dem Podium steigt – und
sie zeigt: Bei dieser Diskussion hat jeder
Vertreter seine eigene politische Agen-
da. Und letztlich wenden sich beide Sei-
ten immer wieder an die Politik – ob-
wohl die gar nicht im Raum sitzt.

Die Liste der Wünsche wird länger –
die der Lösungen nicht. Und nach an-
derthalb Stunden spricht Gewerkschaf-
ter Manfred Schoch die Wahrheit aus,
die über den Wortgefechten schwebte:
„Lasst uns doch mal zusammensetzen
und ohne Showveranstaltungen ver-
nünftige Konzepte erarbeiten.“ Ein an-
deres Mal vielleicht, denn zum sauber
inszenierten Abend gehört dann erst
mal eine abschließende Fragerunde. In
die geht es per App oder kleinem Zettel-
chen. Ein Redaktionsteam wählt aus,
welchen Einwürfen sich die Diskutan-
ten stellen müssen, und liest die Aus-
wahl vor. Zu viel Dialog ist schließlich
auch nicht gut.
Entsprechend handzahm ist das Er-
gebnis: Es geht um den deutschen An-
teil am globalen CO 2 -Aufkommen, mög-
liche gemeinsame Botschaften und po-
sitives Marketing für Elektroautos. Eine
„ganz plakative Frage“ gebe es auch,
verspricht der Moderator – ob man
nicht zusammen einen autofreien Tag
auf die Beine stellen wolle. Erst schüt-
telt Verbandschef Bernard Mattes den
Kopf. „Über individuelle Mobilität muss
jeder selbst entscheiden“, sagt er. Da-
raufhin schütteln die Umweltaktivisten
den Kopf. Und danach gibt es Bier und
Brezeln.

AAAutolobby vs. Klimaschützer – plötzlich ist der Kunde schuldutolobby vs. Klimaschützer – plötzlich ist der Kunde schuld


Dachverband der Branche diskutiert zum ersten Mal mit Umweltaktivisten. Die Fronten sind verhärtet, doch es gibt auch Einigkeit


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