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07.09.19 Samstag, 7. September 2019DWBE-VP1
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34 STIL DIE WELT SAMSTAG,7.SEPTEMBER2019
lichkeitsteam arbeitet, über das Gelän-
de führt und grinst. Man könnte auch
sagen: Mitten in Sankt Petersburg ent-
faltet sich der Geist von Berlin-Prenz-
lauer Berg unter russischen Vorzeichen
in reglementierter Unbekümmertheit:
Junge Familien liegen auf Decken und
genießen die spätsommerlichen Son-
nenstrahlen, Künstler skizzieren die
Umgebung, Horden von Kindern schau-
keln und klettern auf einem riesigen
Holzgerippe, das an die Arche Noah er-
innert und von der deutschen Firma
Richter gebaut wurde.
Auf dem künstlich angelegten Teich
in der Mitte der Insel befinden sich ne-
ben einer hölzernen Sonnenplattform
diverse Kunstinstallationen sowie ein
Garten mit regionalen Pflanzen. Es ist
ein weitläufiges, instagramtaugliches
Arrangement von verschiedenen Grä-
sern, Blumen und Sträuchern in Blau-
D
er Weg auf die Insel führt
durch eine Sicherheits-
schleuse wie am Flugha-
fen. An diesem Tag ist es
wohl nur ein symboli-
scher Akt, denn es piept, aber der Secu-
ritymann in sandfarbener Tarnkleidung
scheint sich nicht weiter daran zu stö-
ren und schaut ungerührt auf sein
Handy. „Wenn hier Konzerte stattfin-
den, wird das strenger gehandhabt“,
sagt Masha Evdokimova fast entschul-
digend. Die junge Frau leitet die Öffent-
lichkeitsarbeit und hat in letzter Zeit
besonders viel zu tun: Internationale
Besucher und Presse kommen in diesem
Sommer in Scharen.
VON HEIKE BLÜMNER
„New Holland Island“ liegt mitten in
Sankt Petersburg auf einer künstlichen
Insel im Moika-Fluss und ist ein äußerst
beliebtes Ausflugsziel für Einheimische
und Touristen. Mehr als 2,5 Millionen
Menschen besuchen das Kulturareal pro
Jahr inzwischen, an einem der vergan-
genen Wochenenden im Hochsommer
waren es allein 47.000. Noch liegen die
Besucher auf der Wiese oder sitzen in
den grünen Metallstühlen, die an die in-
nerstädtische Pariser Parkbestuhlung
erinnert. Im Winter wird dort, wo sonst
das Gras wächst, eine Schlittschuhbahn
installiert.
Wer wissen möchte, was die Stadt
jenseits von imperialen und sowjeti-
schen Kulturrelikten zu bieten hat, soll-
te den Schritt durch die Schleuse tun
und folgende Regeln beachten: Alkohol,
Glasflaschen und Rauchen sind nicht
erlaubt. Pflanzen anfassen wird auch
nicht so gerne gesehen: „Es ist einer der
zivilisiertesten Orte der Stadt“, sagt Pa-
vel Birger, der hier ebenfalls im Öffent-
und Lilatönen, das sich sanft im Wind
wiegt.
Zwei Prominente haben den Sankt
Petersburgern dieses Kleinod serviert:
Roman Abramovich und Dasha Zhukova
sind die Gründer und Investoren. Beide
waren bis 2017 miteinander verheiratet.
Mancher mag sie eher aus der Regenbo-
genpresse kennen. Zhukova, die auch
den amerikanischen Pass besitzt und ei-
ne Stellung irgendwo zwischen Unter-
nehmerin, Kunstmäzenin und It-Girl
besetzt, hat bereits der Hauptstadt
Moskau mit ihrem zeitgenössischen
Kunstmuseum „Garage“ ihren Stempel
aufgedrückt. Abramovich ist als Oli-
garch hierzulande vor allem für seinen
märchenhaften Reichtum, als Besitzer
des Fußballvereins Chelsea F. C. und für
seine Yacht bekannt, die einige Jahre als
die längste der Welt galt.
400 Millionen US-Dollar will seine
und Zhukovas „New Holland Develop-
ment Group“ in die dreieckige acht
Hektar große Insel mit den abgerunde-
ten Ecken aus dem 18. Jahrhundert laut
eigenen Angaben investieren: „Als sie
hier anfingen, war es fast wie eine Müll-
halde“, so Birger. Ob es sich bei der Re-
vitalisierung um ein philanthropisches
oder unternehmerisches Projekt han-
delt, ist nicht ganz klar: „Wir hoffen auf
eine Refinanzierung über die Vermie-
tung von Räumen. Die genaue Prognose
dazu ist im Moment schwierig, weil das
Projekt sich noch in der Entwicklung
befindet“, so die Geschäftsführerin von
New Holland Island, Roxane Chatou-
novski. Hoffen muss man sich in dieser
Größenordnung leisten können. Doch
bis 2025 wisse man mehr. Dann soll alles
fertig sein. Bis dahin wird auch der
mehr als zweihundert Jahre alte neo-
klassizistische Rundbogen des französi-
schen Architekten Jean-Baptiste Vallin
del Mothe renoviert sein. Genauso wie
die historischen Backsteinspeicher, die
die Insel teilweise umsäumen und die
später vermietet werden sollen. Damit
wird dann ein bewegtes Kapitel Sankt
Petersburger Geschichte vorerst abge-
schlossen sein.
Als das Gelände im 18. Jahrhundert
erbaut wurde, diente es vor allem der
Schifffahrt. Der Name entstand analog
zu der damals vorherrschenden ästhe-
tischen Strömung der Zeit, in der der
Städtebau in Sankt Petersburg sich
stark an den Gegebenheiten von Ams-
terdam orientierte. Beides sind von
WWWasserläufen durchzogene Städte. Ur-asserläufen durchzogene Städte. Ur-
sprünglich wurden auf New Holland
die Holzstämme zum Bootsbau gela-
gert, 1821 entstand der erste militärisch
genutzte Hafen, später auch ein Ge-
fffängnis. Die Kommunisten nutzten esängnis. Die Kommunisten nutzten es
im 20. Jahrhundert ebenfalls als Mili-
tärgelände, das jedoch mehr und mehr
verfiel. Nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion sollte sich Anfang der
Nullerjahre ursprünglich der Architekt
Norman Foster des Geländes anneh-
men. Dazu kam es nicht, stattdessen
übernahmen im Jahr 2010 Zhukova und
AAAbramovich, die dann das Projekt inbramovich, die dann das Projekt in
seiner heutigen Form mit den nieder-
ländischen Architekten West 8 reali-
sierten.
Pavel Birger berichtet, dass sie eine
Umfrage unter den Sankt Petersbur-
gern gestartet hatten: „Was wollt ihr
hier vor Ort haben?“ Die überwiegende
Mehrheit sprach sich, grob gesagt, für
„mehr Platz und mehr Grün aus“. Die
Stadt hat vergleichsweise wenige Parks,
dafür Kultur satt. Warum nicht beides
miteinander verbinden?
Heute ist trotz der noch zahlreichen
Baustellen jedenfalls klar, wohin die
Reise gehen soll: Das Ziel ist eine junge,
kunst- und kulturaffine Destination, die
kosmopolitische Impulse aufgreift und
gleichzeitig auf lokale Akzente setzt.
Das macht sich bereits in der Gastrono-
mie und in den kleinen Boutiquen be-
merkbar, die in den fertig sanierten Ge-
bäuden wie der ehemaligen Gießerei
„The Foundry“ sowie dem runden
„Bottle House“ untergebracht sind.
Neben einer Kunstbuchhandlung des
Moskauer „Garage“-Museums, diversen
Geschäften mit den Produkten junger
Designer, sowie Tanz- und Yogastudios
von Primaballerina Diana Vishneva sind
die Restaurants ein besonderer Höhe-
punkt: Außer moderner russischer Kü-
che kann man hier unter anderem geor-
gisch, israelisch und mexikanisch essen
- und das auf hohem Niveau, selbst
beim Streetfood. Zwischen Mai und
September fanden in diesem Jahr über
300 Veranstaltungen statt: Konzerte,
Theateraufführungen, Filmfestivals und
Kunsthappenings gehören dazu. Auch
Tanzveranstaltungen dürfen natürlich
nicht fehlen.
Es scheint, als hätten die Sankt Pe-
tersburger ihr erstes öffentliches
Wohnzimmer erhalten. Auch ältere Be-
wohner lockt es auf die Bänke, die unter
den 150 neu gepflanzten Bäumen ste-
hen. In der Umgebung rattern noch die
Baustellen – auch über die Insel hinaus.
Sanierung, das weiß man aus westlichen
Städten, ist ansteckend, und in den um-
liegenden Straßen scheint ein Wett-
streit um die zeitgenössische Herrlich-
keit ausgebrochen zu sein. 2025 wird es
deshalb nicht nur auf, sondern auch um
die Insel herum sicherlich wieder an-
ders aussehen als heute. Ob es an den in
vielerlei Hinsicht hohen Sättigungszu-
stand von Amsterdam heranreichen
wird, ist fraglich – und vielleicht auch
gar nicht wünschenswert.
Insel der ZIVILISIERTEN
Russlands
bekanntestes
Ex-Ehepaar hat den
Sankt Petersburgern
ein Eiland geschenkt.
Auf „New Holland
Island“ wachsen
Natur und Kultur.
Eine Besichtigung
KATYA NIKITINA
/WWW.KNIKITINA.RU (2)
Schau dir doch mal die Schnecken an: New Holland Island präsentiert den Geist von Berlin-Prenzlauer Berg unter russischen Vorzeichen
WWWasser und asser und
FFFarben – eine gute arben – eine gute
KKKombination für Sankt Petersburg ombination für Sankt Petersburg
D
ie Älteren werden sich erin-
nern. Vor gar nicht sooo lan-
ger Zeit hatten Telefone Ka-
bel. Diese wiederum hatten die abso-
lut nervenzerfetzende Angewohnheit,
sich im Laufe der Zeit weiter und wei-
ter zu verdrehen. Man kennt diesen
Effekt von den dünnen Schnüren von
Rollos, aber Telefonkabel waren be-
sonders hartnäckig und irgendwann
kaum noch entwirrbar.
Die Tangle Bag von Jil Sander ist ei-
ne Hommage an dieses Alltagsärger-
nis: eine eigentlich glasklare, fast pro-
testantische Tasche, deren elegante
Lederhenkel absurd verdreht und ver-
knotet sind. Es gibt sie in diesem
Herbst in neuen Farben, Mandelweiß,
Bananengelb, Pflaume. Der hier ge-
zeigte Ton heißt offiziell Grüntee, er-
innert jedoch an ein etwas zu lange
stehen gelassenes Erbsenpüree und
ist deswegen perfekt. Es gibt bei Jil
Sander und anderen Modemarken, die
sich die Aura des Intellektuellen und
Nicht-Gefälligen geben, eine Kunst
der Off-Farben, also Tönen, die nicht
eindeutig einzuordnen sind, die Mut
zum Halbhässlichen haben und also
nicht das Spiel mitmachen, wer die
süßeste Tasche auf den Markt pfef-
fern kann, wie Miranda Priestley, die
Chefredakteurin aus „Der Teufel trägt
Prada“, sie morgens auf den Tisch ih-
rer Assistentin pfefferte.
Lucy und Luke Meier, die Kreativ-
direktoren bei Jil Sander, haben die-
sen Posten übernommen, als die Mar-
ke kaum noch zu retten schien. Sie
haben getan, was so einfach klingt,
aber doch oft nicht gelingt: sich auf
die eigenen Stärken besinnen, die Ver-
gangenheit zum eigenen Vorteil un-
tersuchen, ohne zu ihrem Sklaven zu
werden.
Die Tangle Bag ist ein perfektes
Beispiel dafür. Die geometrische
Grundform und die Strenge entspre-
chen der intelligenten, kühlen Sinn-
lichkeit der Firmengründerin, die ver-
drehten Henkel jedoch lassen eher an
einen hochneurotischen Millenial
denken als die stets kontrollierte
„Queen of Less“.
Man will förmlich weiter dran fum-
meln, denn Finger wollen ja nicht
stillstehen und rauchen geht ja ir-
gendwie nicht mehr. Diese Tasche ist
der fidget spinner(nicht ganz so lange
her wie das Kabeltelefon) für die er-
wachsene Frau. ADRIANO SACK
FINDLING
ZZZumum
WWWeiterfummeln eiterfummeln
TTTrauen den eigenen Stärken: Jil Sander-rauen den eigenen Stärken: Jil Sander-
Designer Luke und Lucy Meier
JIL SANDER (2)
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