Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1

Miami – Das Zentrum des Hurrikans
Dorianist auf Cape Hatteras in den USA
auf Land getroffen. Der Wirbelsturm
erreichte nach Angaben des Hurrikan-
zentrums der USA am Freitag die zu
North Carolina gehörende Inselgruppe
Outer Banks und brachte Regen und
Überschwemmungen. Hunderte Bewoh-
ner saßen auf einer der betroffenen
Insel fest. Auf Ocracoke leben knapp
1000 Menschen. Gouverneur Roy Coo-
per sagte, Bergungsteams stünden be-
reit, könnten die Insel aber erst errei-
chen, wenn sich der Sturm wieder abge-
schwächt habe. Auf Bildern waren schwe-
re Überflutungen zu sehen.dpa


Berlin– Kinder in Deutschland würden
gern später mit der ersten Schulstunde
beginnen. Das hat eine Umfrage des
Kinderkanals Kika unter etwa 1300
Erst- bis Sechsklässlern ergeben. Die
Interviewer hatten gefragt: „Wann hät-
test du den Beginn der ersten Stunde an
liebsten?“ Fast alle Kinder gaben als
Antwort eine konkrete Uhrzeit an, die
meist zwischen 8.30 und 8.50 Uhr lag.
Das Votum der Kinder deckt sich mit
Empfehlungen der Deutschen Gesell-
schaft für Schlafforschung und Schlaf-
medizin. Eine halbe Stunde weniger
Schlaf reduziere die Leistungsfähigkeit
in der Schule bis zu 30 Prozent. dpa


Berlin– Mitten in Berlin hat es am Frei-
tagabend einen schweren Verkehrsun-
fall gegeben. Vier Menschen starben,
darunter ein Kleinkind. Nach Angaben
der Polizei fuhr ein Porsche-Sportgelän-
dewagen an der Ecke Invalidenstraße
und Ackerstraße auf einen Gehweg und
in eine Personengruppe. Der Unfallher-
gang sei noch offen, sagte ein Polizei-
sprecher am Abend. Zunächst stand die
Frage im Raum, ob es sich um eine vor-
sätzliche Tat handle. Es deute jedoch
alles auf einen Verkehrsunfall hin, so der
Sprecher. Nach Angaben der Polizei vor
Ort soll der Fahrer einen Krampf erlitten
und mit 80 Stundenkilometern über den
Gehweg in einen Bauzaun gerast sein.
Der Mann sei schwer verletzt ins Kran-
kenhaus gekommen. Offenbar befanden
sich weitere Menschen im Wagen. sz


von thorsten schmitz

L


angsam fährt Duygu Özen in ih-
rem Rollstuhl zu einem freien Bü-
roschreibtisch, Kirschen hat sich
die 23-jährige Berlinerin für ihre
Mittagspause in dem Coworking-
Space in Wedding mitgebracht, Pfirsiche
und Schokoriegel. „Ich bin so froh“, sagt
sie, „hier zu arbeiten.“
Ein paar Kilometer weiter südlich, in
Steglitz, sortiert Leonie Geißelhardt in der
Ingeborg-Drewitz-Stadtteilbibliothek aus-
geliehene Kinderbücher zurück. Die
20-Jährige mit dem Downsyndrom prüft
Signaturen und räumt die Bücher wieder
an ihren richtigen Platz. Manche findet sie
so interessant, dass sie darin blättert. Sie
liebt Bücher. Über ihren Job sagt sie: „Ich
bin hier sehr glücklich.“
Lew Wagle steht in der Küche des Pasta-
ladens in Weißensee, die Hände mehl-
weiß. Er rollt Gnocchiteig zu einer langen
Wurst. Immer mal wieder hat der athleti-
sche 19-Jährige Praktika in Behinderten-
werkstätten gemacht – und dabei gelitten.
Seinen Eltern hat er gesagt: „Nie wieder!“
Jetzt absolviert er im italienischen Restau-
rant eine zweijährige Ausbildung zum
Koch. Wie es ihm geht? Er schaut seinen
Chef Alberto Porcheddu an und strahlt.
Duygu Özen, Leonie Geißelhardt und
Lew Wagle sind drei junge Menschen, die
Jobs haben, die ihnen Spaß machen.
Klingt banal. Ist es aber nicht. Sie mussten
gegen Sachbearbeiter in Arbeitsämtern
kämpfen, die in ihnen nur behinderte Men-

schen gesehen haben, die nach Aktenlage
entschieden haben und sie in Werkstätten
schickten. Aber Duygu Özen, Leonie Gei-
ßelhardt und Lew Wagle wollten sich nicht
vorschreiben lassen, wie ihr Leben auszu-
sehen hat. Ihre Geschichten sind daher
auch: Befreiungsgeschichten.
Wie die von Lew Wagle. Mit seinen blon-
den Locken und dem braunen Teint sieht
er aus wie ein Surfer. Er träumt von einer
Karriere als Schauspieler oder Youtuber.
Doch das Arbeitsamt befand nach einem
zweitägigen Test: Behindertenwerkstatt.
Menschen mit Behinderung müssen grund-
sätzlich bei der Arbeitsagentur vorstellig
werden, um einen Förderstatus zu bekom-
men, der ihnen wiederum eine Grundrente
sichert für den Fall, dass sie ihren Beruf
frühzeitig aufgeben müssen. Lew Wagle ist
mit Sauerstoffmangel zur Welt gekom-
men. Sein Gehirn hat darunter gelitten. In
der Kita hat er sich angezogen, als die Erzie-
her zum Mittagessen riefen, heute fehlen
ihm manchmal Worte, mit Zeit und Geld
kann er nicht gut umgehen. Seine Behinde-
rung ist nicht klassifizierbar wie die von Le-
onie Geißelhardt oder Duygu Özen.
Das Verdikt der Arbeitsagentur wollten
Lew Wagles Eltern und er nicht akzeptie-
ren. Sie ließen nicht locker, sagten der Reha-
Sachbearbeiterin, dass ihr Sohn einen
Rechtsanspruch habe auf die Möglichkeit,
eine Ausbildung als Koch zu machen, dass
andere Arbeitsagenturen flexibler seien.
„Am Ende hat sie es bewilligt“, sagt Lew
Wagles Mutter, draußen vor dem Pastala-
den, in dem ihr Sohn gerade aus dem Gnoc-

chiteig Stücke schneidet. Die Arbeitsagen-
tur finanziert jetzt Lew Wagles Qualifizie-
rung. „Es geht also doch“, sagt Carmen Wag-
le. Und was sagt sein Chef? Alberto Porched-
du sieht in seinem neuen Azubi zuallererst
den Menschen: „Lew ist sensibel und intelli-
gent. Ich freue mich, dass er bei mir lernt.“

In Deutschland wächst die Zahl der Be-
hindertwerkstätten – und das, obwohl seit
2009 die UN-Behindertenrechtskonventi-
on auch hier gilt. 2002 gab es bundesweit
668 solcher Einrichtungen, 2018 waren es


  1. Etwa 310 000 Menschen arbeiten dort.
    Für die meisten gilt: einmal Werkstatt, im-
    mer Werkstatt. Sie waschen Polizeiautos,
    basteln Eierwärmer und Schachteln, stel-
    len Fußbürsten her, oft am Stadtrand, au-
    ßer Sichtweite. Die aus 50 Artikeln beste-
    hende Konvention besagt: Die freie Wahl
    des Arbeitsplatzes ist ein Grundrecht. Men-
    schen mit Behinderung solle es genau wie
    Nichtbehinderten möglich sein, „den Le-
    bensunterhalt durch Arbeit zu verdienen“.


Doch die Realität sieht so aus: Ein Groß-
teil der Menschen mit schweren Behinde-
rungen landen trotz aller Inklusionsbemü-
hungen immer noch in Werkstätten. Der
Berliner Behindertenrechtsaktivist Raul
Krauthausen schimpft über das „sich
selbst erhaltende System“. In den Werk-
stätten werde eine moderne Form der Aus-
beutung betrieben, Behinderten würden
fundamentale Arbeitnehmerrechte vorent-
halten. Und sie verdienten viel zu wenig.
Die Flucht aus diesem System ist auch
Duygu Özen geglückt – mithilfe von
35 000 Menschen, die sie gar nicht kennt.
Die haben eine Petition unterschrieben
auf der Onlineplattform Change.org, mit
der Duygu Özen das Arbeitsamt aufforder-
te, man möge ihr Zugang zum ersten Ar-
beitsmarkt ermöglichen. Beim gemeinnüt-
zigen Unternehmen „Kopf, Hand und
Fuß“, das auch Apps für Behinderte entwi-
ckelt, absolviert Duygu Özen jetzt seit Juni
eine zweijährige Ausbildung. „Mein größ-
ter Wunsch“, sagt sie, „ist in Erfüllung ge-
gangen.“ Es war ein vier Jahre langer
Kampf, den sie gemeinsam mit der Berli-
ner Qualifizierungseinrichtung BIS ausge-
fochten hat.
Duygu Özens Mittagspause zieht sich
hin an diesem Tag. Sie erzählt, dass sie mit
Spina bifida zur Welt kam, einer Fehlbil-
dung der Wirbelsäule, im Volksmund auch
offener Rücken genannt. Sie kann nicht
laufen, hat keine Empfindungen in ihren
Beinen und Lernschwierigkeiten, aber den-
ken, das könne sie sehr wohl, sagt sie. Sie
frage dann eben drei Mal, wenn sie etwas

nicht verstehe. Die Sachbearbeiter in der
Agentur für Arbeit aber bestanden darauf,
dass Duygu Özen eine Ausbildung in einer
Behindertenwerkstatt macht. „Ich weiß
nicht mehr, wie oft ich denen gesagt habe,
dass ich in keine Werkstatt will“, sagt die
23-Jährige.
Dieser Wunsch war schon in ihrer Schul-
zeit gereift. Zwölf Jahre lang hat Duygu
Özen erst eine Schule für körperbehinder-
te Menschen besucht, dann eine mit dem
Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.
„Es war schlimm“, sagt sie. „Ich war da ein-
fach immer nur unterfordert.“ Wie man ei-
nen Tisch deckt, wurde ihr beigebracht.
Ihr aber fehlten „Menschen auf meinem
Niveau“, sagt sie. So sehr, dass sie sich im-
mer mehr zurückzog.
Leonie Geißelhardts Mutter Sigrid Hein-
ze kann von ähnlichen Erfahrungen berich-
ten. Sie sitzt auf dem Balkon ihrer Altbau-
wohnung und sagt: „Leonies Sachbearbei-
terin scheint zutiefst davon überzeugt zu
sein, dass Menschen wie unsere Tochter in
die Werkstatt gehören.“ Arbeitsagenturen
schauten nicht individuell, wo Potenziale
eines Menschen „optimal zur Geltung“
kommen könnten, sondern entschieden
sich in den meisten Fällen „für die Ein-
bahnstraße Werkstatt“. Mit manchmal fa-
talen Folgen. Heinze kennt Eltern, deren
Kinder stupide Arbeiten in Werkstätten
verrichteten und dort etwa Schachteln fal-
teten. „Die erzählen mir unter Tränen“,
sagt sie, „dass ihre Kinder das Lesen ver-
lernt haben.“

Die Werkstatt ist Leonie Geißelhardt er-
spart geblieben. Von montags bis freitags
arbeitet sie in der Bücherei, formal noch
als Praktikantin. Sie sortiert und foliert
und hilft bei Büroarbeiten. Wenn sie nicht
weiterweiß, fragt sie eine Assistentin, die
sie jeden Tag begleitet. Überglücklich ist
Leonie Geißelhardt, wenn sie ein falsch ab-
gestelltes Buch an den richtigen Ort
bringt, voller Stolz berichtet sie dann den
Mitarbeitern der Bibliothek davon. Einen
Kampf müssen ihre Eltern allerdings noch
gewinnen: dass das Arbeitsamt die monat-
lichen Kosten für die Assistentin über-
nimmt. Im Moment bezahlen ihre Eltern je-
den Monat 700 Euro aus eigener Tasche.
Ihren Kampf hat Duygu Özen bereits ge-
wonnen. Im Internet hat sie ein Foto von
sich gepostet, in ihren Händen hält sie ein
Blatt Papier mit dem Wort: Danke. Eine Bot-
schaft an die 35 000 Menschen, die ihre Pe-
tition unterschrieben haben. Schon immer,
sagt sie, wollte sie in einem Büro arbeiten.
Seit Juni nun fährt Duygu Özen wie Millio-
nen andere Arbeitnehmer morgens mit
U-Bahn und Bus von Charlottenburg, wo
sie mit ihrer Mutter lebt, nach Wedding zu
„Kopf, Hand und Fuß“, wo sie eine Ausbil-
dung zur „Prüferin in leichter Sprache“
macht. Es ist ein Ort, an dem Behinderte
und Nichtbehinderte zusammen arbeiten.
Einer, wie Geschäftsführerin Stefanie Trze-
cinski sagt, „wo das Anderssein normal ist“.
Duygu Özen muss jetzt also keine Ti-
sche decken oder Schachteln falten, son-
dern sie schreibt Mails, bearbeitet Video-
Tutorials, beantwortet Anrufe am Emp-
fangsdesk, schreibt Bildtexte für Blinde.
Sie weiß jetzt auch, wie es sich anfühlt, ge-
braucht zu werden. Das Universitätsklini-
kum Eppendorf in Hamburg etwa ist ihr
sehr dankbar für eine wertvolle Expertise.
Duygu Özen hat deren App für depressive
Menschen getestet – und Sprache und Nut-
zerführung bemängelt. Die App sei ge-
spickt gewesen mit schwierigen Wörtern,
urteilte Duygu Özen. Auch sei die App viel
zu bildlastig gewesen. Die App-Entwickler
haben ihre Tipps sofort umgesetzt.
Wie man das alles schafft, sich zwölf
Jahre lang auf der falschen Schule zu quä-
len und dann noch einmal vier Jahre lang
gegen die Arbeitsagentur zu prozessieren?
Duygu Özen lächelt und sagt ein einziges
Wort: „Geduld.“

„Dorian“ trifft auf Land


Lieber erst um 8.40 Uhr


KURZ GEMELDET


Tödlicher Unfall in Berlin


Eierlikör und Bowle, Kir Royal und
Schirmchen-Cocktails, Caipirinha und
Wodka Red Bull: Jeder Drink hat seine
Zeit. Zumindest war das so, bis 2004 der
Getränkegigant Campari das Familienun-
ternehmen Aperol kaufte und das italophi-
le Lebensgefühl einen Namen bekam:
Aperol Spritz. Nun sieht man die Groß-
städter gefühlt seit Jahrzehnten vor bau-
chigen Gläsern sitzen, den Blick in leuch-
tendes Orange versenkt. Das Prinzip „Son-
nenuntergang im Glas“ funktioniert – zu
jeder Tages- und Jahreszeit, in Steakhäu-
sern und Fußballstadien, auf Privatpar-
tys und in der Systemgastronomie, unter
sämtlichen Heizpilzen der Welt.
Inzwischen aber langweilen sich Bar-
keeper bei der Zubereitung dermaßen,
dass sie unablässig am Spritz herumdok-
tern und ihn abwandeln, nach dem Motto:
Hauptsache, nicht orange. Da wird roter,
grüner oder gelber Likör mit Prosecco ge-
mischt, ein Rosmarinstengel oder ein Gur-
kenscheibchen darin versenkt – fertig ist
der Cranberry, Waldmeister oder Limon-
cello Spritz. Selbst auf Almhütten begeg-
nen einem neuerdings Kreationen wie
Tropical Spritz mit sämigem Maracuja-
nektar oder Bergamotte Spritz, der an
Earl-Grey erinnert. Die letzten Zuckun-
gen eines Totgesagten?
Helmut Adam, Herausgeber des Berli-
ner MagazinsMixology, glaubt, dass der
Spritz seinen Zenit erreicht hat. „Eine gu-
te Cocktailbar lebt davon, dass sie etwas
zu bieten hat, was der Gast nicht ohne Wei-
teres überall bekommt oder selbst herstel-
len kann“, sagt der Schweizer. Seit selbst
Supermärkte den Spritz in sämtlichen Va-

riationen als Fertigmischung in Flaschen
oder Dosen verkauften, würden sich inno-
vative Bars zunehmend von der Idee dis-
tanzieren, einen Aperitif als Cocktail anzu-
bieten, nur weil er so beliebt ist.
So wie das Patolli zum Beispiel. Marco
Baier, Chef der Münchner Bar am Send-
linger Tor, serviert das Trendgetränk
nach 18 Uhr nicht mehr. Für Baier ist
Spritz ein Angebot für Gäste, die sich kei-
ne Gedanken machen wollen. Eine beque-
me Lösung auch für Barkeeper, weil man
ihn schnell zusammenschütten kann: „Er-
frischend, quietschbunt und nett deko-
riert.“ Mit dem Boykott versucht der

38-Jährige, seine Gäste zu bekehren. Da-
mit sie bewusster entscheiden, was sie
abends trinken. „Das tun sie beim Essen
ja auch.“ Die Bestellung eines Hugos oder
eines Aperol Spritz’ hält er für einen Re-
flex. Dabei sei ein knackiger Daiquiri oder
ein Gimlet geschmacklich bestimmt die
spannendere Wahl.
Sicher kann man seine Gäste dazu brin-
gen, Neues auszuprobieren, indem man
ihnen das Gewohnte vorenthält. Aller-
dings nur, solange die nächste Bar neben-
an die entstandene Lücke nicht füllt und
weiterhin den Reflex bedient. Seit der
Übernahme durch Campari jedenfalls hat
sich der Umsatz von Aperol kontinuier-
lich vervielfacht, Tendenz weiterhin stei-
gend. Mehr als 30 Millionen Liter Aperol
wurden 2016 ausgestoßen, im vergange-
nen Jahr waren es knapp 45 Millionen Li-
ter. Den größten Anteil davon gießen Bar-
keeper in ein Glas mit Prosecco oder Weiß-
wein, Soda und Eiswürfel.
Dass der Aperol Spritz nun aber ange-
zählt ist, würden nicht einmal seine Erfin-
der bestreiten: „Niemand will das trin-
ken, was seine Eltern getrunken haben“,
sagte Campari-Chef Bob Kunze-Conce-
witz einmal der SZ. Bis die nächste Genera-
tion sich an den Tresen lehnt und nach
Neuem verlangt, wird es allerdings noch
dauern: Kunze-Concewitz zufolge ist die-
ser Punkt erst nach 25 Jahren erreicht –
das wäre dann 2029. Bei Barchef Baier
kommt auf jeden Fall keine nostalgische
Sonnenuntergangsstimmung auf: „Um
den Spritz ist es nicht schade, er hat es
nicht verdient, erhalten zu bleiben, auch
nicht in Varianten.“ violetta simon

Hamburg– Der Fall hat landesweit Ent-
setzen hervorgerufen: Zwei junge Männer
ermorden bestialisch eine 18-jährige, im
dritten Monat schwangere Frau. Sie woll-
ten wissen, „wie es ist, einen Menschen zu
töten“, wie die Staatsanwaltschaft sagt.
Sie wollten sehen, wie ein Mensch stirbt.
Der Mord an Maria K. geschah am 18.
März 2019 in Zinnowitz auf der Insel Use-
dom. Nun hat das Landgericht Stralsund
die beiden Angeklagten zu langen Haft-
strafen verurteilt.

Für den 19-jährigen Haupttäter Nicolas
K. hat die Kammer am Freitag die Unter-
bringung im Maßregelvollzug einer Psych-
iatrie angeordnet und eine zwölfjährige Ju-
gendstrafe. Bei ihm wurde angesichts sei-
nes Alters zur Tatzeit das Jugendstraf-
recht angewandt. Gutachter attestierten
ihm das Fehlen jeglicher Empathie und
ein weiterhin hohes Maß an Gefährlich-
keit. Der 21-jährige Mittäter Niko G. soll le-
benslang ins Gefängnis. Bei ihm wurde au-
ßerdem die besondere Schwere der
Schuld festgestellt, was eine vorzeitige
Entlassung praktisch ausschließt.
Die Richter folgten damit weitgehend
dem Strafmaß, das Staatsanwalt und Ne-
benklage gefordert hatten. Nebenkläge-
rin war die Mutter von Maria K. Auf eine
Entschuldigung von Niko G. nach den Plä-
doyers am Montag reagierte sie mit den
Worten: „Ich werde euch nie vergeben. Ich

werde euch immer hassen.“ Ihre Tochter
und das Enkelkind werde ihr niemand zu-
rückgeben. Der Tod des Fötus in Marias
Bauch wurde in dem Verfahren als illega-
ler Schwangerschaftsabbruch gewertet.
Das Stralsunder Landgericht hatte kei-
ne Zweifel daran, dass Nicolas K. und Niko
G. das Verbrechen gemeinsam geplant
und begangen haben. Sie hätten einen
Menschen sterben sehen wollen, erläutert
auch die Vorsitzende Richterin Birgit Lan-
ge-Klepsch. Es gelten die Tatbestands-
merkmale Mordlust und Heimtücke. Als
einfaches Opfer wurde Maria K. ausge-
sucht, eine Freundin, die Vertrauen hatte
und allein wohnte. Die Täter kamen wie
Freunde in ihre Wohnung, als wollten sie
nur etwas trinken. Sie war auf den Angriff
nicht im Geringsten vorbereitet.
Nicolas K. stach ihr das Messer gemäß
der Anklage im Wohnzimmer erst hinter-
rücks in den Hals, sie fiel zu Boden. Es folg-
ten weitere Stiche, als sie bereits am Bo-
den lag und schrie. Niko G. soll sie dabei
an den Beinen festgehalten haben, was er
bestreitet. Anders als der geständige, aber
gefühllos und aggressiv wirkende Nicolas
K. zeigte er im Gerichtssaal Ansätze von
Reue. Er behauptete, er habe die Tat nicht
begehen wollen. Doch die Kammer ist von
seiner Schuld überzeugt. Er hätte Maria
K. warnen, die Tat verhindern können.
Nicolas K., der die tödlichen Stiche setz-
te, werden schwere Persönlichkeitsstörun-
gen zugeschrieben. Er gilt als potenzieller
Wiederholungstäter mit Mordfantasien.
Zu seinen vielen Tätowierungen zählt ein
Kreuz auf einer Wange, von dem er sagte,
es sei für Maria. peter burghardt

Erramatti Mangayamma, unterschiedli-
chen Angaben zufolge 73 oder 74 Jahre
alt, indische Zwillingsmutter, hat als
Gebärende womöglich einen Altersre-
kord geknackt. Im Bundesstaat Andhra
Pradesh soll sie zwei Mädchen zur Welt
gebracht haben, ihre erste Geburt, Ergeb-
nis einer künstlichen Befruchtung. Ihr
Mann erlitt am folgenden Tag einen
Schlaganfall und muss im Krankenhaus
behandelt werden. Mutter und Kindern
dagegen geht es gut: „Wir haben es viele
Male versucht und waren bei zahlrei-
chen Ärzten“, sagte Mangayamma der
BBC. „Dies ist der glücklichste Moment
meines Lebens.“ In ihrem Dorf sei sie als
Kinderlose stigmatisiert worden.


Reinhold Messner, 74, italienischer
Bergsteiger, gilt nun auch als Experte
für den Fitnesszustand der Bundeskanz-
lerin. Zur Kondition von Angela Merkel
sagte Messner demFocus: „Ich verrate
nicht zu viel, wenn ich sage: Die Frau ist
viel zäher, als die meisten denken. Sie
schafft locker 1000 Höhenmeter. Ohne
zu rasten.“ Messner und Merkel verbin-
det eine Wanderfreundschaft.


Brad Pitt, 55, US-Schauspieler, beein-
druckt die Ehrlichkeit bei den Anony-
men Alkoholikern. „Da sitzen all diese
Männer um dich herum, offen und ehr-
lich auf eine Art und Weise, von der ich
noch nie gehört hatte“, sagte er in einem
Bericht derNew York Times. Er sei an-
derthalb Jahre zu den Anonymen Alkoho-
likern gegangen, es sei ein sicherer Platz
gewesen, in dem es wenig Verurteilung
gab. Auch habe keiner aus der Gruppe
Pitts Geschichten an die Medien ver-
kauft. „Es war wirklich sehr befreiend,
die eigenen hässlichen Seiten bloßzule-
gen.“ Pitts Alkoholprobleme trugen 2016
womöglich auch zur Scheidung von
seiner Frau Angelina Jolie bei.


Es war schlimm.
Ich war da
einfach immer nur
unterfordert.“

DUYGU ÖZEN

10 PANORAMA HMG Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH


Ganz normale


Traumjobs


Die meisten Menschen mit schwerer


Behinderung arbeiten in Werkstätten.


Duygu Özen, Leonie Geißelhardt


und Lew Wagle ist die


Flucht aus diesem System geglückt


Das Universitätsklinikum
Eppendorfist ihr sehr dankbar
für eine wertvolle Expertise

Der Sonnenuntergang geht unter


Verpanscht, verbannt, veraltet – quo vadis, Aperol Spritz?


Aus Lust gemordet


Hohe Strafen für zwei Männer, die schwangere Frau töteten


In Großbritannien geht’s ja hoch her gera-
de,aber so hoch?Peter Lalor, ein australi-
scher Cricket-Journalist, hatte in einem
Hotel in Manchester eigentlich nur ein
Bier bestellt, 6,13 Euro. Abgebucht wur-
den ihm dann aber 61689,36 Euro. Immer-
hin will das Hotel alles zurückzahlen. „Das
teuerste Bier der Welt“, sagte Lalor der
BBC. Ob das stimmt? Warten wir mal den
Brexit ab.FOTO: BLOOMBERG

Einer der beiden gilt als
möglicher Wiederholungstäter
mit Mordfantasien

Lew Wagle macht eine Ausbildung zum Koch. FOTOS: STEFANIE PREUIN

Duygu Özen überprüft Apps auf ihre Verständlichkeit.

Leonie Geißelhardt arbeitet in einer Stadtteilbücherei.

Barkeeper langweilen sich schon, also
doktern sie am Spritz herum. FOTO: IMAGO

LEUTE


61689,36 Euro Zeche

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