Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
von bernd graff

O


b nun Brexit-Votum oder
Trump-Wahl, Salvinis Tri-
umphzug 2018 oder die jüngs-
ten Landtagswahlen in
Deutschland – es ist ist unüber-
sehbar, dass Angebote mit radikalen politi-
schen Positionen, Propaganda und Popu-
lismus in den sozialen Medien und Netz-
werken besonders gut gedeihen. Den
Reichweiten solcher dauererregter Seiten
können die Angebote etablierter politi-
scher Parteien und Nichtregierungsorgani-
sationen selbst unter großem (finanziel-
lem und personellem) Aufwand kaum et-
was entgegenhalten.
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stif-
tung zur letzten Europawahl vom Juni
2019 belegt, dass CDU und SPD, immerhin
die aktuellen Regierungsparteien in der
Groko, nicht einmal gemeinsam so viele
Fans, Freunde und Follower – mit deren
entsprechenden Interaktionsraten – auf
Facebook aufweisen können wie die rechts-
populistische AFD alleine. Digitaler Wahl-
kampf, so kann man verallgemeinern, der
Einsatz von Social Media zur Mobilisie-
rung von Anhängern, ist überall auf der
Welt zur Domäne der Rechten, Identitären
und Ultranationalen geworden.
Was aber macht die extreme Rechte län-
derübergreifend im Netz so attraktiv und
so erfolgreich? Wie schafft sie es, dort Par-
allelöffentlichkeiten für sich aufzubauen,
die immer stärkeren Zulauf genießen? Vor
allem: Warum ist das so, obwohl die bürger-
lichen Parteien alle längst erkannt haben,
dass sie sich um ihre Klientel verstärkt im
Netz kümmern müssen, und eigene Social-
Media-Kampagnen fahren? Sogar die bay-
erische CSU hat gerade erst einen #csyou
genannten Youtube-Channel gestartet, in
dem ein parteifinanzierter Armin angeb-
lich mediengerecht herumalbert.
Dieser Frage, warum die sozialen Medi-
en den besten Nährboden für die extreme
Rechte bilden, widmet sich eine gerade er-
schienene Studie von Maik Fielitz und Hol-
ger Marcks. Sie gibt einige so verblüffende
wie beängstigende Antworten. Etwa die,
dass die Mechanismen von Social Media
die Ausbreitung und Verfestigung rechter


Gesinnung überhaupt erst ermöglichen.
Die Wissenschaftler vom Hamburger Insti-
tut für Friedensforschung und Sicherheits-
politik haben ihre Arbeit „Digital Fascism:
Challenges for the Open Society in Times
of Social Media“ in einer Reihe des Berke-
ley Center for Right-Wing Studies veröf-
fentlicht, und natürlich muss die erste Fra-
ge an sie lauten, welchen Begriff von Fa-
schismus sie für das Digitale verwenden.
Zugrunde liegt die Definition von Roger
Griffin, einem Professor für Zeitgeschich-
te in Oxford. Er bezeichnet Faschismus als
„palingenetischen Ultranationalismus“,
der die „Neugeburt“ der Nation anstrebt,
entschlackt von angeblich verkommenen
Eliten, Lobbyisten, dem systemstützen-
den Beamtenapparat wie ihren gefügigen
Medien, von dem also, was die Alt-Right-
Bewegungen in den USA den „Deep State“

nennen. Solche, immer populistischen
Ideologien beanspruchen, als einzige die
unverblümte Wahrheit zu sagen, scho-
nungslose Diagnosen der Wirklichkeit zu
liefern, man vertritt einen allerdings „idio-
synkratischen Wahrheitsbegriff“, der sich
mit Fakten meist nicht lange aufhält. Die
Ziele solcher Ideologien metaphyseln im
Ungefähren, der von Steve Bannon verehr-
te italienische Kulturpessimist Julius Evo-
la gilt gerade wieder als Säulenheiliger.
Den Kern von Griffins Thesen bildet,
dass Faschismus nicht nur als ein von Par-
tei-Ideologen entworfenes und durchge-
setztes Regime mit klassisch-autoritären
Strukturen gedacht wird, sondern auch als
dynamisches Massen-Phänomen, das sich
gegen eine mutmaßlich existenzielle Be-
drohung wehrt. Man kämpft gegen eine
Überwältigung, stärkstes Motiv ist Angst.
Digitaler Faschismus beschreibt ent-
sprechend nicht eine stramm parteiorgani-
sierte, autoritär verordnete Massenbewe-
gung, sondern die sich selber radikalisie-
rende Systemopposition im Netz. Es bildet
sich eine in sich geschlossene Hasskultur,
die von nationalistischen Stimmungs-

machern in Dauererregung gehalten und
in ihrer Richtung bestärkt wird. Man lenkt,
wie die Studie diese Form digitaler Manipu-
lation beschreibt, die „Führungslosen im
Netz“ in den „führerlosen Widerstand“.
Treibstoff für solche sich selber stark
machenden Bewegungen sind daher nicht
die Ideale einer nationalistischen Zukunft,
sondern Gefühle: Angst, Bedrohung, Be-
nachteiligung, das Bedürfnis nach Ab-
wehr, eine Opfermentalität, die von den
Manipulatoren der extremen Rechten be-
feuert, in deren Jargon: „ernst genom-
men“ und mit „Mut zur Wahrheit“ (AfD)
nur von ihnen ausgesprochen werden.
So entsteht eine irrationale Gemenge-
lage, in der einerseits größtes Misstrauen
gegenüber einem für delegitimiert erklär-
ten System „draußen“ gehegt und befeu-
ert wird. Andererseits verständigt sich
„drinnen“ eine Gemeinschaft von Betroffe-
nen darauf, sich dieses Systems zu erweh-
ren. Die Studie spricht darum von der „fa-
milienartigen Variation des Faschismus“.
Ein aktuelles Beispiel, wie aus dem Lehr-
buch: Martin E. Renner, Mitglied der AfD-
Fraktion im Bundestag, verschickt am


  1. September 2019 eine Rundmail an seine
    Anhänger. Darin heißt es: „Auf der einen
    Seite die gesamte etablierte Beutegemein-
    schaft, bestehend aus den ‚regierigen‘
    Parteien und den Medien, den Kirchen,
    den Institutionen, den Gewerkschaften.
    Und alle wiederum eskortiert von Heer-
    scharen angeblicher Vertreter der Zivilge-
    sellschaft, sozusagen die ‚demokratische
    Vorzeigelarve‘ der Beutegemeinschaft. (...)
    Auf der anderen Seite wir, die Alternative
    für Deutschland. Angetreten, um exakt
    diese neo-feudalistischen Strukturen zu
    benennen und zu bekämpfen.“
    Was aber macht einen solchen irren Po-
    lit- Strudel aus Ideologie, Demagogie, Ver-
    schwörungsthese und Paranoia nun im
    Netz so sexy und ungemein erfolgreich?
    Im Gespräch mit den beiden Autoren der
    Studie führt Maik Fielitz aus: „Faschisti-
    sche Weltanschauungen bauen die Kulisse
    einer außerordentlichen Gefährdung auf,
    um illiberale Maßnahmen dagegen recht-
    fertigen zu können. Befördert und ver-
    stärkt werden Gefühle von Auslöschung
    und Verrat (‚Umvolkung‘, ‚Volksverräter‘),


auf die man bedrohungsadäquat reagieren
muss.“ Holger Marcks ergänzt: „Dazu be-
treiben extremistische Organisationen
‚Frame Amplification‘: Man fokussiert ein
Thema, Flüchtlinge, Negativmeldungen
werden wie aus einem digitalen Zettelkas-
ten heraus wieder und wieder über die
Community gestreut, oft von Fake-Ac-
counts aus, die angeblich sogar von geläu-
terten Anhängern anderen Parteien stam-
men. Maßnahmen gegen Flüchtlinge er-
scheinen nun fast wie Notwehr.“ Digitaler
Faschismus ist emotional getriggert.

Die Möglichkeiten von Social Media
sind der ideale Verstärker: So wird über
„metrische Manipulation“, das künstliche
Hochjazzen von Interaktionen zu Beiträ-
gen, und „Gaslighting“, das Säen von Miss-
trauen gegenüber Instanzen der Gesell-
schaft und des Staates („Systemparteien“,

„Lügenpresse“), ein realitätsverzerrtes Be-
drohungs- wie Widerstandsumfeld der
Mutigen suggeriert. Marcks spricht von
„neuer Wahrnehmungsordnung“, in der
sich ein vermeintliches Wissen an den Ga-
tekeepern der Informationsvermittlung
vorbei verbreitet. Es entsteht die Illusion
von Akzeptanz für die eigenen Aversionen.
Entscheidend ist, dass die Community-
Mitglieder an dieser Verbreitung aktiv teil-
haben. Aus Konsumenten von Nachrich-
ten sind „Prosumenten“ geworden, Men-
schen, die selbst am düsteren Bild jener
Welt mitmalen, in der sie zu leben glauben.
Die organisierten Akteure des digitalen
Rechtsextremismus wirken auf die Prozes-
se ein, indem sie die entsprechenden emo-
tionalen Knöpfe drücken, um gewünschte
Dynamiken zu erzeugen. Lokale Verbre-
chen etwa werden so zu Menetekeln für
den bevorstehenden Untergang der Nation
und damit zur Bestätigung der Bedrohung
wie der Legitimation des Widerstands.
Die Grenzen zwischen radikalen Aktivis-
ten, versierten Technikern, die Netzdebat-
ten lenken, und ahnungslosen Unter-

stützern, Zaungästen und, ja, Bots ver-
schwimmen. Ein Element dazu ist Humor:
Doppelsinn und Ironie, Insider-Jokes und
Memes müssen als Eckpfeiler dieser Kom-
munikation begriffen werden. Man atta-
ckiert die verhasste Political Correctness
und will es anschließend nicht so gemeint
haben. Auf Dresdner Pegida-Demonstrati-
onen sah man die in eine Burka gephoto-
shopte Bundeskanzlerin, ein ausgedruck-
tes Meme. In Erinnerung bleibt der „Pegi-
da-Galgen“, den der Galgenbauer als „Sati-
re“ verstanden wissen wollte.
„Digitaler Faschismus“, so die Studie,
„kann charakterisiert werden durch den
Umstand, dass Massen sich über soziale
Medien selber manipulieren. Faschisti-
sche Entwicklungen verdanken sich neuen
Kommunikationsstrukturen, die die Wahr-
nehmung extremistischer Narrative verän-
dert haben.“ Nationalistische Lagerfeuer
halten kalte, unliebsame Wahrheiten fern,
man bleibt unter sich und ist immun gegen
die Korrektur durch Fakten. Die Demokra-
tie muss dafür sorgen, dass deren Flackern
nicht alternativlos für Deutschland wird.

Treibstoff für die Bewegungen
sind Angst vor Bedrohung
und eine Opfermentalität

Die Nutzer malen selbst
am düsteren Bild jener Welt mit,
in der sie zu leben glauben

Digitale Faschos


Warum funktionieren Nationalismus und Hass im Netz so gut?


Zwei Wissenschaftler haben das Phänomen durchleuchtet


DEFGH Nr. 207, Samstag/Sonntag, 7./8. September 2019 HF2 FEUILLETON 17


Immer im Netz: AfD-Anhänger filmt beim Wahlkampf in Brandenburg eine Rede von Björn Höcke. FOTO: PATRICK PLEUL / DPA

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