Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
von max hägler
undchristina kunkel

E


s ist der Moment, an dem die An-
spannung in dieser Debatte
deutlich wird. Der Cheflobbyist
der deutschen Autoindustrie,
Bernd Mattes, fährt seine Kon-
trahentin an. Er klingt empört: Sie möge
doch so nett sein, ihn ausreden zu lassen,
ruft der VDA-Präsident nach links. „Ich
bin doch auch nett zu Ihnen!“ Luise Neu-
mann-Cosel schweigt, für den Moment zu-
mindest. Aber es fällt ihr schwer, zuse-
hends. Sie arbeitet als Kampagnenleiterin
für eine Organisation namens „Campact“,
ist einer der Menschen, die von der Autoin-
dustrie viel mehr Einsatz fordern beim Kli-
maschutz. „Kann man Ihnen überhaupt
glauben bei den Grenzwerten?“, wird sie
an diesem Abend noch in die Debatte wer-
fen. Da schwingt der Dieselskandal mit,
ein großes Misstrauen. Es wird auch nach
diesem ungewöhnlichen Streitgespräch
nicht ausgeräumt sein. Und die Unsicher-
heit bei den Automanagern auch nicht.
Die deutsche Autobranche, das war lan-
ge eine Sache der Breitbeinigen mit über-
großem Selbstbewusstsein. Größer,
schneller, stärker, so lief das über Jahr-
zehnte. Auf ihrer eigenen Leistungsschau,
der IAA in Frankfurt, war das immer wie-
der abzulesen. Vor 25 Jahren hieß das Mot-
to, ganz schlicht: „Auto. Echt gut.“ Wenn
damals ein paar Umweltschützer mit Papp-
schildern vor den Toren standen, lachten
die Wirtschaftsmächtigen drinnen höchs-
tens. Dann kam der Dieselskandal, dann
kam die Europäische Union mit ihren här-
teren Abgasregeln, dann kamen Greta
Thunberg und Fridays for Future.
Und jetzt ist die ohnedies angeschlage-
ne einstige Vorzeigeindustrie unter Druck
wie nie. Die IAA in diesem Jahr wird beglei-
tet von Protesten, wie sie im Autoland un-
bekannt waren bislang. Für den Samstag
in einer Woche ist eine Großdemo ange-
kündigt, das Motto: Aussteigen. Eine Initi-
ative namens „Sand im Getriebe“ will am
Tag darauf verhindern, dass überhaupt Be-
sucher auf die Messe kommen und den
Lamborghinis über die Kotflügel strei-
cheln: Sitzblockaden wird es wohl geben.

In der Branche haben sie jedenfalls or-
dentlich die Hosen voll. Wer sich in diesen
Tagen mit Automanagern unterhält über
die wichtigsten Trends, hört nichts von
Fahrerassistenzsystemen oder feschen De-
signs, sondern: Die Proteste sind das Rele-
vanteste. Von Angst ist da sogar manch-
mal die Rede. Der eine regt sich auf, dass
da Menschen mit Sturmhauben vom
G20-Gipfel in Hamburg über den Hamba-
cher Forst zur IAA ziehen würden. Ein an-
derer berichtet von den umfangreichen
Vorbereitungen im Polizeipräsidium
Frankfurt und von Schutzmaßnahmen.
Es ist unklar, wie viel davon Panikma-
che ist, aber es wird unangenehm auf der

IAA in diesem Jahr. Es wäre ein Risiko, dar-
auf nicht zu reagieren: Die Umfragen im
Land zeigen zwar, dass den Menschen ihr
Auto wichtig ist, aber auch, dass sie sich
mehr Umweltbewusstsein von Politik und
Wirtschaft wünschen – und die Autoindus-
trie schon mal mehr Vertrauen genoss.
Um die schöne Show wenigstens ein
bisschen zu retten, hat der Automobilver-
band also zum Gespräch geladen mit Auto-
kritikern. Ort und Zeit waren lange um-
stritten. Erst war ein beiläufiges Reden
während der Messe geplant, darauf ließen
sich die Organisatoren der Großdemo aber
nicht ein. Drei Vertreter wurden schließ-
lich in die Landesvertretung Baden-Würt-
temberg geschickt: Neben Neumann-
Cosel sind Ernst-Christoph Stolper, ein
langgedienter Umweltschützer vom Bund
Naturschutz, und Kerstin Haarmann vom

Öko-Verkehrsclub VCD dabei. Die Autoleu-
te versuchen, einen gemeinsamen Nenner
zu finden. Man wolle einen „gesellschaftli-
chen Dialog“ in Gang setzen, beschwört
Mattes an diesem Abend. Und redet da-
von, dass sich die „Verhaltensmuster“ än-
dern müssten in der Industrie. An seiner
Seite der BMW-Betriebsratschef Manfred
Schoch und Daimler-Vertriebsvorständin
Britta Seeger.
Drei gegen drei, auf Augenhöhe, so was
gab es noch nie. Und zumindest sind alle
um Friedlichkeit bemüht. Es gelte auch
hier das Motto der Friedensbewegung,
sagt Stolper: „Besser, miteinander zu re-
den, als aufeinander zu schießen.“
In einem Punkt gibt es tatsächlich Einig-
keit zwischen Industrie-Vertretern und
Umweltschützern: Die CO2-Emissionen
müssen runter und Elektroantriebe wer-
den dabei eine Rolle spielen. Aber schon
bei der Frage, wie weit und wie entschie-
den, entsteht Streit. So viel wie die EU vor-
gibt, sagt Mattes, und das werde auch so
geschehen, andernfalls würden ja auch
Milliardenstrafen fällig. Also 37,5 Prozent
weniger Kohlendioxid bis zum Jahr 2030,
machbar mittels sieben bis zehn Millionen
Elektroautos. Das ist zu wenig, entgegnen
die Klimaschützer. Und mehr Förderung
für Elektromobilität, darauf kann man
sich einigen, gerichtet an den Akteur, der
nicht da ist: Verkehrsminister Andreas
Scheuer. BMW-Mann Schoch wäre sogar
bereit, über Änderungen bei der Dienstwa-
gensteuer und den Dieselsubventionen zu
reden. Daimler-Frau Seeger spricht zumin-
dest kurz von der Möglichkeit, dass große

Autos noch höher besteuert werden könn-
ten, um kleinere zu fördern.
Doch ist es auch ihr Job, Autos zu ver-
kaufen, damit die Firma Geld verdient und
Leute Arbeit haben. Und so spricht sie man-
traartig von „hochattraktiven Produkten“.
Rechtfertigt sich damit, dass die Kunden
große SUVs wünschten und Daimler sie
verkaufe, weil es sonst eben andere tun
würden. Und ja, sagt sie, es sei schon so,
dass mit bisherigen Verbrenner-Fahrzeu-
gen das Geld verdient werde. Doch nur so

könne man die neuen Geschäfte finanzie-
ren, die sowieso schwieriger geworden
sind. Weltweit werden weniger Autos ver-
kauft und die Konkurrenz aus China und
den USA jagt den deutschen Herstellern
Kunden ab. Im Übrigen sei es schwierig,
Menschen zum Elektroauto zu bewegen.
Mercedes hat aktuell nur ein E-Modell im
Angebot. Um das loszuwerden sei viel „Be-
ratung“ nötig, sagt Seeger: Sie erlebe viel
„Reichweitenangst“. Aber es gehe doch
nicht um Reichweitenängste, kontert Neu-

mann-Cosel: „Es geht um Zukunftsängs-
te!“
Es ist hier an dem Abend so, wie es bald
vor den Messetoren sein wird: Es stoßen
völlig unterschiedliche Weltbilder aufein-
ander. Ein Zusammenfinden ist da schwer
möglich. Wenn VDA-Präsident Mattes von
Mobilität spricht, setzt er immer noch das
Wörtchen „individuell“ davor. Was nichts
anderes heißt, als dass es weiterhin in Ord-
nung sein soll, wenn man lieber alleine mit
dem 2,5-Tonnen-SUV herumfährt als das
Fahrrad zu nehmen. Für Stolper soll das
Auto eigentlich nur noch ein Randphäno-
men sein: Das Vehikel für den „Restbe-
darf“, also die Momente, wo kein Bus, kein
Zug, kein Fahrrad zur Verfügung stehen.

Oder anders ausgedrückt: Die einen wol-
len immer mehr verkaufen und für Jobs
sorgen, die anderen würden lieber leere
Straßen haben und Fabrikarbeiter zu Bus-
fahrern umschulen: 200 000 Jobs könnten
da entstehen, sagt die VCD-Vorsitzende.
Und man müsse auch einmal diesen Blick
einnehmen, über die Branche hinauszu-
denken. Bei der Kohleindustrie sei das ja
auch nötig gewesen. Manfred Schoch
schaut da ungläubig, aber immerhin: Er
bleibt ruhig. Als die Forderung kommt,
dass Millionen Autos in Deutschland über-
flüssig seien, da kann sich Mattes dann
aber nicht zurückhalten: „Wer mutet sich
das zu? Zu einem Viertel der Menschen ge-
hen und sagen: Gib Dein Auto ab?“
Und was nun, nach den zwei Stunden?
Was würden die Diskutanten auf die Schil-
der schreiben, sollten sie für ihre Sache
auf die Straße gehen müssen? „Verkehrs-
wende sonst Weltende“, sagt Luise Neu-
mann-Cosel. „Wir wollen nachhaltige indi-
viduelle Mobilität“, sagt Mattes. Ein gro-
ßes Schild.

von helmut martin-jung

G


inge es nach Messen wie der Ifa,
würde es in einem Eigenheim et-
wa so aussehen: Roboterstaubsau-
ger fahren umher, einer in jedem Stock-
werk, Sicherheitskameras überwachen je-
den Winkel. Die LED-Beleuchtung kann
auf Wunsch stimmungsvolle Effekte zau-
bern, Raumsensoren überwachen die
Luftqualität, Rauchmelder alarmieren so-
fort übers Internet den Hausbesitzer, so-
bald etwas Verdächtiges in ihre elektroni-
sche Nase steigt. Die Heizung weiß, wann
ihre Besitzer zu Hause sind und wann
nicht, und regelt sich entsprechend. Fens-
ter und Türen sind mit Sensoren abgesi-
chert, die Rollläden natürlich auch. Öff-
nen und schließen lassen sie sich mit Ale-
xa per Sprachbefehl.
Die Aufzählung ließe sich lange fortset-
zen. Und irgendwann landet man dann
bei Kühlschränken, die in ihrem Inneren
eine Kamera haben. Damit der Besitzer
im Supermarkt schnell nachgucken
kann, ob noch genügend Milch da ist oder
nicht. Und man landet bei Waschmaschi-
nen, die ebenfalls via Smartphone mittei-
len, wenn sie ihre Arbeit erledigt haben.
Ob man das alles braucht oder auch
nur einen Teil davon, ist eine Entschei-
dung, die natürlich jeder selbst treffen
muss. Doch muss auch klar sein: So viel
Bequemlichkeit hat ihren Preis. Nicht
nur muss man die Geräte erst einmal kau-
fen. Meist ist auch eine monatliche Miet-
gebühr für die Datenspeicherung in der
Cloud fällig. Und dann kommt das, was
man leicht übersieht, das aber der viel-
leicht höchste Preis ist: die Daten, die
man preisgibt.


Schon klar, die Unternehmen verspre-
chen alle, dass sie gut auf unsere Daten
aufpassen. Doch Pannen gibt es zuhauf,
und was viele Firmen sich durch Zustim-
mung zu ihren Geschäftsbedingungen ab-
segnen lassen, geht oft weiter als das, was
die meisten Menschen freiwillig verraten
würden. Die Crux an der Sache ist: Je bes-
ser alles zusammenspielen soll, umso
mehr Daten braucht die Technik. Umso
mehr Informationen muss der Nutzer al-
so aus seinem privaten Umfeld preisge-
ben, und so steigt auch das Risiko, wenn
es eine Datenpanne gibt.
Dass das Smart Home bis jetzt noch
nicht der Megaerfolg ist, den sich die In-
dustrie erhofft hat, liegt aber nicht nur
daran. Zwar behaupten alle Hersteller,
bei ihnen sei es ganz leicht, Geräte einzu-
binden und zu steuern – im wirklichen Le-
ben gibt es dann doch stets das eine oder
andere Problem. Da reicht mal das Wlan
nicht bis in jeden Winkel, mal verhaspelt
sich eine funkgesteuerte Lampe und
muss mit einem Neustart wieder zur Ver-
nunft gebracht werden.
Für Nutzer, die bereits die Menüviel-
falt eines Fernsehers gelegentlich über-
fordert, klingt das nicht sehr verlockend.
Hinzu kommt, dass man darauf achten
muss, Geräte zu verwenden, die auch
kompatibel sind. Ja, es gibt Plattformen,
die solche Geräte miteinander verbin-
den, aber sie werden – wie ein Betreiber
zugibt – bis jetzt vor allem von Technik-
begeisterten genutzt, von Nerds also, die
gerne mit Technik herumspielen.
Der durchschnittliche Hausbewohner
aber wird sich allenfalls für einzelne Lö-
sungen begeistern können, etwa für eine
Heizungssteuerung. Die ist sogar aus
energetischen Gesichtspunkten sinnvoll
und amortisiert sich auch finanziell
schnell. Zur Not kann die Einrichtung
auch ein Fachbetrieb übernehmen, die
Nutzer müssen dann nur die Steuerung
per App erlernen – das schafft fast jeder,
der ein Smartphone bedienen kann.
Die meisten Angebote aber braucht
man entweder nicht wirklich oder sie
sind in der Bedienung noch zu kompli-
ziert. Solange sich das nicht ändert, kann
die Industrie mit noch so vielen neuen Fä-
higkeiten ihrer Geräte werben. Erfolg
werden sie erst haben, wenn sie leicht be-
nutzbar und auch möglichst sicher sind.


DEFGH Nr. 207, Samstag/Sonntag, 7./8. September 2019 HF2 25


WIRTSCHAFT


Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer
seiamtsmüde, war zu hören. Doch nichts da.
Er will weitermachen  Seite 28 Die TV-Hersteller haben lange vom
Umstieg auf den Flachbildschirm profitiert.
Doch was kommt nun?  Seite 31

Vergiftetes Klima


Zum ersten Mal zeigen Deutschlands Automanager
Angst vor Umweltschützern – und das
ausgerechnet kurz vor der wichtigen Messe IAA

Helmut Martin-Jung testet
vieleGeräte, braucht aber
nur wenige wirklich.

Kilotonnen CO2-Emissionen hat allein
derStraßenverkehr in Deutschland
2017 laut Umweltbundesamt ver-
ursacht. 1990 waren es noch 151881
Kilotonnen. Während der CO2-Ausstoß
in anderen Sektoren kontinuierlich
sinkt, wird der Straßenverkehr
also immer dreckiger.

Die einen wollen möglichst viele
Autos verkaufen. Die anderen
möglichst leere Straßen

In einer Woche wird es eine
Großdemo vor der Messe geben.
Und wohl Sitzblockaden

Drei Bauern verklagen die
Bundesregierung, weil die ihre
Klimaziele nicht einhält  Seite 34

Bauernaufstand


Statt fettem Auspuffsound
sindbei der diesjährigen IAA
leise, elektrische Töne an-
gesagt.FOTO: N. CHING/BLOOMBERG

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