Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1

Über diese Auszeichnung dürfte sich der
Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni
(FOTO: DPA) freuen: DieBild-Kolumnistin An-
nette Weber hat ihn in ihrer wöchentli-
chen Style-Kolumne als „Adonis im Meer
der ‚Mc Anzug‘-Träger“ bezeichnet, Zam-
peronis Stilbewusstsein mache ihn zu ei-
nem „gut angezogenen Erklär-Bär“ und
„Mode-Zampano“.
Wie schön, dass das mal eine Frau über
einen Mann sagt! Zamperoni trägt bei
denTagesthemen vier Anzüge, die er
durchwechselt. Das hat er einmal in ei-
nem Interview gesagt. Der Moderator
dürfte seine Anzugwahl trotzdem mit der
Kostümabteilung erfolgreich abstim-
men. Von der spricht er in dem Interview
nämlich auch.
Zwar analysiert die Kolumnistin die
Farben der Anzüge (von Ultramarin über
Emaille bis Kobalt), doch Marken nennt
sie nicht. Sonst würde sich womöglich
noch der Meghan-Markle- Effekt einstel-
len – ist der Designer bekannt, ist das
Kleidungsstück ratzfatz ausverkauft –,
und dann würden sämtliche Männer in
bläulich changierenden Slim-Fit-Anzü-
gen durch die Großraumbüros flanieren.
Der feine Zwirn wäre ausverkauft, und
Zamperoni, der ja beizeiten seine Anzüge
erneuern muss, stünde ohne da. Nicht aus-
zudenken! maresa sedlmeir


Ultramarin


von georg mascolo
undronen steinke

I


m Oktober 1971 diktierte der frühe-
reSpiegel-Redakteur Conrad Ah-
lers, inzwischen enger Vertrauter
und Sprecher des Bundeskanzlers
Willy Brandt, einen Brief. Adressat
war der Deutsche Presserat, und das Anlie-
gen von Staatssekretär Ahlers bestand dar-
in, eine offen rassistische Berichterstat-
tung in den deutschen Tageszeitungen zu
beenden.
„Verschiedene amerikanische Organisa-
tionen“ hätten Kritik „an der Behandlung
farbiger amerikanischer Soldaten geübt“,
schrieb Ahlers, anders als amerikanische
Zeitungen würden deutsche Blätter bei
Straftaten von GIs stets „auf die Hautfarbe
der in die berichteten Fälle verwickelten
Soldaten“ hinweisen. Er bitte, doch darauf
zu verzichten, die „Rassenzugehörigkeit
der Beteiligten zu erwähnen“.
Einen Monat später ging ein weiterer
Brief beim Presserat ein, dieses Mal vom
„Verband der Deutsch-Amerikanischen
Clubs“, die 38 Vereine, die es damals in der
Bundesrepublik gab, hatten gerade ihre
Jahresversammlung in Karlsruhe abgehal-
ten. Man sehe mit „großem Bedauern,
dass in vielen deutschen Zeitungen der
Grundsatz der gleichen Behandlung aller
Nationalitäten und Rassen nicht beachtet
wird“, hieß es in dem Schreiben. „Ständig“
würden bei Berichten über die Kriminali-
tät von US-Soldaten die Afroamerikaner
hervorgehoben, dabei sei doch die „Nen-
nung der Hautfarbe nicht nötig“.

Die beiden Briefe zeigten Wirkung. Be-
reits im Dezember 1971 reagierte der Pres-
serat mit einer „Entschließung zur Be-
kämpfung rassischer Diskriminierung
und Vorurteile“. Als später der Presseko-
dex mit Geboten und Verboten für die jour-
nalistische Arbeit verabschiedet wurde,
fand sich darin auch die Forderung, auf je-
de Form von Diskriminierung zu verzich-
ten – und hierfür bei der Berichterstat-
tung über Straftaten nur ausnahmsweise
auf die Zugehörigkeit der Verdächtigen zu
einer ethnischen, religiösen oder anderen
Minderheit hinzuweisen.
Nur ausnahmsweise. Nur wenn „ein be-
gründetes öffentliches Interesse vorliegt“.
Und besonders beachten, „dass die Erwäh-
nung Vorurteile gegenüber Minderheiten
schüren könnte“. So steht es bis heute in
Ziffer 12, Punkt 1 der aktuell gültigen Vor-
schrift, mit der „die Wahrung der Berufs-
ethik sichergestellt“ werden soll. Aber
kein anderer des 16 Punkte umfassenden
Kodexes ist bis heute so umstritten und so
schwer auszulegen. Kommt es zu Sanktio-
nen, zu denen beim Presserat der Hinweis,
die Missbilligung und als schärfste Maß-
nahme die Rüge zählen, dann ist die Dis-
kussion oft noch lange nicht beendet.
Wann liegt ein begründetes öffentli-
ches Interesse vor? Muss man wissen, wel-
cher Nationalität der Mann ist, der im Juli
an einem Bahngleis in Frankfurt eine Mut-
ter und ihren achtjährigen Sohn vor einen
einfahrenden Zug stieß? Woher jemand
kommt, der in einem Freibad in Düssel-
dorf randaliert? Oder der am Münchner
Hauptbahnhof ein Messer zückt?
Über die Frage, was berichtet werden
soll und muss, scheint das Land manch-
mal so gespalten zu sein wie über die Mi-
gration insgesamt. Für die einen stehen
die Medien – und der Staat – im Verdacht,
die doch so wichtige Information der Her-
kunft aus ideologischen Gründen zu unter-
schlagen, vor allem in AfD-Kreisen hat die-
se These viele Unterstützer. Die Partei
scheint ziemlich enttäuscht zu sein, wenn
ihr die saarländische Landesregierung auf
eine parlamentarische Anfrage hin mit-
teilt, wie die häufigsten Vornamen von po-
lizeilich ermittelten Messerstechern lau-
ten: Michael, Daniel und Andreas. Auf der
anderen Seite der Barrikade scheint bis-
weilen jede Erwähnung der Herkunft,
selbst mit eingehender Begründung, den
Verdacht auf Rassismus auszulösen. Nicht
nur diese ideologische Aufladung hat die
Debatte weiter verschärft, auch eine Ent-
scheidung des Staates trägt jetzt dazu bei.
Vor einer Woche verkündete der Innenmi-
nister von Nordrhein-Westfalen, Herbert
Reul (CDU), überraschend, dass die Polizei
in seinem Land künftig immer die Nationa-
litäten aller Tatverdächtigen nennen wer-
de. „Ich bin der festen Überzeugung, dass
diese Transparenz das beste Mittel gegen
politische Bauernfängerei ist“, sagt Reul
und meint damit, dass Teile der AfD und
rechte Trolle bei jedem Verbrechen sofort
Gerüchte über den angeblichen Migrati-

onshintergrund der Täter verbreiten. Sein
niedersächsischer Kollege Boris Pistorius
(SPD) widerspricht: Es führe nicht zu
„mehr Transparenz, die Nationalitäten
der Tatverdächtigen immer zu nennen“.
Ebenso wenig berichte die Polizei ja über
Kleidung, Haarfarbe oder Größe von Ver-
dächtigen, außer es sei im Zusammen-
hang wichtig.
Die einen Behörden halten es so, die an-
deren so, die Bundespolizei nennt prinzipi-
ell die Staatsangehörigkeit, diese „gehöre
grundsätzlich zum Sachverhalt“. In Zürich
vertritt die Polizei mit Verve das genaue
Gegenteil und verzichtet seit 2017 ganz auf
die Nennung von Nationalitäten. „Es wäre
falsch, fremdenfeindlichen Menschen mit
der Nationalitätennennung Futter zu lie-
fern“, erklärte der dortige Polizeipräsident
Richard Wolff seine Entscheidung. In Sach-
sen gibt es nicht einmal eine einheitliche
Linie, die fünf Polizeidirektionen verfah-
ren unterschiedlich.
Die beklagenswerte Unklarheit auf Sei-
ten des Staates ändert allerdings an einem
nichts: Die Verantwortung dafür, was be-
richtet werden soll und darf, liegt in keiner
Pressestelle der Polizei und auch nicht bei
den Innenministern. Sie liegt in den Redak-
tionen. Das Innenministerium in Rhein-
land-Pfalz etwa argumentiert, die Polizei-
beamten würden die Nationalität an die
Presse herausgeben, wenn dies aus Ermitt-
lungsgründen sinnvoll sei oder wenn in
Übereinstimmung mit dem Pressekodex
ein begründetes öffentliches Interesse be-
stehe. In der ersten Frage steht dem Staat

ein Urteil zu. In der zweiten Frage nicht.
Wenn die Polizei per Pressemitteilung
die Nationalität nennt, heißt dies nicht,
dass man es auch berichten muss – und
wenn die Polizei diese verschweigt, kann
es trotzdem geboten sein nachzufragen.
Medien haben ihre eigenen Pflichten, und
eine Distanz gegenüber polizeilichen Ein-
schätzungen ist immer gut. Schließlich
verlief auch die Kölner Silvesternacht 2015
nicht so ruhig, wie die Kölner Polizei zu-
nächst behauptet hatte.

Auch wenn die Polizei, wie jetzt in NRW,
stets die Herkunft nennt, sind Journalis-
ten noch nicht von ihrer eigenen Abwä-
gung befreit. „Besoffener Pole rastet mehr-
mals im Bahnhof aus“, so titelte eine Boule-
vardzeitung im Jahr 2016. Und zur Recht-
fertigung sagte die Redaktion vor dem
Presserat: Selbst die ermittelnde Bundes-
polizei habe ja die Nationalität des wohn-
sitzlosen Mannes in ihrer Pressemittei-
lung erwähnt. Man könne von Medien
nicht verlangen, hinter einer behördlichen
Erklärung „zurückzubleiben“.
So einfach können sich Journalisten
nicht vor ihrer Verantwortung wegdu-
cken, stellte der Presserat klar: „Jede Re-
daktion hat die Verantwortung, die Über-
nahme von Informationen aus offiziellen
Quellen in die Berichterstattung presse-

ethisch zu prüfen.“ Es kam zu einer Miss-
billigung. (Az. 0891/16/2)
Die verflixte Ziffer 12 des Pressekodex
richtig auszulegen ist Sache von Journalis-
tinnen und Journalisten, sie müssen dies
nach bestem Wissen und Gewissen tun,
auch wenn in Zeiten ständiger Beschleuni-
gung die Informationen über einen Fall zu
Beginn oft noch rudimentär sind und eine
einmal getroffene Entscheidung sich spä-
ter als fragwürdig erweisen kann. Deshalb
ist es so notwendig, aus jedem Fall zu ler-
nen, ihn im Nachhinein noch einmal zu be-
trachten, in der Redaktion zu diskutieren
und gegenüber dem Publikum gegebenen-
falls zu korrigieren. Hilfreich ist ein Blick
in die erstaunlich umfangreiche Entschei-
dungssammlung des Presserates, sie füllt
einen kleinen Bücherschrank, die inzwi-
schen drei Beschwerdeausschüsse treffen
sich vier Mal im Jahr in Berlin-Charlotten-
burg. Mitglieder sind Juristen verschiede-
ner Medienhäuser, aber auch Journalis-
ten, Hans-Martin Tillack vomStern, oder
von derSüddeutschen ZeitungMax Häg-
ler, und ihre Entscheidungen veröffentli-
chen sie stets auch online unter https://re-
cherche.presserat.info/.
Der Kernsatz lautet: „Pure Neugier ist
nicht dasselbe wie öffentliches Interesse.“
Dies betont der Presserat immer wieder,
hinter der Nennung der Herkunft eines
Verdächtigen müsse stets ein legitimes An-
liegen stecken. Aber damit beginnen die
Diskussionen eben oft erst. Die Abwägun-
gen sind selten simpel, die konkreten Fälle
nie nur schwarz oder weiß. 2016 entschied

in Sigmaringen die Lokalausgabe einer
großen Abonnentenzeitung, bei Taten ma-
rokkanischer Asylbewerber die Nationali-
tät zu nennen. Der Chefredakteur argu-
mentierte, unter den etwa 1000 Asylbewer-
bern in der Stadt befänden sich nur ein gu-
tes Dutzend Marokkaner, die sich aber ex-
trem auffällig verhielten. Allein in einem
Monat seien etwa hundert Delikte auf das
Konto dieser Gruppe gegangen, die Polizei
habe sich gezwungen gesehen, eine Son-
dereinheit zu bilden. Um nicht alle in der
Stadt lebenden Asylbewerber in Misskre-
dit zu bringen, habe sich die Redaktion ent-
schlossen, in begründeten Einzelfällen
speziell die Marokkaner zu nennen.
Das klingt nach der guten Absicht, Dis-
kriminierung vorzubeugen. Der Presserat
ließ sich nicht überzeugen, er sprach einen
Hinweis aus (Az. 0868/16/1), aber es war of-
fenbar eine schwierige Entscheidung. So
ist es oft, man sieht das schon daran, dass
die Urteile selten einstimmig fallen, es gilt
das Mehrheitsprinzip in den achtköpfigen
Ausschüssen, es kann auch 5:3 sein.
Und vielleicht würde diese Entschei-
dung heute schon anders ausfallen, denn
das war 2016, damals verlangte die Richtli-
nie noch strikt: Es müsse ein „Sachbezug“
zwischen Herkunft und Tat bestehen. Die
Tat müsse durch Religion oder Herkunft
motiviert oder erleichtert worden sein.
Nach der Kölner Silvesternacht wurde dies
verändert, seit 2017 muss nicht immer ein
enger „Sachbezug“ gegeben sein, für den
Presserat genügt auch schon ein anderes
„öffentliches Interesse“ an der Nennung
der Herkunft des Verdächtigen.

Für die Nennung spricht, wenn der Ver-
dächtige auf seiner Migrationsroute schon
vergleichbare Taten begangen hat, so
steht es seither in den Praxis-Leitsätzen
des Presserats. Dagegen spricht, wenn die
Gruppenzugehörigkeit in einem Text als
bloßes Stilmittel erscheint. Für die Nen-
nung spricht, wenn der Verdächtige auf-
grund seiner Herkunft von der Justiz an-
ders behandelt wird, zum Beispiel wegen
Fluchtgefahr. Verboten ist sie, wenn mit
der Herkunft abwertende Begriffe ver-
knüpft werden.
Manchmal kann die Nennung sogar hel-
fen, Vorurteile zu entkräften. Der Bomben-
anschlag auf den Mannschaftsbus von Bo-
russia Dortmund war so ein Fall, die Poli-
zei nahm „einen 28-jährigen Deutschrus-
sen“ fest, wie in vielen Medien zu lesen
war. Leser beschwerten sich beim Presse-
rat: Was tue es zur Sache, dass der Mann,
der in Deutschland aufgewachsen war und
die Bundeswehr absolviert hatte, auch die
russische Staatsbürgerschaft besaß? Er
hatte allerdings eine falsche Fährte zu
Muslimen gelegt, er hatte in seinen ge-
fälschten Bekennerschreiben eine Verant-
wortung des sogenannten Islamischen
Staates (IS) vorgetäuscht. Und da, fand der
Presserat, sei es richtig, den falschen Ein-
druck zu widerlegen. (Az. 0372/17/1)
„Ekelhaft! Asylbewerber vergingen sich
an einem 17-Jährigen und nahmen die
Gräueltat auf Video auf“, titelte ein großes
Boulevard-Portal über einen Vorfall in der
Stadt, drei Afghanen hätten einen „Tee-
nie“ vergewaltigt. Ein presseethisches
Foul sah der Presserat indes in dem, was
die Autoren verheimlichten: dass nämlich
auch das Opfer, genau wie die Verdächti-
gen, afghanischer Asylbewerber war. Kurz
gesagt: Wären die Journalisten offener mit
ihrem Wissen über die Herkunft der Betei-
ligten umgegangen, es wäre weniger dis-
kriminierend gewesen. (Az. 0958/16/1)
Die Entscheidungen des Presserates ge-
ben Journalisten etwas Orientierung. Sie
sensibilisieren. Eine abschließende For-
mel gibt es nicht und kann es nicht geben.
Aber immerhin vielleicht diese beiden Er-
kenntnisse: keine Ideologie. Journalisten
helfen bei der Willensbildung, das heißt in-
formieren, nicht missionieren, und ein Zu-
trauen in die Urteilskraft der allermeisten
Menschen, die meist doch zwischen den
Straftaten Einzelner und einem General-
verdacht unterscheiden können.
Und: Zurückhaltung ist immer besser,
als in unsicherer Lage zu viel zu publizie-
ren. Das unterscheidet Journalismus von
der Fiebrigkeit der sozialen Medien. Der
Mann, der die Frau und das Kind in Frank-
furt vor den ICE stieß, war psychisch
krank, wie sich herausgestellt hat. Zu er-
wähnen, dass er aus Eritrea kam, schien
anfangs vertretbar zu sein. Ob es dies tat-
sächlich war, darüber will der Presserat in
der kommenden Woche diskutieren und
Freitag seine Entscheidung bekannt ge-
ben. Vielleicht wird es, wie so oft bei
schwierigen Entscheidungen, knapp.

Als Zuschauer desTatortsist man immer
auch selbst Ermittler, und ganz am An-
fang steht jedes Mal dieselbe Frage: Wo
möchte ich heute Abend zwischen 20.15
Uhr und 21.45 Uhr gewesen sein? Die Ant-
wort für diesen Sonntag lautet: nicht
unbedingt vor dem Fernseher. Der Film
„Maleficius“ aus Ludwigshafen (Buch
und Regie: Tom Bohn) beginnt gewaltig.
Ein futuristischer OP-Saal ist zu sehen,
dazu wummern minimalistische Jetzt-
wird’s-spannend-Beats, und über alldem
spricht Heinz Hoenig aus flambierter Keh-
le: das Vaterunser. So ein Entree weckt Er-
wartungen, aber dann steht Lena Oden-
thal (Ulrike Folkerts) doch wieder nur am
Ufer des Rheins, vor ihr ein einsamer Roll-
stuhl in knöcheltiefem Wasser, und sagt,
was alle sehen: „Hier stimmt was nicht.“
Leider stimmt auch mit diesemTatort
nicht alles und dies wiederholt. Autor
Bohn hat in Ludwigshafen in der Vergan-
genheit schon ufologisch gearbeitet und
Kampfdrohnen fliegen lassen. Auch
„Maleficius“ bekommt ein Thema, das zu
groß ist für ein Format wie denTatort,
das nicht nur in seiner Sendezeit limitiert
ist. Das Thema lautet Transhumanismus,
der im Wortsinne exaltierte Forscher Pro-
fessor Bordauer (Sebastian Bezzel)
pflanzt irgendwie Bedürftigen Platinen in
den Kopf, und bei diesen Bedürftigen
wird dann entweder manches besser oder
alles schlimmer. Autor Bohn will aktuelle
Debatten um künstliche Intelligenz und
Deus ex Machina nach Ludwigshafen ho-
len, aber schon die ethische Dimension
ist eine, an der dieser Film zwangsläufig
scheitern muss – und auch die Verbin-
dung ins Milieu der lokalen Tuning-Sze-
ne ist etwas gewagt. Dem Zuschauer wird
erklärt, die einen frisierten das Hirn, die
anderen eben ihre Autos, aber über diese
Wortklauberei hinaus bleibt vieles unver-
bunden in diesem Film. Die Spezialklinik
blendet in Weiß und scheint eine Mi-
schung aus Apple-Showroom und Jason-
Bourne-Geheimlabor zu sein. Die Tuning-
Szene muss man sich vorstellen wie Tim
Wiese, aber als Gruppe. GTA trifft E.T. A.,
im Sinne von Hoffmann, aber der Sand-
mann kommt dann leider erst einmal nur
in Gestalt einer gewissen Müdigkeit beim
Zuschauen.
„Sie müssen“, sagt Professor Bordauer
über seine Platinen, „sich das vorstellen
wie einen Herzschrittmacher, nur fürs
Brain.“ Wer da noch weiterschaut, sieht
ganz am Ende eine Szene, die gut zum ge-
waltigen Anfang passt. Und die gerade da-
durch beweist, wie durchschnittlich der
von beidem eingefasste Normal-Tatort
dazwischen geraten ist.


Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.


Jetzt steht Bambi auf der roten Liste. Jetzt
daman weiß, dass das Kitz bald allein im
Mediendschungel klarkommen muss. Bis-
her konnte Bambi darauf vertrauen, dass
im Frühjahr dieHörzuim ZDF ihre Golde-
ne Kamera vergibt, bevor im Herbst die
Kitz-Verleihung in der ARD erfolgt. Seit
Donnerstag weiß man nun, dass die Zwei-
samkeit der bekanntesten deutschen Me-
dienpreise endlich ist: Die Funke-Medien-
gruppe gab bekannt, dass die für den


  1. März 2020 geplante Verleihung der Gol-
    denen Kamera die letzte sein wird.
    Es sei an der Zeit, neue Optionen für die
    Marke Goldene Kamera auszuloten, hieß
    es aus dem Essener Verlag, der die Veran-
    staltung 2013 durch den Ankauf der bis da-
    hin stets von Springer herausgegebenen
    Hörzuübernommen hatte. Über neue Opti-
    onen spricht man ja gern, wenn man ein


historisches Kapitel abschließt, aber noch
keine Ahnung hat, was man weiter will, da-
für aber weiß: wie bisher bloß nicht. Dabei
war die Goldene Kamera mal ein richtig
großer Preis, einer, über den man in
Deutschland sprach.
Sicher noch nicht nach der ersten Verlei-
hung, die 1966 vor 100 geladenen Gästen
in einem Hamburger Hotel stattfand.
Hans-Joachim Kulenkampff und Inge
Meysel wurden damals als beliebteste TV-
Stars prämiert, in Abwesenheit von TV-Ka-
meras. 752 vergebene Trophäen vermel-
den die Ausrichter inzwischen, nicht weni-
ge sind mit großen Momenten der Fernseh-
geschichte verbunden.
Einer davon war 2006 der Auftritt von
Rudi Carrell. Von seiner Krebserkrankung
gezeichnet, stand der Entertainer auf der
Bühne und lieferte mit leiser Stimme sei-

ne letzte große Show. „Es war eine Ehre, in
diesem Land und vor diesem Publikum
Fernsehen machen zu dürfen“, sagte er.
Ein paar Monate später starb Rudi Carrell.

Irgendwie war jedoch damals schon
klar, dass ein Preis wie dieser über kurz
oder lang aus der Zeit fallen würde. Man
hat das absehbare Ende dann noch eine
Weile ganz gut kaschiert, hat Preise verge-
ben an jeden Hollywood-Star, der zufällig
in der Gegend war, hat Galas ausgerichtet,
vom ZDF übertragen.
Spätestens 2017 wurden die Verfalls-
erscheinungen dann unübersehbar. Da

definierten auf der Bühne die Schauspie-
ler Annette Frier und Matthias Matschke
mit einem Affentanz den Begriff Fremd-
scham neu. Sie tanzte um ihn herum, er
machte Grunzlaute, die US-Kollegen
Nicole Kidman und Colin Farrell im Publi-
kum machten ratlose Gesichter. Und dann
führten Joko und Klaas die Organisatoren
am Nasenring durch die Showmanege. Die
Comedians hatten einen Doppelgänger
von US-Schauspieler Ryan Gosling ein-
geschmuggelt, hatten durchgesetzt, dass
der eine Goldene Kamera nur fürs Erschei-
nen erhielt und den Preis vollends ent-
zaubert.
In diesem Jahr ging er an Greta Thun-
berg. Die warb für einen Wandel in der Um-
weltpolitik, bevor eine Nachwuchsschau-
spielerin einen dicken SUV als Geschenk
erhielt. Prominente Gäste zu gewinnen

wurde immer schwieriger, in Zeiten, da
sich alle bei Instagram nahbar machen wol-
len, funktionieren Glitter und Glamour
auf großer Bühne immer weniger. Die Quo-
ten schmolzen, immer wieder wurde Kri-
tik laut, der Sender lasse sich für Verlags-
PR einspannen. Lange wäre die Zusam-
menarbeit von Funke Mediengruppe und
ZDF wohl nicht mehr gutgegangen. Da
wirkt es wie ein Befreiungsschlag der Esse-
ner Manager, die Reißleine gezogen zu ha-
ben.
Für die letzte Veranstaltung hat man als
Trauerredner Thomas Gottschalk einge-
laden. Wird nun auch ums Bambi gezit-
tert, das ebenfalls massiv Zuschauer ver-
liert? Im November wird es wieder verlie-
hen, erstmals in Baden-Baden. Burda-Vor-
stand Philipp Welte sagt, dass es Bambi
auch in Zukunft geben wird. hans hoff

von cornelius pollmer

Leben des Brain


Folge 25/2019
Kommissarinnen: Odenthal/Stern

Es ist notwendig, aus jedem Fall
zu lernen, ihn im Nachhinein
noch einmal zu betrachten

Pressekodex: Nur wenn
„ein begründetes öffentliches
Interesse vorliegt“

Aus der Zeit


Die „Goldene Kamera“ wird abgeschafft. Der Medienpreis steht für große Momente der Fernsehgeschichte – und bittere Blamagen


Ein Affentanz, ein falscher Ryan
Gosling, ein dicker SUV: der
frühere Glanz ist Vergangenheit

TATORTKOLUMNE


Die Nennung des Namens
kannmanchmal sogar helfen,
Vorurteile zu bekämpfen

48 MEDIEN Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH


ILLUSTRATION: SHUTTERSTOCK/SZ-GRAFIK

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Wie sollen Medien über die Herkunft von Verdächtigen berichten?


Gedanken anhand neuerer Entscheidungen des Presserats

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