Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
von thomas urban

E


s war nun schon der zweite Som-
mer in Madrid, in dem die Tem-
peraturen mehrere Tage über
40 Grad gestiegen und nachts
nur knapp unter 30 Grad gefal-
len waren. Es sind Tage, die den Ingenieu-
ren der Kraftwerke im Großraum Madrid
Sorgen bereiten: Denn rund um die Uhr lau-
fen die Klimaanlagen, in den Wohnungen
ebenso wie in Geschäften und Büros. Taxi-
fahrer, die auf Kunden hoffen, Reisebusse,
die auf ihre ausgeschwärmten Touristen-
gruppen warten, lassen den Motor laufen
und verpesten die Luft. „Wir können doch
nicht unseren Fahrgästen zumuten, in ei-
ne Sauna zu steigen“, bekommen Aktivis-
ten von Ökogruppen zu hören, die die Fah-
rer auf diese Unsitte ansprechen. Auch die
Wagen der Metro, dem wichtigsten Ver-
kehrsmittel für den Großraum Madrid mit
seinen fünf Millionen Einwohnern, wer-
den heruntergekühlt, ebenso die Stadtbus-
se, die indes überwiegend noch mit Diesel-
motoren fahren. Immerhin hat der Anteil
an Hybrid-Fahrzeugen im städtischen
Fuhrpark in den vergangenen Jahren deut-
lich zugenommen.


Nicht minder hoch ist die Belastung für
die Stromnetze in den kältesten Wochen
des Jahres, in Madrid traditionell von Mit-
te Januar bis Ende Februar. In manchen
Nächten sinkt die Temperatur ein paar
Grad unter null, an zwei, drei Tagen fällt
Schnee, der aber nur wenige Stunden lie-
gen bleibt. Tagsüber steigt die Temperatur
kaum über fünf Grad, oft pfeift ein kalter,
scharfer Nordwind durch die Stadt, oft reg-
net es. An klaren und windstillen Tagen
aber ist es in der Sonne warm, oft mehr als
15 Grad; sofort sind die Straßencafés bevöl-
kert – sofern sie in der Sonne liegen. Denn
nur wenige Schritte weiter ist es im Schat-
ten bitterkalt.
Es sind die Tage, an denen Madrider Da-
men ihre Pelzmäntel ausführen und ihren
Hunden die prachtvollsten Kostüme anzie-
hen. Hunde gibt es zu Zehntausenden in
der Innenstadt, darunter Huskies, die in
der Sommerhitze offenkundig leiden,
ebenso wie afghanische Windhunde, die je-
den Tag eigentlich ein paar Kilometer lau-
fen sollten, dies aber in der Stadt nicht kön-
nen, oder mexikanische Chihuahuas, die
an Wintertagen trotz Pelzmäntelchen mit
Kapuze ständig zittern, so als hätten sie
Schüttelfrost. In der Hälfte der Stadtbezir-
ke sind nach Angaben der Behörden be-
reits mehr Hunde als Kinder registriert,
vor allem im Zentrum. Immerhin hat Ma-
drid das Problem der Hundehäufchen eini-
germaßen gelöst: In vielen Geschäften gibt
es dafür kleine Beutel mit dem aufgedruck-
ten königlichen Wappen der Stadt zu kau-
fen, das Kollektiv der Hundehalter und
Fußgänger achtet mit strengen Blicken
oder gar wohlwollenden Ermahnungen
darauf, dass hier jeder seiner Bürger-
pflicht nachkommt.
Das größte Problem der Madrilenen im
Winter aber sind ihre Wohnungen. Türen
und Fenster sind miserabel isoliert, Wände
und Dächer miserabel gedämmt. Dabei


herrscht hier „kleines Kontinentalklima“,
wie die Experten sagen: heiße Sommer,
kalte Winter; meist ist es sieben Monate im
Jahr ungemütlich. Auch fehlt üblicherwei-
se ein Windfang, ein Vorraum zwischen
Außentür und Wohnbereich, sodass es von
draußen permanent in die Zimmer herein-
zieht. Nur die modernen und die kernsa-
nierten Häuser verfügen über Zentral-
heizungen. Stattdessen kommen meist
fahrbare schwere Elektroheizkörper aus
Gusseisen zum Einsatz oder Heizlüfter mit
Plastikgehäusen, beides Stromfresser der
schlimmsten Sorte. Allerdings gibt die
Preispolitik der Energiekonzerne wenig
Anreize zum Sparen: Die Grundgebühr auf
der Stromrechnung ist überproportional
hoch – wenn in einer normalen Wohnung
die Temperatur heruntergedreht wird, be-
trägt die Ersparnis nur wenige Euro im Mo-
nat. Nicht anders verhält es sich mit dem
Wasserverbrauch.
„Unser Lebensstil ist gegen jegliche öko-
logische Vernunft“, klagte in den vergange-
nen Jahren wiederholt die linksalternative
Oberbürgermeisterin Manuela Carmena.
Sie nahm sich vor, nicht nur die Stadt grü-
ner und lebenswerter zu machen, sondern
auch die Madrilenen zum Umdenken beim
Energieverbrauch zu bewegen. Genützt ha-
ben ihr all die guten Absichten und stren-
gen Mahnungen nichts: Bei den Kommu-
nalwahlen im Mai wurde sie abgewählt,
ein rechtes Bündnis siegte mit knappem
Vorsprung und schickt sich seitdem an,
einige der Maßnahmen der bisherigen
Stadtregierung unter Carmena rückgän-
gig zu machen. So sollen Teile der Innen-
stadt wieder für den Durchgangsverkehr
freigegeben werden, auch sollen auf den
großen Straßen die Spuren mit einer Ge-
schwindigkeitsbegrenzung von 30 Kilome-
tern pro Stunde, auf denen auch Fahrräder
unterwegs sein durften, wieder aufgeho-
ben werden. Ein paar Schritte zurück zur
autogerechten Stadt.
Analysen der für die Ökogruppen so un-
erfreulichen Wahlergebnisse ergaben aller-
dings, dass die Stadtregierung gerade auf
Feldern, die den Alltag der Madrilenen be-
treffen, dumme Fehler gemacht hat, begin-
nend mit der Abfallentsorgung. Zunächst
hatte sie die Müllabfuhr, die in privaten
Händen gelegen hatte, wieder unter das
Dach der Kommune geholt, um der Aus-
beutung der prekär entlohnten Arbeits-
kräfte einen Riegel vorzuschieben. Da sich

aber nicht genügend Müllmänner fanden


  • dieser Berufszweig fand bisher nicht die
    Aufmerksamkeit der Gleichstellungsbe-
    auftragten –, wurde ein Großteil der bishe-
    rigen privaten Entsorger nun zu Subunter-
    nehmern der spanischen Hauptstadt. Seit-
    dem gilt für die Branche die Fünf-Tage-Wo-
    che, also bleibt der Müll besonders in den
    Ausgehvierteln oft während des Wochen-
    endes auf den Straßen und Plätzen liegen,
    Flaschen, Pappbecher, Tüten mit Essens-
    resten. So war es der damaligen konservati-
    ven Opposition ein Leichtes, mit der Parole
    zu punkten: „Madrid ist dreckiger gewor-
    den.“
    Überdies scheiterte ein Pilotprojekt: Die
    Entsorgung organischer Abfälle. Die soll-


ten täglich abgeholt, die Behälter dafür täg-
lich gereinigt werden. Der Haken dabei:
Die meisten Madrilenen werfen die Kü-
chenabfälle in Plastiktüten in die neuen Be-
hälter mit dem braunen Deckel. Auch funk-
tioniert das Reinigen nicht, wie die Presse
monierte, deshalb stinke es infernalisch
aus vielen Behältern, wenn man den De-
ckel hebt.
Das zweite große Projekt, das für reich-
lich Unmut sorgt, sind die neuen „Parkta-
schen“, markiert durch farbige Striche auf
den Straßen. Überall auf der Welt fahren
Autos vorwärts in schräg zur Fahrbahn an-
geordnete Parktaschen; das ist einfacher,
weil nun einmal über die Vorderachse ge-
lenkt wird. Die Theoretiker Carmenas ver-
fielen auf den Gedanken, dass dies rück-
wärts passieren müsse, was für die meis-
ten Autofahrer in den engen Straßen der
Wohnviertel jedes Mal Herumrangieren be-
deutet. Überdies sind die Parkstellen
schmaler als bisher, so schmal, dass man
meist nur mit einigen Verrenkungen ein-
und aussteigen kann. Zudem passen die
Müllbehälter nicht mehr zwischen die par-
kenden Autos, sodass die Müllmänner sie
immer bis zur nächsten Ecke rollen müs-
sen.
Ebenso entwickelte sich ein weiteres
großes Vorhaben nicht in die gewünschte
Richtung, obwohl es von den Anwohnern
viel Beifall gab: die Begrünung der Innen-
stadt. Tausende Stellplätze mussten wei-
chen, an ihre Stelle wurden Bäume ge-
pflanzt, das Zentrum soll grün werden. An
vielen Stellen wurden Fußgängerzonen er-
weitert, Bänke aufgestellt, die Betreiber
von Cafés und Bars bekamen die Erlaub-
nis, auch im Freien Tische und Stühle auf-
zustellen. Ganze Straßenzüge in der Innen-
stadt haben so ein freundlicheres Gesicht
bekommen, die Lebensqualität ist ersicht-
lich für jedermann gestiegen – doch auch
die Immobilienpreise und Mieten. Das Pro-
gramm „Madrid soll grüner werden“ treibt
also eine Gentrifizierung ganzer Viertel an,
die indes von den verantwortlichen Politi-
kern aus dem rot-grünen Lager keines-
wegs erwünscht ist. Doch eine Antwort,
wie dieser Widerspruch aufzulösen ist, ha-
ben sie nicht gefunden.
Das gilt auch für das Stadtklima. So
bleibt es vorerst bei den Appellen, im Som-
mer Wohnungen und Büros, Busse und Me-
tro nicht auf 20 Grad herunterzukühlen,
sondern sich bei 24, 25 Grad einzurichten.
Und im Winter sollte man sich stattdessen
mit 20 Grad Raumtemperatur begnügen
anstatt der 24 Grad, auf die Umfragen zu-
folge wohl die meisten Heizungen einge-
stellt sind. Manche Ärzte sind der Mei-
nung, dass die meisten Erkältungen auf
die permanenten Temperaturschocks zu-
rückzuführen sind: Im Sommer kommen
die Menschen verschwitzt in ihre kalten Bü-
ros, in denen die Klimaanlagen auf Hoch-
touren laufen. Für den Winter empfehlen
die Gesundheitsexperten, bei gedrosselter
Heizung auch in der Wohnung Pullover zu
tragen. Außerdem sei es gesünder, im Küh-
len zu schlafen, es härte ab. Wer dabei an
den Ohren friere, der solle es doch mit
einem Kapuzenpulli oder gar einer Nacht-
mütze versuchen.

Rolle rückwärts:
Derneue konservative
Bürgermeister will Teile der
Innenstadt wieder für den
Durchgangsverkehr freigeben

An Sommerabenden spielt sich das Leben in Madrid draußen ab. Tagsüber staut sich in den Straßen die Hitze. FOTO:IMAGO

DEFGH Nr. 207, Samstag/Sonntag, 7./8. September 2019 49


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Heißes


Pflaster


InMadrid ist es schön, aber oft zu


warm oder zu kalt. Klimaanlagen und


alte Heizungen treiben den Stromverbrauch


in die Höhe. Zu schaffen machen


den Einwohnern auch neue


Mülltonnen – und seltsame Parkplätze


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