Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
Theaterluft Meine erste Station auf
einer größeren Bühne, als Kleindarstelle-
rin in „Don Juan“, 1996 am Berliner Gorki
Theater. Das war wunderschön für mich,
eine solche Chance zu bekomme, noch da-
zu in der Regie von Katharina Thalbach,
das ist eine Knallerfrau. Damals sagte
sie, wir müssten unbedingt wieder mal
etwas zusammen machen, wozu es bis
heute aber leider nicht gekommen ist.
Nach meinem Studium an der Schauspiel-
schule wollte ich eigentlich in Berlin wei-
terarbeiten, aber es ging für mich nicht
so richtig los. Die Mädchenhaften meiner
Kolleginnen gingen bei den Vorsprechen
weg wie die warmen Semmeln, aber bei
uns Weiblicheren hieß es an den Thea-
tern immer: Das haben wir doch alles
schon. Ich hatte dann aber Glück und wur-
de am Theater Bremen genommen, wo
ich drei Jahre war und viel und große Rol-
len spielen durfte.

MärchenhaftIch habe es immer ge-
liebt, mich zu verkleiden, so wie hier in
der Kita als Rotkäppchen. Dass ich
Schauspielerin werden wollte, wusste
ich schon als Jugendliche. Ich sagte mir:
Du machst die Schule zu Ende und be-
wirbst dich an der Schauspielschule.
Das Abitur habe ich dann nicht mehr
gemacht, aber das war zum Glück nie
ein Thema. Denn meine Mutter, bei der
ich aufgewachsen bin, hat selbst am
Theater gearbeitet, in der Requisite. Ich
bin mit dem Theater groß geworden, es
war für mich ganz normal, bei den Pro-
ben zuzugucken, diese Welt hat mich
einfach nur fasziniert. Als ich schließ-
lich zum ersten Mal an der Berliner
Schauspielschule Ernst Busch vorge-
sprochen habe, hatte ich einen riesigen
Koffer mit Kostümen dabei, Sonnen-
schirme und einen Hut, alles Dinge aus
dem Fundus meiner Mutter. Damals
hieß es, na ja, weniger hätte auch ge-
reicht, aber ich freue mich bis heute,
wenn ich in Kostümfilmen spielen darf,
so wie zuletzt in der Serie „Babylon Ber-
lin“. Da kann ich dann wirklich jemand
ganz anderes sein.

Apokalypse NowDass„Dark“ die er-
folgreichste nicht-deutschsprachige Se-
rie auf Netflix werden würde, damit
konnte keiner rechnen. Aber es ist klar,
was die Leute daran fasziniert, das The-
ma Zeitreise und die dystopische Zu-
kunft, die gezeichnet wird. Dazu der
Cast und die Ausstattung, das ist alles
mit so viel Liebe gemacht, am Filmset
sitzt man direkt in den Achtzigerjahren,
jedes Buch, das man anfasst, ist ein Ori-
ginal. Gerade drehen wir die dritte und
letzte Staffel, in der alle Ebenen mitein-
ander verwoben werden und aufgelöst
wird, wie Vergangenheit und Zukunft
zusammenhängen und warum es zur
Apokalypse kam. Mehr kann ich auch
nicht sagen, denn ich kenne das Dreh-
buch selbst noch nicht. Interessant ist,
dass „Dark“ eine durch und durch deut-
sche Serie ist, von deutschen Showrun-
nern gemacht und in Deutschland ge-
dreht, aber im Ausland viel mehr Fans
hat. Wenn Journalisten aus dem Aus-
land zu uns kommen, sind sie immer
hin und weg, vor allem die Leute aus Bra-
silien. Kollegen haben mir sogar er-
zählt, dass sie irgendwo in der Pampa
im Urlaub waren, und die Leute sind
durchgedreht. Das ist mir noch nicht
passiert, aber letztens, als ich mit mei-
nen Kindern im Kiez unterwegs war,
blieben plötzlich zwei Touristen stehen,
drehten sich um und riefen: da, da!

WiedersehenIm Film „Westen“ spiele
ich eine Frau, die mit ihrem Kind aus
der DDR flüchtet, der Film handelt vom
schwierigen Ankommen in einem neu-
en System. Der Regisseur Christian
Schwochow hat dabei seine eigene Ge-
schichte einfließen lassen, die teilweise
auch meine Geschichte ist. Wir haben
einen Teil unserer Kindheit zusammen
verbracht, waren gemeinsam im Panto-
mime-Unterricht. Eines Tages verab-
schiedete er sich von mir und sagte, er
gehe in den Westen. Die Familie hatte ei-
nen Ausreiseantrag gestellt, ich dachte,
wir sehen uns nie wieder. Wir haben uns
dann aber nach der Wende in Bremen
wiedergesehen, und es war, als wäre kei-
ne Zeit vergangen. Heute leben wir in
Berlin im selben Kiez, und unsere Kin-
der gehen in dieselbe Kita, was viel-
leicht bedeutet: Am Ende landet man im-
mer wieder dort, wo man aufgehört hat.

ParadiesDas ist für mich der schönste
Ort der Welt, das Dorf in Brandenburg, in
dem ich eine Datsche habe. Da ist nichts,
kein Laden, nur Natur und solche Sonnen-
untergänge. Ich kenne die Gegend schon
sehr lange und habe mitbekommen, wie
die Jungen in den vergangenen Jahrzehn-
ten weggezogen sind, die Leute nicht
mehr gebraucht wurden. Viele haben
eine Art der Entwertung erlebt, die zu
den Wahlergebnissen führte, wie wir sie
heute kennen. Dabei leben in Branden-
burg die nettesten Menschen, so sympa-
thisch und hilfsbereit, da wünsche ich
mir mehr Selbstbewusstsein: Man kann
doch stolz darauf sein, wer man ist.

PlaybackDasbin ich mit 15, bei einer
Fotosession, die ich mit einer Freundin
gemacht habe. Wir haben Lenny Kravitz
oder Prince gesungen, Musik, die Anfang
der Neunzigerjahre eben angesagt war.
Ich bin im Osten Berlins groß geworden,
umgeben von Künstlern und Intellektuel-
len. Als Jugendliche habe ich mitbekom-
men, was in der DDR politisch passiert
ist, ich wusste um die Strukturen des Lan-
des, dass man über bestimmte Dinge
nicht reden und bestimmte Musik nicht
hören darf. Aber ich weiß auch, wie die
Gruppen damals zusammengesessen
und diskutiert haben, was man denn ver-
ändern kann. Die Zeit miteinander war
das Wichtigste, dass man zusammen-
hält. Es war das Leben in einem Sozial-
staat, ich habe schöne und intensive Erin-
nerungen daran.

Der Lebensstil im Westen war dann
komplett konträr zu unserem. Plötzlich
haben Geld und Besitz eine wichtige Rol-
le gespielt. Als ich an der Schauspielschu-
le begann, war das für mich eine Grunder-
schütterung: Die Menschen aus dem Wes-
ten hatten viel mehr Selbstbewusstsein,
konnten sich präsentieren. Das hatte im
Osten niemand, bei uns hat man nicht ge-
lernt, sich zu verkaufen – man konnte ein-
fach, was man konnte. Ich musste schon
mit 16 als Kellnerin jobben, die Schau-
spielkollegen aus dem Westen hatten
Geld von ihren Eltern. Dieses Gefälle zwi-
schen Ost und West erlebe ich bis heute.
Es macht etwas aus, mit welcher Ruhe
man leben kann. Ob man daran denken
muss, wie man seine Miete bezahlt oder
nicht. Es ist eine materielle Sicherheit,
die auch zu mehr Selbstsicherheit führt.

FOTOALBUM


TrümmerstadtDieStraße in Prenzlauer
Berg, in der ich aufgewachsen bin, kurz
nach der Wende. Damals waren überall
Einschusslöcher, heute ist das eine der
teuersten Ecken im ganzen Bezirk. Die
Veränderung ging sehr schnell. Die klei-
nen Läden haben zugemacht, die alten
Leute zogen weg. Dafür kamen von über-
all Leute mit Geld, der ganze Osten wurde
aufgekauft. Für die Generation meiner
Eltern war das schlimm, denn ihnen wur-
de gesagt: Ihr könnt nichts, und wir sagen
euch, wo es langgeht. Das Gefühl, ein
Mensch zweiter Klasse zu sein – das
haben viele bis heute, und es wird auch
noch Generationen bestehen.

HELL’S KITCHEN (XXXIV)


LebenstraumDasBild steht für eine
wichtige Lebensphase, meine Zeit als
Mutter. Ich sitze mit meinem zweiten
Sohn auf der Brücke Pont Neuf in Paris,
2012, als ich dort den Film „Meine
Schwestern“ gedreht habe, ich wollte un-
bedingt ein Foto auf der Brücke machen,
auf der schon Romy Schneider stand.
Paris war ein alter Traum von mir, eigent-
lich wollte ich nach meinen ersten Erfah-
rungen am Theater Bremen nach Paris
ziehen, um als Kindermädchen zu arbei-
ten und Französisch zu lernen. Dazu kam
es wegen anderer Engagements leider
nicht, aber immerhin war ich während
des Drehs für zwei Wochen dort.

Serien wie „Babylon Berlin“ und „Dark“ haben sie auch im Ausland berühmt gemacht.


Zum Gespräch kommtJördis Triebelin den Volkspark Friedrichshain, als echte Berlinerin


bleibt die Schauspielerin am liebsten im Kiez. In ihrem neuen Film „Idioten der Familie“


spielt die 41-Jährige eine Frau, die mit ihrer behinderten Schwester zusammenlebt


protokolle: verena mayer

RATTELSCHNECK


von christian zaschke

Der Ein-Dollar-Pizza-Laden um die
Ecke auf der 9th Avenue hatte kürzlich
beschlossen, künftig 1,25 Dollar für ein
Stück Pizza zu verlangen. Lange galt in
Hell’s Kitchen die Regel, dass ein Stück
Pizza mit Tomate und Mozzarella so
viel kostet wie ein Ticket für die
U-Bahn. Es war eine ungeschriebene
Regel, aber sie war ehern. Ebenso unge-
schrieben war die Regel, dass man
beim Gehen auf dem Bürgersteig eine
Geschwindigkeit von fünf Kilometern
pro Stunde nur bei körperlichen Gebre-
chen unterschreitet, ferner die Regel,
dass in Hell’s Kitchen die irische Mafia
bestimmt, wo’s langgeht.
Diese drei Regeln hielten Hell’s Kit-
chen zusammen. Die älteren Bewohner
des Viertels, die man zum Beispiel im
Rudy’s trifft, einer exzellenten Schrott-
bar, von der aus verschiedenen Grün-
den nicht verraten werden kann, wo sie
genau liegt, behaupten gern, dass die
Zeit der ehernen Regeln vorbei sei.
Aber das stimmt nur zum Teil.


Schon klar: Der Pizzamarkt ist so
umkämpft, dass er sich längst von der
U-Bahn entkoppelt hat. Ein Ticket für
die Subway kostet 2,75 Dollar. Ein
Stück Pizza mit Tomate und Mozzarel-
la kostet einen Dollar. Aber diese Regel
gehört heute zu den neuen Grundfes-
ten von Hell’s Kitchen. Sie ist unge-
schrieben, aber sie ist ehern. Und ja:
Auf den Bürgersteigen herrscht oft
Stau, wegen der 65 Millionen Touris-
ten, die jährlich nach New York kom-
men. Aber die Bewohner des Viertels
halten trotzdem ihr Tempo.
Die irische Mafia? Habe sich zur
Ruhe gesetzt, heißt es im Rudy’s, weil
ihre großen Bosse alle tot seien. Einer
der letzten Bosse war mein Nachbar
James McManus, der sich jüngst zu
den ewiggrünen Hügeln verabschiedet
hat. Wenn ich ihn, während wir auf
seinem Balkon einen Jameson tranken,
zur Geschichte der irischen Mafia in
Hell’s Kitchen befragte, versicherte er
mir in seinem singenden Akzent, dass
es hier nie eine irische Mafia gegeben
habe. Darauf stießen wir an.
Als damals die Trauergemeinde
nach der Gedenkfeier mit einer Ge-
schwindigkeit von exakt fünf Kilome-
tern pro Stunde durch Hell’s Kitchen
marschierte, zurück zu dem ehemali-
gen Schwesternwohnheim, in dem
sowohl James als auch ich eine beschei-
dene Bleibe gefunden hatten, passier-
ten wir den Ein-Dollar-Pizza-Laden,
der annoncierte, dass er seine Stücke
künftig für 1,25 Dollar zu verkaufen
gedenke. „Oh“, sagte ein mir unbekann-
ter Mann mit irischem Akzent, „das
hätte James nicht gewollt.“
Wir zogen weiter, in James’ Woh-
nung, wo wir auf den Toten tranken.
Ich fragte den mir unbekannten Mann
nach der irischen Mafia und James’
Rolle darin, und er lächelte. „Eine iri-
sche Mafia“, sagte er in seinem singen-
den Akzent, „hat es hier nie gegeben.“
Darauf stießen wir an.
Vier Wochen später verkaufte der
Laden auf der 9th Avenue die Pizza
wieder für einen Dollar das Stück.


Regeln


Die irische Mafia? Hat sich
angeblich zur Ruhe gesetzt,
weil die Bosse alle tot sind

FOTOS: IMAGO (3), PRIVAT (6)

54 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH

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