Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
von fanny haimerl

W


enn ich jemanden kennen-
lerne, werde ich nicht
nach meinem Namen ge-
fragt, sondern: „Wie heißt
du auf Insta?“ Ich habe kei-
nen Namen auf Instagram. Ich bin 16 und
niemand kennt mich.
Mit 13 fing es an, mit mir und Insta-
gram. Ich ließ mich oft dafür fotografieren.
Jeder und jede wurde zum Fotografen, mei-
ne Freunde, meine Mutter, fremde Passan-
ten. Meine Bilder waren düster. Ich war das
Mädchen mit langem, schwarzem Mantel,
mit den blonden Locken. Instagram war
meine eigene Galerie. Ich stellte mich, in
meiner präpubertären Depri-Phase, aus:
als Leiche im Unterholz, auf einsamen
Spielplätzen, auf Schrottplätzen, Bahnstei-
gen, in Unterführungen, im Wald, unter Au-
tobahnbrücken. Meistens war ich als Sil-
houette oder mit einem in die Ferne gerich-
teten Blick zu sehen. Viele Bilder waren so
schwarz, dass ich darin verschwand.


Schon bald hatte ich 600 Follower. Für
Insta ist das nicht gerade viel, andere ha-
ben mehrere Millionen. Aber die Rangliste
meiner Freunde führte ich damals damit
an. Meine Follower likten und kommentier-
ten meine Bilder regelmäßig, ich wurde
viel gelobt, ich war stolz. Später kontaktier-
ten mich einzelne sogar: Via Insta-Direkt-
Message wurde ich zur Therapeutin für
Mobbingopfer, Mädchen, die sich ritzten,
Kinder mit Selbstmordabsichten. Obwohl
ich selbst gerade alles andere als fest im Le-
ben stand, entwickelte ich mich zu einer Be-
ratungsstelle für Suizidale. Oder vielleicht
auch gerade deshalb. Ansonsten behandel-
te ich Liebeskummer, Hoffnungslosigkeit,
Schulfrust und Weltschmerz. Immer nur
online, nie traf ich meine „Patienten“ in
echt, nie telefonierte ich mit ihnen. Sie hat-
ten keinen Bezug zu meinem Alltag. Trotz-
dem hatte ich damals das Gefühl, echte Be-
ziehungen zu ihnen zu pflegen. Ich mochte
ihre Online-Persönlichkeiten. Sie mochten
meine. Ein Jahr lang ging das so.
Vier Jahre später liegt es für mich ge-
fühlt Ewigkeiten zurück. Über die Ernsthaf-
tigkeit meiner damaligen Therapieversu-
che muss ich heute schmunzeln. Ich weiß
nicht, ob ich den Mädchen wirklich helfen
konnte, aber ich weiß: Ich habe versucht,
gegen unser aller Einsamkeit zu kämpfen.
Mit 14 war meine Depri-Phase vorbei.
Ich fand Freunde in der echten Welt. Das
zeigte sich auch in meiner Insta-Galerie.
Die Fotos, die ich postete, wurden bunter,


die Kommentare darunter fröhlicher. Mei-
ne Freunde und ich, wir hielten uns nun
für die coolen Kids. Als Schüler eines huma-
nistischen Münchner Gymnasiums woll-
ten wir leben wie Kurt Cobain: Partys, Mu-
sik, Fuck off. Wir saßen auf den Dächern
von Schrebergartenhäuschen, rauchten, re-
deten und versicherten uns: Wir sind coo-
ler als die anderen. Wir waren so cool, dass
selbst die größten Banalitäten mit der Welt-
öffentlichkeit geteilt werden mussten. Mit
14 hatte ich mit einer Freundin einen Plan:
100 Tage Insta, 100 Tage Fotos posten,
100 Tage unser Leben zeigen. Wir präsen-
tierten die kleinsten Details aus unserem
Alltag: die Amsel auf dem Balkon, die Ede-
ka-Regale, vor denen wir standen, unser
Essen, den verpassten Bus, sogar unser
Nichtstun zeigten wir („Mir ist lw“). Wir wa-
ren die Tollsten.
Das Dumme war nur: Keiner außer uns
schien das zu erkennen. Unsere Follower
schauten sich unsere Filmchen und Fotos
zwar an, aber wir bekamen kaum Rückmel-
dung. Nach zwei Wochen merkten auch
wir, wie absurd die ganze Sache war. In der
Silvesternacht löschten wir unsere Profile
auf allen möglichen Plattformen. Zehn Mi-
nuten, dann gab es uns nicht mehr. Es war
unsere kleine Rebellion. Wir Anti-Insta-Re-
bellen.
In dieser Nacht habe ich mit Instagram
Schluss gemacht. Ich verabschiedete mich
aus einer Parallelwelt, aus einer Welt, in

der die Mehrzahl der Bevölkerung aus blon-
den, schlanken, schönen Menschen zu be-
stehen schien. Doch die Zeit, die ich in mei-
ner Insta-Galerie und auf den Dächern der
Schrebergartenhäuschen verbracht hatte,
war nicht spurlos an mir vorübergezogen:
Ich hatte zwar die Seiten meines Grie-
chischbuches gepostet, kannte aber kaum
ein Wort daraus. Die Wirklichkeit zeigte
sich mir wie eine Fotografie mit zu viel
Blitzlicht: überbelichtet und ungeschönt.
Statt sechs, sieben Stunden am Tag auf
Instagram rumzuhängen,musste ich mich
jetzt an den Schreibtisch setzen: Einein-
halb Schuljahre galt es nachzuholen.
Manchmal schaute ich mir jetzt sogar Bil-
der in Museen an. Die richtigen Originale,
keine Fotos!

Und noch etwas Merkwürdiges geschah:
Obwohl Insta in meinem Leben vorher so
viel Raum eingenommen hatte, vermisste
ich es nicht. Und meine Freunde (die aus
dem echten Leben) merkten gar nicht, dass
ich weg war. Ich beschäftigte mich jetzt mit
mir selbst, ohne mein Leben den Kommen-
taren anderer zu unterwerfen.
In die Versuchung, mich doch wieder an-
zumelden, geriet ich zehn Monate später,

als ich mich, inzwischen 15 Jahre alt, auf ei-
nen fünfmonatigen Kanada-Aufenthalt
vorbereitete. Sollte ich alle Stationen mei-
ner Reise posten? Flug München –Vancou-
ver, Vancouver China-Town, mit der Fähre
nach Victoria, Vancouver Silvesterfeuer-
werk, Asia Food und Football, Cheerleader
und ein heiteres Highschool-Leben mit
Freunden. Danach London, Edinburgh,
Kiew, Prag. Ich entschied mich dagegen
und zeigte – nichts. Statt nach instagram-
tauglichen Momenten und Hintergründen
zu suchen, entdeckte ich fremde Orte, nur
für mich.
Mit fast 17 kehrte ich zurück nach
Deutschland–und, ja, auch zu Instagram.
Warum ich rückfällig wurde? Ich hatte mit
der Zeit gemerkt, wie viele Dinge ich nicht
mitbekam, die auf der Welt und um mich
herum passierten. Außerdem hatte ich
jetzt neue Freunde von überallher, die ich
auf der Reise kennengelernt hatte. Mit ih-
nen wollte ich in Kontakt bleiben. Per Di-
rekt-Message schreiben wir uns täglich,
fast wie früher mit meinen „Patienten“.
Doch meine Beziehung zu Instagram
hat sich grundlegend verändert. Ich folge
nun nicht mehr nur Menschen, die ich sym-
pathisch finde, sondern auch der „Tages-
schau“, der Bundeskanzlerin oder dem
Haus der Kunst. Ich informiere mich, un-
terhalte mich, lasse mich unterhalten. Vor
allem aber: Ich poste nichts mehr. Ich nut-
ze Instagram jetzt anders – ohne mich.

In Versuchung geriet ich vor
einerReise nach Kanada: Sollte
ich alle Stationen posten?

Ohne


mich


Unsere Autorin war 13, als


sie ihr erstes Foto von sich bei


Instagram postete.


Das soziale Netzwerk


bestimmte lange ihren Alltag.


Die Geschichte einer


Emanzipation


Via Direkt-Message wurde ich


Therapeutin für Mobbingopfer,


für Mädchen, die sich ritzten


Über Jahre setzte
sichdie Autorin gerne
selbst auf Instagram
in Szene. Anfangs
schwarz-weiß und
düster (siehe oben)
später in Farbe.
FOTOS: INSTAGRAM

56 GESELLSCHAFT FAMILIE UND PARTNERSCHAFT Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH


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