Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
interview: angelika slavik

SZ: Frau von Kürthy, ist es unverschämt,
wenn ich mit Ihnen über das Altern spre-
chen will?
Ildikó von Kürthy: Ein ganz hervorragen-
des Thema.
Ja?
Ja, weil es so interessant ist. Als ich jünger
war, dachte ich immer, mit 50 versiege die
Lebenszufriedenheit vollständig, weil man
massiv abbaut und sich praktisch auf dem
direkten Weg in Richtung Kiste befindet.
Und jetzt sind Sie über 50 und bauen gar
nicht ab?
Doch, und wie! Es ist unglaublich, wie
schnell das geht. Aber was ich unterschätzt
habe, ist diese Kombination: Der Geist hat
eine ganz andere Klarheit, man regt sich
nicht mehr über unwichtige Dinge auf, ich
spüre große Zufriedenheit mit dem Leben.
Und gleichzeitig ist da diese enorme Ver-
trocknung des eigenen Körpers. Das muss
man ja so sagen. Wie ein schrumpelnder
Pfirsich! Es ist ein außergewöhnliches Aus-
einanderdriften von Körper und Geist.
Hm.
Das ist wirklich bemerkenswert schlecht
gemacht von der Evolution. So eine brachi-
ale Veränderung in einem Frauenleben!
Sie sind geistig auf dem Höhepunkt ihres
Könnens, ihres Wissens, ihrer Kreativität



  • und dann das. Ich war heute schwim-
    men, jetzt tut mir der Meniskus weh, und
    neuerdings hab ich Rücken. Wenn mir mor-
    gens etwas runterfällt, hebe ich es erst
    nachmittags auf. Lachen Sie nicht! Dazu
    muss man erst mal eine Haltung finden.
    Oder wenn Sie in den Spiegel schauen und
    etwas sehen, das Ihnen nicht gefällt. Dann
    ist das kein Pickel, der in drei Tagen wieder
    weggeht. Das bleibt dann so. Das ist über-
    haupt nicht lustig. Das sind auch Verluste.


Der Verlust von Jugend und der Verlust
von Schönheit ist doch nicht das Gleiche.
Ehrlich gesagt kenne ich mich mit Schön-
heit nicht aus.
Nein?
Überhaupt nicht, aus zwei Gründen. Der
erste lautet: Ich war nie so schön, dass es
eine besondere Rolle gespielt hat. Ich war
keineswegs hässlich, aber es sind niemals
Leute reihenweise umgefallen nur wegen
meines atemberaubenden Anblicks. Es hat
auch nie jemand zu mir gesagt, oh, du hast
so eine tolle Figur, du solltest etwas mit dei-
nem Körper machen. Werd doch Model!
Ich hatte nie das Gefühl, Schönheit sei eine
meiner zentralen Qualitäten. Das ist jetzt
beim Altern natürlich ein Vorteil.
Und der zweite Grund?
Ich bin mit einem blinden Vater aufgewach-
sen. Der erste Mann in meinem Leben
konnte mich also nicht sehen. Mein Ausse-
hen spielte keine Rolle. Auch Blicke nicht.
Bei uns am Esstisch war Kommunikation
immer nur über Sprache möglich. Es gab
keine koketten Blicke, auch keine bösen.
Keine Kommunikation über Mimik. Im-
mer nur: Sag, was ist.
Dabei ist das doch eigentlich oft das Erste,
was Mädchen gespiegelt bekommen: dass
sie hübsch aussehen.
Hat mein Vater auch behauptet hin und
wieder. Es war nur nie besonders glaubwür-
dig, er konnte mich ja nicht sehen.
Obwohl Sie sich nicht viel aus diesen Din-
gen machen, haben Sie sich vor ein paar
Jahren optisch ganz schön verändert.
Ja, damals habe ich ein Experiment für ein
Buch gemacht und alles ausprobiert, was
die Schönheitsindustrie im Angebot hatte.
Und? War es gut?
Ich war blond, hatte künstliche Fingernä-
gel, überall in meinem Gesicht waren Filler
und Botox. Und ich war so dünn wie noch
nie, das hatten die mir mit so einer Gefrier-
methode alles weggeeist. Ich hatte Erfolg
wie nie auf der Straße. Bauarbeiter pfiffen
mit hinterher, Piloten winkten, wenn ich
ins Flugzeug einstieg. Entsetzlich. Mir hat
das nie etwas gegeben, wenn mich Leute
toll finden, die ich nicht toll finde.
Sie fühlen sich nicht in Ihrer Eitelkeit ge-
schmeichelt?
Überhaupt nicht. Es gibt ja Frauen, die son-
nen sich in der Anerkennung. Aber bei mir
funktioniert das nur bei jemandem, den
ich auch als Sonne akzeptiere. Nicht bei ir-
gendeinem Volltrottel. Ich sah aus wie eine
Frau, deren Prioritäten klar verteilt sind:
Friseur, Botox, Kohlenhydratvermeidung.
Dem Schönheitsideal zu entsprechen ist ja
kein Charakterfehler.
Aber ich habe in diesem Aufzug wirklich
nur die falschen Männer, nein: die fal-
schen Menschen beeindruckt. Ich war zum
Beispiel bei einem Essen, da saß ich neben
Axel Milberg. Der hat mich erst gar nicht er-
kannt. Dann sagte er: Du hast jetzt eine
Stirn, hinter der man nichts vermutet. Und
das war noch gar nicht das Schlimmste!
Sondern?
Seine Frau, Judith Milberg, war auch da-
bei. Ich kannte sie vorher nicht, wollte sie
aber schon die ganze Zeit kennenlernen,
weil die wirklich beeindruckend ist. Aber
die hat mich links liegen gelassen und ir-
gendwann sagte sie, entschuldige, ich hab
mir dich ganz anders vorgestellt. Und dann
hab ich hysterisch versucht, ihr zu beschrei-
ben, wie ich sonst aussehe, ich hab sogar
gesagt: Ich bin auch sonst viel dicker!
Das klingt ja dramatisch.
Ich habe diese Frau, die ich da im Spiegel
gesehen habe, wirklich gehasst. Ich habe
das Experiment dann vorzeitig abgebro-
chen, ich hab das einfach nicht ertragen.
Sie konnten es nicht durchziehen?
Nein. Ich habe mich aber insgesamt von
dem Gedanken verabschiedet, dass man
Dinge unbedingt zu Ende bringen muss,
nur weil man sie angefangen hat. Als ich
jünger war, dachte ich so über Beziehun-
gen: dass man es unbedingt durchziehen
muss, sonst ist man im Leben gescheitert.


Das ist ein bemerkenswert konservatives
Frauenbild.
Ich würde es eher jugendliche Verirrung
nennen. Heute finde ich, man kann been-
den, was man will. Das gilt für Beziehun-
gen genauso wie für Urlaube. Ich bin eine
große Urlaubsabbrecherin. Wenn ich Heim-
weh habe, fahre ich. Ist mir egal, was ich
schon bezahlt habe. Ich gehe auch sehr oft
im Theater in der Pause. Und schlechte Bü-
cher lese ich grundsätzlich nicht zu Ende.

Erwartet man mehr oder weniger von der
Liebe, wenn man älter wird?
Ich erwarte zunehmend mehr. Man ent-
deckt den Zauber des Bewährten. Das gilt
aber nicht nur für romantische Beziehun-
gen, auch für Freundschaften. Ich habe
Freundinnen, die kennen meine ganze Ge-
schichte. Die ersten Schminkversuche.
Oder als ich damals sitzengelassen wurde
von Stephan – Stephan mit ph, falls Sie das
aufschreiben! – das alles ist mehr wert als
der Zauber des Anfangs.
Sind Sie schwerer zu begeistern?
Kommt darauf an. Die meisten Männer in
meinem Alter sind einfach nicht sehr beein-
druckend. Männer um die 50 haben oft das
gute Funktionieren gelernt, die definieren
sich als Oberhäupter ihrer Familie oder ih-
rer Abteilung oder ihres Schrebergartens.
Ich pauschalisiere jetzt, aber sie haben

nicht die Fähigkeit, ihre Schwäche nach
außen zu tragen, so wie Frauen das kön-
nen. Frauen um die 50 haben sich von die-
sem Gepose und Getue verabschiedet, und
da wird es ja erst interessant. Ein Mann mit
dieser immer gleichen Maske der Stärke,
das ist doch wahnsinnig öde.
Ist männliche Stärke nicht attraktiv?
Ich verstehe, was Sie meinen. Man sagt,
der Mann muss Schwäche zeigen können,
aber dann hast du einen mit Arthrose, der
weint bei „Moby Dick“, den willst du dann
auch nicht. Klar. Es ist nicht leicht.
Anziehung entsteht eben nicht nur auf der
geistigen Ebene.
Ich würde sagen, ausschließlich!
Nicht Ihr Ernst.
Ich war nie beeindruckt von einem Six-
pack. Aber tatsächlich hatte ich immer aus-
gesprochen schöne Männer. Insofern kann
ich nicht behaupten, es wäre mir egal, wie
die Männer, die ich geliebt habe, ausgese-
hen haben. Vielleicht will ich auch nur
selbst nicht begehrt werden wegen Äußer-
lichkeiten. Ich denke langfristig. Wenn Sie
jetzt irgendwas an mir begehrenswert fin-
den, kommen Sie in fünf Jahren noch mal,
dann ist es weg. Aber dann will ich den
Mann ja immer noch haben.
Und wenn ein Mann Sie schön findet?
Ich habe dafür überhaupt keine Antennen.
Liegt vielleicht auch an dem blinden Vater,
bei mir muss man das schon laut ausspre-
chen: Ich finde dich schön. Allerdings kann
ich damit auch ganz schlecht umgehen,
mit Komplimenten, die sich auf das Äuße-
re beziehen. Ich sag dann immer, ach das
war ganz billig, oder: Ich sitz bestimmt nur
in einem günstigen Licht.

Wie war Ihre Kindheit?
Das, was man wohlbehütet nennt. Am
Rand von Aachen. Dass mich der blinde Va-
ter mehr beeinflusst hat, als ich dachte, ist
mir erst im Lauf meines Lebens klar gewor-
den. Als Kind eines Behinderten nimmt
man die Dinge ja so an, wie sie sind. Ich war
zum Beispiel immer mit meinem Vater spa-
zieren und hab ihn ganz selbstverständlich
geführt: Papa, Vorsicht Stufe, jetzt links,
mehr rechts. Das war ganz normal. Einmal
haben mich dann Nachbarn angespro-
chen, als ich alleine war, und gesagt, wie
toll sie das finden. Sie wollten ein Kompli-
ment machen, aber ich habe gar nicht ver-
standen, wovon die eigentlich reden.
Schmerzt Sie diese Erinnerung heute?
In gewisser Hinsicht. Es gibt ein Foto von
uns beiden am Strand, mein Vater lacht
mich an und streckt mir die Hand hin –
aber ich gehe von ihm weg. Nicht weil ich
mich abgewendet hätte, ich war nur gera-
de auf irgendetwas anderes fokussiert. Ich
drehe ihm den Rücken zu, während er
glaubt, mich anzulachen. Ich könnte heu-
len, wenn ich nur von dem Bild erzähle.
Und umgekehrt?
Klar, es gab auch Situationen, als ich ihn an-
gestrahlt habe, aber seine Aufmerksam-
keit nicht bekommen habe, weil es in dem
Moment einfach keine Kommunikation
gab. Nicht gesehen zu werden ist ein gro-
ßes Thema. Dass ich Optik eher relativiere,
schlecht bin im Blickeaustauschen, ver-
mutlich kommt das daher. Wenn mich ein
Mann länger ansieht, kann ich das nur
ganz schlecht aushalten.

Sie können nicht gut flirten?
Nein, weil das ja über Blicke läuft. Da bin
ich einfach keine ausgebildete Fachkraft,
im Gucken.
Ihre Eltern leben beide schon lange nicht
mehr. Was vermissen Sie?
Die Auseinandersetzung mit toten Eltern
ist extrem mühsam. Man macht es trotz-
dem, aber es wäre natürlich einfacher, wä-
ren sie noch am Leben. Als sie gestorben
sind, war ich Mitte zwanzig und hatte ih-
nen noch keine einzige interessante Frage
gestellt. Ich hätte sie gerne lange genug ge-
habt, um sie noch aus einer erwachsenen
Perspektive kennenzulernen.
Das ist nicht zwangsläufig angenehm.
Natürlich nicht. Aber man kann sich nicht
davor drücken, und jetzt muss ich es ohne
sie machen. Ich spreche mit Leuten, die sie
kannten, um mein kindliches Bild zu korri-
gieren. Neulich bin ich für 24 Stunden in
mein Elternhaus zurückgekehrt. Ich habe
die jetzigen Besitzer gefragt, ob sie das
Feld räumen, weil ich da so gerne noch ein-
mal wäre. Für einen Tag und eine Nacht.
Und?
Die Erkenntnis ist, ich hatte eine völlig an-
dere Kindheit, als ich dachte. Geht viel-
leicht jedem so. Ich war zum Beispiel der
Ansicht, es war im Sommer immer schö-
nes Wetter, und es hat immer geschneit im
Winter. Das kann gar nicht sein, Aachen ist
ein Wetterloch, da scheint die Sonne nie.
Außerdem glaubte ich, ich sei in einem gro-
ßen Haus aufgewachsen, geradezu palast-
artig mit einer riesigen Treppe. Und dann
gehe ich da rein, es ist ein hutzeliges Haus,
eher dunkel und die Treppe ist winzig und
eng. Und dort wollte ich nicht raus, das
glaubt man heute gar nicht.
Sie waren eine Nesthockerin?
Extrem. Nach dem Abi, als alle von irgend-
welchen Abenteuern fantasierten, zogen
die Ängste bei mir ein. Ich bekam richtige
Angstattacken.
Wie konnten Sie sie überwinden?
Gar nicht. Ich bin ja eine Freundin von lan-
gen Beziehungen, das gilt auch hier. Ich
bin eine schrecklich ängstliche Person. Ich
springe nie ins kalte Wasser, mich muss
man immer schubsen. Ich überwinde mich
auch nie, ich beiße mich nicht durch. Ich
habe jahrelang keine Lesungen gemacht,
wegen des Lampenfiebers. Und keine Live-
Sendungen im Fernsehen.
Aber heute schon.
Ja, weil es einmal ein Missverständnis gab
und ich nicht wusste, dass die Talkshow,
zu der ich eingeladen war, live gesendet
wird. Als ich das erfahren habe, saß ich
schon in der Maske, da konnte ich nicht ein-
fach wieder abhauen. Jetzt mache ich es
eben, aber schön ist das nicht.
Von Ihrem ersten Buch „Mondschein-
tarif“, das 1999 erschien, haben Sie mehr
als eine Million Stück verkauft.
Stimmt.
Setzt Sie das bei jedem neuen Buch unter
Druck?
Fragen Sie mich gerade, ob meine besten
Zeiten vorbei sind? Es ist so: Der Buch-
markt ist nicht mehr wie früher. Es ist also
unmöglich, jemals wieder so erfolgreich zu
sein wie damals. Erfolgreich ist aber nicht
das Gleiche wie gut. Es geht immer darum,
das beste Buch zu schreiben, das ich schrei-
ben kann. Die Frage, ob es sich verkauft, ist
mir nicht egal, aber sie kommt erst später.
Da bin ich mir selbst die Nächste, zuerst
schreibe ich das Buch immer für mich.
Viele Kritiker finden Ihre Bücher banal.
Denis Scheck hat mal gesagt: „Sie schreibt
wie Inge Meysel auf Ecstasy.“
Stört Sie das?
Ich kann gut damit leben, dem Feuilleton
nicht zu gefallen. Das ist, als würde man ei-
nen Veganer ins Steakhouse schicken, das
sind einfach zwei völlig unterschiedliche
Dinge. Ich kann aber nicht mit Kritik umge-
hen, die aus meinem engsten Umfeld
kommt. Deshalb bin ich sehr entspannt,
wenn mein neues Buch erscheint, aber
wenn ich etwas auf meiner privaten Face-
book-Seite posten will, sterbe ich tausend
Tode und lasse es am Ende lieber sein.
Frau von Kürthy, worum geht’s im Leben?
Darum zusammenzuhalten, wenn es ernst
wird. Nur wann es ernst wird, das ist halt
von Leben zu Leben sehr unterschiedlich.

Ildikó von Kürthy, geboren 1968 in Aachen, begann ihre Karriere als
Journalistin bei der FrauenzeitschriftBrigitte, 1996 wurde sie Redakteu-
rin beimStern. Drei Jahre später erschien ihr Debütroman „Mondschein-
tarif“, der mehr als eine Million Mal verkauft und 2001 für das Kino ver-
filmt wurde. Während einige Kritiker die Charaktere in ihren Büchern als
klischeehaft kritisieren, hat Kürthy großen Erfolg auf dem Markt: Insge-
samt verkauften sich ihre Werke weltweit mehr als sechs Millionen Mal.
Eben ist Kürthys jüngster Roman „Es wird Zeit“ erschienen. Außerdem
schreibt sie regelmäßig eine Kolumne in derBrigitte. Kürthy lebt mit
ihrem Mann und zwei Söhnen in Hamburg.

„Wenn mich ein Mann länger
ansieht, kann ich das
nur ganz schlecht aushalten.“

Zur Person


60 GESELLSCHAFT DAS INTERVIEW Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH


„Denis Scheck hat
malgesagt: Sie schreibt wie
Inge Meysel auf Ecstasy.“

FOTO: JAN RICKERS

„Ich hatte nie das Gefühl,
Schönheitsei eine
meiner zentralen Qualitäten.“

ILDIKÓ VON KÜRTHY


ÜBER


JUGEND


Ildikó von Kürthy setzt sich an den


großen Esstisch in der Küche ihrer


Hamburger Villa. Sie ist umgeben von


Kunst, Blumen und Pralinen.


Ihre Bluse passt zur Wandfarbe, sie sieht


aus wie ein lebendiges Cover von


„Schöner Wohnen“. Sie habe eine sehr


gute Inneneinrichterin, sagt sie, selbst


hätte sie das nicht gekonnt. „Ich habe


ja überhaupt keinen Geschmack.

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