Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1

Alle debattieren über Flugscham, von
Konsumscham aber war bislang noch kei-
ne Rede. Dabei verbrauchen die vielen
Einkäufe Unmengen Ressourcen, und
schaden auch dem Klima. Die Lösung
könnte nachhaltiger Konsum sein. Nur
ist der nicht ein Widerspruch in sich? Ein
Anruf bei Professorin Birgit Blättel-
Mink. Sie forscht am Institut für Soziolo-
gie der Goethe-Universität Frankfurt
und eines ihrer Seminare trägt den Titel
„Konsum und Nachhaltigkeit“.


SZ: Frau Blättel-Mink, nachhaltiger Kon-
sum – geht das überhaupt?
Birgit Blättel-Mink: Wenn man seine Le-
bensmittel nur in kleinen, inhabergeführ-
ten Geschäften einkauft, ist das ein erster
Schritt. Aber das reicht nicht. Da sind wir
bei der Debatte um die Suffizienz, die
sich um die Frage dreht: Kann der mo-
mentane westliche Lebensstil überhaupt
nachhaltig sein?
Und kann er?
Kann er schon, aber nur zum Ökobauern
gehen reicht nicht, sondern wir müssten
systematisch und in allen Bereichen unse-
ren Konsum reduzieren. Wir beobachten
seit den Neunzigerjahren eine extreme
Expansion der nachhaltigen Waren, aber
auch eine Anpassung an konventionelle
Strukturen. Große Produktpaletten, Bio
Discounter und Erdbeeren im Winter.
Viele Firmen verpassen sich nun einen
grünen Anstrich. Wie definieren Sie
nachhaltigen Konsum?
Er muss sozial, ökonomisch und ökolo-
gisch verträglich sein. Die Produzenten
der Waren sollten davon leben können,
und in einer kapitalistischen Gesell-
schaft auch Gewinn machen. Es sollten
keine Menschen ausgebeutet, und alles
getan werden, um die ökologischen Res-
sourcen weitgehend erhalten zu können.
Wir sollten also von unseren Zinsen le-
ben, und nicht das Kapital angreifen.
Aber wir greifen das Kapital doch perma-
nent an. Unser gesamtes Wirtschaftsmo-
dell basiert auf Konsum.
In den Neunzigerjahren habe ich an eini-
gen Projekten mitgearbeitet, unterstützt
vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung, bei denen es um genau
diese Frage ging: Gibt es eine Entkopp-
lung von Ressourcenverbrauch und Wirt-
schaftswachstum? Lösungen wären zum
Beispiel langlebigere Produkte, die man
reparieren kann, und eine Sharing Econo-
my. Nehmen wir als Beispiel das Car Sha-
ring. Die Wirtschaft könnte ja trotzdem
wachsen, in dem sie Dienstleistungen da-
zu anbietet. Die Reparaturen zum Bei-
spiel. Es gab viele solcher Ideen, aber sie
haben sich nicht durchgesetzt.


Worauf führen Sie das zurück?
Konsum ist ein soziales Konstrukt. Wir
wollen unseren Einkäufen distinguieren.
Aber momentan distinguiert man sich
auch durch Biomilch und faire Shirts.
Aber nur in bestimmten Gruppen. Der Un-
verpackt Laden in Heidelberg, wo ich die
Semesterferien verbringe, liegt zum Bei-
spiel in einem Viertel, in dem vor allem
bildungsbürgerliche Familien wohnen.
Wir haben einmal Studenten befragt, in
welchen Läden sie einkaufen und viele
waren sich bewusst, dass sie besser nicht
bei H&M einkaufen sollten.
Machen es dann aber doch?
Ja, und dann sagen die Unternehmen: Se-
hen Sie, die Leute wollen das. Umgekehrt
sagen die Kunden, wir kriegen zu wenig
Information. Man darf aber nie verges-
sen, dass es eine Wechselwirkung zwi-
schen Konsum und Produktion gibt. Des-
halb müssen sich beide Seiten ändern.
Was kann man also selbst tun?
Gut ist, wenn man reflexiv konsumiert:
Brauche ich das wirklich? Man sollte inne-
halten, überlegen und nicht routinemä-
ßig zugreifen. Lokale Produkte sind in
der Regel zudem besser als globale Wert-
schöpfungsketten. Saisonale Produkte
besser als Erdbeeren im Winter.
Glauben Sie, dass sich von nun an etwas
verändern wird, weil Nachhaltigkeit ge-
rade ein so großes Thema ist?
Ich bin ein bisschen desillusioniert, weil
es immer solche Wellen gab und dann
auch wieder Gegenbewegungen. Man
muss sich nur die SUVs anschauen. Aber
vielleicht ist das diesmal aufgrund der
großen Aufmerksamkeit, die das Thema
zur Zeit erfährt, anders.
interview: pia ratzesberger


von pia ratzesberger

A


lle wollen jetzt nachhaltig sein,
auch die großen Firmen. Sie be-
werben Shirts aus Biobaumwol-
le, nähen neue Etiketten ein, ver-
kaufen Biotomaten – allerdings
in Plastikfolie. Und wenn man wissen will,
wo die Waren herkommen, hat man meis-
tens keine Chance. Anders ist das bei klei-
neren Läden, deren Inhaberinnen und In-
haber ihr Sortiment selbst betreuen, die
sich selbst damit auseinandersetzen müs-
sen, was sie verkaufen und was lieber
nicht. Bei denen man also nachfragen
kann, wo die Sachen herkommen.

PHASENREICH


1 Die Gründerinnen des Ladens haben in
der Modebranche gearbeitet, heute ver-
kaufen sie nur Kleidung von fairen Unter-
nehmen. Im Phasenreich gibt es nicht nur
Shirts, sondern auch Schallplatten oder ei-
ne Tasse Kaffee. Biologischen natürlich.

DEAR GOODS


2 Das Team hat vier Läden in der Stadt,
auch noch einen in Berlin, einen in Augs-
burg und einen in Mühldorf. In München
aber hat alles angefangen. In den Geschäf-
ten bekommt man unter anderem faire
Kleidung oder Rucksäcke, allerdings kei-
ne aus Leder. Alles, was verkauft wird, ist
vegan. In der Hohenzollernstraße gibt es
ausschließlich Klamotten für Männer.

AURYN


3 Der Laden verkauft seit mehr als 20 Jah-
ren im Glockenbachviertel, vor allem faire
Kinderkleidung und Spielzeug. Zudem
Kleidung für Frauen und kleine Geschen-
ke.

CAPRICORN STORE


4 Die Inhaberin verkauft zum einen eine
Auswahl an gebrauchter Kleidung, zum an-
deren auch neue Dinge, wie Schmuck oder
Handtücher, vor allem von regionalen Fir-
men.

ABGEFÜLLT UND
UNVERPACKT

5 Die Isarvorstadt hat zwar keinen großen
Unverpackt-Laden, aber immerhin einen
kleinen. Mit Spendern für Spülmittel,

Waschmittel, Badreiniger und Seife. Es
gibt auch vieles andere, was man für eine
Küche und ein Bad mit weniger Plastik
braucht, etwa Bienenwachstücher.

KRÄUTERGARTEN
MÜNCHEN

6 Der Laden verkauft vor allem Kräuter
aus biologischem und aus Demeter-An-
bau. Außerdem Kräuter, die in der Natur
gesammelt wurden.

A BETTER STORY


7 Der Laden ist die kleine Schwester von
„About Given“ in der Baaderstraße. Dort
hängen Klamotten von fairen Herstellern,
in den Regalen findet man Trinkflaschen
und Turnschuhe.

ABOUT GIVEN


8 Der Laden hieß früher einmal Glore. Er
trug also den gleichen Namen wie faire Ge-
schäfte in Nürnberg und Augsburg, deren
Sortiment aber nicht das gleiche war – und
weil das hin und wieder zu Verwirrung
führte, hat man sich in der Baaderstraße
umbenannt. Der Laden führt faire Klei-
dung sowie Kleinigkeiten wie Parfüms
oder Geldbörsen.

HEIMLICH LAUT


9 In der Theresienstraße kann man nicht
nur Schallplatten erstehen, sondern auch
allerhand andere Dinge wie Klamotten,
Cremes und Limonaden. Das Schallplat-
ten-Sortiment dreht sich vor allem um
elektronische Musik.

BELLA NATURA


10 Der Laden in Schwabing hat bereits vor
fünfzehn Jahren eröffnet, also vor dem gro-
ßen Hype. An der Haimhauserstraße fin-
det man faire Klamotten und einen Shop
der Schuhfirma „Think“. Im zweiten La-
den an der Herzogstraße, der im vergange-
nen Jahr eröffnet hat, verkauft das Team
auf drei Stockwerken nicht nur Kleidung
für Männer und Frauen, sondern zum Bei-
spiel auch Hosen fürs Yoga.

OHNE SUPERMARKT


11 Das Ziel des Ladens ist, dass man sei-
nen Wocheneinkauf ohne Dutzende Ver-
packungen erledigen kann. Deshalb sollte

man Behälter und Beutel mitbringen. Nüs-
se, Nudeln und Reis kann man sich aus
Glasspendern abfüllen. Es gibt eine Theke
mit Backwaren, eine Ecke mit Gemüse
und Obst. Auch vieles für Küche und Bad,
das man sich abfüllen oder ohne Verpa-
ckung mitnehmen kann – festes Sham-
poo zum Beispiel. Der erste Ohne Super-
markt hat vor ein paar Jahren in der Max-
vorstadt eröffnet, mittlerweile verkauft
noch ein zweiter in der Rosenheimer Stra-
ße.

IKI M.


12 Der Laden war früher in der Isarvor-
stadt zu finden, heute in der Maxvorstadt.
Die beiden Frauen, die das Geschäft füh-
ren, verkaufen zum einen gebrauchte Pull-
over oder Jacken. Zum anderen Kleidung
auch von fairen Herstellern sowie eigene,
kleine Kollektionen.

VEGANISTA


13 Die Inhaberin verkauft nur Dinge, die
vegan sind, also ohne tierische Materialien
wie Wolle oder Leder auskommen. Es gibt
vor allem Kleidung, aber auch vegane
Schuhe, Taschen und manche Kleinigkei-
ten.

PLASTIKFREIE ZONE


14 Der Laden war der erste in der Stadt,
der sich dem plastikfreien Leben verschrie-
ben hat. Man kann sich Nudeln und Linsen
aus Gläsern abfüllen, Waschmittel und
Spülmittel. Es gibt Boxen aus Edelstahl,
Trinkflaschen, und vieles andere, um
beim Einkaufen weniger Verpackungen
zu verbrauchen.

STEMMERHOF


15 Der Hof war einer der letzten in der
Stadt, auf dem bis 1992 noch Milchkühe
im Stall standen. Heute verkaufen dort ver-
schiedene Geschäfte und Werkstätten, un-
ter anderem ein Bioladen und ein Hofla-
den, wobei letzterer mittlerweile mehr wie
ein kleiner Imbiss funktioniert, mit Brot-
zeit und Wein.

Dem Einkauf in lokalen Geschäften ist am Sams-
tag, 14. September, ein ganzer Tag gewidmet:
Dannfindet der Local Shopping Day statt, bei dem
auch einige Geschäfte von dieser Liste mitma-
chen. Mehr Informationen unter shoplocalday.de

Birgit Blättel-Mink,
Professorin für Soziologie,
62 Jahre

In der plastikfreien Zone kann man Nüsse selbst
abfüllen (Oben). Auch auf dem Stemmerhof in
Sendling (Mitte) und im Phasenreich im
Gärtnerplatzviertel (Unten) wird man fündig,
wenn man anders einkaufen will.FOTOS: FLORIAN PELJAK

Grüne Sache


Immer mehr Läden in München setzen sich für eine andere Wirtschaft ein. Sie verkaufen vor allem
fair produzierte Waren, die der Umwelt möglichst wenig schaden sollen – 15 Beispiele

„Wir müssten


reduzieren“


Die Soziologin Birgit Blättel-Mink
über besseren Konsum

NEUE IDEEN


Der Local Shopping Day will auf die kleinen Geschäfte in der Stadt aufmerksam machen.


Dochwo kann man nachhaltig einkaufen? Und ist ökologischer Konsum überhaupt möglich?


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500 m
SZ-Karte/Maps4News;
Illustration:Sara Scholz

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(^22)
10 10
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12
Ohne Supermarkt
Schellingstraße 42 und
Rosenheimer Straße 85
Plastikfreie Zone
Schloßstraße 7
Stemmerhof
Plinganserstraße 6
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12
13
14
15
Veganista
BarerStraße36
Iki M.
Adalbert Straße 45
2
Kräutergarten München
Pestalozzistraße 3
Abgefüllt und Unverpackt
Fraunhoferstraße 23
Phasenreich
Reichenbachstraße 23
Dear Goods
Baaderstraße 65,
Friedrichstraße 28,
Hohenzollernstraße 31
und Am Glockenbach 12
Auryn
Reichenbachstraße 35
Capricorn Store
Reichenbachstraße 30
A better Story
Auenstraße 2a
About Given
Baaderstraße 55
Heimlich Laut
Theresienstraße 63
Bella Natura
Herzogstraße 1 und
Haimhauserstraße 6
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9
Nachhaltig einkaufen
in München - eine Auswahl
Haupt-
bahnhof
Marienplatz
Altstadt - Lehel
Maxvorstadt
Schwabing - West
Englischer
Garten
Au - Haidhausen
Ludwigsvorstadt
Isarvorstadt
Neuhausen -
Nymphenburg
Schwanthaler-
höhe
Theresien-
wiese
Sendling
R2 THEMA DES TAGES Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH

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