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Der Planwareigentlich ein anderer: Rieger studier-
te in Stuttg art Kunst an derStaatlichen Akademie.
Während alle anderenfein säuberlich ihreBewer-
bungsmappen einsendeten,reichteRieger einen
alten Pizzakartongefüllt mit hundertTuschezeich-
nungen ein–und wurdegenommen. Esfolgten ein
Jahr Uniund di eErkenntnis, dassihm dieKunst
nicht das geben kann, wasMusik mit ihmmacht.
Unddassihm das Gewese umKunstauf dieNer-
venging. „Ichkann mirkeine Situationvorste llen,
in der ich aus Höflichkeit mit jemandem überKunst
rede.Nichts ist langweiliger ,nichts!“,sagt Rieger.
Und: „Mirgefiel die IntellektualisierungvonMusik
an derKunsthochschule nicht.Musik mussnichts
Intellektuelleshaben, sie mussunmittelbar sein.“
Er überlegt kurz und fügt mit etwaslauterer
Stimme hinzu: „Dukannst Leute mit Schallwellen
überwältigen, ob siees wollen oder nicht. Das hat
so eine Brutalität undRohheit, das hatmich immer
mehrinteressiert als einegemalt eExplosion. Ich
will lieber,dassdudie Explosion hörst–mit Fiepen
aufdem Ohr.“ Einmalsaßerine iner Sendung bei
DeutschlandfunkKultur.Dawollte man ihn schon
wieder irgendeinem Genrezuordnen, und dann soll-
te er auch noch ein vomModerator geschriebenes
Gedichtvorlesen. Rieger verl ieß dasStudio.
Für diese Intensität und diese Radikalitätnimmt
Rieger in Kauf,auch einmalein Jahr depressiv
durchzuhängen.Sich sozial zu isolieren, nur noch
rauszu gehen, um an derTankstelle Tabakzukau-
fen, und ansonsten in einer altenAutowerkstattzu
hausenundMusik zu produzieren,sagt er.
Dann mussRieger los,raus ausWest-Berlin, mit
derS-Bah nRichtung Marzahn–dort liegt seinStu-
dio.Ermussheute noch an einem SongvonDrangsal
arbeiten.
Der Raum imgrauenNeubauist gemütlich. Es
riecht ein bisschen nachaltemZigaret tenrauch, aber
auf die angenehme Art.Auf einem Aschenbecher
steht „Max’ Ascher“.Ane inerWandklebt einPoster,
auf dem groß dasWort „Rauschen“ zu lesenist, von
draußenrauscht durchsgeöffneteFenster der Lärm
eine rBaustelle hinein.Ind er Eckestehen Gitarren,
auf dem Schreibtischein iMac. Ein aufgeräumter
Arbeitsplatz,keine verranz te Slacker-Bude.Sechs
Tage proWocheverbringt Rieger hier,mindestens
sechs Stunden, alles anderewäresinnlosbei dem
langen Anfahrtswegaus Neukölln. Er sitzt dann an
seinemiMac, schiebt Soundspurenineiner Soft-
ware übereinander undzaubert einwenig. Er gibt
der Musik anderer Künstler*innen an den richtigen
Stellenein bisschen Delayoder einen HauchReverb,
so lange, bis es in seinenOhren perfekt klingt. Ob
außerRieger selbstüberhaupt jemand di ekleinen
Details, die er indie Songseinbaut, dechiffrieren
kann?Vermutlich nicht.
Irgendwann, sagt er unterwegs,wolle er mit
der S-Bahn-Linie 25vomBahnhofHennigsdorf
zum BahnhofHeiligen see fahren. Eine Haltestelle,
drei MinutenFahrt,von derbrandenburgischen
Grenzstadtimehemaligen DDR-Territorium rüber
in denWesten Berlins. Denn Riegerverbinden nicht
nur seineKu’damm-Erfahrungen, seineNeuköllner
Wohnungund seine Liebe fürdie Einstürzenden
Neubau tenmit derStadt.
1956schlug sein Opa, deraus Mecklenburg-
Vorpommern stammt, bei einemTanzball einem
NVA-Offizier,der vorher seineFreundin belappt
hatte,ins Gesichtund brach ihmdabei dieNase.
Der Schlag hatte Folgen, RiegersGroßvater muss-
te dasLand verlasse n–und fuhr einfach mitder
S-Bahnüberdie Gren ze.„Ichfinde es krass, dass
dieseeineHandbewegun gmeines Opas dazuge-
führt hat, dassich überhauptexistiere, we il so alles
seinen Laufgenommen hat“sagt Rieger.Ohne die
gebrochene NVA-Na se gäbe eskeinen Max,keine
Nerven,keine Black-Metal-Alben und auchkeinen
Studioraum in Marzahn.Unddas wäreauch wie-
der schade,trotz aller Schmerzen. Riegergrinst in
sich hinein.
„Natürlich ist die Gitarrenmusiktot, ihr habt sie
auch getötet“ hatte er früher amTaggesagt. „Ich bin
nicht dafür da, sie wieder zu beleben.Ichwill ma-
chen,wassich richtig anfühlt.“ Es ist ihm scheißegal,
werhier wenund wasfür tothält oder nicht.
DieMusik hält ihnjaamLeben.
Einmalsaß er in
einer Sendung bei
Deutschlandfunk
Kultur.Da wollte
man ihn schon
wieder irgendeinem
Genrezuordnen.
Max Riegerverließ
dasStudio