Der Tagesspiegel - 07.09.2019

(John Hannent) #1

Der


Plastik.138 PET-Flaschen pro Meter machen den Outdoor-Samt
von Christian Fischbacher nachhaltig und Grillparty-tauglich.

Bananenpflanze.Die Taschen von Qwstion sind
aus dem selbst entwickelten Stoff Bananatex.

Pilzleder.Die Sneaker aus Zunderschwamm
taugen als Kunstwerk, aber nicht für Sport.

Fotos: Lauschsicht, promo (2), Malu Lücking, nat-2™, Christian Fischbacher

Maisleder.In Zukunft will das Label Veja so weit
wie möglich auf tierische Materialien verzichten.

Wer sagt, dass ein T-Shirt aus


Baumwolle und ein Schuh aus Leder


sein muss? In Labors wird an


Alternativen aus Algen, Pilzen, Mais


und Bananenpflanzen geforscht.


Und auch die Plastikflasche


kommt zu neuem Glanz


Adrett neben- und übereinander platziert
stehen rund 4000 Grünpflanzen im Glas-
haus in der Arena Treptow und warten auf
neue Besitzer. Ein echter Mädchendschun-
gel ist das. Da wuchert die Glückskastanie
neben der fleischigen Aloe Vera, und auch
der ordinäre Ficus findet einen Platz. Der
französische Onlineshop Bergamotte
macht für ein paar Tage halt in Berlin. Hier
kann man seine zukünftige Pflanze erst
mal ein bisschen näher kennenlernen und
sie anfassen, bevor man sie mit nach
Hause nimmt. Denn Pflanzen in der Woh-
nung sind nichts profan Dekoratives mehr,
das schlimmstenfalls in einer Ecke ein-
staubt. So eine Pflanze soll zu einem
neuen Freund werden, um den man sich
kümmert, den man pflegt, in dessen Erde
man regelmäßig seine Finger versenkt, um
zu prüfen, ob sie noch feucht genug ist,
bei dem man forscht, ob sich die Blätter
gelb verfärben, weil er vielleicht Zug be-
kommt. „Früher gab es die Cat-Ladys,
heute eben die Plant-Ladys“, sagt die Pres-
sefrau Ann-Kathrin im Brustton der Über-
zeugung. Nicht umsonst bekommt jede

Pflanze, die im Onlineshop verkauft wird,
einen Namen: Romy, die Palme, und Joa-
chim, das Kakteengewächs. Alle gibt es
mit einem hübschen Übertopf aus Bast,
damit es gleich losgehen kann mit dem
Wohlfühlen. In der Arena gibt es für alle

Wankelmütigen, die sich ein Leben mit ei-
ner Pflanze noch nicht so recht vorstellen
können, Workshops zur Ermunterung. Da
kann man sich einen eigenen Übertopf töp-
fern, ein Peeling aus Aloe Vera herstellen,
Pflanzenampeln aus Makramee knüpfen
und etwas über Pflege und Aufzucht ler-
nen. „Du bist also entschlossen, dir eine
Pflanze anzuschaffen“, werden auch dieje-
nigen von der Landschaftsarchitektin be-
grüßt, die nur zuhören wollen. Vor ihr ste-
hen Pflanzen von sonnig bis sehr schattig.
Wenn man ein bisschen von sich erzählt
hat, matcht sie einen mit der passenden
Pflanze und drückt sie einem für ein ers-
tes Date in die Hand. Unkompliziert ist Kaf-
fee. Etwas unspektakuläre Blätter, genau
richtig, um auszuprobieren, ob man das
mit dem Düngen, Umtopfen und Gießen
hinbekommt. Passend zur jungen Ziel-
gruppe von Bergamotte gibt es das Ver-
sprechen, dass die Pflanzen in Holland
nachhaltig aufgezogen wurden.gth

—Sa 10 bis 20 Uhr, Glashaus Arena, Ei-
chenstr. 4, Treptow oder bergamotte.com

Zukunft


BERLINER STIL


Algenteppich.Der von Malu Lücking
sieht aus wie für den kleinen Wassermann gewebt.

Bananenpflanzen
90 Prozent aller Taschen bestehen aus
Kunststoff. „Ist doch klar, dass man sich
etwas überlegen muss“, sagt Hannes
Schönegger aus der Schweiz. Er ist einer
von fünf Gründern des Labels Qwstion,
das praktische und schöne Taschen her-
stellt. Ein Garnhersteller aus Taiwan er-
zählte ihnen von denFasern derBananen-
pflanze. Aus denen werden traditionell
vor allem Matten und Schiffstaue ge-
macht, aber kein Garn, um dünnere
Stoffe daraus zu weben.
Die Macher von Qwstion sind auf der
Suche nach neuen Materialien, die auch
Baumwolle ersetzen können. Die Bana-
nenstaude hat gute Eigenschaften: Sie
braucht keine Pestizide, keinen Dünger,
keine Bewässerung. Also begannen Han-
nes Schönegger und seine Mitstreiter vor
drei Jahren, mit dem Garnhersteller und
einer Familie im philippinischen Hoch-
land, die die Bananenpflanzen anbaut,
den Stoff Bananatex zu entwickeln. Er ist
robust und wasserabweisend. Jetzt gibt
es aus diesem Material einen Rucksack
und einekleine Tasche, die man ganz mo-
disch auch um den Bauch tragen kann.
Die Ergebnisse ihrer Forschung stell-
ten sie allen zur Verfügung. Es meldeten
sich Universitäten, große Firmen aus der
Textil-undAutomobilindustrie.Schöneg-
ger kann sich vorstellen, irgendwann fast
alle Qwstion-Produkte aus diesem Mate-
rial zu machen, denn auch für Jacken und
Mäntel wäre es genau richtig.


Algen
„Die Algen werden uns alle überleben“,
sagt Malu Lücking. Die Wasserpflanze ist
extrem anpassungsfähig, wächst schnell
und ist eine der wenigen Pflanzen, die
vom Klimawandel profitieren. Sie beein-
druckte die Textildesignerin so nachhal-
tig, dass sie ihre Bachelorarbeit darüber
verfasst hat. Dafür fuhr sie mit ihrem Ke-
scher an die Seen rund um Berlin, um


nach Algen zu fischen. Lücking interes-
siert sich für die ganz ordinäre grüne, die
in jedem Gewässer wächst und einem
beim Schwimmen um die Füße streift.
Erst wenn eszu warm ist und zu viele von
ihnen wachsen, sterben sie ab, steigen
nach oben und bringen das Ökosystem
durcheinander. Dann sind sie für die
meisten Menschen nur noch Abfall.
Doch Malu Lückling hat ihr Herz an
die Alge verloren. Die Filamente können
bis zu zwölf Meter lang werden und füh-
lensich weichwie Wolle an.Also reinigte
siedieFasern, bauteeine eigene Spinnma-
schine und drehte aus den Algen Garn
oder zerkleinerte sie und kochte daraus
eine Art Bioplastik, das sie dann zu ei-
nem Regenmantel verarbeitete. Am
schönsten sieht der Algenteppich aus,
den sie aus unterschiedlich grünen Algen
gewebt hat. Für ihre Abschlussarbeit an
der Kunsthochschule Weißensee traf sie
sichmit Materialforschern,umherauszu-
bekommen, wie man die Alge zu einem
brauchbaren Stoff verarbeiten kann. Sie
ließ eine Algenwissenschaftlerin die ver-
schiedenen Arten durchs Mikroskop be-
stimmen und überlegt jetzt, wie sie wei-
ter daran forschen kann, bis aus ihren Al-
genexperimenten marktreife Produkte
werden.

Pilze
Einen „alten Hut“ nennt die Berliner De-
signerin Nina Fabert liebevoll die Tech-
nik, aus Fomen Fomentarius, dem Zun-
derpilz, ein lederähnliches Material her-
zustellen. Für ihre Masterarbeit prüfte
sie 2015 das Potenzial des Traditionsma-
terials aus Transsylvanien. Ihre Koopera-
tion mit dem innovationsfreudigen
Schuhlabel nat-2 führte 2018 die mögli-
cheGlatt-und Velourlederoptikan einem
Sneaker perfekt vor, im Webshop wird al-
lerdings gewarnt, dass es sich um „emp-
findliche Kunst in Form eines Schuhs“
handelt. Für Fabert liegt das Lederthema
in der Vergangenheit.

Zwar produziert ihre Firma Zvnder auf
Nachfrage rustikale Kappen und Porte-
monnaies aus dem Pilz, doch ihr wurde
schnell klar, dass das Pilzleder ein Ni-
schenprodukt bleiben muss und sollte.
Da verzichtet Fabert lieber auf den Me-
dienhype, der sich schnell um jeden ver-
meintlichenLederersatz aufbaut. „DasLe-
der ist nur ein Aspekt dieses spannenden
Rohstoffs“, sagt sie. Heute interessieren
sie eher die Möglichkeiten des Materials
als natürlicher Filter oder antibiotischer
Zusatz in der Medizin.
An Pilze als Zukunft tierfreien Leders
glaubt sie dennoch, dann allerdings aus
derRetorte.Das US-Biotech-Start-upMo-
dern Meadow entwickelt im Labor das

tierfreie Leder Zoa aus Hefepilzen und
mitviel Genmanipulation.Zoakann theo-
retisch in allen Dimensionen produziert
und auf Trägermaterialien gesprüht wer-
den, es kann Nähte ersetzen. Nach der
Präsentation vielversprechender Vorstu-
fen, die ganz neue Gestaltungsmöglich-
keiten in Aussicht stellen, hüllt sich Mo-
dernMeadow nun auf den letzten Metern
in Schweigen, bis das Produkt wirklich
marktreif ist.
Auch die französische Turnschuh-
marke Veja will mehr Schuhe ohne tieri-
sches Leder herstellen. Deshalb entwi-
ckelt sie Maisleder. Dafür werden die
Blätter der Pflanze geschreddert, zu ei-
nemBrei verarbeitet und aufeinen Baum-

wollstoff aufgetragen. 50 Prozent des
Schuhs besteht aus Maisabfällen aus der
Lebensmittelindustrie.

Plastikflaschen
Stoffe ausPET-Flaschen wurden nicht zu-
letzt zum aktuellen Supertrend, weil die
Vorstellung, dass Mode dabei helfen
könne, Müll abzubauen, so verführerisch
ist. Das Naturschutznetzwerk „Parley for
the Oceans“, das mit Strategien aus der
Werbebranche das Recyclingmaterial
„Ocean Plastic“ populär gemacht hat, er-
innert jedoch daran, dass das endgültige
Ziel sein muss, Plastik überflüssig zu ma-
chen. Doch von heute auf morgen geht
das natürlich nicht.

Darauf zählt auch Christian Fischba-
cher, ein Label für luxuriöse Heimtexti-
lien aus der Schweiz. Seit Jahren inves-
tiert man dort in die Entwicklung hoch-
wertiger Recyclingstoffe. Das jüngste Re-
sultat: Benu Talent, ein kuscheliger Samt
aus dem sprödem PET, der auch dem
TrendzumOutdoor-Lifestyle(danke,Kli-
maerwärmung!) gewachsen ist.
Doch Plastik bleibt Plastik. Kunststoff-
fasern landen durch Abrieb und mit jeder
Wäsche als Mikroplastik in der Umwelt.
Das Surf- und Longboardlabel Langbrett
hatdafürden Waschbeutel„Guppyfriend“
erfunden. Das Mikroplastik wird darin
aufgefangen und kann mit dem Hausmüll
verbrannt werden.

der


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Stoff


Wie gemalt.Blätter sind gerade auch
ein beliebtes Motiv in der Mode.

Date mit


Zimmerpflanze


Von Ingolf Patz und Grit Thönnissen


SONNABEND, 7. SEPTEMBER 2019 / NR. 23 938 MODE & STIL DER TAGESSPIEGEL 31

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