Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

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WR6 MOBILITÄT / IAA WELT AM SONNTAG NR.36 8.SEPTEMBER2019


N


eulich bei VW
im Designstu-
dio. Der Mann
vom Werk-
schutz beklagt
die schlechten
Fritten im Sta-
dion, die selbst sein Kleiner
eine Tages nicht mehr essen
wollte. Doch auch wenn
Pommes Rot-Weiß im Stadion
des VfL Wolfsburg für ihn nicht
mehr zu ertragen sind: „Ich
bleibe ein Grün-Weißer!“, zi-
tiert er stolz die Vereinsfarben.
Der Empfangschef sieht sich
hingegen eher in Richtung
Braunschweig orientiert. Die
Eintracht stünde gerade oben
in der dritten Liga: „Da muss
der Onkel für die drei Neffen
mal wieder die dicke Marie
raushängen lassen: Brause, Sta-
dionwurst und Pommes satt!“

Was in Braunschweig also
schmeckt, muss in Wolfsburg
noch lange nicht lecker sein.
Prädestiniert für den direkten
Vergleich wäre wohl Klaus Bi-
schoff. In Braunschweig hat er
Industriedesign studiert, in
Wolfsburg leitet er seit 2006
das Designstudio, dem rund
430 Mitarbeiter weltweit zuge-
ordnet sind. Den Gelüsten der
beiden Herren am Empfang
kann aber auch Bischoff nicht
weiterhelfen, denn: „Wie ist
Volkswagen geboren worden?
Ohne Grill!“ Der Käfer hatte
keinen und auch Porsche fuhr
lange Zeit mit einem luftge-
kühlten Motor im Heck, konnte
also ebenfalls auf einen Kühler-
grill verzichten. Aber ohnehin
liegt der Fokus von Bischoff
derzeit weniger auf der Quali-
tät von Pommes und Würst-
chen in den Fußballstadien die-
ser Republik. Der Designchef
verantwortet den Look des für
VW wichtigsten Fahrzeugs
nach Käfer und Golf: das Design
des ID.3, des wohl spannend-
sten Autos auf der IAA.
An der gesellschaftlichen Ak-
zeptanz des ID.3 wird es hän-
gen, ob der VW-Konzern den
Wandel vom Saulus zum Paulus
bewerkstelligen wird. Und es
könnte tatsächlich sein, dass
der beherzte Einstieg in die
Elektromobilität den Konzern
noch einmal mit einem tief-
blauen Auge davonkommen
lässt. Zur Erinnerung: Es ist ge-
rade Mal vier Jahre her, als VW
im September 2015 die eigens
installierte Abschaltvorrich-
tung in Dieselfahrzeugen zum
Verhängnis wurde. Nur wenige
Tage bevor der Betrug aufflog,
hatte der damalige Vorstands-
vorsitzende Martin Winterkorn
der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung in einem Interview ge-
sagt: „Wir haben noch viele
Ideen für Amerika. Um es klar
zu sagen: Wir wollen die Marke
Volkswagen in den Vereinigten
Staaten genauso erfolgreich
machen, wie es Audi und Por-
sche dort bereits sind.“ Keine

zwei Wochen nach Erscheinen
des Interviews musste Winter-
korn als Konzernchef seinen
Hut nehmen.
Was die Amerikaner ent- und
aufgedeckt hatten, brachte den
vielleicht größten Skandal der
Automobilgeschichte ins Rol-
len. Bislang liegen die Folgeko-
sten für den Konzern dem Ver-
nehmen nach im zweistelligen
Milliardenbereich. Winterkorn
wird von der Staatsanwalt-
schaft Braunschweig wegen
schweren Betrugs, Untreue und
unlauteren Wettbewerbs ange-
klagt. Dass am 25. August auch
noch der einstige VW-Patriarch
Ferdinand Piëch, ehemaliger
Förderer von Winterkorn, mit
82 Jahren gestorben ist, besie-
gelt eine Ära, die einen Auto-
konzern zu grandiosen Erfol-
gen führte und schließlich ins
Bodenlose stürzen ließ.
„Wir standen vor einem
Scherbenhaufen“, sagt Klaus
Bischoff heute. Seit gut 30 Jah-
ren spitzt er seine Bleistifte für
VW, entwickelte das Design des
ersten VW Up, war für das Aus-
sehen mehrere Golf-Generatio-
nen zuständig, kreierte die
SUV-Baureihen um Tiguan und
Touareg. Spurlos ist das Diesel-
gate auch an ihm nicht vorbei
gegangen. Mit Winterkorn hat-
te Bischoff noch das aktuelle
dreidimensionale VW-Logo
ausgearbeitet. Dieses wird nun
von einem schlankeren, nüch-
ternen 2-D-Emblem abgelöst.
Wieder zeichnet Bischoff dafür
verantwortlich, nur heißt der
aktuelle Vorstandsvorsitzende
nicht mehr Winterkorn son-
dern Herbert Diess.

NUR VIER WOCHEN ZEIT
Diess war 2014 von BMW zu
VW gewechselt, wo er ab Juli
2015 zunächst das neu geschaf-
fene Vorstandsressort „Vorsit-
zender des Markenvorstands
Volkswagen-Pkw“ bekleidete.
In dieser Funktion beauftragte
er Anfang 2016 Bischoff mit
dem Entwurf einer elektrischen
Fahrzeugflotte. Vier Wochen
wurden dem Designchef und
seinen Mitarbeitern gegeben,
um die Entwürfe zu präsentie-
ren. Es waren die Designer, die
für VW die Kohlen aus dem
Feuer holen sollten. Immerhin
war diese Abteilung auch die
am wenigsten verdächtige im
Dieselskandal, da dessen Verur-
sacher hauptsächlich im Ma-
nagement und auf der techni-
schen Seite zu suchen waren.
Aber was macht man mit
einer Marke, die am Boden
liegt? Einer Marke, die ihre
Glaubwürdigkeit verspielt hat?
Diess stellte eine Task Force zu-
sammen und ließ ein Wochen-
ende lang die Köpfe rauchen,
um herauszufinden, was eigent-
lich noch als Kern der Marke
definiert werden kann. Nur
wenn dieser klar benannt wür-
de, ließe sich daraus eine neue
Produktlinie entwickeln.
Ein Irrweg wie einst mit dem
luxuriösen Phaeton, als der Ver-

auch später nicht explodieren,
wurde der Modulare Elektrifi-
zierungsbaukasten (MEB) ent-
wickelt, der wie der Modulare
Querbaukasten (MQB) bei den
Verbrennern zur Basis einer
ganzen Reihe von VW-Model-
len werden sollte. Mit dem
MEB wurden auch die maxima-
len Maße der ersten eigens für
die Elektromobilität entwickel-
ten VW fixiert: Ein großes und
schweres SUV ist damit nicht
realisierbar.
Vier Wochen nach dem Start-
schuss wurden Diess & Co. in
der „Walhalla“, der Präsenta-
tionshalle im VW-Designstu-
dio, zehn Modelle präsentiert,
die alle von ihren Dimensionen
her in der Kompaktklasse ange-
siedelt sind. Sechs von ihnen

Der bessere Golf?


Der ID.3 von Volkswagen ist noch nicht auf der Straße,


und schon ist seine erste Edition ausverkauft. Wie VW


vom Saulus zum Paulus werden könnte und mittels der


E-Mobilität die Zukunft auf der Straße einläuten will


VON BJÖRN ENGEL

such unternommen wurde, in
die Liga der Premiumhersteller
aufzuschließen, musste in die-
ser Situation tunlichst vermie-
den werden. Ginge VW mit
elektrischen Fahrzeugen auf
den Markt, die sich nur Besser-
verdienende und Reiche leisten
könnten, hätte die Marke ihre
Herkunft verraten, die mit dem
Käfer begründet wurde und mit
der Produktion des Golf seit 45
Jahren fortgeführt wird.
Also suchte die Task Force
nach Essenziellem, stellte sich
die Frage, was die Erfolge der
Vergangenheit ausgemacht hat-
te. Ein Käfer war zum Beispiel
für viele Menschen sympa-
thisch, der fehlende Grill – oft
bei Autos als aggressives, aufge-
rissenes Maul gestaltet – und

die Kulleraugen machten das
Fahrzeug „likeable“, wie Bi-
schoff sagt. Die Gesamtgestal-
tung, die Linienführung waren
bei VW meist unaufdringlich,
weshalb später auch ein Golf zu
„Everybody’s Darling“ werden
konnte. Wer einmal mit Werk-
stätten spricht, wird schließlich
hören, wie logisch ein Golf auf-
gebaut ist, wie gut zu reparie-
ren. Und wer einmal einen al-
ten Käfer gefahren hat, wird da-
von schwärmen, wie reduziert
und puristisch ein vollwertiges
Fahrzeug sein kann.
Mit diesem Destillat, der
Quintessenz, die die Task Force
unter Bischoff an besagtem Wo-
chenende aus der Historie ex-
trahiert hatte, ging es an die
Entwürfe. Damit die Kosten

KKKlaus Bischoff demonstriert Autor Björn Engel die unterschiedlichen Phasen der Designentwürfe fürlaus Bischoff demonstriert Autor Björn Engel die unterschiedlichen Phasen der Designentwürfe für
den ID.3, der anfangs noch den Namen I.D. Neo trug. Als Bedeutung der Abkürzung „I.D.“ präferiert
Bischoff übrigens den Begriff „Iconic Design“

VW / KURPASOVA
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