Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

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DEUTSCHLAND & DIE WELT


zu beginnen. Für uns folgt da-
raus, dass wir uns auf den
Bündnisgedanken von Bündnis
90 zurückbesinnen.


Das Verständnis für den Os-
ten war bei den Grünen nach
der Wiedervereinigung nicht
gerade ausgeprägt.
Die West-Grünen in den 90er-
Jahren waren noch immer sehr
stark vom Gedanken der Protest-
partei geprägt. Da waren die Mit-
glieder von Bündnis 90 weiter.
AAAllein im Begriff Bündnis stecktllein im Begriff Bündnis steckt
ja schon der Anspruch, für die
Breite der Gesellschaft verant-
wortlich sein zu wollen. In den
9 0er-Jahren hat das bei den
WWWestgrünen kein Gehör gefun-estgrünen kein Gehör gefun-
den. Dass dahinter aber eine po-
litische Idee steht, haben wir erst
in den vergangenen zwei Jahren
wirklich verinnerlicht. Heute ist
das ein gesamtgrüner Weg.


Sie sprechen hier in Weimar
unter anderem über die Digi-
talisierung und Maßnahmen
zur Stärkung der abflauenden
Konjunktur. Der internationa-
le Wettbewerb wird härter,
die starke Stellung der deut-
schen Unternehmen im Aus-
land bröckelt. Auf welche
Weise wollen die Grünen die
schwächelnde Konjunktur
stärken?
Schwächeln ist stark untertrie-
ben. Die Zeichen stehen auf
Sturm. Gleichzeitig greifen die
klassischen Gegenmaßnahmen
der Geldpolitik – Zinsen sen-
ken, um die Konjunktur anzu-
kurbeln – nicht mehr, weil wir
ja schon bei Negativzinsen sind.
Wir müssen also dringend poli-
tisch handeln. Einer unserer
Vorschläge ist es, massiv zu in-
vestieren und auch damit die
Binnennachfrage anzukurbeln.
Das nicht nur als Strohfeuer,
sondern dauerhaft.


Zielen Sie auf ein Konjunktur-
programm ab?
Wir denken an einen Zeitraum
von mindestens zehn Jahren, in
dem wir die öffentliche Infra-
struktur modernisieren, und
zwar CO 2 -neutral. Die jetzt not-
wendigen Veränderungen sind
eine Chance, die industriellen
Prozesse zu stärken, Forschung
zu fördern, allen voran die an
der Künstlichen Intelligenz, so-
dass wir gegenüber China und
den USA aufholen. So schaffen
wir neuen Wohlstand und ent-
koppeln ihn vom Ressourcen-
verbrauch.


An welches Finanzvolumen
denken Sie dabei?
Wir wollen die europäischen
Stabilitätsvorgaben auf
Deutschland übertragen und
daran entlang die Schulden-


bremse aktualisieren. Das wür-
de dem Staat zwischen 30 und
35 Milliarden Euro jährlich an
zusätzlichem Spielraum geben.
Das Geld wollen wir dann in ei-
nen Investitionsfonds überfüh-
ren, der der Jährlichkeit des

Haushalts entzogen ist und
Ländern und Kommunen offen-
steht. Damit ließen sich bei-
spielsweise Infrastruktur,
Breitbandversorgung, Sanie-
rung von Schulen, Sporthallen,
Schwimmbädern und der Aus-
bau der Schiene finanzieren.
Die Schuldenbremse, wie sie
jetzt besteht, stammt doch aus
einer Zeit, in der politische
Handlungsfähigkeit durch hohe
Zinsen eingeschränkt war. Heu-
te zahlen Banken dafür, dass
sich Deutschland bei ihnen ver-
schuldet. Wir haben eine völlig
andere Situation.

Warum sagen Sie nicht, Sie
wollen die Schuldenbremse
aufgeben?

WWWeil ich das nicht für richtigeil ich das nicht für richtig
halte. Wir sollten die Schul-
denbremse reformieren, nicht
aufgeben. Mit unserem Vor-
schlag senken wird die Schul-
denquote weiter, wir schaffen
aber die Voraussetzungen für
Investitionen. Selbst konser-
vative Wirtschaftswissen-
schaftler sagen, es sei unsin-
nig, in einen Abschwung hi-
neinzusparen. Das verschärft
eine Krise nur. Und all die un-
terlassenen Investitionen sind
ja auch Schulden. Die stehen
zwar nicht im Haushalt, ma-
chen unser Land aber dennoch
arm und gehen zulasten der
künftigen Generationen. Wir
verlieren international den
Anschluss.

Dazu müssten Sie das Grund-
gesetz ändern.
Ja, um den Investitionsfonds
abzusichern, streben wir eine
Änderung des Grundgesetzes
an.

Geht Ihr Konjunkturpro-
gramm auch mit einer Steuer-
reform einher, die die Men-
schen entlastet?
Eine Steuersenkung für die Un-
ternehmen halte ich derzeit für
nicht notwendig. Geld haben
sie ja. Es mangelt allerdings an
klaren politischen Weichenstel-
lungen und an Aufträgen. Im
unteren Lohnbereich wären
Steuersenkungen allerdings

FORTSETZUNG AUF SEITE 6

Seit Januar 2018 ist Robert
Habeck neben Annalena
Baerbock Vorsitzender von
Bündnis 90/Die Grünen. Der
1 969 in Lübeck geborene
Habeck trat 2002 in die
Partei ein.

Robert Habeck
Grünen-Chef

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