Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

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B O U T I Q U E S
BERLIN • FRANKFURT • MUNICH

THE ART OF FUSION

BIG BANG UNICO

SPORT


Sie sollten Zeit zum Entspannen haben, sich ein wenig
erholen und ablenken. Joachim Löw gab seinen Spie-
lern am Samstagnachmittag frei. Es galt, das war dem
Bundestrainer wichtig, auf andere Gedanken zu
kommen, nachdem die deutsche Fußball-National-
mannschaft am Abend zuvor eine kleine Tracht Prügel
von den Niederlanden bezogen hatte. 2:4 (1:0) endete
das Spiel, das einmal mehr aufzeigte, wie strapaziös
der Weg für den Weltmeister von 2014 zurück an die
Weltspitze ist.


VON LARS GARTENSCHLÄGER

Joachim Löw machte aus seiner Enttäuschung keinen
Hehl. Wenn man ehrlich sei, so gestand er, gehe der Sieg
des Gegners in Ordnung. Die Niederländer seien ein-
fffach besser gewesen. Schon am Montag, wenn es in Bel-ach besser gewesen. Schon am Montag, wenn es in Bel-
fffast gegen Nordirland (20.45 Uhr, RTL) um weitereast gegen Nordirland (20.45 Uhr, RTL) um weitere
Punkte für die Qualifikation zur EM 2020 geht, bietet
sich für die deutsche Elf die Gelegenheit zur Wiedergut-
machung. Wenn auch der Druck für den Tabellenzwei-
ten in der Gruppe C im Spiel beim Tabellenersten nun
höher ist. Man wolle das Spiel dort so angehen, sagte
Löw, „dass wir als Sieger vom Platz gehen“.
Das wäre der deutschen Mannschaft gern auch am
Freitagabend gelungen. Bis zur Halbzeit sah es sogar
ganz gut aus. Der Gast hatte zwar mehr Ballbesitz und
wirkte insgesamt dominanter, nur war das Löw-Team
effektiver. Serge Gnabry nutzte in der 9. Minute einen
der wenigen schnellen Angriffe der Deutschen, die den
Erzrivalen jedes Mal vor große Probleme stellten, zur
frühen Führung. Hätte Marco Reus in der 42. Spielmi-
nute seine große Chance zum 2:0 nicht vergeben, wer
weiß, wie die Partie geendet hätte. Stattdessen kamen
die Niederländer entschlossener aus der Kabine und
schenkten der deutschen Auswahl vier Tore ein. Vier
Gegentreffer hatte sie zuletzt 2012 in einem Pflicht-
spiel kassiert – beim legendären 4:4 in der Qualifikati-
on für die WM 2014 gegen Schweden, als man binnen
30 Minuten einen 4:0-Vorsprung verspielte.
Gegen die Niederlande reichte es nur noch zum zwi-
schenzeitlichen Ausgleich, den Toni Kroos in der 73.
Minute per Elfmeter erzielte. Zuvor hatten die Nieder-
länder per Doppelschlag durch Frenkie de Jong (59.)
und ein Eigentor von Jonathan Tah (65.) getroffen.
Mehr war für die deutsche Mannschaft nicht drin. Viel-
mehr bekam sie eindrucksvoll aufgezeigt, woran es ihr
noch mangelt. Der Reifeprozess, in dem sich die junge,
teils unerfahrene Mannschaft befindet, ist ein schwie-
riger. Es fällt auf, dass die Löw-Elf Schwankungen un-
terliegt und Ausfälle wie den von Leroy Sané (Kreuz-
bandriss) nicht problemlos kompensieren kann.
Der Bundestrainer fand dann auch deutliche Worte,
als es darum ging, das Spiel zu analysieren und zu er-
klären, warum seine Mannschaft nach zuvor drei
Pflichtspielerfolgen gegen die Niederlande (3:2),
Weißrussland (2:0) und Estland (8:0) eine so klare
Niederlage kassiert hatte. „Wir haben im gesamten
Spiel unter unserem technischen Niveau gespielt, wir
haben viele Bälle verloren, viele Kombinationen haben
nicht so funktioniert. Es gab Ballverluste vorne, viele
Pässe hinten wurden nicht vertikal, sondern zurück zu
Manuel Neuer gespielt“, sagte der Coach, der einmal
mehr seinem neuen System vertraut hatte. Er ließ
vorn mit Reus, Gnabry und Timo Werner drei Offen-
sivkräfte ran, dahinter agierten Kroos und Joshua
Kimmich und hinten eine variable Abwehrkette, bei


der Nico Schulz (links) und Lukas Klostermann
(rechts) hoch anlaufen sollten.

„KEINE QUALITÄTSMÄNGEL“ Das Unterfangen
misslang. „Koemans dominierende Mannschaft hat
viel mehr Inhalt und Qualität als die Deutschen“, bi-
lanzierte die niederländische Zeitung „Telegraaf“. Der
Bundestrainer aber erklärte, seine Mannschaft habe
keine Qualitätsmängel: „Das stellen die Spieler Woche
für Woche unter Beweis.“ Was das Abwehrverhalten
betrifft, machte sich das Team angreifbar. Insbesonde-
re nach dem Seitenwechsel, als es nicht mehr gelang,
hinten kompakt zu verschieben. Das hatte vor der
Pause noch gut funktioniert. So fiel Gegentreffer
Nummer drei nach einem schlampigen Pass von Mat-
thias Ginter. Georginio Wijnaldum bediente Torschüt-
ze Donyell Malen. In der ersten Minute der Nachspiel-
zeit traf schließlich Wijnaldum nach einem Aussetzer
von Niklas Süle zum 2:4-Endstand.
Die niederländischen Spieler feierten ausgelassen – so
wie ihre rund 2000 mitgereisten Fans. Sie waren es übri-
gens auch, die im mit 51.299 Zuschauern voll besetzten
VVVolksparkstadion für Stimmung sorgten. All jene Besu-olksparkstadion für Stimmung sorgten. All jene Besu-
cher, die gekommen waren, um die deutsche Mannschaft
siegen zu sehen, verhielten sich bedenklich ruhig. Als es

galt, das Team anzufeuern, blieb die Unterstützung aus.
Nur vereinzelt waren ein paar wenige Anfeuerungsrufe
zu hören an einem Abend der klaren Worte. „In der ers-
ten Halbzeit hatten wir kaum Ballbesitz. Das kann nicht
unser Anspruch sein. Insgesamt war es ein ganz schwa-
ches Spiel von uns“, sagte der Münchner Verteidiger Sü-
le. Vereinskollege Serge Gnabry resümierte: „Wir krie-
gen Gegentore viel zu leichtfertig. Das 2:3 schenken wir
einfach her. Das darf uns nicht passieren.“
VVVor allem auch am Montag nicht, wenn es gegen dieor allem auch am Montag nicht, wenn es gegen die
Nordiren geht. Die liegen nach vier Siegen aus vier Spie-
len derzeit vor Deutschland. Ob der Trainer personell et-
was ändern wird, ist noch offen. Taktisch, das ließ er
schon wissen, wird sich auf jeden Fall etwas ändern.
„Nordirland spielt einen völlig anderen Fußball als die
Niederlande. Sie spielen wahnsinnig körperlich und ro-
bust, sie spielen viele lange Bälle. Sie werden tiefer ste-
hen, wir werden weniger Räume bekommen“, sagte Löw.
Darauf müsse man sich einstellen, ergänzte er. In der
verbleibenden Zeit – der DFB-Tross fliegt am Sonntag
um 11 Uhr nach Belfast – möchte er das eine oder andere
Gespräch führen, insbesondere mit den jungen Spielern.
Gerade ihnen müsse man das Gefühl geben, dass „sie es
können, dass sie stärker sind. Wir werden am Montag, da
bin ich mir sicher, eine gute Reaktion zeigen.“

S


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