Focus - 06.09.2019

(singke) #1

POLITIK PARTEIEN


er, sein Beruf sei nicht Finanzminister und
Vizekanzler. Vielmehr sei er Anwalt für
Arbeitsrecht. Das soll die sozialdemokra-
tische Seele streicheln. Tatsächlich aber
muss der Vizekanzler nun jeden zweiten
oder dritten Tag zu einer Regionalkonfe-
renz touren, eine Ochsentour.
Etwa zweieinhalb Stunden dauern die
SPD-Regionalkonferenzen. Die
Kandidaten stellen sich vor. Nach
der Hälfte der Zeit sind die Mit-
glieder dran und stellen Fragen.
In Saarbrücken wendet sich ein
Mann an Gesine Schwan, zwei-
malige SPD-Kandidatin für das
Amt als Bundespräsidentin und
Politikprofessorin. Sie kandidiert
gemeinsam mit dem Parteilin-
ken Ralf Stegner. Ob die bei-
den sich für die SPD-Politik der
vergangenen 20 Jahre entschul-
digen wollen, fragt der Mann
und spielt auf Hartz IV sowie die
Rente mit 67 an. „Ich will mich
nicht für etwas entschuldigen,
das ich gar nicht entschieden
habe“, antwortet die 76-jährige
Schwan. Politische Verantwortung wollen
sie und Stegner aber übernehmen und
manche Entscheidung wieder revidieren.
Stegner war noch nie Fan der großen
Koalition. Er gehörte immer zu denen, die
für eine linke Mehrheit gekämpft haben
und gegen Bündnisse mit der Union. Steg-
ner konnte sich nie durchsetzen, nicht
gegen Sigmar Gabriel, weder gegen Mar-
tin Schulz noch Andrea Nahles.
Jetzt hat Stegner genug und will
selbst den Kurs bestimmen. Er
verspricht eine „linke Volkspar-
tei“ und begreift sich als Gegen-
pol zu Scholz. Er will derjenige
sein, der den Finanzminister
schlagen kann.
Im Scholz-Lager witzeln sie
über Stegner, von „völliger
Selbstüberschätzung“ ist die
Rede. Der niedersächsische Mi-
nisterpräsident Stephan Weil
erklärte bereits, er werde Steg-
ner und Schwan nicht wäh-
len. Dabei gehört Stegner, das
erkennen selbst Gegner an,
zu den klügsten Köpfen in der
SPD. Rhetorisch ist er der Gre-
gor Gysi seiner Partei: scharf-
züngig, flink, eiskalt. Gesine
Schwan hingegen kann als Wis-
senschaftlerin die Probleme der
SPD bis ins kleinste Detail ana-


lysieren. Manchmal so sehr, dass Zuhö-
rer das Gefühl bekommen, in einer ihrer
Vorlesungen gelandet zu sein.
Wenn die SPD nach links muss, warum
also nicht Stegner und Schwan wählen?
Tatsächlich kriegen sie viel Applaus in
Saarbrücken. Und doch haben sie ein
Problem. Und das heißt Dänemark. Die

schließen und euch vorzustellen, wie das
Land aussehen würde, wenn wir die letz-
ten 20 Jahre nicht regiert hätten“, sagt
Pistorius in Saarbrücken. Der Mann ist
Niedersachse – dort versteht man die SPD
traditionell als Regierungspartei.
In den vergangenen sechs Jahren ist
Pistorius der neue Otto Schily der SPD
geworden. Wie kein anderer
steht er für innere Sicherheit
in der Partei. Anders als Ange-
la Merkel würde er wohl nie
sagen, man könne die Grenzen
nicht schützen.
In der Wirtschaftspolitik fährt
Pistorius eine Doppelstrategie:
Zum einen fordert er Investiti-
onspakete, zum anderen Steuer-
senkungen für die Mittelschicht.
Falls die SPD-Mitglieder weder
Lust auf Scholz und Geywitz
noch auf den linken Gegenpol
mit Stegner und Schwan haben,
dürfte das Duo Köpping-Pistori-
us eine gute Chance haben. Als
Synthese sozusagen.
Zumal Köpping als Ost-Ver-
steherin gilt, und das ist in diesen Tagen
ein enormer Vorteil. Die Sächsin schildert
in ihrem Buch „Integriert doch erst mal
uns“, warum sich viele Bürger im Osten
unverstanden fühlen und von der Politik
abwenden. In Sachsen ist die SPD am ver-
gangenen Wochenende auf 7,7 Prozent
abgestürzt, ein historisches Tief.

Entscheidet Kevin Kühnert die Wahl?
Und so schwebt über allem die Frage, ob
die SPD die große Koalition verlassen soll-
te, die ganze Zeit im Saal. Der SPD-Ge-
sundheitsexperte und Mitbewerber Karl
Lauterbach wirbt in fast jedem Statement
dafür, die GroKo zu verlassen. Pistorius
und Köpping zweifeln zwar auch an der
Koalition, machen sich aber Sorgen, dass
die Wähler die SPD abstrafen, wenn sie
aus taktischen Gründen geht.
Bis 12. Oktober touren die Kandidaten
durch Deutschland. Mit den Oberbürger-
meistern Simone Lange und Alexander
Ahrens verließ noch in der ersten Debatte
ein Team den Wettbewerb. Sie unterstüt-
zen künftig den früheren NRW-Finanz-
minister Norbert Walter-Borjans und die
Bundestagsabgeordnete Saskia Esken.
Auch Juso-Chef Kevin Kühnert hat sich
hinter die beiden gestellt. Bislang gal-
ten die beiden als Außenseiter. Doch in
einer verzweifelten SPD ist nun alles
möglich. n Fotos:

Lukas Ratius für FOCUS-Magazin

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dänischen Sozialdemokraten hatten im
Juni die dortige Wahl gewonnen, unter
anderem mit einer restriktiven Einwande-
rungspolitik. Stegner gehörte zu den Ers-
ten, der die Kollegen im Norden brand-
markte und in die Nähe der AfD rückte.
Für die SPD kein Vorbild, würgte er die
Debatte ab.
Tatsächlich könnte die SPD aber von
den Genossen aus dem Norden
lernen, wie selbst die SPD-na-
he Friedrich-Ebert-Stiftung in
einer Studie feststellte. „Im
Bundestag unterstützt die
SPD längst eine restriktivere
Einwanderungspolitik“, sagt
Politikwissenschaftler Merkel.
„Sie sollte das auch öffentlich
sagen.“ Der Gedanke: Wenn
die SPD wirtschaftspolitisch
nach links rückt und in kultu-
rellen Fragen in die Mitte oder
gar nacht rechts in die Nähe der
Union, kann sie Wähler von der
AfD zurückgewinnen. Andrea
Nahles hatte das einst vor, kam
aber nie so weit.
Mit dem niedersächsischen
Innenminister Boris Pistorius
und der sächsischen Integra-
tionsministerin Petra Köpping
wäre das möglich. „Jetzt bitte
ich euch einmal, die Augen zu

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