Focus - 06.09.2019

(singke) #1
DEUTSCHLAND

Fotos:


Hermann Bredehorst/Polaris/laif, Getty Images


FOCUS 37/2019 39

G

egen 19.15 Uhr bäum-
te sich Alexander Gau-
land, 78, noch einmal auf.
Gerade hatten die ers-
ten Hochrechnungen der
AfD in Brandenburg und
Sachsen Rekordergebnis-
se vo rausgesagt. In der „Bismarckhöhe“
im beschaulichen Werder nahe Potsdam
war daraufhin frenetischer Jubel ausge-
brochen.
Doch Gauland, Galionsfi-
gur der AfD, war das offenbar
alles zu viel. Auf der Bühne
im Festsaal der „Bismarck-
höhe“ appellierte er am ver-
gangenen Sonntag an die
anwesenden Parteifreunde,
den bürgerlichen Schein zu
wahren. „Ich bitte alle, sich im
Siegestaumel ganz vernünftig
zu benehmen, wie man das
als Bürgerliche tut“, sagte der
AfD-Chef ins Mikrofon.
Als er kurz darauf jedoch
negative Presseberichte über
seinen politischen Ziehsohn
Andreas Kalbitz, 46, und des-
sen rechtsextreme Biografie er-
wähnte, waren seine Appelle
wie vergessen. „Lügenpresse,
Lügenpresse“, schallte es Gauland so
gar nicht bürgerlich entgegen. Die AfD-
Anhänger verweigerten ihrem Chef im
größten Triumph die Gefolgschaft und
machten klar, wer für sie die Zukunft ist:
Andreas Kalbitz.

Andreas Kalbitz lässt Parteifreunde
mit Strichlisten überwachen
Der hatte den Saal bereits verlassen, um
in TV-Interviews seinen Wahltriumph zu
feiern. Denn sein Rekordergebnis von
knapp 23 Prozent ist nicht nur ein Weck-
ruf an die etablierten Parteien. Es ist auch
eine Kampfansage an die eher gemäßig-
ten Teile der eigenen Partei.
Der Ex-Fallschirmjäger Andreas Kal-
bitz ist längst zur zentralen Figur des

rechtsnationalen Flügels innerhalb der
AfD geworden. Zwar darf Björn Höcke auf
Parteiveranstaltungen noch den radika-
len Einpeitscher geben. Für die strategi-
sche Ausrichtung ist aber Kalbitz zustän-
dig. Sein Triumph in Brandenburg wird
daher auch die ganze AfD weiter nach
rechts verschieben – und die gemäßig-
teren konservativen Kräfte wie Gauland
und Fraktionschefin Alice Weidel schlei-
chend entmachten.

Seinen innerparteilichen Aufstieg ver-
dankt Kalbitz Intrigen, Misstrauen, Ein-
schüchterungen, der Hilfe eines bekann-
ten Rechtsextremisten, der seit Monaten
untergetaucht ist, und einem Netzwerk
von Günstlingen und Gefolgsleuten, das
er skrupellos einsetzt. Wie konnte er sich
in diese einflussreiche Position manövrie-
ren? Wie gelang es dem radikalen Ex-
Soldaten, unter dem alten Konservativen
Gauland Karriere zu machen?
„Er setzt auf Angst und Einschüchte-
rung“, sagt einer, der seinen Kampf gegen
Kalbitz verloren hat. Der frühere Abgeord-
nete Steffen Königer trat wie Kalbitz 2013
in die Partei ein. Königer, der die bürger-
liche Parteigruppierung Alternative Mitte
mit aufbaute und im AfD-Bundesvorstand

saß, war einer der wichtigsten Gegenspie-
ler in der Brandenburger Landtagsfraktion.
Der frühere Redakteur der rechten Wo-
chenzeitung „Junge Freiheit“ hatte das
Ziel, die AfD koalitionsfähig zu machen.
„So wäre es möglich gewesen, etwas zu
verändern“, sagt Königer. Kalbitz habe nur
auf Fundamentalopposition gesetzt.
Um seine Linie durchzusetzen, schleus-
te Kalbitz viele Vertraute in die junge
Landtagsfraktion ein. Dort war man
dankbar für die neuen Kräfte.
Sechs der zehn Fraktionsmit-
arbeiter seien auf diese Wei-
se rekrutiert worden, berich-
tet der Ex-AfDler Königer. So
habe Kalbitz schon frühzeitig
die Arbeit der ganzen Fraktion
beeinflussen können.
Die Büros der Kontrahenten
Kalbitz und Königer im Land-
tag lagen sich gegenüber.
Königer berichtet im Gespräch
mit FOCUS von Drohungen
gegen seinen Referenten und
von Strichlisten, mit denen
Kalbitz’ Leute dokumentier-
ten, wer bei Königer so ein
und aus ging. „Blödsinn“, sagt
Kalbitz, wenn man ihn da-
nach fragt.
Zugleich verfügt Kalbitz über ein ausge-
prägtes Selbstbewusstsein. Schon Wochen
vor der Landtagswahl fragte er in kleinen
Runden, ob sie sich vorstellen könnten,
nach der Wahl einen Staats sekretärposten
anzunehmen. Auf offi zielle Nachfrage
dementiert Kalbitz solche Aussagen.
So misstrauisch er Parteikollegen be-
äugt, so dankbar nimmt er Hilfe von außen
an. So spielte bei Kalbitz’ Marsch an die
Spitze anfangs auch der ultrarechte Akti-
vist Manuel Ochsenreiter eine gewichtige
Rolle. Beide kennen sich seit den neun-
ziger Jahren. Ochsenreiter gilt als einer
der wichtigsten Rechtsextremisten Euro-
pas. Er soll engste Verbindungen zum
Front National in Frankreich, zur italie-
nischen Lega und zu Syriens Diktator

Der Ex-Soldat Andreas Kalbitz ist der neue starke Mann der AfD. Er pflegt


Kontakte zu Rechtsextremen und will die Partei weiter radikalisieren


Der Wolf im Wolfspelz


TEXT VON JAN-PHILIPP HEIN UND ALEXANDER-GEORG RACKOW

Wahlnachlese Die AfD-Spitzenpolitiker Jörg Urban, 55, Andreas Kalbitz, 46,
und Parteichef Alexander Gauland, 78, am vergangenen Montag (v. l.)
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