Focus - 06.09.2019

(singke) #1

WIRTSCHAFT


0

Index Lesedauer für das erste Kapitel

900

1000

1100

1200

1300

1400

1500

1600

beruflicher
Werdegang

Bildungsstand

College
Facebook

Amazon

WhatsApp
Google Maps

Apple

Ebay

Airbnb

„Harry Potter und der Stein der Weisen“

„Eine kurze
Geschichte
der Zeit“

„Stolz und Vorurteil“

„Große Erwartungen“

leichter zu lesen schwerer zu lesen

High School

Middle School

5 10 15 20 25 30 35 Min.

58 FOCUS 37/2019


Freunde und den umfassenden Zugriff
auf die eigenen Fotos. Lächeln für die
Massenüberwachung, für einen lahmen
bis lässigen Joke, für Likes auf Insta-
gram. Der gefühlte Rest der Freundesliste
warnte auf Facebook eindringlich vor der
App: „Fallt nicht darauf rein!“ Eigent-
lich ironisch. Macht doch das soziale
Netzwerk, auf dem sie ihre Bedenken
verbreiten, seit Jahren
nichts anderes. Es sam-
melt Gesichter, private
Unterhaltungen bis hin
zu den Informationen
über sexuelle Vorlieben
und psychische Erkran-
kungen. An Face App
zeigt sich, wieder einmal,
die Absurdität der Daten-
schutz-Debatte. Denn
wir zahlen ständig für
praktische Gratis-Diens-
te mit den intimsten In-
formationen über uns
selbst. Google Maps
bringt uns nach Hause,
weiß, wo wir herkommen
und hingehen, Alexa
hört Gespräche mit und
zeichnet sie auf, und die
Apple Watch misst un-
seren Herzschlag.


77 Prozent der Nutzer
halten das Lesen der
AGBs für zwecklos


Bis zum Jahr 2025 wird
die Menschheit 175 Zet-
tabyte an Daten generiert
haben. Speichert man
diese Menge auf DVDs,
reicht der Stapel 23-mal
bis zum Mond. Die Hälfte
des Volumens wird in der
öffentlichen Cloud liegen. Dagegen wir-
ken 111 Kilometer Aktenschränke, die das
Ministerium für Staatssicherheit einst an-
sammelte, fast niedlich. Im Jahr 2025 wer-
den wir laut derselben Prognose alle 18 Se-
kunden Daten abgeben. Mehr vernetzte
Geräte, Sprachassistenten, mehr Plattfor-
men, mehr Apps, die unsere Daten sam-
meln und sie gewinnbringend einsetzen.
Dabei ist dieses Prinzip des modernen
Überwachungskapitalismus nicht nur ein
moralisches Problem, kein reiner Image-


schaden der großen Plattformen, son-
dern könnte schlichtweg verboten
sein, wie eine aktuelle Studie des Ins-
tituts für Demoskopie Allensbach her-
ausfand. Google, Facebook und der
Rest des Silicon Valley sammeln diese
Informationen ein, obwohl es die euro-
päische Datenschutzgrundverordnung,
die seit einem Jahr gilt, untersagt. Sie

Die Allensbach-Forscher ermittelten,
dass es 77 Prozent der Deutschen für
zwecklos halten, die Nutzungsbedin-
gungen zu lesen, da man ohnehin ein-
willigen müsse, um den Dienst zu nutzen.
Befragt wurden 2542 Menschen im Alter
von 14 bis 60 Jahren. „Normalerweise
wird erst ab 16 Jahren befragt, aber hier
waren uns die Jugendlichen besonders
wichtig“, erklärt Anne
Niedermann, Umfrage-
forscherin für gewerb-
lichen Rechtsschutz am
Allensbach-Institut.
Kann man also von In-
formiertheit sprechen,
wenn die meisten diese
Datenschutzerklärungen
nicht mal lesen? Und
selbst wenn sie es täten,
diese kaum zu verste-
hen wären? Die „New
York Times“ analysierte
in diesem Jahr, dass die
Nutzungsbedingungen
von Facebook schwe-
rer zu lesen sind als das
berühmte komplexe Werk
„Eine kurze Geschichte
der Zeit“ von Stephen
Hawking. Die Erklä-
rungstexte der meisten
Plattformen und Dienste
erfordern ein Textver-
ständnis auf Universitäts-
niveau. Wie sollen alle
Nutzer den Inhalt er-
fassen, geschweige denn
verstehen?
Die einhellige Meinung
der Deutschen: Man
müsse den Nutzungs-
bedingungen ohnehin
zustimmen, wenn man
den Dienst nutzen wolle. Warum soll-
te man sich also die Mühe machen und
alles lesen? Widerstand zwecklos. Klingt
irgendwie gewaltsam, nach Banküberfall
oder Geiselnahme. Jedenfalls nicht frei-
willig, wie es die Verordnung verlangt.
Tatsächlich berufen sich die Tech-Unter-
nehmen immer wieder auf die Tatsache,
dass niemand gezwungen werde, ihre
Produkte zu nutzen. Aber haben Sie schon
einmal versucht, sich ohne WhatsApp
mit dem Elternbeirat der Schule Ihrer Kin-

verbietet die Verarbeitung personenbe-
zogener Daten. Es sei denn, die Platt-
form holt die ausdrückliche Erlaubnis des
Nutzers ein. Eine Zustimmung, die laut
Gesetz „freiwillig und informiert“ gege-
ben werden muss, sonst ist sie ungültig.
Und sie scheint ungültig zu sein. Denn
die meisten Tech-Unternehmen und Apps
wie Face App holen sich das Ja am Ende
langer und komplizierter Texte ab, die
wir alle schon 100-mal ignoriert und weg-
geklickt haben.

Schwere Kost Die „New York Times“ verglich Bücher mit den AGBs der Tech-Konzerne im
Hinblick auf Lesedauer und Schwierigkeitsgrad. Die Texte werden als Punkte dargestellt. Die
Grafik zeigt: Die meisten AGBs sind komplexer als das Standardwerk von Stephen Hawking

Die Studie zeigt: Die Voraussetzungen der DSGVO werden wohl nicht erfüllt


AGBs sind offenbar zu kompliziert für den Nutzer

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