Focus - 06.09.2019

(singke) #1
DIGITALISIERUNG

Fotos: dpa, imago images


FOCUS 37/2019 59

der auszutauschen, der
Yoga-Gruppe oder mit
den Arbeitskollegen?
46 Prozent der Allens-
bach-Befragten halten
WhatsApp für unver-
zichtbar. Obwohl es
datenschutzfreundliche
Alternativen wie Threema
gibt, bleibt die überwälti-
gende Mehrheit beim Markt-
führer. Netzwerkeffekt nennt
man das. Man bleibt, wo alle
sind, sonst bleibt man eben
das: allein. Warum sonst
erlauben wir Internet-Unter-
nehmen, komplette persön-
liche Profile aller Menschen
zu erstellen, diese zeitlich
unbegrenzt aufzubewahren,
zu analysieren und in belie-
biger Weise zu nutzen?

Die Menschen brauchen
Auswahlmöglichkeiten
„Wenn ein so starkes Macht-
ungleichgewicht vorliegt,
muss man an der Freiwillig-
keit einer solchen Einwilli-
gung zweifeln“, erklärt der
Jurist Boris Paal, Dekan an der Uni-
versität Freiburg. „Sie können sich
einer Behörde wie dem Finanzamt auch
nicht entziehen, wenn sie Ihre Daten
sammeln will.“ Die interessante Frage
lautet: Kann man das auf Tech-Konzerne
übertragen, deren Dienste ich brauche,
um am sozialen Leben teilzunehmen?
Der Experte für Datenschutz- und
Informationsrecht ist der Ansicht, dass
die Unternehmen Alternativen anbieten
müssen oder Auswahlmöglichkeiten.
Also im Fall von Facebook etwa: „Ich
erlaube es, meine Telefonnummer zu
speichern, aber nicht meine Adresse,
meine Freundesliste, aber nicht, wie oft
ich mit wem schreibe.“ Jeder muss selbst
entscheiden können, wie viel er von sich
preisgibt und was er dafür bekommt.
Paal hält die Ergebnisse der Allens-
bach-Studie für ausreichend, um an
der Rechtmäßigkeit der Nutzungsbe-
dingungen zu zweifeln, und fordert die
Landesdatenschutzbehörden auf, tätig
zu werden: „Würde die Datenschutz-
grundverordnung hier strenger aus-
gelegt und entsprechend entschieden,
wären alle Datenverarbeitungen rechts-
widrig – auch rückwirkend“, erklärt er.
Die Daten, die Google, Facebook oder

ker, nahm die Konsequenzen offenkundig
nicht ernst. Ein knappes Jahr später stand
er bei der Facebook-Entwicklerkonferenz
auf einer Bühne, die hinter ihm in über-
großen Buchstaben den Satz „Die Zukunft
ist privat“ zeigte. Chats sollen künftig ver-
schlüsselt werden, private Gruppen eine
größere Rolle spielen. Ankündigungen,
die viele als hohle Geste abtun. Solan-
ge sich das Geschäftsmodell „Anzeigen“
nicht ändert, wird vermutlich nichts an der
nahen Zukunft privat sein.
Dennoch ist der Schutz der Privat-
sphäre zum Lieblingsthema der ame-
rikanischen Tech-Elite geworden. Dem
Zeitgeist entsprechend. Apple-Chef Tim
Cook verkündete im FOCUS-Interview,
dass Datenschutz ein Menschenrecht sei.
Da das Geschäft des iPhone-Herstellers
nicht auf Daten beruht, sondern auf teu-
ren Geräten, steht der Konzern auf der
guten Seite der Debatte. „Was auf dem
iPhone passiert, bleibt auf dem iPhone“
oder „Datenschutz. Das ist das iPhone“
steht auf großen Werbeplakaten, die im
Moment überall hängen. Eine deut-
liche Ansage, auch an Google.
Alphabet-Vorstand Sundar
Pichai schoss seinerseits
gegen Apple und erklärte
auf der Google-Konferenz
I/O: „Datenschutz darf
nicht zum Luxusgut wer-
den.“ Bei Google würde
man an den Schutz für alle
denken, nicht für wenige
Privilegierte, die sich ein
teures Gerät leisten können.
Wobei auch Google in der
Anzeigenfalle sitzt, die dem
Konzern kein wahres Umden-
ken ermöglicht. YouTube
und der Chrome-Browser
haben inzwischen einen In-
kognito-Modus, auch Goo-
gle Maps soll man künftig
unerkannt nutzen dürfen,
Sprachassistenten verarbei-
ten die Daten nicht mehr in
der Cloud, und in München
will der kalifornische Kon-
zern sein Zentrum für Daten-
schutz vergrößern. Große
Gesten und Worte. Und trotz-
dem: „Google benötigt für
sein Geschäftsmodell noch
immer viele Daten“, meint Frank Gillett,
Analyst beim Marktforschungsinstitut
Forrester. „Es ist nicht klar, ob die Ergeb-
nisse der Rechenprozesse zurück an

Amazon im vergangenen
Jahr über jeden Nutzer
gesammelt haben oder
über dessen minderjäh-
rige Kinder, die eben-
falls WhatsApp nut-
zen, wären somit illegal
gespeichert. Für die Platt-
formen würde das gigan-
tische Strafzahlungen nach
sich ziehen, im besten Fall
zu einem anderen Verhalten
führen. Und dass Strafe wirk-
lich fruchten kann, zeigt sich
gerade immer deutlicher.
Paal sieht gerade Brüssel in
der Verantwortung, härter ge-
gen die Konzerne vorzugehen,
ebenso wie Georg Eisenreich,
Staatsminister der Justiz im
Freistaat Bayern: „Wir müssen
in Europa gemeinsam dafür
sorgen, dass die bestehen-
den Vorschriften zum Daten-
schutz auch konsequent
durchgesetzt werden“,
so der Minister.
„Das ungezü-
gelte Daten-
sammeln von
Google, Facebook & Co.
bedroht unsere Privat-
sphäre.“ Nach Lektüre
der Allensbach-Studie sagt
Eisenreich: „Ich bezweifle,
dass die Einwilligung der
Nutzer in die Verwendung
ihrer Daten wirksam ist.“
Tatsächlich gehen von
Brüssel bis Washington Be-
hörden, Gerichte und Politi-
ker gegen die großen Platt-
formen entschiedener vor als
früher. Google leistete mehre-
re Zahlungen, und Facebook
akzeptierte kürzlich erst die
Rekordstrafe von fünf Milliar-
den Dollar für seine Daten-
schutzsünden. Auch wenn
die Summe bei 55,8 Milliar-
den Dollar Jahresumsatz wie
ein Trinkgeld wirkt, für das
Mark Zuckerberg nicht all-
zu lange Anzeigen verkaufen
muss, zieht sich die Schlinge
um den Hals des 35-Jährigen
und der ganzen Branche immer weiter zu.
Vorheriges Jahr grinste er noch bei der
Anhörung vor dem US-Kongress über die
mangelnden Digitalkenntnisse der Politi-

»
Ich bezweifle,
dass die Ein-
willigung der
Nutzer in die
Verwendung
ihrer Daten
wirksam ist

«
Georg Eisenreich,
Staatsminister der Justiz

»
In Schulklas-
sen sollte er-
klärt werden,
welchen Wert
die eigenen
Daten haben

«
Dr. Anne Niedermann,
Meinungsforscherin
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