Focus - 06.09.2019

(singke) #1

Der schwarze Kanal


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Jede Gewerk-


schaftsnudel und


jede Gleichstellungs-


beauftragte


hat ihren Platz im


Rundfunkrat


« Foto: Susanne Krauss


6 FOCUS 37/


M

anchmal zeigt sich die Wahrheit in
der Abweichung vom Gewohnten,
der Panne, die kurz die Routine
durchbricht.
Der erhellendste Moment am ver-
gangenen Wahlabend, als die Ergeb-
nisse aus Sachsen und Brandenburg
einliefen, war der Auftritt von Robert Habeck im ZDF. Der
Grünen-Chef war aus der Ferne zugeschaltet. Im Haupt-
stadtstudio saß Bettina Schausten, um ihn zum Abschnei-
den der grünen Partei zu befragen. Die Zuschauer konnten
Schausten hören, aber Habeck konnte es nicht, da es offen-
sichtlich ein Problem mit der Leitung gab.
„Ich höre jetzt gar nichts“, sagte Habeck, während er an
seinem Ohrstecker fingerte. „Ich kann aber trotzdem ant-
worten, auch ohne die Frage gehört zu haben, wahrschein-
lich.“ Worauf Frau Schausten geistesgegenwärtig den
Daumen senkte: „Ich glaube, das machen wir mal nicht.“
Die Szene lässt zwei Deutungen zu.
Entweder verfügt Habeck über tele-
pathische Fähigkeiten. Oder er ist
durch seine Fernseherfahrung so kon-
ditioniert, dass er davon ausgeht,
dass es auf Fragen von Journalisten
nicht wirklich ankommt, weil man
ihm grundsätzlich wohlgesonnen ist.
Ich tippe auf Letzteres.
ARD und ZDF sind, anders als der
FOCUS oder der „Spiegel“, zur Un-
parteilichkeit verpflichtet. Bei der
Abbildung von Meinungen sollen sie
auf Ausgewogenheit achten, so
steht es im Rundfunkstaatsvertrag. Das
Gebot der Unparteilichkeit gilt ins-
besondere für Nachrichten und politi-
sche Sendungen.

Ich führe keine Strichliste, aber immer wenn ich den
Fernseher einschalte, erklärt mir jemand, warum die fort-
schrittlichen Kräfte im Land unser ganzes Vertrauen ver-
dienen. Entweder wird die Mietpreisbremse gelobt, die sie
in Berlin ausgeheckt haben, um mit 30 Jahren Verspätung
dem Sozialismus zum Sieg zu verhelfen. Oder ein Kom-
mentator ruft die Politik dazu auf, mehr Verbote zu erlas-
sen, weil nur durch mehr Verbote ein ökologisch verträgli-
ches Leben möglich sei. Oder jemand verkündet, weshalb
man endlich aufhören solle, die Leute von der Linkspartei
als SED-Erben zu bezeichnen.
Schon ein leichter Verstoß gegen den vereinbarten
Sprachgebrauch, und sei es nur aus Tollpatschigkeit, hat
Konsequenzen. Dass bereits die unbedarfte Verwen-
dung des Begriffs „bürgerlich“ im Zusammenhang
mit der AfD reicht, um einen Empörungssturm
auszulösen (bis hin zu Forderun-
gen nach Moderationsverbot für
die arme MDR-Redakteurin, die
den Begriff in ihrer Wahlsendung
benutzte), beweist eben gerade
nicht, wie weit die ARD nach rechts
gerutscht ist: Es zeigt aus meiner
Sicht das genaue Gegenteil.

D


ie Verantwortlichen finden,
es gehe bei ihnen ausgewo-
gen genug zu. „Gibt es eigent-
lich bei den Öffentlich-Recht-
lichen einen Journalisten, der sich in seinen
Kommentaren nicht auf die Seite der Grünen, der SPD
oder der Linkspartei schlägt?“, wollte ich neulich in einer
Diskussion im Netz wissen. Es gebe sogar mehrere, ant-
wortete der ARD-Chefredakteur Rai-
nald Becker. Ob er mir einen nennen
könne, der über den engeren Kolle-
genkreis hinaus bekannt sei, fragte ich
zurück, das würde mich wirklich inte-
ressieren. Leider zog es Herr Becker
darauf vor, in Schweigen zu verfallen.
Ich kann es nicht beschwören, aber
ich bilde mir ein, früher war mehr
Kontroverse. Es gab „Panorama“ und
„Monitor“. Aber es gab auch Gerhard
Löwenthal und Bodo Hauser – oder
Eduard Zimmermann mit seinem
„Aktenzeichen XY ... ungelöst“. Der
war zwar im engeren Sinn kein politi-
scher Kopf, aber dennoch eine Figur,
die für alles stand, was man auf der
Linken hasste.

Öffentlich-grün-


roter Rundfunk


JAN FLEISCHHAUER


ARD und ZDF sind zur Ausgewogenheit verpflichtet,
so steht es im Rundfunkstaatsvertrag. Warum
ist es dann bloß so schwer, dort einen Journalisten
zu finden, der in seinen Kommentaren nicht
für die linke Sache trommelt?
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